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Pastors Pläsier

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19.06.2002
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Pastors Pläsier

Hoch überragte die Kirchturmspitze die Dächer des Ortes und wies den Reisenden über die weite Marsch den Weg. Unzweifelhaft war die rote Backsteinkirche der Mittelpunkt des Dorfes, wie es sich für gute Christenmenschen gehört.
Und genauso wie das Gotteshaus das dominierende Bauwerk des Ortes war, nahm der Herr Pastor eine herausragende Rolle unter den Bürgern Gardings ein. Er war sogar auf der gesamten Halbinsel Eiderstedt eine stattliche Persönlichkeit. Mit seinem fast kahlen Kopf, dem graumelierten Backenbart und dem goldenen Kneifer erweckte er schon von seiner äußeren Erscheinung her Respekt. Der schwarze Anzug mit Weste und güldener Uhrenkette konnte allerdings nicht verbergen, dass der Herr Pastor zwar für das Seelenheil im Jenseits zuständig war, darüber aber die leiblichen Genüsse des Diesseits nicht vergessen hatte. Nun ja, die sieben Kinder, die nach und nach den Pfarrgarten erobert hatten, waren Christenpflicht. Der Genuss eines guten Essens hingegen, so wurde der Pastor nicht müde zu predigen, war eine stille Lobpreisung des Herrn und ein anerkennender Dank für den reichlich gedeckten Tisch aus Feld und Stall, nicht zu vergessen das Füllhorn des nahen Meeres.
Und da seine Herde ebenfalls gesund lebte, starben die Menschen nur selten, und wenn, dann nicht vor dem gesunden Frühstück. So gab es für Herrn Pastor nichts Schöneres, als den neuen Tag mit einer ausgiebigen Mahlzeit zu begrüßen. Duftendes Brot, Butterhörnchen, dick bestrichen mit goldgelber Butter... kräftige Mettwurst, kernig geräucherter Schinken, aromareicher Käse aus der Marsch... Der liebe Gott hatte wohlgetan, als er diesen Landstrich zum Paradies auserkoren hatte.
Natürlich durften die Eier nicht fehlen. Gekocht, gebraten, als Rühreier mit frischem Speck...
Überhaupt liebte der Herr Pastor das Federvieh.
Nicht nur die Eier, nein, auch die Hühnersuppe gehörte seiner Meinung nach unbedingt zu einem guten Essen. Schweine- und Rinderbraten, die Köstlichkeiten des Meeres, all dies gehörte zu einem gottesfürchtigen Leben. Das Größte aber war eine gebratene Gans oder, da auch für Herrn Pastor nicht jeder Tag ein heiliges Datum war, ein Hühnchen, dass langsam in der Ofenröhre seine Bestimmungsform vom Eierproduzenten zum Lustobjekt für Pastors Gaumen wandelte.
Das hat im Übrigen der liebe Gott so gewollt. Er ließ den ausgebrüteten Eiern gleichviel Hennen wie Hähne entschlüpfen. Gleichzeitig schuf er den Streit um die Dominanz über die Hennen, so dass von den vielen Hähnen nur wenige für die Sicherung der Eierproduktion, mithin für Pastors Frühstück, benötigt wurden. Die anderen Hähne ließ der Herr im Himmel in seiner Weisheit für seines Dieners Mittagsmahl werden.
Jeder wusste es über das Kirchspiel hinaus: Herr Pastor liebte Hühner. Und so richteten sich die Menschen darauf ein. Wenn es eine bedeutendes Ereignis zu feiern galt, eine Taufe, eine Hochzeit oder eine Beerdigung, so gehörte unbedingt zur Festvorbereitung , das Federvieh mit auf den Speiseplan zu setzen. Schließlich war es seit jeher guter Brauch, den Herrn Pastor als Ehrengast mit an die Tafel zu bitten.
