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Pastors Pläsier
Hoch überragte die Kirchturmspitze die Dächer des Ortes und wies den Reisenden über die weite Marsch den Weg. Unzweifelhaft war die rote Backsteinkirche der Mittelpunkt des Dorfes, wie es sich für gute Christenmenschen gehört.
Und genauso wie das Gotteshaus das dominierende Bauwerk des Ortes war, nahm der Herr Pastor eine herausragende Rolle unter den Bürgern Gardings ein. Er war sogar auf der gesamten Halbinsel Eiderstedt eine stattliche Persönlichkeit. Mit seinem fast kahlen Kopf, dem graumelierten Backenbart und dem goldenen Kneifer erweckte er schon von seiner äußeren Erscheinung her Respekt. Der schwarze Anzug mit Weste und güldener Uhrenkette konnte allerdings nicht verbergen, dass der Herr Pastor zwar für das Seelenheil im Jenseits zuständig war, darüber aber die leiblichen Genüsse des Diesseits nicht vergessen hatte. Nun ja, die sieben Kinder, die nach und nach den Pfarrgarten erobert hatten, waren Christenpflicht. Der Genuss eines guten Essens hingegen, so wurde der Pastor nicht müde zu predigen, war eine stille Lobpreisung des Herrn und ein anerkennender Dank für den reichlich gedeckten Tisch aus Feld und Stall, nicht zu vergessen das Füllhorn des nahen Meeres.
Und da seine Herde ebenfalls gesund lebte, starben die Menschen nur selten, und wenn, dann nicht vor dem gesunden Frühstück. So gab es für Herrn Pastor nichts Schöneres, als den neuen Tag mit einer ausgiebigen Mahlzeit zu begrüßen. Duftendes Brot, Butterhörnchen, dick bestrichen mit goldgelber Butter... kräftige Mettwurst, kernig geräucherter Schinken, aromareicher Käse aus der Marsch... Der liebe Gott hatte wohlgetan, als er diesen Landstrich zum Paradies auserkoren hatte.
Natürlich durften die Eier nicht fehlen. Gekocht, gebraten, als Rühreier mit frischem Speck...
Überhaupt liebte der Herr Pastor das Federvieh.
Nicht nur die Eier, nein, auch die Hühnersuppe gehörte seiner Meinung nach unbedingt zu einem guten Essen. Schweine- und Rinderbraten, die Köstlichkeiten des Meeres, all dies gehörte zu einem gottesfürchtigen Leben. Das Größte aber war eine gebratene Gans oder, da auch für Herrn Pastor nicht jeder Tag ein heiliges Datum war, ein Hühnchen, dass langsam in der Ofenröhre seine Bestimmungsform vom Eierproduzenten zum Lustobjekt für Pastors Gaumen wandelte.
Das hat im Übrigen der liebe Gott so gewollt. Er ließ den ausgebrüteten Eiern gleichviel Hennen wie Hähne entschlüpfen. Gleichzeitig schuf er den Streit um die Dominanz über die Hennen, so dass von den vielen Hähnen nur wenige für die Sicherung der Eierproduktion, mithin für Pastors Frühstück, benötigt wurden. Die anderen Hähne ließ der Herr im Himmel in seiner Weisheit für seines Dieners Mittagsmahl werden.
Jeder wusste es über das Kirchspiel hinaus: Herr Pastor liebte Hühner. Und so richteten sich die Menschen darauf ein. Wenn es eine bedeutendes Ereignis zu feiern galt, eine Taufe, eine Hochzeit oder eine Beerdigung, so gehörte unbedingt zur Festvorbereitung , das Federvieh mit auf den Speiseplan zu setzen. Schließlich war es seit jeher guter Brauch, den Herrn Pastor als Ehrengast mit an die Tafel zu bitten.
Und wer die Vorliebe des ersten Dieners Gottes immer noch nicht mitbekommen hatte, dem ward es mehrfach im Jahr in der Kirche kundgetan. Wann immer sich eine Gelegenheit bot, tauchte Herrn Pastors geliebtes Federvieh in seinen Predigten auf.
