Peepshow
Ich hasse Zuschauer.
Gehen Sie nie mit Ihrer Freundin in eine Peepshow. Und erst recht nicht, wenn sie Sie darum bittet.
"Was machen wir denn heute abend?" fragte mich meine damalige Lebensgefährtin. Die Geschichte ist vor gut 10 Jahren passiert, und ich habe seitdem stets geflissentlich geschwiegen. Doch irgendwann muß alles raus. Und bevor es wie bei einem explodierenden Vulkan hervorbricht, lasse ich es lieber hier und jetzt wie eine Quelle sprudeln.
"Keine Ahnung", sagte ich.
Ein gutes Buch lag in meinem Schoß und ich goß mir gerade etwas Tee nach. Ich wußte also, was 'ich' an diesem Abend machen würde, aber was 'wir' machen sollten, da fiel mir in diesem Moment wirklich nichts Interessantes ein.
Sie war gerade am Anlegen ihres Make-ups. Kriegsbemalung, wie ich es manchmal nenne.
Übrigens sind wir heute wieder zusammen, wie lange noch, das weiß ich nicht. Und warum wir wieder zusammen sind? Das weiß ich auch nicht. Vielleicht einfach nur aus Ermangelung eines besseren Angebotes.
"Ich möchte heute abend in eine Peepshow gehen", sagte sie lapidar zu mir, zwischen zwei Strichen über ihre Wimpern.
Sie können sich natürlich mein Erstaunen und meine Verwunderung vorstellen. Mir fiel fast das Buch vom Schoß und die Tasse aus der Hand.
"Tu nicht so, als wärst du noch nie in einer Peepshow gewesen", fügte sie noch hinzu.
"Das ist es nicht, ich meine ... Nein ...", fing ich an zu stottern, jetzt bloß nicht lügen, "Ja, ich war schon in einer Peepshow. Damals, mit Freunden, wir waren jung, wollten etwas erleben ..." Und plötzlich dachte ich, wieso rechtfertige ich mich eigentlich? Sollte ich mich nicht über ihren Vorschlag aufregen? Doch ich war nur noch mühselig in der Lage zu fragen: "Wieso willst du überhaupt in eine Peepshow?"
"Weil sie da ist." Die Antwort eines wahren Bergsteigers. "Ich meine, man muß alles mal gesehen haben."
"Du bist doch nicht etwa lesbisch geworden?" fragte ich ängstlich nach, "Ich weiß nicht, ob Frauen überhaupt rein gelassen werden."
"Nein, ich bin nicht lesbisch geworden", sagte sie und das sollte mich wohl beruhigen. "Ich bin nur interessiert. Am Leben interessiert."
"Und deswegen willst du in eine Peepshow?"
Sie merkte wohl selbst, wie lahm diese Erklärung klang; sie war mit ihrer Bemalung fertig und sagte deshalb nur: "Laß uns gehen."
Wir hatten erstaunlicherweise recht schnell einen Parkplatz gefunden und so waren wir nach ungefähr einer halben Stunde in einem Etablissement, in dem neben Peepshows auch Pornos in Einzelkabinen gezeigt wurden. Der Mann an der Theke, der auch für das Geldwechseln zuständig war, hatte in seinem Leben schon so viel gesehen und erlebt, so daß er nicht überrascht war, eine Frau auf der falschen Seite der Trennwand zu sehen. So dachte ich damals zumindest.
In den kleinen Kabinen war genug Platz für uns beide. Eine Packung Kleenextücher hing in einer Ecke der Kammer. Ansonsten sah man nur das nackte dunkle Holz, aus dem sie gezimmert worden war. Unter dem Fenster war ein schmales Brett angebracht und rechts neben dem Guckloch war die Bezahlvorrichtung eingelassen.
Ich steckte ein Markstück in den dafür vorgesehenen Schlitz und ein schwarzer schwerer Vorhang, der das dreißig auf vierzig Zentimeter große Fenster verhüllte, hob sich.
Ich stand hinter meiner Freundin und umarmte sie. Meine Hand fand den Weg durch einen schnell geöffneten Knopf in ihre Bluse und merkte, daß sie keinen BH anhatte. Sie ließ sich das Streicheln ihrer Brüste gefallen. Ich versuchte mit meiner anderen Hand den Rock hoch zu schieben, doch sie schlug mir auf die Finger.
