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Papier ist wie Vertrauen

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08.11.2001
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Papier ist wie Vertrauen

Zuerst ist es leer. Liegt vor mir. Ich fühle den Reiz, den es ausübt. Meine Hand streicht darüber, den Bleistift dicht daran. Ich ziehe die Linien meiner Gedanken. Ich zeichne Dein Bild nach. Ein perfektes Bild. Mein Lächeln breitet sich weiter nach innen aus und strahlt von dort. Dann aber, als ich den Stift senke, sich die Dinge auf dem Blatt abzeichnen, da erkenne ich sie nicht wieder. Alles verschwimmt und die Perspektiven haben gegen meine Hand verloren. Ich sehe auf das, was jetzt vor mir liegt, und erkenne mich nicht wieder. Ich reiße das Blatt vom Block, knülle es zusammen, werfe es in die Ecke.
Dann beginne ich wieder und wieder von vorn. Während ich meine Konzentration mit aller Kraft auf das Blatt zu bannen versuche, wandern meine Gedanken zu uns. Ich zwinge sie zurück aufs Papier. Ich will Dich darstellen. Mein einziger Gedanke ist, dass ich Dich festhal-ten muss, bevor Du mir völlig entrinnst. Ich muss Dir einen neuen Platz in meinem Leben geben, bevor ich vergessen habe, welcher Platz Dir gebührt. Ich will zeigen, wer Du bist. Will Dir zeigen, welchen Platz Du innehast. Und mir selbst will ich zeigen, dass ich es kann. Ein weiteres Blatt misslungen.
Ich zweifele an mir, versuche es wieder. Ich kann spüren, wie Dein Bild verschwimmt. Wie es sich in den Bildern auflöst, die ich von Dir zeichne. Wie es sich in etwas verwandelt, das nicht gut genug für mich ist. Du zwischen meinen Gedanken verrinnst.
Tränen beginnen, meine Augen zu trüben. Ich zeichne verbissen. Um nicht aufzugeben. Ich zu bleiben, denn es wird Zeit. Diese Skizze ist besser. Aber auch sie wird Dir nicht gerecht. Nicht alles von Dir ist zu sehen. Und wieder verwerfe ich.
Schweiß steht mir auf der Stirn. Es muss gelingen. Papier war immer meine Rettung. Der sichere Boden, auf dem mein Leben steht. Damit bin ich vertraut. Es mag mich. Nicht heute. Mein Stift lässt Dich zur Karikatur verkommen. Überzeichnet, verschoben, leer und immernoch bleibt es hinter Dir zurück. Hinter diesem Du, das mein gesamtes Denken ausfüllt. Dich darzustellen, dafür brauche ich Papier. Meine Gedanken vermögen Dich nicht zu fassen. Nicht für die Ewigkeit. Ich spüre Dich nachlassen. Ich finde unvollkommene Stellen in meinen Erinnerungen.
Du hast nicht genügend Raum zwischen den Linien, in die ich Dich zwingen muss. Meine Unruhe nimmt stetig zu, bis sie schließlich über die Kante bricht und sich in Resignation ergießt. Mein letztes Blatt und immer noch nicht Du.
Ich finde mich in der Ecke wieder. Begraben von meinen Skizzen. Direkt vor den Augen die, auf der ich noch die Spuren meiner Tränen finde. Nicht wirklich Du, aber ein Stück von Dir. Dein Ich und das, was ich an Dir liebte. Ich streiche zärtlich darüber, um die Knicke zu glätten. Ganz gelingt es nicht.

Deine lachenden Augen. Mein Stift schreibt Träumer darüber. Dann schreibt er Einsamkeit. Und dann wieder Hoffnung. Härte kämpft sich durch und sucht sich einen Platz in Deinem Gesicht. Verzeih mir. Dein Mund wirkt gütig. Und als ich unentschlossen schreibe, will etwas in mir schreien, aber es schweigt. Verbissener Ehrgeiz. Es ist egoistisch, was ich jetzt schreibe, denn ich kann nicht anders, als Dich melancholisch und naiv zu nennen. Aber als ich sanft um Deine Wangen herumschreibe, da muss ich daran denken, wie ich sie berührt habe. Ich schreibe noch vieles um Dich herum und in Dich herein. Aus Dir heraus. Aus mir selbst heraus.
Damals schreibe ich darüber, und trete einen Schritt zurück.

[ 13.07.2002, 11:27: Beitrag editiert von: arc en ciel ]

 

Hi arc,

Bravo, hast dich doch noch durchgerungen, den Challenge zu beleben.
Deine Schilderung lässt absolut einfühlsam und nachvollziehbar die Situation des Protagonisten vor mir entstehen, seine Unzufriedenheit über die Unfähigkeit den Partner realistisch, mit all seinen "zu-empfundenen" Eigenarten, bildlich auf das Papier zu bannen. Dann, so verstehe ich es, schwenkt er/sie dazu über, die Beschreibung in Worten vorzunehmen, statt in Bildern. Was ihm zufrieden stellender gelingt.

