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Paranova

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06.02.2002
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Paranova

Eine Geschichte über das Schreiben oder das Ende der Kunst

Ich schreibe. Ich kann eigentlich nicht schreiben, wenn mir jemand dabei zuschaut; noch dazu finde ich den Dicken nicht unbedingt sympathisch. Wenn ich von Zeit zu Zeit zu ihm hinüberluge, dann glotzen mich seine Halbkugel-Augen so ausdruckslos an, als wären sie bloß angenäht worden auf ein fleischiges Plüschtier.
Und er raucht. Wie ein Schlot raucht er, schweigend, eine nach der anderen, das Klicken seines Feuerzeuges übernimmt die Funktion eines Uhrwerkes, ob ich möchte oder nicht.
Rauchen ist eine hohe Form von Zynismus, kommt mir plötzlich ein Gedanke.
Und der Dicke ist mir unsympathisch; denn er bietet mir keine Zigarette an.
Und doch schreibe ich. Das Stakkato meiner Tastatur ist ständiger Arbeitsnachweis. Eigentlich müsste mich der Dicke nicht anstarren, er könnte mir nur zuhören, wie ich arbeite.
Arbeite. Falsches Wort. Riecht zu sehr nach Schweiß. Wenn ich schreibe, möchte ich zwar immer erschaffen, aber ich kotze mich bloß aus. Schmeiße Perlen ins Moor. Ejakuliere aus dem Federhalter.
„Ein bisschen schizophren finde ich die Situation schon“, wage ich mich schließlich zu äußern, da mir die Augen langsam schmerzen. Du verfluchtes Schweigen, nimm das!
Ich grinse den Dicken an.
Er bewegt sich nicht. Steht glotzend da wie ein rauchender Wachmann-Buddha. Verdammt!
Ich weiche seinem Blick aus, indem ich die dritte Person in Raum anschaue. Sie lächelt mich an, und darin liegt nichts Falsches, ihr Lächeln, ich suche nach Worten, nun fange ich an zu starren, ist freundliche, wärmende Ehrlichkeit.
Auch sie redet nicht, aber dafür verheißt sie.
Der Dicke sagt nur „Weiterschreiben“, und in seiner Stimme klingt nach gelangweilter Autorität. Ja, ich habe recht! Er ist ein Arschloch!
„Ich bin keine Maschine,“ sage ich, den Blick nicht von der Frau wendend, „die an- und ausgeschaltet werden kann. Ich brauche mal ´ne Pause.“
Keine Antwort. Ich unterdrücke meinen Zorn, blicke zum Dicken herüber und finde ihn unverändert. Trotzdem lächele ich. Dieser fette Dummbatz!
„Haben sie wenigstens eine Zigarette für mich?“ frage ich, nebenbei der dezent bohrenden Sucht folgend.
„Nein,“ ist die Antwort, die zwischen zwei Zügen ausgestoßen wird. Ich starre auf die Glut in seiner Hand, noch hält die Höflichkeit die Wut gefangen.
„Und warum nicht?“
„Keine Pausen. Nur Schreiben. Nur dann bekommst du sie!“
Nicht diskutieren, denke ich mir, nur nicht diskutieren! Dieser tyrannische Fettwanst ist der Boss! Disziplin jetzt!
Aber ich will und kann nicht mehr schreiben. Mein gequälten Augen suchen Entspannung, finden die Frau.
„Du bekommst sie erst, wenn du fertig bist und alles richtig gemacht hast. Keine Diskussionen!“ erinnert der Dicke, und seine monotone, rein informative Stimme ärgert mich.
„Ich kann mich nicht mehr konzentrieren“, sage ich.
Der Dicke schweigt. Ich mustere ihn auf der Suche nach Reaktion.
Da kommt mir plötzlich ein Gedanke.
„Du hast gesagt, ich bekomme sie erst, wenn ich meine Arbeit gemacht habe,“ sage ich und breite die Hände aus, zeige dann mit der linken auf die Frau, deren graziles, wohliges Lächeln, wie ich aus den Augenwinkeln zu bemerken glaube, auf einmal schwindet,
„aber hast du schon mal daran gedacht, dass wir sie jetzt, auf der Stelle, beide haben könnten?“
Das Gesicht der Muse verrät Angst, Entsetzten über den Verrat, Panik vor dem Missbraucht werden. Ich kann den Blick kaum von ihr lassen. Sie sagt nichts, aber sie schaut mich an.
Ich genieße diesen Augenblick...
Wie der Blick eines treuen Hundes, der nicht begreifen kann, warum das geliebte Herrchen sein Urvertrauen mit Verrat quittiert. Ja, ungefähr so. ...wie geil mich dieser Anblick macht!
Das Glotzen des Dicken verfließt unter meinen gestärkten Blicken, entschleiert sich, enthüllt Überraschung – und Geilheit.
Die Zigarette verharrt mitten auf ihrem Weg zu den speckigen Lippen, die er jetzt hastig benetzt.
„Du bist gar nicht so dumm wie du aussiehst,“ sagt er, nun sogar mit menschlicher Stimme, und ich nicke triumphierend. Der Aufpasser ist zum Genossen geworden. Der Preis ist die Unschuld, ich habe sie eh längst verloren, was soll ´s, der Lohn weniger Arbeit. Kein gezwungenes Schreiben mehr ab jetzt. Souverän greife ich zu, als mir der Dicke, immer noch perplex über den plötzlichen Wandel der Situation, seine Schachtel hinhält.
Natürlich quält ein wenig das Gewissen, das kindliche, herzensgute Zutrauen der Muse gebrochen zu haben; aber was soll der Geiz. Lungenschmacht, tröste ich mich hochtrabend, kann mehr schmerzen. Oder Sklaverei.
Nachdem ich Feuer bekommen und ihr kurzes, unterdrücktes, aber herzzereisendes Seufzen mit Mühe überhört habe, nutze ich den Wegfall der Autorität des Dicken und reiße die Gesprächsinitiative an mich, denn nun erwarte ich zähe Verhandlungen:
„Bleibt nur noch zu klären: wer kriegt sie als erstes?“