Und wer die Vorliebe des ersten Dieners Gottes immer noch nicht mitbekommen hatte, dem ward es mehrfach im Jahr in der Kirche kundgetan. Wann immer sich eine Gelegenheit bot, tauchte Herrn Pastors geliebtes Federvieh in seinen Predigten auf.
Natürlich ließ er nie unerwähnt, dass Noah von jedem Tier ein Paar, insbesondere aber Hahn und Henne mit an Bord genommen hatte. Adam und Eva lebten bis zum Sündenfall wunderbar im Paradies, bis sie vom verbotenen Apfelbaum aßen. Aber, so betonte der Mann von der Kanzel, in seiner unendlichen Güte hatte Gott seinen Kindern nicht verboten, Eier zu essen. Welchen Verlauf hätte diese Welt genommen, wenn Eva ihrem Gemahl ein gekochtes oder gebratenes Ei statt des Apfels angeboten hätte?
Bei der Hochzeit in Kanaan gab es beim Herrn Pastor nicht nur Brot und Wein, sondern die Gäste genossen auch lecker zubereitetes Federvieh. Das es nicht nur die wundersame Brotvermehrung, sondern auch die bis heute anhaltende Hühnervermehrung gibt, blieb allerdings von der Kanzel unverkündet.
Und wenn sich im kalten Dezember alle Gemeindemitglieder zum Weihnachtsgottesdienst in der Kirche drängten, dann vernahmen sie aus dem Mundes des Gottesmannes die frohe Kunde von Christi Geburt, vom Lager im Heu, in jenem Stall in Bethlehem, in dem neben Esel, Schaf und Ziege natürlich auch ein gutes Dutzend Hühner zugegen waren...
Niemand vermochte mehr zu sagen, wer damit begonnen hatte. Vielleicht waren es die Kinder des Ortes, die es hinter verhohlener Hand wisperten. Später wurde es vom Gesinde übernommen, bis es auch in die Gute Stube der Erwachsenen Einzug hielt. Jeder nannte den geistlichen Herrn hinter seinem Rücken nur noch den Hühnerpastor. Und wahrscheinlich, hätte er je davon erfahren, würde es ihn nicht gestört haben.
So vergingen nicht nur die Jahre, sie bündelten sich auch zu Jahrzehnten. Und da der Herr Pastor zu allen bedeutsamen familiären Anlässen seiner Gemeindemitglieder stets zugegen war, die rechten Worte bei Taufe und Beerdigung gefunden hatte, war kluger Rat unter den Mitgliedern des Gemeinderates von Nöten, als das Jubiläum ihres Gottesmannes nahte.
Es wurde überlegt und gestritten, Pläne gemacht und verworfen, Ideen entwickelt und zerredet. Wie konnte man dem Herrn Pastor, der jetzt seit mehr als einer Menschengeneration ihr Leben begleitete, ein würdiges Ehrenfest ausrichten und ihm in gebührender Weise Dank und Anerkennung für sein Wirken kund tun.
Vielleicht war mancher nicht traurig über die Unentschlossenheit seiner Mitbürger, war es doch ein willkommener Anlass, zur Fortsetzung der Diskussion immer wieder in den Dorfkrug zurück kehren zu müssen.
Schließlich, als die Sache keinen Aufschub mehr duldete, hatte der Schmied eine Idee. Sie wurde mit Begeisterung aufgegriffen und sollte sogleich in die Tat umgesetzt werden.
Dann war er da, der Ehrentag.
Die Musik spielte vor dem Pfarrhaus auf, Herr Pastor erschien gerührt auf der Treppe des roten Backsteingebäudes. Nahezu majestätisch sah er von der oberen Stufe auf seine Gemeindemitglieder herab. Alle waren sie gekommen, hatten sich festlich gekleidet. Frau Pastor und ihre größeren Töchter liefen zwischen den Musikern und der Bevölkerung mit Gläsern und Kömflaschen herum. Und jeder war froh gestimmt und genoss diesen Tag.
Auch der Herr Pastor, insbesondere als die Sonne über die Kirchturmspitze lugte und die goldene Reflektion sein Auge traf.
Dort oben, ganz oben, thronte ein goldener Hahn, zu Ehren des Hühnerpastors.

