- Beitritt
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Papier ist wie Vertrauen
Zuerst ist es leer. Liegt vor mir. Ich fühle den Reiz, den es ausübt. Meine Hand streicht darüber, den Bleistift dicht daran. Ich ziehe die Linien meiner Gedanken. Ich zeichne Dein Bild nach. Ein perfektes Bild. Mein Lächeln breitet sich weiter nach innen aus und strahlt von dort. Dann aber, als ich den Stift senke, sich die Dinge auf dem Blatt abzeichnen, da erkenne ich sie nicht wieder. Alles verschwimmt und die Perspektiven haben gegen meine Hand verloren. Ich sehe auf das, was jetzt vor mir liegt, und erkenne mich nicht wieder. Ich reiße das Blatt vom Block, knülle es zusammen, werfe es in die Ecke.
Dann beginne ich wieder und wieder von vorn. Während ich meine Konzentration mit aller Kraft auf das Blatt zu bannen versuche, wandern meine Gedanken zu uns. Ich zwinge sie zurück aufs Papier. Ich will Dich darstellen. Mein einziger Gedanke ist, dass ich Dich festhal-ten muss, bevor Du mir völlig entrinnst. Ich muss Dir einen neuen Platz in meinem Leben geben, bevor ich vergessen habe, welcher Platz Dir gebührt. Ich will zeigen, wer Du bist. Will Dir zeigen, welchen Platz Du innehast. Und mir selbst will ich zeigen, dass ich es kann. Ein weiteres Blatt misslungen.
Ich zweifele an mir, versuche es wieder. Ich kann spüren, wie Dein Bild verschwimmt. Wie es sich in den Bildern auflöst, die ich von Dir zeichne. Wie es sich in etwas verwandelt, das nicht gut genug für mich ist. Du zwischen meinen Gedanken verrinnst.
Tränen beginnen, meine Augen zu trüben. Ich zeichne verbissen. Um nicht aufzugeben. Ich zu bleiben, denn es wird Zeit. Diese Skizze ist besser. Aber auch sie wird Dir nicht gerecht. Nicht alles von Dir ist zu sehen. Und wieder verwerfe ich.
Schweiß steht mir auf der Stirn. Es muss gelingen. Papier war immer meine Rettung. Der sichere Boden, auf dem mein Leben steht. Damit bin ich vertraut. Es mag mich. Nicht heute. Mein Stift lässt Dich zur Karikatur verkommen. Überzeichnet, verschoben, leer und immernoch bleibt es hinter Dir zurück. Hinter diesem Du, das mein gesamtes Denken ausfüllt. Dich darzustellen, dafür brauche ich Papier. Meine Gedanken vermögen Dich nicht zu fassen. Nicht für die Ewigkeit. Ich spüre Dich nachlassen. Ich finde unvollkommene Stellen in meinen Erinnerungen.
Du hast nicht genügend Raum zwischen den Linien, in die ich Dich zwingen muss. Meine Unruhe nimmt stetig zu, bis sie schließlich über die Kante bricht und sich in Resignation ergießt. Mein letztes Blatt und immer noch nicht Du.
Ich finde mich in der Ecke wieder. Begraben von meinen Skizzen. Direkt vor den Augen die, auf der ich noch die Spuren meiner Tränen finde. Nicht wirklich Du, aber ein Stück von Dir. Dein Ich und das, was ich an Dir liebte. Ich streiche zärtlich darüber, um die Knicke zu glätten. Ganz gelingt es nicht.
Deine lachenden Augen. Mein Stift schreibt Träumer darüber. Dann schreibt er Einsamkeit. Und dann wieder Hoffnung. Härte kämpft sich durch und sucht sich einen Platz in Deinem Gesicht. Verzeih mir. Dein Mund wirkt gütig. Und als ich unentschlossen schreibe, will etwas in mir schreien, aber es schweigt. Verbissener Ehrgeiz. Es ist egoistisch, was ich jetzt schreibe, denn ich kann nicht anders, als Dich melancholisch und naiv zu nennen. Aber als ich sanft um Deine Wangen herumschreibe, da muss ich daran denken, wie ich sie berührt habe. Ich schreibe noch vieles um Dich herum und in Dich herein. Aus Dir heraus. Aus mir selbst heraus.
Damals schreibe ich darüber, und trete einen Schritt zurück.
[ 13.07.2002, 11:27: Beitrag editiert von: arc en ciel ]