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Panne im Imperia
Panne in Imperia
Imperia, 11.30 Uhr
Um mich herum herrscht reger Betrieb.
Soeben hat sich eine Signora mittleren Alters mit ihrem Opel Corsa einen Weg durch die kreuz und quer abgestellten Autos gezwängt. Sogleich stürzt sich ein schmierig dreinblickender, fetter ungepflegter mechanico auf sie. Hinter mir kurvt ein Lehrling mit seinem motorini, er hat gerade ein Ersatzteil besorgt. Irgendwo schimpft jemand bestialisch.
Mein cellurlare cellulart. Eine freundliche Frauenstimme des ADAC Italien erklärt mir, dass man mir ein carozzi (Abschleppwagen) besorgen wird, wann, das sei allerdings noch nicht heraus. Die Zeit vergeht.
Ich war heute morgen für Urlaubsverhältnisse schon früh auf den Beinen. Um 8.30 Uhr sollte mich ein Abschleppwagen in Costa Rainera abholen, um 9.30 Uhr erschien Silvio, ein in Imperia verheirateter Brasilianer und betätigte die Drahtseilwinde. Die knarzenden Geräusche der Winde wurden durch ein kleines hässliches „peng“ unterbrochen, als Antwort hörte ich das rote Öl des Hydraulikzylinders auf die Straße tropfen. „mama mia“, Kopfschütteln, Händeringen, italienisch-portugiesische Flüche, kein guter Anfang für diesen schönen Herbstmorgen. Wir schieben mein Auto bergan und lassen die Schwerkraft walten. Mit Schwung rollte der Wagen auf die Rampe, die letzten Meter im ersten Gang und angetrieben durch den Anlasser und die Verzweiflung des schweißnassen Fahrers.
Auf dem Weg nach unten an die Küste erfahre ich von Sergios Andacht für Michael Schuhmacher und Baricello, seine Vorliebe für italienische Frauen und so ganz nebenbei seine Lebensgeschichte. Zum Karneval fliegt er bald nach Rio, alleine, ohne seine italienische muohaire, versteht sich, natürlich. Ich bekomme eine Zigarette. Da mein Wagen nicht mit der Winde festgezurrt ist, fährt Sergio jetzt ganz vorsichtig, wie er mir versichert, also ungefähr so, wie ich fahren würde, wenn mich eine schießende Mafiahorde verfolgen würde...
In Imperia angekommen, wird der Wagen abgeladen. Es geht bergab in die bereits beschriebene enge Einfahrt von XXXAuto Imperia, einem Opel Vertragshaus. „Runter ist einfach, ohne Motor“, denke ich ahnungsvoll.
Das war 10.30 Uhr.
Der fettige Mechaniker schaut zu mir rüber und fühlt sich durch meine dauernde Anwesenheit offenbar mehr als gestört. Ich quittiere Silvios circensisches Abschleppkunststück, mille grazie, und weg ist er, nicht ohne mir noch mal winkend irgendetwas Nettes zu zuschreien- und weg ist er. Provozierend träge kommt der feiste Schmuddel und erklärt mir gemeinsam mit einem gelackten kaufmännischen Angestellten, :heute, Donnerstag und morgen, Freitag auf keinen Fall“ am Montag wolle man sich den Wagen anschauen, aller Wahrscheinlichkeit nach. Ich appelliere an die Vernunft. „Ja, sicher, wenn es nur ein klitzekleines Problem ist, Sie könnten doch zumindest mal die Motorhaube öffnen“, versuche ich ein eröffnendes Gespräch. No, oggi (heute) und domani (morgen) keine Zeit. Der Wagen wird weiter bergab geschoben, mit jedem Meter geht es auch mir schlechter. Der Lack hat zudem nun überall schwarze Fettpratzen.
Mein Handy meldet sich, ein Herr des ADAC möchte nun mit der Werkstatt sprechen, mit meinem Handy natürlich, für das ich gerade Roaminggebühren für ankommende Gespräch zahle. Italiener telefonieren gerne, es wird parliert und gestikuliert auf italienisch. Soviel verstehe ich: heute und morgen auf keinen Fall. Ich kriege mein Handy zurück mit dem ADAC-Mann: Eine Werkstatt in Arma di Taggia würde zumindest heute noch eine Diagnose des Problems vornehmen, der Abschleppwagen dorthin könnte aber erst nachmittags kommen, man würde mich noch genauer informieren...
