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Papa will nicht Moni lesen (Jola-Geschichte)
„Willst du die Küche machen oder das Kind ins Bett bringen?“, fragt Mama, als die Wanduhr zum siebten Mal geschlagen hat.
„Die Küche machen!“, sagt Papa wie aus der Pistole geschossen.
Jola blickt von dem Bild auf, das sie gerade malt. Eine Prinzessin in einer türkis-gelb-rot-gepunkteten Polizeiuniform mit ultramodernem Düsenantrieb und flauschigen, feuerfesten Katzenohren.
„Du hast die Küche lieber als mich?“, fragt sie und ihre Unterlippe beginnt plötzlich zu zittern.
Papa schüttelt rasch den Kopf.
„Nicht doch, Schätzchen! Aber … das Geschirr ist heute wirklich ganz besonders dreckig von … von den Nudeln, die wir heute Mittag … und ich dachte …“
„… und du dachtest, nur ein richtiger Mann schafft es, die angetrocknete Tomatensauce von den Tellern zu schrubben?“, vollendet Mama seinen Satz.
Papa nickt hastig und lächelt Jola besänftigend an. „Das muss man alles einweichen, Jölchen. Das verstehst du doch?“
Aber Jola versteht das überhaupt nicht. Kein bisschen.
„Verstehe“, sagt sie trotzdem. „Du weichst lieber Teller ein, als mir eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen.“
Ihre Lippen zittern jetzt noch viel, viel doller.
Einen Moment lang macht Papa einfach nur stumm den Mund auf und zu. Er sieht aus wie ein Karpfen, der nach Luft schnappt. Dann dreht er sich schwungvoll zu Mama.
„Meinst du, dass du das mit der Sauce auch ohne mich schaffst?“
Mama nickt und sieht sehr zuversichtlich aus.
Seufzend beugt sich Papa zu Jola hinunter.
„Ich sehe dich in zehn Minuten oben im Bett, Fräulein. Im Schlafanzug und mit geputzten Zähnen. Verstanden? Und ich überlege inzwischen, was ich vorlesen werde.“
Jola nickt. Und grinst von einem Ohr bis zum anderen. Aber das sieht Papa zum Glück nicht.
Als Papa später ins Kinderzimmer kommt, hat er den ganzen Arm voller Bücher.
„Such dir aus, was immer du möchtest“, sagt er. „Dein Wunsch ist mir Befehl.“
Jola liegt warm eingekuschelt in ihrem Bett, nur ihr Gesicht lugt unter der weichen Decke hervor. Sie grinst immer noch. Und jetzt sieht es auch Papa. Abwehrend hebt er eine Hand.
„Nur das eine nicht“, stößt er hervor.
Jola strahlt Papa an.
„Ich will Moni-Geschichten.“
Widerwillig schüttelt Papa den Kopf.
„Och nein! Nicht schon wieder Moni!“ Er setzt sich aufs Bett und stellt den mitgebrachten Bücherturm neben sich. „Schau doch erst mal, was ich für eine tolle Auswahl mitgebracht habe“, sagt er im selben Tonfall, in dem ein Zirkusdirektor seine allertollsten Attraktionen anpreist. „Das sind wirklich fantastische Geschichten. Richtige Klassiker. Mit Piraten, Drachen, Einhörnern, Räubertöchtern, Detektiven, Rittern, sprechenden Tieren und allerlei anderem Firlefanz.“
Mit wedelnden Armen zeigt Papa auf die vielen Bücher.
Aber Jola guckt gar nicht hin.
„Ich will Moni!“, sagt sie, ohne mit der Wimper zu zucken.
Papa rutscht unruhig auf der Matratze hin und her.
„Da habe ich als dein Vater ja wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden“, presst er durch schmale Lippen.
„Hast du nicht!“, sagt Jola empört. „In diesem Haus entscheiden immer noch die Kinder, was sie vor dem Schlafen vorgelesen bekommen wollen. Und wir wollen Moni-Geschichten!“
„Wieso eigentlich wir?“, fragt Papa erstaunt.
„Tarum“, schreit plötzlich die Bettdecke, während sie im hohen Bogen durch die Luft fliegt. Darunter kommt Jonas zum Vorschein, Jola kleiner Bruder.
Papa sieht jetzt völlig verdattert aus.
„Aber der schläft doch schon seit einer Stunde tief und fest“, sagt er fassungslos.
„Ich habe ihn geweckt“, flötet Jola. „Weil er doch auch so gern Moni-Geschichten hört.“
„Toni-Tetichten!“, brüllt Jonas. „Toni-Tetichten!“
„Das habt ihr euch ja fein ausgedacht“, murmelt Papa. „Und trotzdem …“
Er beugt sich über den Bücherturm und zieht ein dünnes, gelbes Buch hervor.
„Ha!“, sagt er. „Dies ist hier super. Das hat mir mein Vater schon vorgelesen. Felix Feldmaus rettet Karla Piepmaus. Extrem spannend.“
„Na ja, geht so, wenn man schon durch den Titel weiß, wie es am Ende ausgeht“, sagt Jola und gähnt laut.
