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Paradies der Träume
Paradies der Träume
Ich atme tief durch. Schon den ganzen Tag habe ich nur Stress, keine ruhige Minute mehr, seit dem Weckerklingeln.
Heute morgen schon begann der Tag alles andere als gut. Als der Wecker läutete, schreckte ich aus einem schlimmen Albtraum hoch, kann mich jedoch nicht mehr an den Inhalt dieses Traumes erinnern. Zu allem Überfluss war Karla, meine Freundin, schon seit längerer Zeit aufgestanden. Sie ist eine typische Frühaufsteherin und ich der ebenso typische Morgenmuffel, bei uns ziehen sich Gegensätze anscheinend wirklich an. Auch sonst ist sie sehr ordentlich, während ich wohl eher der chaotische Typ bin. So musste ich auch heute morgen feststellen, dass ich gestern keine neue Tube Zahnpasta gekauft hatte. Solch ein Versäumnis mag ich bei bestem Willen trotz all meinem Chaos gar nicht leiden. Mundgeruch ist eines der größten Übel, welches sich meiner Vorstellugn preisgibt.
Da ich, so ohne Zähneputzen, keinen Hunger hatte, machte ich mich auf den Weg zur Arbeit. Karla war längst schon weg, natürlich. Obwohl wir im selben Haus, ja im selben Zimmer, leben, sind wir uns morgens noch kaum begegnet.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es ein besonderer Tag sei, doch konnte ich mir nicht erklären, warum. So sehr ich mich auch umblickte, es war einfach nichts Ungewöhnliches sichtbar. Dennoch liess mich das Gefühl nicht mehr allein.
Auf der Arbeit angekommen, fand ich an meinem Platz einen Zettel vor, welcher mich aufforderte, beim Chef zu erscheinen. Das hatte mir gerade noch gefehlt. In diesem Moment lief es mir dann zusätzlich noch eiskalt den Rücken hinunter, da ich das Projekt total vergessen hatte! Dabei bin ich sonst nur chaotisch, nie aber vergesslich, wenn man mal von der Zahnpasta an diesem Morgen absieht. Mein Chef, dem mein unaufgeräumter Schreibtisch schon seit langem missfiel, regte sich furchtbar über das vergessene Projekt auf. "Herr Franten! Wofür werden Sie eigentlich bezahlt?", so oder so ähnlich legte er los. Ich arbeitete zwar gerne bei dieser Firma, aber ich kann Beleidigungen nicht ertragen. "Was erlauben Sie sich? Zwar sind Sie mein Chef, aber ich nicht ihr Sklave! Ich kündige. Sofort!" Ich war selbst über meine Antwort überrascht, aber was gesagt ist, ist gesagt und es blieb nur die Flucht nach vorne. Schnell, ohne mich umzudrehen, verliess ich das Gebäude auf Nimmerwiedersehen. Da ich nun nichts mehr zu tun hatte, ging ich nach Hause und überlegte, wie ich Karla das mit meinem Ausflipper begreiflich machen sollte. Ich kam an, schloss auf und trat durch die Tür.
Hier stehe ich nun, doch wo kommt dieses seltsame Geräusch auf einmal her? Es scheint eine Art Klingeln oder Schellen zu sein, gleich einem Wecker. Es ist ein Wecker, meiner sogar, wie mir jetzt auffällt. Aber warum klingelt der jetzt? Ich gehe Richtung Schlafzimmer, als mir auf einmal schwindelig wird. Alles beginnt sich zu drehen und wird durchsichtig. Ich habe Angst, sie schnürt meine Kehle zu. Was passiert mit mir? So schwarz, alles ist schwarz vor meinen Augen, dann liege ich erwachend in meinem Bett. Doch dies ist nicht mein Schlafzimmer, und doch ist es meins. Mein Bett, das mir fremd ist. Das Schwindelgefühl lässt nach und ich erkenne, dass ich mich in meinem Zimmer befinde. Wenn es auch anders ist, so ist es doch unverkennbar meines. Ich schaue an mir herunter. Ah, was ist das? Wo kommt der Bauch her? Ich laufe zum Spiegel, erschrecke und muss mich setzen. Ich bin mindestens zwanzig Jahre älter als das es eben noch der Fall war. Und es ist auch nicht Mittag, sondern früh am Morgen, noch nicht einmal hell.