Die Sonne scheint mir ins Gesicht. Ich versuche, mich auf einem kniehohen Mäuerchen zu entspannen.
Abgerissene Typen mit autoähnlichen Gefährten preschen heran. Aus alten Aktentaschen werden Steuergeräte und andere edle Elektronika hervorgeholt und gleich vor Ort in einen der nicht Mobilen eingebaut. Wohlhabendere Kunden fahren Geländewagen probe.
Zwei Schritte vor mir entfernt brät ein zertretener Hundehaufen in der Sonne, deutlich ist das Profil eines namenlosen Absatzes darin zu erkennen. Ich denke darüber nach, wer wohl hineingetreten sein mag, ob bald wieder einer reintreten wird, als mir zwei Männer bedeuten, meinen Wagen wegzusetzen, weil sie vorbei wollen. Hilflos zucke ich mit den Schultern, während Hände und Augen nach oben weisen. Eine zutiefst italienische Geste, sie verstehen. Bald schiebt mich ein Pulk nach hinten, dann wieder nach vorn, ich könnte mich daran gewöhnen, sehne mich aber trotzdem nach den truppenübungsplatzgroßen Parkplätzen deutscher Autohäuser.
Das Handy meldet sich wieder. Also der Abschleppwagen könnte so gegen 15.00 Uhr da sein. Oh, diese Formulierung treibt mir den Schweiß auf die Stirn: „könnte so gegen...“; heißt dies doch nichts anders als: „auf keinen Fall bis 15.00 Uhr, aber vielleicht heute noch, mit viel Glück“ Ich sacke in mich zusammen. Die Aussicht auf einen erfolgreichen Tag sinken zusehends.
Seitlich von mir hat sich gerade ein Smartfahrer beim Präzisionsrangieren (nie sah ich ähnlich mikrometergenaue Manöver nördlich des Hauptalpenkamms...) die hintere Stoßstange heraus gerissen. Entsetzen in den Gesichtern! Der gerade reparierte Wagen ist nun wieder in den Status eines Unfallfahrzeuges zurückgesunken. Amüsiert und nicht ohne Schadenfreude verfolge ich die gegenseitigen lautstarken Schuldzuweisungen.
Ein vornehm gekleideter Herr fragt mich auf italienisch nach meinen Problemen. Muss der patrone sein, so wie er auftritt, ein etwas ältlicher Berlusconi-Typ. Er versteht englisch und bietet mir an „seinen“ Abschleppwagen („carrozzi“ – langsam hasse ich dieses Wort, es hört sich schon irgendwie vierschrötig an) zu bestellen, der wäre subito da.
Unglück nimm deinen Lauf!
Ich rufe den ADAC an, der erste wirklich folgenschwere Fehler, wie sich bald heraus stellt. „Bitte geben Sie mir Ihre Mitgliedsnummer“, so fangen die Gespräche immer an, dann kommt Beethovens Hymne an die Freude und nach geraumer Weile, in der man Gelegenheit hat, über den Sinn dieser Musikwahl für eine Warteschleife nachzusinnen, die Frage: „Was kann ich für Sie tun?“
Um es abzukürzen, der ADAC-Mann will den Preis der Aktion wissen. Mit dem Handy hetze ich übers Gelände, suche Herrn Berlusconi, finde ihn. „It´s all inclusive with the work“ Also so geht das ja nicht- Nun gut, es werden so um die 100€, ungefähr, er dreht und windet sich wie ein Pillewurm, der auf einen Angelhaken gesteckt wird. Zu teuer- das ADAC-Vertragsfahrzeug kommt billiger, allerdings auch später und bringt den Zeitplan durcheinander. Ich drohe Folgekosten an für den Fall, dass die Reperatur in Arma vor dem Wochenende nicht mehr durchgeführt werden kann. Ich soll später noch mal anrufen- mille grazie. Wenig später ein ADAC-Dame: „Bitte geben Sie mir Ihre Mitgliedesnummer“ Dann wieder Beethovens Hymne, die ironischerweise an die Freude gerichtet ist- „sicher nicht an meine Freude“, kommt mir still in den Sinn. Nach langem zähen Hin- und Her das O.K. des ADAC.