Natürlich ließ er nie unerwähnt, dass Noah von jedem Tier ein Paar, insbesondere aber Hahn und Henne mit an Bord genommen hatte. Adam und Eva lebten bis zum Sündenfall wunderbar im Paradies, bis sie vom verbotenen Apfelbaum aßen. Aber, so betonte der Mann von der Kanzel, in seiner unendlichen Güte hatte Gott seinen Kindern nicht verboten, Eier zu essen. Welchen Verlauf hätte diese Welt genommen, wenn Eva ihrem Gemahl ein gekochtes oder gebratenes Ei statt des Apfels angeboten hätte?
Bei der Hochzeit in Kanaan gab es beim Herrn Pastor nicht nur Brot und Wein, sondern die Gäste genossen auch lecker zubereitetes Federvieh. Das es nicht nur die wundersame Brotvermehrung, sondern auch die bis heute anhaltende Hühnervermehrung gibt, blieb allerdings von der Kanzel unverkündet.
Und wenn sich im kalten Dezember alle Gemeindemitglieder zum Weihnachtsgottesdienst in der Kirche drängten, dann vernahmen sie aus dem Mundes des Gottesmannes die frohe Kunde von Christi Geburt, vom Lager im Heu, in jenem Stall in Bethlehem, in dem neben Esel, Schaf und Ziege natürlich auch ein gutes Dutzend Hühner zugegen waren...
Niemand vermochte mehr zu sagen, wer damit begonnen hatte. Vielleicht waren es die Kinder des Ortes, die es hinter verhohlener Hand wisperten. Später wurde es vom Gesinde übernommen, bis es auch in die Gute Stube der Erwachsenen Einzug hielt. Jeder nannte den geistlichen Herrn hinter seinem Rücken nur noch den Hühnerpastor. Und wahrscheinlich, hätte er je davon erfahren, würde es ihn nicht gestört haben.
So vergingen nicht nur die Jahre, sie bündelten sich auch zu Jahrzehnten. Und da der Herr Pastor zu allen bedeutsamen familiären Anlässen seiner Gemeindemitglieder stets zugegen war, die rechten Worte bei Taufe und Beerdigung gefunden hatte, war kluger Rat unter den Mitgliedern des Gemeinderates von Nöten, als das Jubiläum ihres Gottesmannes nahte.
Es wurde überlegt und gestritten, Pläne gemacht und verworfen, Ideen entwickelt und zerredet. Wie konnte man dem Herrn Pastor, der jetzt seit mehr als einer Menschengeneration ihr Leben begleitete, ein würdiges Ehrenfest ausrichten und ihm in gebührender Weise Dank und Anerkennung für sein Wirken kund tun.
Vielleicht war mancher nicht traurig über die Unentschlossenheit seiner Mitbürger, war es doch ein willkommener Anlass, zur Fortsetzung der Diskussion immer wieder in den Dorfkrug zurück kehren zu müssen.
Schließlich, als die Sache keinen Aufschub mehr duldete, hatte der Schmied eine Idee. Sie wurde mit Begeisterung aufgegriffen und sollte sogleich in die Tat umgesetzt werden.
Dann war er da, der Ehrentag.
Die Musik spielte vor dem Pfarrhaus auf, Herr Pastor erschien gerührt auf der Treppe des roten Backsteingebäudes. Nahezu majestätisch sah er von der oberen Stufe auf seine Gemeindemitglieder herab. Alle waren sie gekommen, hatten sich festlich gekleidet. Frau Pastor und ihre größeren Töchter liefen zwischen den Musikern und der Bevölkerung mit Gläsern und Kömflaschen herum. Und jeder war froh gestimmt und genoss diesen Tag.
Auch der Herr Pastor, insbesondere als die Sonne über die Kirchturmspitze lugte und die goldene Reflektion sein Auge traf.
Dort oben, ganz oben, thronte ein goldener Hahn, zu Ehren des Hühnerpastors.
Weil er so stolz auf die Idee seiner Gemeinde war, hat er es allen seinen Amtsbrüdern erzählt, die aus purem Neid ihre Kirche ebenfalls mit einem Hahn schmückten. Und wer heute eine Kirche mit einem goldenen Hahn entdeckt mag selbst entscheiden, ob dort ein Hühnerpastor wohnt oder der Amtsinhaber nur zu den Neidern gehört...