Abgesehen vom Titel versuchst du den Vergleich sehr subtil rüber zu bringen. Du erwähnst "Vertrauen" kein einziges Mal in deinem Text (d.h. einmal schreibst du: "Damit bin ich vertraut", was eher falsch interpretiert werden kann). Dieser Aussage vorangestellt finden sich die zwei Hauptsätze, die den Vergleich Papier/Vertrauen herstellen. Allerdings genügt mir persönlich dieser "Hinweis" nicht ganz, er ist zu subtil (!beim ersten Lesen)im Bezug auf die vorangehenden Gedanken des Protagonisten oder auch (beim zweiten Lesen) genau das Gegenteil, zu laut herausgeschrieen, wie I3en sagt. Schwer auszudrücken, hoffe du verstehst, was ich damit sagen will, ist mehr eine Intuition, denn eine rationale Argumentation von mir.

Dann sind da noch zwei Sätze, die ich nicht verstehe:

Direkt vor den Augen die, auf der ich noch die Spuren meiner Tränen finde
und
Damals schreibe ich darüber
außerdem noch ein paar Flüchties: wan-dern / festhal-ten / wel-chen / immernoch / sucht sich eine Platz / melancho-lisch / her-umschreibe

Gruß
Maris

[ 13.07.2002, 10:04: Beitrag editiert von: querkopp ]

 

hi querkopp:
danke für Dein Feedback. Ich hab vesucht, subtil zu sein. Und dann das vielleicht übertrieben?
es ist ja ohnehin schwer, einen Vergleich in eine KG einzubauen. Das einzige, was mir da eingefallen wäre, ist ein Erzähler, der mit dem Leser spricht, und erklärt, welchen Vergleich er meint.. aber das hatte dann schon ein anderer vor mir getan. Und zwar zu gut, um das Rennen aufzunehmen ;)

Was stört Dich an dem Damals-Satz? dr ist nur die konsequente Steigerung der anderen Sätze davor. Die sind mehr als nur eindeutig... versuch sie zu verstehen, wie man sie verstehen kann... dann erklärt sich auch der letzte Satz... naja, ich wollte es nicht so schlicht enden lassen, sondern mit Feuerwerk.

Das mit der Träne: Vorher hat er / sie geweint, und dabei das beste Bild gemalt, ( weil mehr emotional, als verbissen ) ... und das findet er / sie jetzt wieder.

Nicht ganz stimme ich mit deiner Bild / Wort - Beschreibung überein... aber das mag an einem Mißverständnis meinerseits liegen...
Erst ist das Bild emalt, und das Bild drückt nicht alles aus ( schon deshalb, weil es offenbar nur positive Elemente enthält ) und dann kommen die Worte hinzu. Die dann die Widersprüchlichkeit besser ausdrücken können. Sie werden kreuz und quer über das Bild geschrieben. Und letztendlich wird das Ergebnis der Person gerecht...

so in etwa war es gemeint.
Wo jetzt der Unterschied zwischen dem 1. und 2. Lesen liegt, muß ich aber noch genauer rausfinden... mmh?

Lieben Gruß,
Frauke

 

Oh, ich kleiner Dummer. Wenn ich es so gelesen hätte:
"Damals" schreibe ich darüber, und trete einen Schritt zurück.
dann hätte ich es gerafft ;)

Bei dem Satz mit der Träne, ist da nicht ein "die" zuviel ?
Gruß, Maris

 

Ich finde die Geschichte sehr schön, für den Leser nachvollziehbar. Nur den Vergleich lese ich nicht raus. Papier ist wie Vertrauen? Wieso? Für mich klingt der Text wie "Ich vertraue mich dem Papier an." Vielleicht auch "Ich vertraue dem Papier", aber "Vertrauen ist wie Papier"? Das sehe ich (noch) nicht. Ich werd mir das Ganze aber später nochmal durchlesen, wenn ich wieder ganz unvoreingenommen darüber nachdenken kann. Dann kommt vielleicht auch noch eine andere Kritik, im Moment wüsste ich aber nicht, wie und wo du den Vergleich anbringst. Naja, mal sehen.

 

@querkopp: darauf basiert ein Teil dessen, was mir an der KG dann schließlich gut genug gefallen hat, um sie in den Challenge zu schicken... sprachlich ist halt - vor allem am Ende - evtl. was dran... die "" hab ich bewußt weggelassen. Weil die Sätze ( nicht nur dieser nämlich ) auch ohne Sinn machen, der den Lesern dann aber nicht klar würde... also lieber mit der Nase darauf stoßen... vielleicht kommt dann der gesamte Inhalt besser rüber.

