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Paul - Weinverkäufer
Eigentlich hätte er Visagist oder Friseur werden wollen. Er hatte es auch probiert, wollte seinen Traum nicht so schnell aufgeben, doch schon seine ersten Versuche waren absolute Fehlschläge. Bei seiner Premiere als Friseur schnitt er dem Probanden ins Ohrläppchen. Auch Schminken wollte nicht so recht Klappen, denn er ließ sich einfach nicht von seinem Motto abbringen: „Viel hilft viel.“
Früher oder später hatte er sich nach etwas Neuem umschauen müssen, jobte mal als Reinigungskraft, LKW-Fahrer oder bei einem Wachdienst. Wenigsten konnte er so Miete und Telefon bezahlen. Nach einigen Fehlschlägen und erneutem Suchen fand er eine Möglichkeit Geld zu verdienen, die ihm nicht absolut zu wider war. „ Großes Kaufhaus sucht für langfristige Einstellung eine Verkaufskraft in gut sortierter Weinabteilung“. Auf diese Anzeige bewarb er sich und da er ein gepflegtes Äußeres und die passenden Referenzen hatte, wurde er genommen.
Zwei Jahre bot ihm die Weinabteilung die Abwechslung die er gesucht hatte. Immer neue Kunden und eine gut sortierte Auswahl an Weinen. Nach einer Weile konnte er die Kunden die danach verlangten wirklich gut beraten. Die Vielfalt der Weinsorten weckte sein Interesse und es machte ihm Spaß sich gut damit auszukennen. Er wurde ein Spezialist in Sachen Wein. Wollte jemand einen guten Rotwein zu einem Hirschragout, er wußte welcher es sein mußte. Er konnte den Kunden überzeugen, den Wein zu nehmen, den er für den richtigen hielt und er hatte nur zufriedene Käufer. Sogar die Chefetage des Kaufhauses wurde auf ihn aufmerksam und er wurde bald Leiter der Abteilung. Betriebsfeiern und Werbeveranstaltungen wurden ihm anvertraut und er war zufrieden.
Nach einem Jahr hatte er die Weinabteilung nach seinen Vorstellungen umsortiert. Es gab nicht nur Regale für Herkunftsländer, auch die Gelegenheiten zu denen die Weine paßten standen als Symbole an den einzelnen Fächern. Dieser Service gefiel den Kunden und der Umsatz stieg auf das Doppelte. Wieder bekam er eine Gehaltserhöhung.
Er fing an auch privat Wein zu verschenken, zu Jubiläen, zu Hochzeiten, eigentlich zu allen Gelegenheiten. Wein war sein Leben. Nicht lange und es war ihm wichtiger, daß die Weinflaschen im Regal genau hintereinander standen, als der Geburtstag seiner Mutter. Es gab keinen Tag an dem er nicht zur Arbeit kam, es sei den er war wirklich so krank, daß er nicht mehr gehen konnte. Er wurde bei seinen Vorgesetzten immer beliebter und bekam noch eine Gehaltserhöhung. Inzwischen hatte er soviel Geld gespart, daß er sich eine Weltreise hätte leisten können. Doch er wollte es nicht, wollte nur noch jeden Tag in seine Weinabteilung. Er ließ seinen Urlaub sogar verfallen und blieb an Sonntagen nur widerwillig zu Hause. Durch die wenige Freizeit die er nun hatte, wurden seine Stammkunden seine besten Bekannten. Sie erzählten ihm von ihren Familien, von ihrer Arbeit, von ihren Leben. Irgendwann fiel ihm auf, es war wie beim Friseur.
Eines Tages hatte er die Idee, die Flaschen im Regal mit unsichtbaren Nylonfäden aneinander zu binden. Einfach nur aus einer Laune heraus, um zu sehen was passieren würde. Eine alte Dame war die erste, die seinem üblen Scherz zum Opfer fiel. Sie wollte eine Weinflasche aus dem präparierten Regal nehmen und alle anderen folgten, fielen ihr aus der Hand und zerschellten am Boden. Die Dame stand hilflos über dem Chaos aus Scherben und roter Flüssigkeit, das sich unter ihren Füßen ausbreitete. Erfreut durch den Erfolg seiner Tat näherte er sich dem von ihm verursachten Unglück. Er genoß es der armen Frau Vorwürfe wegen ihrer Ungeschicklichkeit zu machen. Es war besser als bei seiner letzten Gehaltserhöhung, als die hilflose Dame sich in ihren Entschuldigungen verhaspelte und verstört die Weinabteilung verließ. Er fühlte sich wie Dionysos, ein kleiner Gott in seinem Reich, in dem er bestimmen und bestrafen konnte.
Sein nächster Plan war, den Boden abschnittsweise mit Seife zu beschmieren. Er besorgte sich Schmierseife und begann in aller Ruhe noch vor Geschäftsbeginn mit seiner gehässigen Arbeit. Als er die Seife in seiner Tasche verschwinden ließ, war ein guter Teil des Weges zwischen dem Regal mit den günstigen Weinen und der Kasse unbetretbar. Er sortierte Flaschen in andere Regale und wartete bis endlich der erste Kunde kam. Es war ein kaum zwanzigjähriger Junge, der offensichtlich den billigen Rausch für den nächsten Abend suchte. Lächelnd sah er, wie der Junge die Flasche seiner Wahl nahm und sich auf den Weg zur Kasse machte. Zumindest versuchte er es. Nach den ersten drei Schritten rutschten ihm die Füße weg, er kam ins Straucheln und riß den nächsten Weinständer mit auf den Boden. Es gab ein ohrenbetäubendes Klirren und das Ergebnis glich einer Katastrophe. Als alles zur Ruhe gekommen war, bedeckten Weinlachen und zerbrochenes Glas das Linoleum der halben Abteilung. Befriedigt holte er einen Wischeimer und reichte ihm seinem arglosen Opfer. Der Junge entschuldigte sich schuldbewußt und begann ohne Widerworte mit seiner Arbeit. Wieder stieg ein Gefühl von Macht in unserem Weinverkäufer auf.
Es ging über Wochen so weiter, immer wieder baute er Fallen, spannte Stolperdrähte oder präparierte Weinflaschen. Es tat ihm gut, er wurde süchtig danach, daß seine Pläne funktionierten und er sich den Kunden gegenüber als Autorität präsentieren konnte. Der Umsatz litt stark unter seinen Spielchen, die Stammkunden, die in Ruhe ihren Wein kaufen wollten, fühlten sich durch die ewigen Unfälle gestört und suchten sich andere Geschäfte. Das fiel auch der Geschäftsleitung auf und sie begann ihm stärker auf die Finger zu schauen. Videokameras wurden zur Überwachung auf die Weinabteilung gerichtet, unterstützt von Ladendetektiven in Zivil, die ohne sein Wissen durch sein Reich patrouillierten.
Nach kurzer Zeit wurde er erwischt, wie er mit einem Gefäß voll Buttersäure durch die Abteilung lief und einige Flaschen besprenkelte. Für diese Tat suchte er sich nur die teuersten Sorten aus, als sich plötzlich eine Hand von hinten auf seine Schulter legte. Er wurde abgeführt und zur Geschäftsleitung gebracht. Auf ihre Fragen antwortete er nicht, blieb stumm bis die Polizei kam und ihn zum zuständigen Revier brachte. Auch während des polizeilichen Verhörs gab es nur einen Satz, den der ihn verhörende Polizist in seine Schreibmaschine tippen konnte: „Ich hatte mal den Traum Friseur zu werden.“