 

Hallo Paranova,

Verrat, damit der Aufpasser zum Genossen wird...
Unter (Schreib-) Zwang wird man die Muse nicht erobern, aber auch nicht durch Verrat, also ist das angebliche `Teilen- Wollen´ doch nur Flucht, Angst die Muse nicht besitzen zu können, Angst vor dem eigenen Versagen. (Kann man wohl nicht nur auf die Muse beziehen).
Vom „Plüschtier“, über „Dummbatz“, bis hin zum `Hund- Herrchen- Vergleich´ ziehst Du immer wieder ein kraftvolles Wort- As aus dem Är ... , aus Deiner Gedankenwelt.
Ach ja, wer ist wohl der Dicke ? Die Gunst des Publikums, um die man buhlt?

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,
du warst sicher nicht schlecht in Deutsch, oder? :D
Die Frage nach dem Dicken beantworte ich dir aber nicht, bätsch!
Dafür hast du meine Geschichte zu treffend seziert in diesen paar Zeilen; vielleicht will sie deshalb niemand mehr lesen :heul:
Machs gut,
Steffen

 

Ich wollte sie noch lesen!

Arbeite. Falsches Wort. Riecht zu sehr nach Schweiß. Wenn ich schreibe, möchte ich zwar immer erschaffen, aber ich kotze mich bloß aus. Schmeiße Perlen ins Moor. Ejakuliere aus dem Federhalter.
Beste Bukowski-Manier.
Leider hat Woltochinon schon alle Register gezogen, so dass mir nichts mehr zu sagen übrig bleibt. :heul:

 

ich habs beim lesen so verstanden (aber ich bin auch nicht so schlau wie der rest hier :) )

der dicke Mann ist der Boss des Autoren, der ihn immer weiter drängt mehr und mehr zu produzieren, obwohl der Autor einfach nicht mehr kann.
Die Frau ist ja wie gesgat die Muse, die dem Autor zulächelt, mit der er aber nicht reden kann. Deshalb ist er auch nicht mehr willig weiterzuschreiben.

Doch er erkennt genau wie der Boss, dass er sie sich einfach nehmen kann (d.h meiner Meinung nach, sich einfach nicht wirklich darum zu kümmern was er schreib), was genau auch dem Ideal des dicken Bonzen entspricht :)

Das Ende versteh ich nicht so ganz muss ich dazusagen :D

Ist sicher falsch, aber mir hat die Geschichte trotzdem gut gefallen. Auch die Sprache ist echt super.

 

Ich sehe den Dicken nicht so sehr als Boss des Autoren, sondern als dieser seltsame Innere Drang den man manchmal hat, den Drang etwas zu schreiben, auch wenn man es in dem Moment gar nicht möchte, kann oder keine Zeit hat.
Und je größer der Druck wird den dieser Drang auslöst um so weniger kann man die Muse erreichen....
Nur den letzten Satz durchblicke ich nicht so ganz.... ( wie mein Vorredner wohl auch nicht...)

 
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Anderer Gedankenansatz: Was ist, wenn die vermeintliche Muse das Publikum ist? Und der Dicke das Damokles-Schwert über dem Autor?

Er gewinnt die Gunst des Publikums erst, wenn er mit der Arbeit fertig ist. Aber wer bestimmt, wann die Arbeit beendet ist? Der Autor ringt mit sich selbst, sein Geschreibsel immer weiter zu verbessern, es immer feiner zu schleifen, bis er sich endlich gewiss sein kann, das beste gegeben zu haben und so nun endlich den Beifall des Publikums wirklich zu verdienen. Aber es will ihm nicht so recht aus den Fingern fließen. Also liebäugelt er mit dem Verrat am Publikum, indem er sein Werk kurzerhand für vollbracht erklärt und es ihm wider besseren (Ge-)Wissens unterjubelt.

Grüße
Visualizer

 
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Respekt, Visualizer.

@Tigger:

Ist sicher falsch, aber mir hat die Geschichte trotzdem gut gefallen.
Wer kann sagen, welche Interpretation richtig oder falsch ist? Die Gedanken sind frei...
:D

Zum Schluss muss ich mich aber noch outen:

(Webmaster:) Beste Bukowski-Manier.
Was ist ein Bukowski?
:confused:


Eine schöne neue Woche euch allen, und danke für´s lesen und Grübeln.

PS:
Inzwischen habe ich gelernt, wer die alte Fuckmachine Bukowski ist!

PPS:
Seltsam, ich schreibe eine Geschichte mit Rauchen als starkem Motiv, und höre es drei Tage später auf. Vielleicht als nächstes eine Alkoholgeschichte...?

 

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