Papa findet den Winter
Wenn die Tage kürzer werden und es nach Büroschluss draußen schon stockdunkel ist. Wenn der kalte Dezemberwind nichts als Regen und Schmuddelwetter mit sich bringt, steigen vor meinem geistigen Auge oft Begebenheiten aus meiner Kindheit auf und ich erinnere mich an einen ebensolchen Dezember, lange her, ich war sechs Jahre alt und drückte meine Nase an der Fensterscheibe platt.
Es war langweilig, um ehrlich zu sein: Stinklangweilig. Ich schaute hinaus in das Grau in Grau vor dem Fenster. Gerade hatte ich ein schönes Winterbild gemalt, richtig weihnachtlich, mit vielen Schneeflocken, Kindern die Schlitten fuhren und einer Krippe, die oben auf dem Berg stand. Aber wie schon gesagt, das Wetter draußen hatte mit meinem Bild so gar nichts zu tun. Keine Chance draußen zu spielen, keine Flocke in Sicht und in zwei Wochen war Weihnachten.
„Mama, mir ist soooo langweilig“, quengelte ich. „Da kann ich dir jetzt auch nicht helfen“, meinte meine Mutter: „Mal doch noch ein Bild.“ „Nö, ich mag nicht immer malen, ich möchte das es schneit. Es ist doch kalt, warum schneit es dann nicht“?
„Warum?“ das war die Stimme meines Vaters, der eben zur Tür herein kam. „Papa, warum schneit es nicht. Es muss doch schneien wenn Weihnachten ist....“ Mein Vater setzte sich. „Pass mal auf, wenn du mir versprichst, mit deiner Quengelei aufzuhören, verspreche ich dir, dass wir morgen den Winter suchen gehen. Nur wir beide, du und ich.“
Winter suchen gehen? Das war ja mal was Tolles. „Und, Andrea, - am Besten malst du noch mal ein Bild, das wir mitnehmen können, um dem Winter zu zeigen, wohin er kommen muss.“
Nichts leichter als das. Mir war auf einmal überhaupt nicht mehr langweilig. Schnell kramte ich meine Stifte wieder hervor und begann zu malen. Ich malte die Stadt in der ich lebte. Drei Flüsse musste ich malen, denn daran konnte man die Stadt erkennen. Und den Monte Scherbelino musste ich malen, auch das war ein Erkennungszeichen. Und außen rum malte ich einen goldenen Rand. Es hieß ja schließlich auch Goldstadt. Wenn der Winter nicht ganz doof war, musste er, wenn er dieses Bild sah, genau wissen was gemeint war. Hochzufrieden mit meinem Werk ging ich ins Bett, fest davon überzeugt nicht schlafen zu können.
Am nächsten Morgen war ich natürlich als Erste wach. Nach dem Frühstück zeigte ich mein Bild meinen Eltern. „Schön hast du das gemalt“, sagte meine Mutter. „Jetzt müssen wir dein Bild noch winterfest machen“, meinte mein Vater. Er klebte es auf ein Pappestück, dann machte er aus einer durchsichtigen Folie einen Überzug auf das Bild und hinten mit einem Stück Zwirn einen Aufhänger dran. Jetzt war das Bild wirklich wetterfest.
“Zieh“ deine Stiefel an, es geht los!“ Das musste man mir nicht zweimal sagen, flugs war ich in Stiefel und Anorak geschlüpft, hatte den Schal umgewickelt, die Mütze aufgezogen und natürlich die dicken Handschuhe in die Tasche gesteckt. Wir gingen aus dem Haus. Es hatte zwar aufgehört zu regnen, aber der Himmel war grau und es ging ein eisiger Wind. Papa, der Hund und ich stiegen ins Auto, das seltsamerweise sofort ansprang und los ging es......
Zuerst hinaus aus der Stadt. „Wohin fahren wir“ fragte ich, „Hab’ nur Geduld, - dahin, wo der Winter ist“, kam die Antwort, „du kannst noch ein bisschen mithelfen ihn zu finden, sing doch ein wenig....“ So turnte ich mitsamt Hund hinten auf der Rückbank rum und sang ungefähr 20 mal Schneeflöckchen, Weißröckchen.......“ Dieses Lied fand ich für unser Vorhaben sehr angemessen. Und es hatte tatsächlich geholfen. Auf einmal sah ich draußen, zwar nur vereinzelte, aber immerhin gut sichtbare weiße Stellen... und es wurden mehr, immer mehr und dann sah ich Höhenzüge, die ganz weiß waren. Aufgeregt hopste ich hinten rum (damals gab es noch keine Sicherheitsgurte im Auto). Jetzt fuhren wir einen Berg hinauf. An den Rändern der Straße lagen richtige große Schneehaufen, ich traute kaum meinen Augen. Oben angekommen, ging es endlich hinein in die weiße Pracht. Wir bauten einen großen Schneemann, der bekam einen großen Ast in den Arm gedrückt und an dem Ast befestigte ich meinen Wegweiser für den Winter. Dann füllten wir noch Schnee in die große Thermoskanne, die mein vorausdenkender Vater vorsorglich mit genommen hatte. Nach gut drei Stunden fuhren wir wieder heimwärts.
Ich war glücklich, ich hatte den Winter gefunden, ihm den Weg gezeigt und sogar einen Beweis dafür in der Kanne.