@Nudelsuppe:
wenn Du es verdrehst, kann es schon nicht mehr stimmen... alle Pudel sind Hunde, aber nicht alle Hunde sind Pudel....
Ich denke nicht, das das Thema so zu verstehen war, daß man eine Emotion als Ausgangspunkt nehmen mußte und dann zu einer Sache kommen, also Geborgenheit = Strickjacke ( übrigens ein schönes Beispiel ), sondern daß nur ein Vergleich zwischen Worten beider Gruppen erwartet wurde. Das habe ich dann er Abwechslung halber umgesetzt. Richtig so?

ich hatte einen eher subtileren Vergleich angestrebt... mehr so, daß man sich selbst fragen sollte, ob man dem Papier vetraut. Ob man dem vertraut, was man zu Papier bringt. Oder wie man es zu Papier bringt. Denn ich denke, über / auf Papier kann man sich sehr gut ausdrücken. Und gerade wir hier scheinen das ja gut zu beherrschen oder anzustreben...
Sich dem Papier anzuvertrauen ist eine Sache. Aber dem Papier in der Hinsicht zu vertrauen, daß man seine Darstellung darauf abbildet und damit auf das angewiesen ist, was letztlich darauf steht / zu sehen ist... also man ein Ergebnis will. ... das ist schon ein wenig was anderes.
Vertrauen ist aber sicherlich nicht wie Papier. Denn zerbrechliches Papier zB habe ich bisher nur selten gesehen.... und auch sonst fielen mir da nicht viele Vergleiche ein.... in dieser Richtung.
Anders herum schon. Wenn jemand auch diese Argumentation hören möchte, .. gern. Ich weiß nur nicht, ob sie zur KG gehört... oder die eher beeinträchtigt, weil es dann so nachgekartet wirkt... später vielleicht.

Achte vielleicht mal darauf, wozu und auf welche Weise die Figur das Papier benutzt. Vielleicht erinnert Dich das ein wenig an "Vertrauen"...

Vielen Dank für's Lesen und Kommentieren,
lieben Gruß,
Frauke

 

Okay, jetzt also der zweite Versuch.
Wenn ich das richtig verstanden habe, war es deine Absicht, auszudrücken, dass die Figur dem Papier vertraut. Richtig so? Wenn ja, lag ich ja gar nicht ganz so falsch, hab mich bloß nicht verständlich genug ausgedrückt. Ich meinte, dass "Papier = Vertrauen" in der Überschrift steht. Es ist aber nicht unbedingt das drin, was drauf steht. Drin ist "Papier = vertrauenswürdig". Ich finde wie gesagt die Geschichte schön und auch der (dem?) Challenge gerecht werdend, aber eben nicht so ganz zu dem Vergleich in der Überschrift passend (ganz schön kleinlich, oder?). Weißt du, wie ichs meine?

 

Kleinlich ist doch prima...
naja, ich muß mich auch noch mal genauer ausdrücken:
Vertrauen ist...

zuerst gibt man einen Vertrauensvorschuß, wenn man jemandem gegegübertritt ( leeres Papier )
dann entwickelt sich eine neue Situation ( bemalt/beschrieben )
Vertrauen ist zerbrechlich. Man braucht auch Mut dazu. Man muß sich darauf einlassen. Es kann trügerisch sein / falsche Sicherheit zeigen.
Letztendlich ist der Vergleich natürlich nicht ganz offensichtlich, aber ich hatte so das Gefühl, ich müßte genau diesen Vergleich schreiben. ;)

Lieben Gruß,
Frauke

 

Hallo Frauke, ich möchte noch ein anderes Argument zum Thema hinzufügen: So lange ich Papier mit Text oder mit Bildern versehe, bin ich selber aktiv, habe alles mehr oder weniger unter Kontrolle; kann es steuern. Problematisch wird es, wenn sich das Papier danach selbständig macht. Es trägt meine Geschichte/Zeichnung/Meinung - vielleicht sogar mein ganzes ICH (oder Teile davon) in die Öffentlichkeit. Es entzieht sich meiner Kontrolle. Ob ich - wenn ich das bedenke beim schreiben/malen/zeichnen - wirklich noch das darstelle, was ich ursprünglich wollte? habe ich den Mut dazu?

Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, die Aufgabenstellung, die am Anfang stand zu lesen. Ich habe direkt bei deiner Story eingesetzt. Deshalb geht möglicherweise meine Überlegung am Kern der Sache vorbei. In diesem Falle....sorry.

Unabhängig davon: du hast eine wunderbar farbige Sprache. Gefällt mir!

Lieben Gruß
Ernst Clemens

 

hallo Ernst:
vielen Dank für Deine Kritik. Das Argument, dass andere das Bild hinterher sehen, war für mich allenfalls zweitrangig... ich hatte mehr in den Vordergrund gestellt, daß man es nicht vor sich selbst hinbekommt, die "negative Wahrheit" zu fixieren...
aber Dein Argument gefällt mir auch sehr gut!

Deine Überlegungen treffen genau den Kern dessen, worum es geht. Und da Du es nicht virher gewußt hast, ist die Bestätigung noch sehr viel beruhigender für mich ;)

Vielen Dank,
Frauke

 

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