"Contenance, mein Lieber", sagte sie, doch dann fuhr ihre Hand an meinem Bauch hinunter in meine Hose und kraulte meine Hoden, auf daß wohlige Schauer über meinen Rücken fuhren und schon nahm sie ihre Hand wieder weg.
Die Kleine auf der Drehscheibe war gut. Sie war sehr gut. Ihre Bewegungen waren geschmeidig, ihr Körper fest. Ihre Schamhaare waren zu einem Herzen ausgeschnitten. In meiner Hose spannte es und da meine Freundin sich an mich lehnte und ich mich an sie und über ihre Schulter blickte, spürte sie diese Entwicklung auch.
"Willst du sie oder mich?" kam die Frage, die kommen mußte.
"Am liebsten euch beide." Einfach ehrlich.
"Vielfraß!"
"Kann sie uns eigentlich sehen?" fragte sie weiter.
"Das weiß ich nicht", erwiderte ich, "Ich war noch nie auf der anderen Seite."
"Dann nimm die Hand aus meiner Bluse."
"Sie wird es schon keinem weitersagen", scherzte ich, doch ich tat, was sie wollte, wie meistens.
"Wieso denkst du, daß sie uns sehen kann?"
Der Vorhang schloß sich wieder und so steckte ich einer weitere Münze in den Schlitz, um dem Einhalt zu gebieten.
"Ich glaube, sonst könnten sie diesen Job nicht gut machen. Man braucht das Publikum. Wie beim Striptease oder bei Go-Go-Dancern. Sie benötigen das Publikum."
Müßte man nicht Gesichter in den offenen Gucklöchern anderer Kabinen sehen können, überlegte ich mir, immer noch über die Frage des Sehen und Gesehenwerdens nachdenkend. Der analytische Geist war angesprungen und dieser forderte Blut aus einem anderen Körperteil. Ich betrachtete den ‚Tanzsaal' etwas genauer. Decke, Wände und Boden waren mit rotem, wahrscheinlich künstlichem Leder ausgekleidet. Das sich drehende Podest, die Couch, war in weißen Plüsch gefaßt. Noch weißer als die Haut der Rothaarigen auf ihr.
Die Vorhänge waren jeweils an zwei Stangen befestigt und konnten an diesen hoch und runter bewegt werden. Wenn sich also durch Einwirkung eines Markstückes dieses schwarze Stück Stoff erhoben hatte, hatte sich die schwarze Fläche verdoppelt. Und in diesen Fenstern konnte ich schemenhaft Gesichter erkennen, je nachdem, wie nah sie der Glasscheibe waren, denn das einzige Licht in den Kabinen kam aus dem Vorführraum.
Meine Freundin bemerkte meine mangelnde Erregung und fragte: "Worüber denkst du nach?"
"Man kann uns doch sehen", antwortete ich und deutete auf die anderen offenen Gucklöcher und die Gesichter, die man erkannte.
"Aber wer weiß, ob das Mädchen überhaupt darauf achtet, wer hinter den Glasscheiben sitzt", fuhr ich fort, meinen Gedankengang abzuschließen, "Denn wenn sie uns überhaupt wahrnimmt, schien sie nicht erstaunt, eine Frau auf dieser Seite zu sehen. Aber vielleicht sind Paare hier keine Seltenheit, Paare, die sich den speziellen Kick mit nach Hause nehmen wollen."
"Dem Mädchen scheint es ja jedenfalls wirklich Spaß zu machen, hier zu tanzen", stellte sie fest.
"Manche Menschen lieben ihren Job. Wer weiß, vielleicht ist es für sie ein Hobby, bei dem sie auch noch etwas Geld verdient?"
In der Zwischenzeit hatte ich wieder eine Mark in die dafür vorgesehene Öffnung gesteckt. Der Vorhang blieb höchstens eine halbe Minute offen.
