P-Fundamentalist
P-Fundamentalist
Haben Marienkäfer Pinwände? Was für eine Art von Frage wird mir in diesem Moment gestellt? Lohnt es sich dafür meine Augen zu öffnen, zu riskieren, dass mich die Helligkeit der Sonne blendet? Und vor allem, dass ich aus meinem Tagtraum rausfliege? Bin ich schon, genau diese Gedanken beweisen es. Jetzt kann ich auch antworten. Nein! Wie organisieren sie dann ihre Tage? Nächste Frage. Gut, einmal aufrichten, einen Blick rüberwerfen zu meinem, ich sehe dich nicht oft, trotzdem guter Freund. Wie beruhigend, ich sehe ein halbverschlucktes Grinsen. Du willst über Organisation reden oder wie? Mhm, hast du dich schon gefragt, wie ich mein Leben manage, so irgendwann einmal? Nein! Ich lasse mich wieder ins Gras zurückfallen ohne aufzupassen, ob der Marienkäfer zwischenzeitlich hinter mich gekrabbelt ist und jetzt unter mir liegt. Du hast dir also noch nie die Frage gestellt, warum wir uns nie in halbwegs regelmässigen Abständen sehen. Dass so manches Mal Monate dazwischen liegen und es für uns genau vier gemeinsame Aktivitäten gibt. Im Gras liegen schon eingeschlossen. Nein. Ich denke auch jetzt gerade an den Marienkäfer. Interessiert daran? Obwohl ich schweigen bevorzugen würde, und wieder in meinen Tagtraum zurück möchte, wo sich soeben mein Problem der unerledigten Einkäufe von selbst löst. Den Einkaufskörben kleine Beinchen wachsen, wie Marienkäferfüsschen. Sie zu laufen beginnen und mir meinen Kram nach Hause bringen, sich selber in den Kühlschrank einräumen. Dann mixen sich die Erdbeeren mit der Milch, der Traum von Erdbeershake plaziert sich dann neben mich ins Gras. Ja, leg los, erzähl mal. Die Pinwand ist mein Leben, zwischen uns findet täglich eine Konversation statt, so eine Art gegenseitige Beeinflussung und Inspiration. Ich rede mit ihr, hege und pflege sie und als Gegengeschenk zeigt sie mir meinen Weg. Mein ganzes Leben existiert auf einer Pinwand. Okay, grenzen wir etwas ein, alle Aktivitäten gehen von meiner Pinwand aus. Lebe unter dem Diktat einer Pinwand! Obwohl ich seit der Frage mit dem Marienkäfer wusste, es geht für mich ohnehin nur darum, eine ZuhörerInnenrolle einzunehmen, kann ich nicht anders. Was? Du bist ein Anarchist, komm runter! Nein, du liegst völlig falsch. Du liegst schon richtig, wenn du nicht auf dem Marienkäfer liegst, aber ansonsten falsch. Derartig daneben, als wenn Borkenkäfer auf einem Metallgerüst herumspringen und schreien hier ist unser neues zu Hause. Ich halte wieder meine Klappe, sonst erfahre ich nie, warum seine Tage so wild, bunt gemixt sind und ohne System ablaufen. Ich habe ein Zimmer, in dem steht lediglich ein Einbauschrank, der Rest ist eine Pinwand. Ein Raum mit einem Altar, gespickt mit Post its. Mein Tempel sozusagen, mein Leben, mein Antrieb. Kurz gesagt, meine Lebensphilosophie, meine Religion, die mich Tag für Tag leitet. Mich überhaupt zum Aufstehen zwingt. Religion, Philosophie verläufts du dich nicht etwas in der Thematik? Ich dachte wir reden von Time Mangegement? Du kannst nicht einfach nur so den Mund halten und mich erzählen lassen? Ich springe auf und husche weg bei der nächsten Unterbrechung! Hätte es keine Unterbrechung meines Tagtraumes gegeben, hätte ich mich nicht aufgerichtet, hätte sich der dumme Marienkäfer nicht verlaufen. Er wäre jetzt vielleicht nicht tot! Ist er denn tot? Liegt er denn unter mir? Fühlen kann ich ihn nicht. Das ganze sieht so aus, Religion, Philosphie deswegen, weil ich nicht Hand anlege an meinem Schicksal, mein Leben soll in dieser Reihenfolge geschehen. Der Wind, die Luftzirkulation, das Himmlische wie ich es nenne, gibt in meinem Leben den Ton an. Töne angeben, wie mensch so schön sagt. Mal mehr, mal weniger, der Wind bestimmt sein Tempo alleine. Jeder einzelne Schritt den ich mache, nicht im Sinne von Fortbewegen versteht sich, steht auf einem bunten Post it. Eine Schande was mit den vielen Libro Filialen passierte, schade, wirklich furchtbar, der billig Lieferant an bunten Post its. Gut, dass ich ihn jetzt nicht vom Thema abbringe. Ob der Marienkäfer arm und zerquetscht unter meinem