„Aber da ist ein richtig böses Wiesel dabei“, sagt Papa mit gruselig verstellter Stimme. „Und davon steht nichts im Titel.
„Tu tannend“, flüstert Jonas.
Papa legt das Buch weg und sucht weiter. Der Turm hat inzwischen eine bedrohliche Schieflage bekommen.
„Dann das hier.“ Papa hält ein rotes Buch in der Hand. „Peter Pan. Das war früher mein absolutes Lieblingsbuch. Da kommen Indianer, Seejungfrauen und Elfen drin vor.“
Papas Stimme überschlägt sich fast vor Begeisterung.
„Ich mag keine Elfen“, behauptet Jola.
„Aber das stimmt doch gar nicht, Jölchen“, ruft Papa empört. „Gestern noch konntest du gar nicht genug von Elfen bekommen. Du hast über nichts anderes gesprochen. Und ich habe fast eine Stunde das Haus saugen müssen, weil du Dinkelmehl zu Feenstaub erklärt und überall verstreut hast.“
„Ja, gestern“, räumt Jola ein. „Aber gestern war Donnerstag. Donnerstags sind Elfen natürlich super. Aber heute ist Freitag. Und am Freitag sind Elfen total bescheuert. Das weiß jeder.“
„Toofe Telfen“, krakeelt Jonas.
Papas Bewegungen werden immer hektischer. Polternd fällt der Bücherturm um. Irgendwie gelingt es Papa, ein einzelnes Buch aus der Luft zu greifen, bevor es zu Boden kracht.
„Na klar, Lotta kann Rad fahren“, sagt er, als er den Titel entziffert hat. „Oh ja. Das ist schön. Und lustig. Von Astrid Lindgren, einer ganz berühmten schwedischen Autorin. Das lesen wir jetzt.“
„Geht es da um ein normales Fahrrad oder um so ein cooles elektrisches?“, will Jola wissen.
Papa runzelt die Stirn.
„Normal, glaub ich.“
„Dann nicht“, sagt Jola. „Monis Mutter hat nämlich seit neustem ein E-Bike. Da gibt es sogar eine eigene Geschichte drüber. Moni fährt im Kindersitz auf Mamas E-Bike zum Biomarkt.“
„Oh Gott!“, sagt Papa. „Echt jetzt?“
Jola zieht unter dem Kopfkissen ein Büchlein hervor.
„Haben wir sogar hier. Von Isabell geliehen.“
Papa stöhnt laut auf und vergräbt sein Gesicht in den Händen.
„Okay“, sagt er schließlich, als er wieder aufschaut. „Vorschlag. Wir machen es uns jetzt so richtig gemütlich, legen alle Bücher zur Seite und schauen stattdessen ein bisschen Maus-App, einverstanden?“
Den letzten Teil des Satzes hat Papa ganz leise geflüstert.
Aber Mama flüstert nicht.
„Kein Handy im Bett!“, tönt ihre Stimme sehr laut aus der Küche.
„Aber die Kinder wollen Moni-Geschichten“, brüllt Papa zurück.
„Ja und?“, antwortet Mama.
„Ich will keine blöde Moni-Geschichten lesen“, donnert Papa und haut mit der Faust auf die Matratze.
„In diesem Haus entscheiden immer noch die Kinder, was sie vor dem Schlafen vorgelesen bekommen wollen“, ruft Mama fröhlich zurück.
„Ja. Das weiß er schon“, schreit Jola.
Für eine kurze Weile ist es mucksmäuschenstill im Kinderzimmer.
„Also gut“, sagt Papa mit tonloser Stimme. „Ihr habt gewonnen. Welche Moni-Geschichte muss ich lesen?“
„Moni macht Nudelsalat“, sagt Jola.
„Turrah! Tuteltalat!“, kreischt Jonas.
„Dieses Buch gibt es gar nicht“, wispert Papa. „Jetzt veralbert ihr mich doch. Niemand würde so etwas schreiben.“
Aber natürlich gibt es das Buch doch.
Papa macht ein ganz komisches Gesicht, als Jola es ihm rüberreicht, und sieht aus, als würde er gleich anfangen zu weinen. Er nimmt das Büchlein mit zwei Fingern an einer Ecke hoch, so als ob es nicht aus Papier gemacht, sondern eine von Jonas vollen Windeln wäre. Einen Augenblick lang starrt er es an wie einen Geist. Erst dann schlägt er es auf.
„Und ihr wollt wirklich nicht Peter Pan?“, fragt er ein letztes Mal tonlos.
Jonas und Jola schütteln energisch die Köpfe.
Also beginnt Papa zu lesen.
„Moni wacht an diesem Morgen auf und hat auf einmal ganz großen Appetit auf Nudelsalat. So doll, dass sie an gar nichts anderes mehr denken kann. Schnell läuft sie zu ihrer Mama in die Küche.