Wie gesagt, ich hasse Zuschauer. Aber wer nicht, wenn man nicht gerade dafür bezahlt wird? Auch ein Hang zum Exhibitionismus kann nicht schaden, wenn man sich durch Zuschauer nicht stören lassen will.
Aber diese eine Frau auf der anderen Seite der Glasscheibe, die eine erotische Darstellung bot, erregte mich. Wer weiß, vielleicht würde mich auch schon ein Porno heiß machen, den ich mir mit meiner Geliebten ansehe. Aber die Rothaarige ist echt, aus Fleisch und Blut und hier und jetzt. Nun ja, ein bißchen Exhibitionismus steckt wohl in jedem von uns.
Meine Freundin drehte sich zu mir um und küßte mich auf den Mund.
"Ist ja gut, Sigmund", sagte sie danach, in Anspielung an den großen Psychoanalytiker. Aber wer hat denn mit der Fragerei angefangen? Doch ich war schon klug genug, nicht mit dieser Frage fortzufahren, außerdem lag ihre Hand in meinem Schritt und sie sagte: "Machen wir es!"
Wie immer, wenn Lust und Obsession die Oberhand gewinnen, zieht sich der Verstand diskret zurück. Doch hier ließ er sich doch so viel Zeit, damit wir erkannten, daß die Kabine dafür etwas zu eng und zu unbequem war.
Wir verließen sie und meine Freundin machte die nächst beste Tür auf, die nicht in eine Kabine führte. Es war ein zweiter Vorführraum und der Lichtschalter schnell gefunden. Auch dieser war in rotes Leder gekleidet. Das weiße runde Plüschsofa drehte sich schon, der Lichtschalter hatte wohl auch diese Funktion inne.
Schnell hatte ich mich von der Überraschung erholt, noch einen solchen Raum vorzufinden. Wir zogen uns gegenseitig auf das runde Podest und hatten uns rasch aller nötigen und störenden Kleider entledigt.
Sie bewegte sich göttlich. Unter mir, über mir, vor mir, hinter mir, sie war überall. Ich tauchte in sie ein und verschlang sie. Ihr Körper duftete nach Waldluft und ihre Haut schmeckte nach dem Salz der Meere. Sie war die ganze Welt für mich und uns beherrschte der Rhythmus des Lebens.
Das Heben der Vorhänge nahm ich erst gar nicht wahr. Aber diese Bewegungen im Augenwinkel waren wie die Mücke in der Nacht, die einen nicht schlafen läßt.
"Die Vorhänge ..." sagte ich irritiert.
"Kümmer dich nicht darum", flüsterte sie mir ins Ohr, was mich natürlich noch mehr irritierte. Zum zweiten Mal an diesem Abend war meine Erregung verflogen.
"Du weißt ..?"
"Ja", mit Küssen versuchte sie der mangelten Erregung entgegenzuwirken, "Das sind nur meine Freundinnen."
Ihre Hände waren überall an meinem Körper, meine irrten genauso verwirrt umher, wie mein Verstand.
Ich schloß die Augen, nicht glauben wollend, was ich da soeben gehört hatte.
"So, so, deine Freundinnen", sagte ich, die Augen wieder geöffnet.
Sie küßte mich, ich küßte sie.
"Ja. Sie wollten nicht glauben, was ich so über dich erzählt habe", das hört Mann gern, "Außerdem ist noch eine kleine Wette im Spiel und ich verliere noch, wenn du dich weiter so steif verhältst, beziehungsweise an einer Stelle gar nicht steif."
Nun, ich hasse immer noch Zuschauer. Die ganze Idee mit der Peepshow damals war ein abgekartetes Spiel gewesen. Einzig und allein erdacht, um mich auf die Drehcouch zu bringen. Doch an diesem Abend legte ich eine Oscar-reife Darstellung hin. Ich übertraf mich selbst, wenn ich das in aller Bescheidenheit sagen darf. Natürlich gewann meine Freundin ihre Wette und ihre Freundinnen waren zufrieden. Unsere Darbietung hatte sie überzeugt. Was tut man nicht alles für die Liebe?
Gehen Sie also nie mit Ihrer Freundin in eine Peepshow. Und erst recht nicht, wenn sie Sie darum bittet. Sie wissen nie, wer dabei zuschaut.