Hinter mir geht eine Alarmanlage los. Niemanden scheint es zu stören, ein Tollhaus. Signore Berlusconi-Imitat verspricht mir seinen Carozzi für 13.30 Uhr während der Mittagspause. Ich bin misstrauisch. Die nächste Stunde ist von verzweifelten Versuchen meinerseits geprägt, einen günstigen Standort für meinen Wagen zu ergattern für den Abschleppvorgang. Ein einziges kleines Fiatchen vor meinem Auto in der Mittagspause abgestellt, und vorbei ist es mit dem Abschleppen.
Um 12.00 Uhr gehe ich einen Cafe trinken, um 13.10 Uhr bin ich wieder zurück und warte auf den Carrozzi. Verdammte Warterei, verdammter carozzi, verdammte Italiener- das ist der Nährboden für privat erworbenen Faschismus, denke ich und muss über mich lächeln.
Alles liegt in friedlicher Ruhe. 13.30 , 14.00, 14.30 Uhr- weit und breit kein carozzi. Um 15.00 Uhr macht XXXAuto Imperia wieder ganz langsam und etwas widerwillig auf. Die Mitarbeiter beobachten mich nur noch aus den Augenwinkeln und weichen meinem Blick aus. Weniger noch, jetzt versteht auch niemand mehr englisch oder französisch. So viel verstehe ich auf meine Nachfragen: „Der Chef hat das wohl organisiert, man weiß nicht, welcher caraozzi kommen soll, der Chef kommt immer so ab 17.00 Uhr, meistens...“
Die kalte Wut kocht in mir hoch. Ich rufe wieder einmal den ADAC an. „Nein;“ schreie ich in den Hörer: „ich will Ihnen nicht meine Mitgliedsnummer geben, jeder im Callcenter muss mich doch nun kennen, ich will auch keine Beethovenmusik, ich hätte jetzt nur noch gerne einen Abschleppwagen.“
Es sei jetzt fast 16.00 Uhr, die Zeit liefe mir weg, ja ich sei selber schuld, aber ich wüsste nicht mehr, was ich tun sollte.
Die Dame ist sehr nett und bittet mich, sie mit einem Mitarbeiter der Werkstatt zu verbinden. Ich hetze wieder übers Gelände, finde einen, reiche ihm mit letzter Kraft mein Handy. Italiener telefonieren gerne, und die Dame am anderen Ende ist dem Angestellten sehr sympathisch. Wenn ich an meine Handyrechnung denke, wird mir schwarz vor Augen. Am Ende des schier endlosen Gesprächs fragt mich der Angestellte milde, so wie sich ein Arzt bei einem Schwerkranken nach dessen Gesundheitszustand erkundigt: „Do you want the car?“Gemeint ist der verdammte Carozzi. „Yes of course“, will ich. Aus meinen Augenwinkeln sehe ich jemanden in mein Auto steigen. Dieser jemand versucht , mein Auto weg zu schieben. Ich laufe hin und brülle ihn auf deutsch aus dem Wagen, schreie meinen ganzen Frust raus. In mein Brüllen hinein klingelt mein Handy und Signora M. vom ADAC wirt mir vor, auf eigene Faust einen Abschleppwagen bestellt zu haben, und mich zudem nicht an Absprachen zu halten. „Sie haben dich reingelegt“, schießt es mir durch den Kopf: „das letzte Gespräch zwischen dem Angestellten und dem ADAC-Callgirl war keineswegs eine Einigung.
In das Gespräch hinein rattert ein wilder Carozzi-Fahrer auf den Hof, so als habe er die ganze Zeit hinter der Bühne auf seinen Einsatz gewartet. Gut gelaunt begrüsst er die anderen- man kennt sich.