Weil er so stolz auf die Idee seiner Gemeinde war, hat er es allen seinen Amtsbrüdern erzählt, die aus purem Neid ihre Kirche ebenfalls mit einem Hahn schmückten. Und wer heute eine Kirche mit einem goldenen Hahn entdeckt mag selbst entscheiden, ob dort ein Hühnerpastor wohnt oder der Amtsinhaber nur zu den Neidern gehört...

 

Hallo Hannes,
hat mir gut gefallen, das Pläsier Deines Hühnerpastors.
ich konnte mir den guten Pastor, das nette Örtchen und seine Bewohner beim Lesen richtig gut vorstellen.
Und jetzt weiss ich wenigstens, wie die Hähne auf die Kirchturmspitzen gekommen sind. :D
Fehler sind mir keine aufgefallen, dafür aber ein paar schöne Formulierungen, wie ich sie vorher noch nirgends gehört hatte, wie z.B.: "So vergingen nicht nur die Jahre, sie bündelten sich auch zu Jahrzehnten."
Eine nette Geschichte für zwischendurch, die ich gerne gelesen habe.

LG
Blanca

 

Hallo Blanca,

bei aller Beschaulichkeit... mit Spaniens Küste kann selbst das schöne Schleswig-Holstein nicht konkurrieren. Aber, wem erzähle ich das...

Lieben Dank für deine freundliche Kritik und fröhliche Grüsse aus Münster in die Sonne

Hannes

 

Hallo Hannes,
der Pfarrer, ein Mann des Genußes diesmal nicht im Stillen sondern der Öffentlichkeit predigend. Eigentlich nicht schlecht, Deine Geschichte. Was ich mir persönlich noch zwischendurch gewünscht hätte, wäre eine genauere Persönlichkeitsbeschreibung des Pfarrers um sich die Person an sich und dessen weltiche und ureigene Genußerlebnisse besser bzw. punktueller Vorstellen zu können.
Ansonsten schöne Geschichte.
Danke und schöne Grüße in den Norden.
Okinawa

 

Hei Hannes, nette Geschichte. Ganz im Stile deiner vorigen Story, deren Namen ich nicht weiß. Ein Schmunzlgeschichte und ich frag mich, ob das wohl stimmt mit dem Hühnerpastor. Ist es eine Legende? Ansonsten ist es recht flott geschrieben, und ich muss sagen, dass diese Geschichte "deine Art von Geschichten" ist. Beschreibungen sind bildlich, auch der Pastor hat für meinen Geschmack genug Konturren bekommen. Gut.

Liebe grüsse stefan

 

Lieber Hannes,

Stefan hat es schon richtig gesehen: dies ist mal wieder eine deiner typischen Geschichten. Dein Stil ist unverkennbar und der besteht unter anderem darin, dass du mich als Leserin in diese Welt Schleswig-Holsteins entführst und gutes Lokalkolorit erzeugst.

Was alle deine Geschichten verbindet,ist deine Liebe zu dem Land und vor allen Dingen zu diesen Leuten, denn sie werden von dir immer mit einem lächelnden Auge beschrieben, ihre Marotten und Eigenheiten werden stets zwar belächelt, aber mit gutmütigem Blick zugleich verziehen. Das macht die besondere Stimmung deiner Texte aus. Sie wirken beschaulich, geben ein wenig Rast in dieser hektischen Zeit.

Aber genau an dieser Stelle beginnt eine Gratwanderung, die du meiner Meinung nach in diesem Text gefährlich zur Seite hast kippen lassen.
Der Plot ist zu karg: Pastor ißt gerne Federvieh und bekommt zum Geburtstag einen Hahn auf's Dach gesetzt und wird Hühnerpastor genannt.
Das ist wirklich nicht genug, um richtig vollendet unterhalten zu können und da hilft all dein wohltuendes Atmosphäre schaffen nicht, es macht die Geschichte nicht fülliger. Leider.