Was ist geschehen? Es will mir keine Erklärung einfallen, so sehr ich mir auch den Kopf zerbreche. Soetwas kann doch kein Traum sein! Und doch, dies scheint die einzig logisch vernünftige Erklärung zu sein. Ich versuche, das Erlebnis zu verdrängen, es ist zu unbegreiflich, aber Träume sollen ja manchmal merkwürdig sein. Im Badezimmer stelle ich fest, dass ich gestern vergessen habe, Zahnpasta zu kaufen. Dabei ist mir Reinlichkeit doch das Wichtigste, zumindest einmal Hygiene. Ich bin zwar ein Chaot, aber ein sauberer. Ohne Frühstück, wie es mir im Laufe der Jahre zur Gewohnheit wurde, mache ich mich auf den Weg zu meiner Arbeitsstelle. Doch heute ist es anders. Ich habe schon seit dem Aufstehen ein seltsames Gefühl, ja, jetzt weiss ich es wieder, ich habe es im Traum schon gehabt. Mir ist ein bisschen mulmig, mein Stand nicht mehr so sicher. Heute wird etwas passieren. Ich bin gespannt, ganz hibbelig, die erwartende Angst ist ein schreckliches Gefühl.
Angekommen bei meiner Firma, erfahre ich, dass heute zuerst einmal eine Ausserordentliche Mitarbeiterversammlung stattfindet. So etwas gab es bei uns noch nie, und dies ist ein Traditionsunternehmen. Ich schwimme mit der Masse von Kollegen zur großen Halle. Ich bin zu spät, wie viele meiner Kollegen, der Vortrag hat schon begonnen. Der Chef verkündet, dass unser Werk geschlossen wird. Das kann nicht sein, denke ich bei mir. Ich muss mich verhört haben, wo soll ich denn sonst hin? Doch da kommt es schon wieder. Mir wird schlecht, doch ich muss mich nicht übergeben. Alles beginnt, sich zu drehen und wird durchsichtig. Erschreckt erinnere ich mich an meinen Traum, doch da ist es schon geschehen.
Ich erwache schweissüberströmt. Die Türklingel schellt wie wild. Schnell ziehe ich mir den Bademantel über und öffne. Vor der Tür erblicke ich Karla, meine Freundin, die mich mitleidig und doch herablassend ansieht. "Es ist aus!" sagt sie. Einfach so, ohne Emotionen, dann geht sie. Ich bleibe stehen, rühre mich nicht. All dies, es ist nicht zu verkraften. Erst die Träume, oder was es auch immer war, dann jetzt auch noch das. Warum? Und immer noch beschleicht mich das dumpfe Gefühl der unwissenden Erwartung. Schock, Angst, was soll ich empfinden? Soll ich weinen? Nein, ich fühle mich leer und will mich erstmal waschen. Doch es gibt keine Zahnpasta mehr, was mich mittlerweile nicht mehr überrascht. Ich habe es erwartet, zumindest mit meinem pessimistischen Teil, der in den letzten Tagen, Stunden, Minuten, was es auch ist, die Überhand gewonnen hat. In den Spiegel schaue ich nicht, meine Angst besiegt meine Neugierde. Da ich schon seit Jahren arbeitslos bin, habe ich keinen geregelten Tagesablauf mehr. Ich hänge mich vor den Fernseher und gucke mir irgendsoeine komische Mysterien-Sendung an. Normalerweise mag ich sie nicht, aber heute suche ich nach Erklärungen, und weil ich nicht weiss, wo ich beginnen soll, tue ich es mit dieser Sendung. Was ist mit meinen Träumen los? Warum erwache ich in meinen Träumen immer weiter aus Träumen? Wie weit soll das gehn? Ist mitunter dieses hier auch nur ein Traum? Und dennoch sind alle Träume so real. Es bin immer ich, ich habe die gleichen Eigenschaften, den Hang zur Hygiene und zum Chaos, und auch meine Erinnerung an meine Kindheit und Jugend ist gleich. Doch alle aüßeren Umstände sind und waren anders, Job, kein Job, Karla. Was soll ich tun? Selbst über die Trennung von Karla kann ich nicht traurig sein. Wer weiß, wie lange ich noch hier bin.
Es geht nun auch schon wieder los. Die bekannte Prozedur. Immer früher. Ich kann nicht mehr leben. Das Atmen fällt mir schwer. Ich wache auf und will laufen. Ich komme bis zur Tür. Dann beginnt es wieder. Alles wird durchsichtig. Ich bin in meinem Bett, hebe den Kopf. Schwindel. Bin im Bett. Verschwommen. Weg. Bett. Fall. Bett. Schwindel. Bett.
Wird es enden?