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Pariser Bausteine
Mit leisem Brummen zog der Brennstoffzellenmotor die Vauxhall-Limousine über die abgelegene Straße. Da diese sich von einer normalen schottischen Landstraße kaum unterschied, ließ auch nichts darauf schließen, dass der Wagen sich schon seit einer knappen halben Stunde auf Privatgelände bewegte, angekündigt nur durch ein dezent gehaltenes, aber dennoch deutlich sichtbares Schild, welches völlig ausreichend war, da sich so oder so kaum Leute dorthin verirrten und auch ungewollte Aufmerksamkeit, an welcher der Geländeeigner keinerlei Interesse hatte, gar nicht erst provoziert wurde.
Ruhig betrachte der Fahrer die unberührte Natur der schottischen Highlands um ihn herum. Clayton O’Conner war Ende zwanzig, dunkelhaarig und trug moderne Freizeitkleidung. Hätte man ihm einen anderen Wagen gegeben, wäre von der Fahrt nach Paris und zurück wahrscheinlich vollkommen geschafft gewesen, so aber hielt er es für erträglich. Bequeme Sitze und elektronische Fahrhilfen hatten gute Arbeit geleistet. Alles war so glatt gelaufen, wie er sich nur hätte wünschen können. Schielend fiel sein Blick auf den kleinen Hartschalenkoffer auf dem Sitz links neben ihm und ein Lächeln, dass von tiefer Befriedigung über seine erledigte Aufgabe kündigte, konnte er sich nicht verkneifen. Ja, es war wirklich alles perfekt gelaufen und Spaß hatte er auch gehabt. Als der Wagen eine Anhöhe überquerte, kam mit jedem Meter mehr von seinem Ziel in Sicht. Ein Glasbau von gut 100m Höhe und einer quadratischen Basis von etwa 120m Seitenlänge, der sich nach oben ein etwas verjüngte. In großzügigem Abstand wurde er von einem Zaun umgeben, welchen Stacheldraht krönte. Unterbrochen wurde er an nur einer Stelle, durch eine Wachstation aus massiven Beton, vor der O’Conner nun hielt. Ernsten Blickes trat ein Mann der Western Standard Security Corperation heran. Die zweiteilige Uniform, ähnlich den Gefechtsanzügen der meisten Streitkräfte, hielt sich beim privaten Sicherheitsdienstes in dunklem Grau, ebenso das Militär-Cappie, die Kevlarweste hingen war schwarz. An einem Gurt um die Schultern des Mannes hing eine MP7, im Holster steckte eine Halbautomatik.
„Guten Abend, Sir! Ausweis und Mitarbeiterpass bitte.“
Wie geheißen holten O’Conner beides aus seiner Brieftaschen und hielt es dem Mann vom Wachschutz hin, welcher sich damit zurück zum Wachhaus begab. Zwar kannte Clayton den Ablauf schon, weniger lästig war er deshalb noch nicht, außerdem waren die WS-Männer Profis und nahmen alles besonders genau. Unruhig klopfte er mit den Fingerspitzen auf das Armaturenbrett. Von hier aus konnte er mit etwas Mühe die feinen Drähte sehen, die sich zwischen den Stangen des Zaunes herzogen. Das Schild, welches von Hochspannung kündigte, war besser zu sehen.
Der Wachmann kam wieder, mit den Papieren in der einen und einem kleinen Gerät in der anderen Hand.
„Ihre Papiere sind in Ordnung. Einmal rechte Hand auflegen.“
Um nicht länger warten zu müssen, beendete der Fahrer auch diese Prozedur zügig und der Wachmann, offenbar zufrieden mit der Auswertung, winkte seinem im Wachhaus verbliebenen Kollegen zu. Endlich öffnete sich das Gittertor zur Weiterfahrt.
