Mitglied
- Beitritt
- 01.04.2009
- Beiträge
- 19
Orson und das weisse Monster
Weit, weit weg von hier, in einem Land, wo die Blumen das ganze Jahr blühen und die Sonne immer scheint, lebte Orson. Orson war ein kleiner brauner Teddybär, der gerne den ganzen Tag auf Bäumen rumkletterte oder spazieren ging. Am Abend sass er am allerliebsten vor seiner Höhle, genoss die Aussicht und verspeiste Honig. Doch abgesehen von den Bienen, die ihm den Honig brachten, hatte er keine Freunde. Deshalb war er oft allein unterwegs, doch er wünschte sich nichts sehnlicher als jemanden zu haben, mit dem er seinen Honig teilen könnte.
Eines Tages, als Orson eben eine Blumenwiese durchquerte, kam die Biene Bluma rasant angeflogen und summte ausser Atem: „Orson! Orson! Es ist etwas Schreckliches passiert! Der Bienenstock... weg!... Entführt!...“
Orson versuchte das kleine Kerlchen zu beruhigen: „ Komm, setz dich zuerst mal.“ Bluma liess sich erschöpft auf Orsons Pfote nieder. „Also, was genau ist passiert?“, fragte Orson.
Aufgeregt begann Bluma zu berichten: „Ich hatte eben eine wunderschöne, nektarreiche Blume gefunden, als ich das wütende und angsterfüllte Summen meines Stammes in der Ferne hörte. Natürlich flog ich sofort zu unserem Bienenstock zurück und sah gerade noch, wie ein grosses weisses Monster meine Familie im Bienenstock einschloss und sich dann mitsamt meinem Zuhause davon machte!“
„Nein, das ist ja furchtbar! Wohin ist es gelaufen?“, fragte Orson.
„Keine Ahnung, ich hab es aus den Augen verloren. Aber es ist Richtung Norden davongerannt. Bitte, bitte hilf mir meine Familie wieder zu finden!“
Darüber musste Orson gar nicht erst nachdenken. Natürlich würde er Bluma helfen, schliesslich waren die Bienen seine einzigen Freunde! „Wir können sofort aufbrechen“, meinte Orson.
Und so eilten Orson und Bluma Richtung Norden um ihre Freunde aufzuspüren und zu retten.
Der Weg führte die zwei ungleichen Freunde in einen dunklen, kalten Wald. Orson und Bluma war es unheimlich zwischen den grossen Bäumen und bald hatten sie das Gefühl, von allen Seiten beobachtet zu werden. Angst stieg in den beiden hoch und sie gingen rasch weiter. Aber bald wussten sie nicht mehr, woher sie gekommen waren und wohin sie gehen sollten. Sie hatten sich verirrt!
Doch da! Was war das für ein Geräusch? Sie drehten sich um und blickten direkt in zwei gefährlich leuchtende Augen. Orson presste sich ängstlich an einen Baum, während die feurigen Augen immer näher kamen. Bluma versteckte sich zitternd hinter seinem Ohr. Die beiden wagten es nicht sich zu bewegen. Orson schloss die Augen – gleich würden sie gefressen werden!
Doch nichts geschah. Vorsichtig öffnete Orson ein Auge und erkannte genau vor sich zwei leuchtende Würmchen. Erleichtert atmete er auf.
Da begann das eine schillernde Kerlchen zu sprechen: „Hallo, ich bin Laro das Glühwürmchen und das ist mein Bruder Liro. Und wer seid ihr?“
„Mein Name ist Orson und das ist Bluma. Ihr habt uns einen schönen Schrecken eingejagt! Eigentlich seid ihr zu beneiden: Ihr tragt immer Licht mit euch und braucht euch deshalb im Dunkeln nicht zu fürchten. Ich wünschte, wir hätten auch so ein Licht, dann hätten wir uns wohl nicht verlaufen.“
Die Glühwürmchen kicherten. „Warum seid ihr denn in den Dunkelwald gekommen?“, wollte Liro wissen.
Und so erzählte Orson Liro und Laro, was passiert war.
„Ein weisses Monster? Ich glaube, das haben wir gesehen. Es rannte zielstrebig Richtung Norden durch den Wald und trug einen Bienenstock mit!“, rief Laro.
„Das muss es gewesen sein!“, ereiferte sich Bluma, „Könnt ihr uns vielleicht den Weg bis dort, wo das Monster den Wald verlassen hat, weisen?“
Laro und Liro halfen den beiden Freunden gern. Orson und Bluma brauchten nur dem Licht der Glühwürmchen zu folgen und so fanden sie schliesslich den Weg aus der Dunkelheit hinaus.