Ich bin derweilig immer noch voller Demut am Handy. Ja, ich habe mich reinlegen lassen, man hat uns gegeneinander ausgespielt, es tut mir leid, es ist passiert, ich würde jetzt auch gerne wieder Beethoven hören......
„150€“, höre ich von irgendwo. Ist mir jetzt auch egal. Der Wagen wird fachmännisch aufgeladen und nix wie weg. Vorher entschuldige ich mich allerdings ganz zivilisiert für meinen unkontrollierten Wutanfall. Alle verstehen das, „ja, kein Problem“, Händeschütteln, Harmonie und ab dafür.
Im Abschlepper ist es gemütlich. Ich bekomme diesmal ein Bonbon gegen Halsschmerzen. Am Ende der Fahrt will der Ganove 180€ haben(150€+30€ Steuern) für eine Fahrt, die höchstens 50€ kosten dürfte. Ganz ruhig stelle ich ihm ein Gespräch mit den Carabinieri in Aussicht, und nun reichen auch wieder die vereinbarten 150€.
Der Werkstattmeister in Arma di Taggia ist ein freundlicher junger Mann.
Er rät mir, nach Hause zu fahren und morgen abend anzurufen. Ich will aber nicht, und wir einigen uns darauf, dass ich um 18.00 Uhr noch mal nachfrage. Bis dahin gibt es TV im Showroum dieses etwas repräsentativeren Autohauses. In einer Promishow geht es um Hochzeiten von Filmstars und Mitgliedern internationaler Adelshäuser. Müde sehe ich großformatige Aufnahmen praller Dekolltes und scharfgestellter Strumpfbandränder. Wie aufregend.
Ich wage einen verbotenen Blick in die Werkstatt und sehe meinen Vectra einsam und verlassen in einer Ecke stehen. Die Motorhaube ragt aber immerhin dramatisch in die Höhe. Der Werkstattmeister entschuldigt sich. Er habe einen Kunden, dem er sein Auto für heute Abend versprochen habe usw. usw. usw. Kurz vor Schluss versuchen 2 Mechaniker das, was sie für ihr Bestes halten. Mit einem mobilen Diagnosegerät ziehen sie Vergleichsdaten aus einem anderen Gebrauchtwagen, der eine ähnlich, wenn auch nicht die gleiche Motorisierung wie meiner hat.
Um 18.30 Uhr das Ergebnis in englisch: „We don´t know the mistake. I can not promise you, that we can find the mistake tomorrow.”
So what, ich habe fertig!
In einem Tabacci in Arma di Taggia kaufe ich ein Bus-Ticket nach St. Lorenzo und lerne Monir kennen, ein 27-jähriger Algerier, der seit 14 Jahren illegal in Ligurien lebt. Er hat den selben Weg wie ich, und ich lade ihn zu einem Kaffee ein. Es werden 2 Kaffees, mehrere Zigaretten und wir verpassen den Bus. Mit hochgeschlagenen Mantelkrägen gehen wir nebeneinander, zwei Fremde, die sich an einer Bushalte kennen gelernt haben. Als wir schließlich im Bus nebeneinander sitzen, fragt er mich hastig und undeutlich, ob ich 5€ entbehren kann. Ich kann, und er schämt sich offensichtlich. Uns ist die Situation beiden peinlich.
Zehn Minuten später gebe ich ihm die Hand. „Bonne chance, mon ami“, höre ich mich sagen, und ich meine es ehrlich.
Als ich aussteige blickt er starr und versteinert gerade aus, blickt sich nicht um. Irgend etwas Sentimentales steigt in mir hoch. Nachdenklich gehe ich ins Dunkle, mache mich auf den Weg nach oben, nachCosta Rainaira. Auf halbem Weg nimmt mich ein freundlicher Italiener in seinem Wagen mit hoch „Buona Sera, arrividerci“, ein netter Mensch denke ich, als ich die steile Gasse hoch gehe.
Nein, sie sind nicht alle schlecht, nicht hier, nicht in Algerien, nicht in Brasilien, auch nicht in Deutschland, nur anders.
Anmerkung:
Der Verfasser spricht nicht italienisch. Mögliche Fehler der aufgenommenen Vokabeln möge der Leser bitte entschuldigen.