„Einen schönen Abend noch, Sir!“
„Danke, ihnen auch...und sauft nicht zu viel! “
Zwar wusste er das es nur ein Witz war, dennoch schaute der Wachmann etwas beleidigt drein, als der Wagen durch das Tor fuhr. Schließlich wurde bei Western Standard nicht getrunken, zumindest nicht im Dienst.
Hinter dem Zaun war die Straße wesentlich besser ausgebaut, eingegrenzt durch ein Betonmäuerchen von einem halben Meter Höhe und gesäumt von Laternen, die gerade ansprangen. Mit mäßiger Geschwindigkeit fuhr der Vauxhall die letzten Meter zum Eingang der firmeneigenen Tiefgarage, auch sie auf den ersten Blick wie ein besserer Container mit Raum genug für auch einen größeren Wagen wirkte, wo O’Conner den Dienstwagen auf eine Fläche stellte, mit welcher der Wagen automatisch auf einen passenden Abstellplatz transportiert würde, alles eigens eingerichtet um die wertvolle Zeit wichtiger Mitarbeiter nicht mit Lappalien, wie Einparken, zu verschwenden. Solch ein Mitarbeiter war Clayton O’Conner. Den Koffer in der Hand, führte ihn sein auf die Doppeltür des Eingangs zu, über der in polierten Bronzelettern, als einzige Verzierung an Bau überhaupt, der Konzernname prangte:
BRITISH GENETIC & PHARMACEUTICAL HEALTH GROUP
Der Eingangsbereich war nicht weniger imposant als der Bau selbst und hätte mit seiner schlichten Eleganz auch einem großen Bankenhaus oder einem 5-Sterne Hotel zur Ehre gereicht, nur dass er etwas kleiner war und nichts, was einer Rezeption oder einem Schalter ähnelte, beinhaltete, denn hier gab es niemanden, dem man hätte den Weg weisen müssen.
Trotzdem wartete jemand auf Clayton. John Haines hieß der Mann, war kaum älter als Clayton und trug einen Anzug, nicht zugeknöpften, ohne Krawatte. Eilig ging er auf O’Conner zu, teils weil er seinen Freund und Kollegen begrüßen wollte, teils weil er darauf brannten die Arbeit weiterzuführen, für die er ihn brauchten. Sie reichten sich die Hand.
„Na, wie war Paris?“
„Super, besser als in Riga allemal!“
John begann zu lächeln. „Und die Sportlerin? Wie war sie?“
„Sah super aus, ich sag’s dir! Und unsere WSler könnte die, dass glaub’ mal, locker in den Boden laufen!“
Haines Blick viel auf den Koffer. Er wurde ernster „Alles da drin?“
„Ja, alles vollständig.“
Beide machten sich auf den Weg, kamen durch eine Flügeltür in einen kahlen Raun hinter dem Eingangsbereich, der die Einrichtungen im ersten Stock verband, sowie auch das Treppenhaus, und über dieses sie in den zweiten Stock . Ein langer Gang brachte sie letztendlich zu einem großen Raum mit hoher Decke. Licht kam nur von den Lampen an der selbigen, da er sich im Inneren des Gebäudes befand. Konzentrierte Stille lag über den Bürozellen, in denen niedrigere Mitarbeiter, meist Studierte mit niedrigen akademischen Grad, wie Bachelor, Bioinformatiker und biologisch- bzw. medizinisch-technische Assistenten, Daten aus den Laboren für Sportmedizin und Kosmetik, einem der ertragreichsten Bereiche, welche nach hinten anschlossen, auswerteten. Schweigend, um niemanden zu stören, gingen sie bis ganz nach hinten. Die letzten Zellen waren für die höher qualifizierten Wissenschaftler reserviert und daher auch mehr als doppelt so groß. In einer saß ein untersetzter, älterer Spanier am Computer.
„Doktor, wir brauchen sie.“
Mehr brauchte der nicht um zu wissen, was verlangt war.