Am Waldrand hiess es Abschied nehmen, denn die beiden Glühwürmchen verliessen den Dunkelwald nie. Orson und Bluma bedankten sich höflich und zogen weiter.
Nach einigen Stunden kamen Orson und Bluma ans Ufer eines riesigen tiefblauen Sees. Wo war das Monster bloss hingegangen? Ratlos standen die Freunde am Seeufer und wussten nicht, ob sie links oder rechts um den See herum gehen sollten. Oder war das Monster womöglich über den See geschwommen?
Plötzlich tauchte etwas Grosses, Glitzerndes aus dem Wasser auf.
„Hilfe, ein Seeungeheuer!“, schrie Bluma entsetzt und versteckte sich sofort wieder hinter Orsons Ohr.
Aber diesmal blieb Orson ganz ruhig: „Ach was, das ist doch nur ein grosser Fisch.“
„Hallo, ich bin Meryl, die Tochter des Königs vom Blausee. Euch hab ich hier noch nie gesehen. Wer seid ihr und was führt euch an unseren See?“, blubberte die Fischdame.
Orson und Bluma verneigten sich vor der Prinzessin des Blausees und stellten sich ihr höflich vor. Und ein weiteres Mal erzählte Orson, weshalb er und Bluma das Sonnenland verlassen hatten und nordwärts zogen.
„Ein weisses Monster habe ich vor Wochen am Nordufer des Sees beim Bergland beobachtet, wie es sich ein Floss baute. Es hat damit vor einem Tag den Blausee bis hierher überquert und ist vor etwa einer Stunde mit etwas Komischem in der Pranke mit dem Floss ins Bergland zurück gerudert.“
Also wohnte das Monster am anderen Ufer, in den Berglanden. Aber wie sollten Orson und Bluma den See überqueren? Dem See entlang zu gehen bis auf die andere Seite würde viel zu lange dauern.
„Kannst du uns vielleicht ein Floss besorgen?“, fragte Orson Meryl. Doch Meryl verneinte bedauernd. „Dann müssen wir uns wohl selber ein Floss bauen“, meinte Orson.
Aber Bluma jammerte: „Bis wir ein Floss gebaut haben, hat das Monster meine Familie schon längst gefressen!“
Da kam Orson eine andere Idee: „Bluma, du könntest doch über den See fliegen!“
Aber Bluma hatte Angst vor dem vielen Wasser; sie würde es vielleicht nicht schaffen den ganzen See zu überfliegen. „Ausserdem könnte ich das Monster allein nicht bezwingen, es würde mich bestimmt totschlagen“, fügte Bluma hinzu. Da konnte etwas Wahres dran sein.
Hoffnungslos und traurig liessen die beiden Freunde ihre Köpfe hängen.
Meryl, welche die ganze Zeit zugehört hatte, wollte den beiden helfen. „Wartet hier, mir ist etwas eingefallen“, mit diesen Worten tauchte sie unter und kam wenige Minuten später mit einem Regenschirm an die Oberfläche zurück. „Den fand ich vor einer Woche auf dem Grund des Blausees. Ich kann ihn zu nichts gebrauchen, aber vielleicht könnt ihr etwas damit anfangen“, meinte Meryl.
Orson nahm den Schirm entgegen und spannte ihn auf. Natürlich! Wenn sie den Schirm verkehrt herum auf das Wasser setzten, könnte er als Boot dienen. Gedacht – getan. Bluma war von dem wackeligen Boot nicht gerade begeistert; sie liess sich nur widerwillig darauf nieder. Meryl bot den Freunden an, ihr Gefährt über den See ans andere Ufer zu schubsen. Orson und Bluma nahmen den Vorschlag dankend an und begaben sich auf die Schaukelfahrt.
Heil am anderen Ufer angekommen, bedankten sich die beiden Freunde herzlich bei Meryl und verabschiedeten sich von ihr.
Orson und Bluma waren nun im Bergland und mussten viele steinige Hänge überwinden. Das Klettern war sehr anstrengend und mitunter auch gefährlich.
Als Orson und Bluma eine Verschnaufpause einlegten, begann es zu schneien. Noch nie zuvor hatten die beiden Schnee gesehen. Zunächst waren sie entzückt von den tanzenden weissen Flocken. Schon bald sah die ganze Landschaft aus wie mit Puderzucker bestäubt. Doch dann fielen die Schneeflocken immer dichter, es kam Wind auf und es entwickelte sich ein regelrechter Schneesturm. Die beiden Freunde froren entsetzlich und suchten in einer Höhle Zuflucht. Vor Kälte zitternd kuschelten sie sich aneinander. So ein Wetter hatten sie noch nie erlebt!