Körper liegt? Habe ich nun eine kleine Marienkäferseele ausgelöscht? Ins Kino gehen, Kohle verdienen, Einkauf erledigen, Schwimmen, Mathias treffen, Zeichnen, im Gras liegen, Schildkröte kaufen, ein Buch lesen, Kiffen, Saufen, Photographieren, Elke besuchen, Telefonieren, zu einem Konzert gehen, mein Rad ausführen, Ameisen beobachten, alles, alles, alles und denke nicht das alles, alles war. Seit ich vierzehn bin um genau zu sein, steht jede einzelne Beschäftigung auf einem Post it. Leicht an die Wände geheftet, der heute heilige Raum. Eine der besten Charakteristika meines Systems, wollen wir es nicht mehr nur Lebensphilosophie oder Religion nennen, es ist ausbaufähig. War es immer, wird es immer sein. Mein Leben ändert sich auch weiterhin, trotz Diktat, trotz Planung, die ursprünglich nie eine sein sollte. Zurück zum Kosmos, zurück zur Natur und gleichzeitig zur Praxis. Der kleine Käfer mit seinen vier punkten am Rücken, die wie ausgemessen, perfekt synchron, fast wie aufgeklebt, hatte wahrscheinlich auch einen Plan. War bestimmt auf dem Weg um irgend etwas zu erledigen, seinen Freund oder Freundin besuchen, einfach nur die Wiese genießen, vielleicht auch Besorgungen zu erledigen. Aber mit dem Tod hat er nicht gerechnet. Sicher nicht, viel sicherer, dass er sich sicher gefühlt hat. sich, sicher, sicherlich, Sicherheit. Ich beginne rückwärts. Nicht vom ersten Abend an als ich vierzehn war. Nehmen wir gestern. In den Sinn kam mir, wie wäre es, als Hochhaus verkleidet flüchtend durch die Stadt zu laufen. Cooler Aktionismus dachte ich mir nebenbei. Schön, dass du mich nicht mehr unterbrichst. Dass du nur noch grinst. Okay, um beim Thema zu bleiben ohne die Hochhausgeschichte zu vertiefen und auszubreiten, wobei genial wäre es schon. Es läuft so, nicht das Hochhaus, dass ich mein gewünschtes Vorhaben. Warte. Zu streng, nennen wir es Geistesblitz oder genialst überlegte Vision auf ein Post it schreibe und gleich an die Wand hefte. Sehr leicht, natürlich erfordert das Fingerspitzengefühl. Das versteht sich von selbst. Auf diesem Weg sammeln sich alle Aktivitäten, mein ganzes Tun an den Wänden und Schrank. Je nachdem wann ich denke, mein Tag beginnt, das kann jede Uhrzeit sein, hängt ja vom Vortag ab, betrete ich die Halle meiner zukünftigen Stunden. Ich gehe zum Fenster, es ist eine Glasfront und öffne sie. So und nun der Wind. Ich lasse den Wind, mein Grossmutter nannte ihn schon himmlisches Kind, in den Raum strömen. Ich unterstütze die freie Urkraft schon einmal mit einem Ventilator. Aber es bleibt Wind, Wind ist Wind. Was soll dein Grinsen schon wieder. Höre auf damit! Okay! Über Lebenskonzepte lacht mensch nicht. Kritik ja, Lachen nein! Wo war ich? Der Wind strömt, fließt durch den Raum, berührt die bunten Altarwände und pickt sich vereinzelt ein Post it. Es flattert zu Boden oder es wird auch schon mal gegen eine andere Wand geklatscht und oder reißt ein anderes mit sich. Selten passiert es, dass eine natürliche Auslese geschieht. Dass eine Aufgabe gar nicht für mich bestimmt ist und durch das Fenster davonfliegt, zurück ins Universum sozusagen. Ich sammle die windgetragenen Botschaften und Aufgaben auf und ein, picke ein paar wieder zurück. Mein Tag hat auch nur 24 Stunden und voila. Happy end, ein erfüllter Tag steht mir bevor. Dinge, die ich machen will und wollte halte ich in meinen Händen. Das ist der Vorteil. Prinzipiell schreibe ich doch Beschäftigungen auf die kleinen Zettel, die ich immer schon machen wollte. Meine Religion stellt mir somit keine Aufgaben, die ich nie wollte. Oder die mir unangenehm wären und welche kann das schon von sich behaupten? Auf diesem Weg ist es am einfachsten zu verschmerzen, dass ich unter dem Diktat meiner Pinwand lebe. Ich muss machen, was ich einmal wollte. Ich darf machen, was ich will. So lebe ich, nicht anders, bete meine Pinwand an. Ich bin P-Fundamentalist. Möchtest du dazu etwas sagen? Ein kleines Statement oder so. Du bist Anarchist! Einer, der es doch nicht aushält ein solcher zu sein. Du verrückter Spinner. Glaubst du, dass ich einen Marienkäfer ermordet habe?