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Paranoia
Ich renne durch den Wald. Meine Lungen brennen wie Feuer und ein Schmerz, wie von glühendem Eisen, sticht mir in meine Seiten. Immer tiefer ziehe ich die kalte Nachtluft in meine Lungen und immer größere Angst treibt mich an, meine letzten Kraftreserven zu mobilisieren. Mit weiten, schnellen Schritten, fast schon Sprüngen, presche ich zwischen den Bäumen durch, springe über Wurzeln und Steine. Äste und Zweige zerkratzen mein Gesicht, ziehen blutige Striemen über meine Wangen, doch ich spüre den Schmerz nicht; diesen nicht zumindest.
Schreckliche Angst greift mit kalten, bleichen Händen nach meinem wildpochenden Herzen, das rasend schnell Blut durch meinen Körper pumpt. Mein Gesicht ist rot vor Anstrengung. Adern treten aus meinem Hals hervor und pulsieren in gleichmäßigem Takt wie ein fleischgewordenes Metronom.
Ich habe schreckliche Angst mich umzudrehen, um zu erkennen, wie nah mein Verfolger ist. Eine finstere, dunkle Gestalt verfolgt mich, seit ich das Haus verlassen habe. Ich spüre seine Nähe, doch jedes mal, wenn ich einen flüchtigen Blick aus den Augenwinkeln nach hinten werfe, ist niemand da. Er muss ein Meister der Tarnung sein, denke ich bei mir, während ich einen kleinen, mit alten Tannen bewachsenen Hügel hinunter laufe. Mein Zuhause liegt nicht mehr weit von hier. Ich kann es schon fast sehen.
Das fahle Licht des Mondes erhellt den finsteren Wald ein wenig, gerade genug um zu sehen, wohin ich laufe, gerade noch zu wenig, um meine Angst ein wenig zu mildern. Ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob mein Verfolger überhaupt noch hinter mir ist, oder ob er nicht irgendwo vor mir plötzlich aus einem finsteren Winkel des Waldes hervorspringt, mich mit seinen grausigen Händen packt und mich zu Boden wirft. Was dann mit mir passieren wird, ich vermag es mir nicht einmal auszumalen.
Ich bin an die Grenzen meiner körperlichen Leistungsfähigkeit gestoßen. Eine faulige, eitrige Übelkeit steigt in mir auf, und mir ist, als müsste ich mich übergeben. Ich würge diesen Brechreiz hinunter und verlasse nun endlich den Wald. Finster und bedrohlich liegt er hinter mir, während ich meine nun schon strauchelnden Beine zwinge, weiter gerade aus zu laufen. Sie wollen mir nicht mehr so recht gehorchen, knicken ein, stolpern, doch irgendwie schaffe ich es, sie dazu zu bringen, mich bis an die Tür meines Hauses zu tragen.
Zitternd greife ich in meine Hosentaschen, ziehe mir feuchten Händen den Schlüssel heraus und stecke ihn ins Schloss. Es klickt zweimal leise, als ich ihn umdrehe und stoße die Tür heftig auf, sodass sie mit der Türklinke gegen die dahinter liegende Wand stößt. Weißer Putz bröckelt von der Wand auf den Boden. Ich werfe die Tür hinter mir ins Schloss, sperre ab, verriegle das Vorhängeschloss und schiebe eine Kommode vor. Danach sinke ich halbtot und ausgelaugt zu Boden. Mein Atem geht schwer und schleppend, meine Lunge schmerzt, genauso wie mein Kopf. Es fühlt sich an, als würde jemand mit einem Vorschlaghammer von innen gegen meine Schläfen hämmern, doch ich bin erleichtert. Ich habe den Verfolger abgehängt. Nach Minuten der Erschöpfung stehe ich langsam auf. Wieder überkommt mich diese Übelkeit und ich muss erbrechen, eine Lache stinkender, dampfender Kotze.
Ich taste in der Dunkelheit nach dem Lichtschalter. Meine Hände finden und drücken ihn. Der Raum wird erleuchtet vom hellen Licht einer hundert Watt Birne, doch plötzlich ist mein Verfolger wieder da. Eine dunkle Gestalt, die sich leicht an der Wand anlehnt und mir zulächelt. Doch plötzlich erkenne ich ihn und meine Angst weicht schallendem Gelächter.
Es ist nur mein Schatten!