Plötzlich hörten sie Geräusche. Sie waren nicht allein in dieser Höhle! Ob da wohl bereits jemand wohnte? Neugierig tasteten sich Orson und Bluma tiefer in die Höhle. Jetzt hörten sie jemanden genüsslich schmatzen. Etwas ängstlich spähten Orson und Bluma hinter einen Felsvorsprung. Da sass das weisse Monster! Und es schmauste genüsslich Honig. Neben ihm lag der Bienenstock, Blumas Zuhause!
Als Orson und Bluma das verzweifelte Summen der Bienenfamilie hörten, verdrängten sie die Angst vor dem weissen Monster. Mutig sprangen die beiden hinter der Felswand hervor, um das Monster zu erschrecken.
„Stopp du Monster! Lass meine Bienen-Freunde in Ruhe!“, knurrte Orson und zeigte dem Monster seine Krallen und Zähne. Bluma summte wütend dazu.
Tatsächlich hatten es die beiden Freunde geschafft dem Monster Furcht einzuflössen! Es verkroch sich augenblicklich verängstigt in die hinterste dunkle Ecke der Höhle. Den Bienenstock hatte es vor Schreck liegengelassen. Er war mit einem Stein verstopft, so dass die Bienen nicht wegfliegen konnten. Nun befreite Orson Blumas Familie aus ihrem Gefängnis.
Das gab ein frohes Wiedersehen! Bluma und Orson wurden umschwärmt und als Retter gefeiert. Alle waren glücklich – alle bis auf einen: Aus der hintersten Ecke der Höhle hörte man ein herzerweichendes Schluchzen. War das möglich? Das Monster weinte!
Vorsichtig ging Orson näher zu ihm. Da fing es an zu zittern und stotterte: „Ich wollte nicht... Ich meine, ich wusste nicht, dass das deine Bienen-Freunde sind... Es tut mir Leid! Bitte tu mir nichts!“
Das weisse Monster hatte eine helle Stimme und klang überhaupt nicht wie ein Monster. Beim genauen Hinsehen konnte Orson auch gar nichts Böses oder Gefährliches an ihm erkennen. Viel mehr sah es genau so aus wie er, nur nicht braun, sondern weiss.
Orson konnte kaum glauben was er sah und sagte sanft: „Keine Angst, ich tue dir nichts. Ich bin Orson, der Teddybär vom Sonnenland. Wer bist denn du?“
„Mein Name ist Melinda und ihr seid hier in meiner Höhle.“, sagte die weisse Teddybärendame. Sie hatte Vertrauen gefasst und kroch aus ihrem dunklen Versteck hervor. „Ich wollte deinen Freunden nicht wehtun, wirklich nicht! Es ist nur so, dass ich schon sehr lange immer allein bin – seit meine Mutter gestorben ist. Sie hatte mir einst erzählt, dass es in einem fernen Land Bienenvölker gibt, die feinen, süssen Honig produzieren, und da dachte ich mir, ich suche mir einen solchen Bienenstock und nehme ihn mit zu mir, so könnte ich immer naschen und die Bienen könnten mir Gesellschaft leisten. Aber deine Freunde hier wollten immer abhauen, darum habe ich den Ausgang verstopft. Ich dachte, irgendwann werden sie sich schon an mich gewöhnen.“
Als Orson Melindas Geschichte hörte, bekam er Mitleid mit ihr. Er erklärte ihr, dass Bienen in dieser Kälte nicht überleben können und nur Honig produzieren, wenn auch Blumen in der Nähe blühen. Aber er hatte eine Idee: Er war ja eigentlich auch allein – ausser den Bienen hatte er niemanden. Er fragte die unglückliche weisse Plüschbärin, ob sie nicht mit ihm und den Bienen ins Sonnenland umziehen möchte.
„Oh ja, das wäre toll! Das heisst, nur wenn deine Bienenfreunde einverstanden sind...“, antwortete Melinda. Die Bienen hatten nichts dagegen; sie wollten nur möglichst schnell ins warme Sonnenland zurückkehren. Und so reisten Orson, Melinda und das Bienenvolk mit Hilfe von Meryl, Liro und Laro ins Sonnenland. Dort sieht man heute noch häufig zwei glückliche Teddybären auf Bäume klettern, herumtollen und Abends gemütlich vor der Höhle Honig schlecken, umschwärmt von ihren vielen kleinen Freunden, den Bienen.