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Pelze
Zum Glück hatte ich meine hohen Stiefel angezogen. Die Sachbearbeiterin vom Job-Service glaubte meine geschummelten Ein Meter Achtzig sofort. Die Stelle war nur für Männer, für große Männer. Aber weil ich schon seit Tagen leer ausgegangen war, machte sie eine Ausnahme. Sie war eine der mütterlichen Typen, die schnell Mitleid bekommen mit einer Studentin, die kein BaFög erhält.
„Sie sind ja eine kräftige, junge Frau. Trauen sie sich die Arbeit zu?“
Ich nickte. Ich war mir nicht sicher, aber was sollte ich machen? Rasch füllte ich den Vermittlungsschein aus. Froh, bald wieder Geld zu haben, kaufte ich gleich im Supermarkt ein. Der Rucksack wog schwer, die Tetra-Paks bohrten sich unangenehm in meinen Rücken. Ich freute mich auf zu Hause. Den Sekt wollte ich als Überraschung für Jan verstecken. Es war sein letzter Abend, bevor er zu dieser Animal-action fuhr. Aber als ich die Einkäufe auf den Küchentisch stellte, verging mir jede Lust auf romantische Stunden.
„Warum hast du keine Pfandflaschen mitgebracht?“, kritisierte er die Milchpakete.
„Wer ist denn schuld, dass wir kein Geld mehr haben?", konterte ich.
Er war beleidigt.
„Du bist einfach herzlos. Wegen Leuten wie dir leiden Tausende von Tieren in Drahtverschlägen.“ Jans unsachlichen Angriffe prallten an mir ab. Seine letzte Heldentat hatte ich - seiner Meinung nach - zu wenig gewürdigt, aber den Einfall „Pelz-Müller“ in „Pelz-Müll“ umzutaufen, hatte auch im Gericht niemand lustig gefunden und uns Jans fehlenden Beitrag in der Essenskasse eingebrockt.
Jan blieb in seinem Zimmer. Ich hörte das Pfeifen des Modems. Er brütete im Internet über weiteren Aktionen. Ich hätte keine Lust gehabt, mich bei Eiseskälte an die Zäune von Nerzfarmen ketten zu lassen. Auch wenn mir die Zuchtbedingungen völlig zuwider waren.
Wenn er mich schon mit Ignoranz bestrafte, musste ich nicht unbedingt den Abend vorm Fernseher versauern. Kino wäre nicht schlecht, hinterher würde er reumütig in mein Bett krabbeln. Aber ein bißchen musste ich ihn noch ärgern und zog den zerschlissenen Persianer aus der Altkleidersammlung an. Es war klar, was jetzt folgte.
„Du siehst darin ekelhaft fett aus.“ Er musterte mich angewidert.
„Thanks for compliments, mein Lieber“, rief ich noch. Vielleicht war ich wirklich zu dick, obwohl ich vom vegetarischen Essen superschlank sein müsste. Pudding-Vegetarier, sagte mein alter Hausarzt dazu und empfahl mir dringend tierische Proteine und seitdem biss ich im Supermarkt ohne schlechtes Gewissen in eine extradicke Scheibe Fleischwurst.
Im Eingangsbereich des Auktionshauses wurde ich am nächsten Morgen von einer blonden Mitarbeiterin im Kostüm empfangen. Sie trippelte in eiligen Schritten vor mir her. Ich staunte über die Größe der Auktionshalle. Sofort fiel mir der widerliche Geruch auf. Wir kamen an endlos langen Regalen vorbei, Tausende von Pelzen hingen an Bügeln nebeneinander. Wie in einem großen Klamottenladen, nur dass die Dinger hier stanken und noch nicht verarbeitet waren. Das konnte ja prima werden, zehn Stunden Raubtierduft. Jan hätte vor Schadenfreude gefeixt, aber ich hatte ihm nichts von der Stelle erzählt.
Am Ende der Halle gab es ein Glasbüro. Beim Eintreten roch es nach Kaffee. Um niedrige Tische hockten ein paar Studenten, hauptsächlich Männer, eine Frau,und bissen herzhaft in belegte Brötchen. Es war wie auf einem Kindergeburtstag: Schüsseln mit Kartoffelsalat, Gummitiere, Türme von Negerküssen. Die Blonde lächelte:
„Bitte frühstücken Sie erst mal in Ruhe.“ Das taten wir - zwei Stunden lang. Wir trauten uns nicht, aufzustehen, aber als die Blonde wiederkam, um die Orangensaftkannnen aufzufüllen, fragte ich sie nach den Toiletten. Nicht, dass ich musste, aber mir gingen die Jungs allmählich auf die Nerven. Der Brillenschlange im rosa Jogginganzug ging es ähnlich. Wir liefen in die Halle und drehten uns um. Niemand beobachtete uns und wir faßten in die Pelze. Oben hingen Schilder mit den Tier-Namen.
„Soll ich dir mal was zeigen?“ Sie führte mich zu einem abseits stehenden Regal.
„Gaewolf. Weißt du was das ist?“ Sie schaute mich mit ihren durch die Gläser vergrößerten Augen erwartungsvoll an. Ich hatte keine Ahnung, irgendso ein Pelzvieh eben.