Gemeinsam waren O’Conner, Haines und der Biophysiker in das erste Untergeschoss eingekehrt. Hier lag der komplette Bereich Grundlagenforschung, alle Labore lagen hinter einer codegesicherten Panzerglastür, waren aber nicht ihr Ziel. Ebenso wenig interessierte sie der mit Netzhaut- und Handabdruckscanner gesicherte Durchgang zur Treppe ins zweite Untergeschoss, wo mit Genehmigung der Regierung an gefährlichsten Infektionskrankheiten, wie Ebola oder Lassa, geforscht wurde. Aus diesem Grund gab es alle diese Sicherheitsvorkehrungen in und um das Gebäude. Zumindest vorgeblich.
Eigentliches Ziel aber war eine unscheinbare Tür ohne Türgriff und ohne Beschriftung. Eine oberhalb des Türrahmens angebrachte, dunkle Halbkugel enthielt Bewegungsmelder zur Aktivierung und die kleine Kamera, welche bei allen dreien biometrischen Daten scannte, sie mit denen aus der Liste der autorisierten Mitarbeiter abglich und ihnen die Tür öffnete.
Labor zur Datenanalyse, Abteilung für „konzerninterne Projekt“. Zumindest von denen, die davon wussten, so genannt. Zu dritt sammelten sie sich um der Rechner, Haines und O’Conner stehend, der ältere Doktor saß und ergriff das Wort.
„Gut, was habt ihr denn für mich?“
O’Conner legte den Koffer, welchen er die ganze Zeit bei sich getragen hatte, sanft auf die Arbeitsfläche eines Tisches und öffnete ihn mit einem elektronischen Datenschlüssel, den er aus der Innentasche seines Hemdes zu Tage förderte. Zwischen grauem Schaumstoff waren lediglich drei Einbuchtungen für zwei kleine Röhrchen mit Blutproben und ein kristalliner Datenträger.
„Junge Frau aus Paris, 23, Langstreckenläuferin.“
„Gut, was besonders an ihr? Ich meine es gibt schließlich einige gute Läufer?“
„Schon, nur war sie schon als Kind unheimlich gut und hat Steigerungspotenzial weit über das, was auch bei Sportlern normal wäre. Laufen liegt ihr als jedem anderen...“
„...in den Genen“ vollendete Haines seinen Kollegen und drückte den kleinen Datenspeicher in den Rechner. Messwerte und Strukturdaten von Lungen und Muskelgewebe erschienen auf dem Bildschirm.
„Interessant... und wirklich beeindruckend. In der Tat kommt so was nicht nur vom Training... Hat sie wirklich nichts von den ganzen Test gemerkt.“
„Tatsächlich wurde irgendwie nie ‚entdeckt’, deshalb auch weder gefördert noch irgendwie bekannt, dass wir auf sie gestoßen sind war mehr Zufall. Unser Angebot sie zu sponsern kam ihr natürlich sehr gelegen. Wer sträubt sich da schon gegen die nötigen Untersuchungen des Sportmediziners?“ Ein Lächeln spielte um seine Lippen, voll Stolz auf seinen Beruf und die Fähigkeit immer mehr von denen da draußen zu bekommen, als sie merkten.
Haines war ungeduldig, blickte unentwegt auf die Proben im Koffer.
„Kann ich das Material zu Dr. Jo bringen? Sie wird sicher mit der Suche nach den richtigen Sequenzen beginnen wollen.“
Noch immer fasziniert von den außer gewöhnlichen Strukturen winkte der ältere Spanier ihm doch endlich zu verschwinden, wenn wolle.
„Ja, ja, mach ruhig! Das hier ist ideal! Je früher das fertig ist desto schneller haben wir unseren nächsten Baustein.“
Haines griff sich die Röhrchen und verschwand im hinteren Teil der Abteilung für „konzerninterne Projekte“, der Biophysiker und der als Gensammler tätige Sportmediziner verblieben bei der Analyse. Ein weiterer Stein wartete darauf zurechtgehauen zu werden, damit man ihn in ein größeres Ganzes einfügen konnte.