,Mama?‘, fragt Moni, ,Bitte, können wir heute Nudelsalat machen? Einfach mal so?‘
Mama lächelt. ,Aber natürlich, mein Liebling. Das wird heute unser gemeinsames Abenteuer.‘ Sie zwinkert Moni zu. ,Zuerst müssen wir im Laden saure Gürkchen kaufen, sonst schmeckt es nicht‘, sagt Mama.“
„Tecker!“, ruft Jonas. „Türkchen!“
„Pssst“, sagt Papa genervt. „Es wird bestimmt noch viel spannender.“
„Noch spannender?“, flüstert Jola und kaut auf der Bettdecke.
„Hundertpro!“, seufzt Papa und liest weiter: „Gemeinsam mit Mama schreibt Moni nun ganz viele Dinge auf einen Einkaufszettel: Zwiebeln, Erbsen, Öl und Nudeln.
,Wir brauchen auch noch Mayonnaise‘, ruft Moni aufgeregt. Aber Mama schüttelt den Kopf: ,Die machen wir selbst‘, sagt sie.
,Wirklich?‘, ruft Moni. ,Hach, ist das aufregend.‘“
„Wow!“, sagt Jola. „Ist das zu fassen? Die machen wirklich selber Mayo?“
Das ist zu viel für Papa.
„Unerträglich ist das!“, schreit er. Sein Kopf ist tomatenrot. „Nicht vorlesbar. Wem kann man das denn zumuten? Die wollen mich doch verkackeiern? Gurken kaufen ist doch kein Abenteuer. Nirgendwo auf diesem Planeten. Warum wird so ein Scheiß überhaupt gedruckt?“
Jolas Kopf ist inzwischen ganz unter der Bettdecke verschwunden. Sie muss so sehr lachen, dass es wehtut. Jola muss immer lachen, wenn Papa Moni-Geschichten liest. Es gibt nichts Lustigeres auf der Welt.
Jola lacht so sehr, dass ihr fast die Luft wegbleibt.
Aber davon bekommt Papa zum Glück nichts mit.
Er hat sich die Kiste mit den Moni-Büchern geschnappt und wirft eines nach dem anderen in die Luft.
„Sind wir doch mal ehrlich. Moni erlebt in gar keinem ihrer Bücher ein Abenteuer. Nicht in Moni fährt Rolltreppe rauf und runter. Oder in Moni baut Meisenringe. Nicht in Moni schält einen Apfel. Und schon gar nicht in Moni malt Fensterbilder, Moni saugt Staub, Moni rechnet das 1x7 oder in Moni hat eine Meerschweinchen-Allergie.“
„Das letzte gibt es gar nicht“, sagt Mama, die inzwischen auch ins Kinderzimmer gekommen ist. Sie lacht fast ebenso sehr wie Jola.
„Zum Glück“, faucht Papa. „Und dafür sollten wir sehr, sehr dankbar sein.“
Mama setzt sich neben ihn aufs Bett und legt beruhigend einen Arm um seine Schulter.
Aber Papa will sich gar nicht beruhigen, weil er gerade so richtig schön in Fahrt ist. Er springt wie von der Tarantel gestochen auf.
„Komm mir jetzt nicht so, Schatz. Es hat sich ausgemonit“, brüllt er. „Ein für allemal. Ich gehe in die Küche und schrubbe die Sauce von den Tellern. Du kannst hier gern übernehmen und weiter diesen Mist lesen. Was für ein …“
„Teis“, ruft Jonas.
„Kluges Kind“, schimpft Papa, während er das Kinderzimmer verlässt. „Wirklich ein kluges Kind. Schon jetzt viel klüger, als es diese Moni je werden wird.“
Es dauert ein bisschen, bis Jola sich wieder gefangen hat. Sie liegt auf ihrem Bett und schnappt nach Luft.
„Geht es wieder?“, fragt Mama schließlich.
Jola hustet.
„Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben so doll gelacht“, keucht sie.
„Mach das nicht zu oft“, sagt Mama und zwinkert ihr zu. „Sonst verliert es den Reiz.“
Jola nickt.
Aus der Küche hört sie, wie Papa mit der Bürste lautstark das Geschirr bearbeitet.
„Und nun?“, fragt Mama. „Weiter mit Monis aufregendem Nudelsalat-Abenteuer?“
„Nö!“, sagt Jonas. „Toni toof.“
Auch Jola schüttelt den Kopf.
„Moni-Geschichten machen nur Spaß, wenn Papa sie vorschreit“, sagt sie. „Aber ich weiß schon, was ich gerne hören möchte.“
Und dann zeigt Jola auf ein dünnes, gelbes Buch, dass, als der Turm umfiel, neben dem Schrank gelandet ist.
„Das Buch da drüben ist spannend“, sagt Jola zu Mama. „Wo die Feldmaus die Piepmaus vor dem bösen Wiesel rettet. Kannst du bitte das nehmen?“
„Klar!“, antwortet Mama und lächelt. „Du weißt doch: In diesem Haus entscheiden immer noch die Kinder, was sie vor dem Schlafen vorgelesen bekommen wollen.“