„Meine Mutter hat im Radio gehört, dass das Hundefell ist.“ Ganz schön clever, die Pelzlieferanten. Und die Damen im Cypern-Mantel liefen eigentlich im Rattenfell rum. Ich wunderte mich, dass Jan mir nie davon erzählt hatte. Aber vielleicht hatte ich seinen ermüdenden Ausführungen nie genug Interesse entgegengebracht, so dass er mir die spannenderen Dinge vorenthielt. In der Halle hätte man herrlich Verstecken spielen können und ich hätte mich gern in die Pelze fallen lassen.
Als wir zurückkamen, waren die kräftigsten Jungs verschwunden. Sie legten am anderen Ende der Halle den ersten Käufern Pelze vor.
Mein Bauch war schwer von Gummitieren, als ich um 15.00 Uhr endlich meinen Kunden zugeteilt wurde.
Sie warteten an einem der Tische. Der Jüngere von ihnen lächelte kurz. Der Dicke neben ihm forderte mich grußlos auf, die ersten Felle auf dem Tisch auszubreiten. Ich wunderte mich, wie schwer, so ein Kleiderbügel war. Ich legte den ersten Pelz vorsichtig auf den Tisch. Die Beleuchtung war kalt, wie über einem Operationstisch. Ich streichelte über das Fell, aber das war nicht erlaubt. Der Dicke herrschte mich an, mich zu beeilen und ich geriet schnell aus der Puste, während er mit geübten Griffen seine fetten Finger durch den Fellberg gleiten ließ. Er fächerte die einzelnen Stücke geschwind durch. Kein Fell, das seinen Standards gerecht wurde, wobei ich mich fragte, nach welchen Kriterien er eigentlich auswählte.
Der Andere lächelte mich verständnisvoll an, sein Deutsch hatte einen polnischen Akzent, er bemühte sich, mir etwas über die Tierarten zu erzählen, während der Dicke auswählte. Die Hände des Polen waren blaß und gepflegt, Hände die täglich über weiche Felle strichen. Er sah mich an.
„Du hast schöne Haare. Woher hast Du diese wunderbare Farbe. Von deine Vater? Oder von der lieben Mama?“ Er lächelte süffisant und ich kam mir vor wie ein Zuchttier.
Mit heiserer Stimme flüsterte er „Meine Füchsin“, aber so leise, dass der Dicke es nicht mitbekam.
„Du machst das sehr gut.“ Der Pole stand so nahe bei mir, dass ich sein Rasierwasser roch. Dinge, die Jan nie benutzen würde. Jan wusch sich höchstens mit Pflanzenölseife und Shampoos, die nicht an Tieren getestet waren.
Meine Kleider waren mittlerweile von Tierhaaren übersät, als wohnte ich zu Hause mit Hunderten von Katzen. Ich bereute, keine alten Sachen angezogen zu haben, obwohl die Frau vom Job-service mir dazu geraten hatte. Meinen Pullover konnte ich später wegwerfen. Der Dicke beugte sich gerade tief über die Zobel-Kollektion. Zum ersten Mal schien er auf Interessantes gestossen zu sein und ich konnte mich für einen Moment ausruhen. Ich drehte mich um und nutzte die Gelegenheit, heimlich einige Haare von meiner Hose zu entfernen. Sie liessen sich schlecht lösen; ich war so in mein Tun vertieft, dass ich zunächst gar nicht bemerkte, wie mich etwas am Po berührte. Ein vorsichtiges Streichen, das zu einem Streicheln wurde. Der Pole machte das geschickt, fast versehentlich und widerwillig bemerkte ich, dass es mich erregte. Ganz anders als Jans praktische Liebesbeweise.
Ich entzog mich seiner Hand, er ließ sich nichts anmerken und wandte sich wieder dem Tisch zu.
„Schau mal.“ Er zeigte auf ein abseits liegendes Fell. „Das ist ein Junge.“ Seine Finger strichen über den getrockneten Fellpenis und er genoß meine Verlegenheit.
„Versuchs auch mal.“ Aber mir war der anzügliche Unterton unangenehm.
Die zitronengelben Flecken waren mir erst gar nicht aufgefallen.
„Schlechte Ware. Der hat sich vor Angst ins Fell gemacht.“ Er schimpfte über die ungeschickten Tötungsmethoden, aber nicht weil ihm das Tier leid tat. Mir fielen die Bilder ein, die Jan mir im Internet gezeigt hatte, Vergasungsboxen, in die Abgase aus einem Traktor eindrangen, Elektrokabel in After und Maul und mir war plötzlich schlecht. Ich bereute diesen Job angenommen zu haben, auch wenn es nur für einen Tag war. Vor-Ort-Recherche war vielleicht eine brauchbare Ausrede.
Ich fragte mich, wen ich am meisten hier betrog, mich selbst, Jan, dem ich nichts von der Geldbeschaffungsmaßnahme erzählt hatte oder die blonde Auktionsmitarbeiterin, die so liebevoll unser Frühstück vorbereitet hatte und von deren Gummitieren und Negerküssen mein Bauch fast platzte.