Viele deiner Geschichten sind quasi Anekdoten, die du liebevoll mit Blick auf Land und Leute verarbeitest.
Diese Anekdote ist zu mager, ich selbst hätte solcherlei Plot eher fast als Randausschmückungen benutzt und zum Hauptteil ruhig eine spannende Geschichte über den Hühnerpastor gebracht, wie ihm z.B. eine mitgebracht Henne wieder entfleucht, weil sie immer wieder zum Bauern zurückkehrt, dem sie eigentlich gehört oder wie ihm ein paar geschenkte Hühner abhanden kommen, die noch leben und er nun keine Mühe scheut via Kanzel bei der sonntäglichen Predigt dies zum seinem persönlichen Thema zu machen, weil er eben so furchtbar verfressen, versessen auf das Hühnerzeugs ist.Oder vielleicht wie ihm mal bei einer Feier, als den Gastgebern die Hühner ausgingen, weil sie vielleicht zu arm waren, ein falsches Hühnerfrikassee vorgesetzt wurde, ach ich hätte da noch viele Ideen. :)
Also ich hätte gerne mehr Geschichte in deiner Geschichte vorgefunden, dann wäre sie fülliger gewesen und hätte mich Leserin mehr gesättigt. ;)

Fazit: gefallen hat sie mir ansich schon deine Geschichte, ich mag die Grundstimmung, die du innerhalb deiner Geschichten zu erzeugen vermagst, wie immer ist auch diese Geschichte atmosphärisch gut nachvollziehbar geschrieben und dein Schreibstil ist zwar etwas behäbig, aber stimmig zu Land und Leuten und bildet somit wiederum eine Homogenität zum Inhalt.

Lieben Gruß
elvira

 

Hallo Okinawa,

vielen Dank für deine kritischen Anmerkungen. Ich fand deine Idee interessant, den Charakter des Pfarrers mehr heraus zu stellen, obwohl meine Intention die Erklärung, warum Goldene Hähne die Kirchturmspitze zieren, war. Dein Feedback zeigt in hervorragender Weise, dass auch das geschriebene Wort Raum für eigene Gedanken läßt.

Ein fröhlicher Gruß aus Münster
Hannes

 

Hi Stefan,

über eine Kritik aus deiner Feder freue ich mich immer wieder, da sie mir schon oft interessante Anregungen vermittelt haben.
Meine Geschichten sind zum größten Teil keine Legenden, sondern entspringen ausschließlich meiner Phantasie, obwohl ich die geschichtlichen Rahmendaten einzubeziehen versuche, sofern sie eine Rolle spielen, ist die Handlung selbst frei erfunden.
Lieben Dank für deine freundlichen Anmerkungen und ebenso liebe Grüße in die oldenburgische Nachbarschaft.

Hannes

 

Liebe Elvira,

es freut mich, wenn ich lese, welcher Mühe du dich für deine Kritik an meiner Story unterzogen hast. Dafür erst ein Mal ein artiges Dankeschön.
Deine Gedanken sind interessant; sie spiegeln auch die Erwartungshaltung eines intelligenten Lesers wider. Spannend fand ich deine Ideen und Anregungen, der Geschichte eine andere Dramaturgie zu verleihen. Ich gestehe, dass mein Ziel anders ausgerichtet war. Ich habe ja eine ganze Serie von Storys zu schreiben versucht, in der ich - in nicht wirklich ernst zu nehmender Weise - kleine und unbedeutende Dinge zu erklären versuche (wie ist die Wurst entstanden, warum gibt es Labskaus, wie kam der Bismarckhering zu seinem Namen). So war meine Blickrichtung in dieser Geschichte auf den "Goldenen Hahn" ausgerichtet und hat dabei - zugegeben - nicht einen Gedanken an die vielen anderen schönen Inhalte verschwendet, die du angeführt hast.
Wie dir bekannt ist, bin ich (randloser) Brillenträger; offenbar engt sich das Gesichtsfeld aber doch manchmal ein. Daher kann ich mich immer über kluge und wohlmeinende Ratschläge freuen, die die Limitierung des eigenen Horizonts erweitern helfen.

Ein liebes Dankeschön und ebenso liebe Grüße an Hammonias Tochter.

Hannes

 

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