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Orientierungslos

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07.10.2007
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Orientierungslos

Neue Version (17.10.2010):

System-Neustart im Gange.
Input online. Audioinput erkannt, erscheint auf allen Bildschirmen.
»Verstehst du mich?«, frage ich die Maschine.
Stimmenerkennung: Dr. Frank Robert Turco. Zugriff gewährt.
Lade Systemdaten. Fehler: Datenkorruption. Erinnerungslogs unvollständig.
»Ignoriere das«, befehle ich. »Du brauchst keine Erinnerungslogs. Nur Primärfunktionen. Gib mir eine Positionspeilung.«
Positionspeilung im Gange… Warte auf Peilungssignal… Kein Signal erhalten.
»Bemüh dich nicht.« Ich sinke zerknirscht in den Rechten der beiden Pilotensitze. Ich sehe mich um, meine Augen schmerzen. Das kompakte Cockpit bietet ringsherum den gleichen Anblick; ich sitze verloren inmitten der Sterne. Alles besteht aus Smartwalls - ich bin von einem einzigen holographischen Sternenpanorama umgeben, das nur von einigen Metallträgern unterbrochen wird. Doch sie erwecken keine Ehrfurcht. Vor den Sternen schweben die Anzeigen des NeuroNets im Raum, beide Ebenen Lügen ein und desselben fehlerhaften Systems.
»Überprüfe unsere Kursdaten.«
Aus dem Nichts erscheint vor mir ein leuchtendes Punktmuster, in der Mitte ein Pfeil mit dem Namen unseres Schiffes.
Die Riley Bharat PX-2 ‚Hekate‘ bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit von 0,01c in unbekannte Richtung.
»Das tun wir nun schon seit dem letzten Überlichtsprung vor beinahe einer Woche. Wohin fliegen wir?«
Keine Daten verfügbar.
»Gib mir die Position der Erde.«
Nicht möglich, unzureichende Daten.
»Wir sind verschollen, verstehst du das?«
Erwarte Befehle.
Ich hoffe und bange mit meinen nächsten Worten: »Trianguliere unsere Position aus der Stellaren Datenbank«, befehle ich.
Autorisierung des Kommandanten erforderlich. Blanker Hohn.
»Ich bin der zweite Kommandant«, entgegne ich.
Wo ist der erste Kommandant?
»Sag du es mir.«
Logs unvollständig. Befehl nicht ausführbar.

Wie zuvor. Meine Mühen vergebens. Ich habe das komplette System zurückgesetzt, ohne den Fehler zu beheben. Vergeudete Zeit, Zeit die wir nicht haben, die uns näher an den Tod bringt. Wir hatten nur einen bescheidenen Testflug geplant, eine Sache von Stunden, keinesfalls Tage. Es war kein nennenswerten Proviant an Bord, außer einem Dutzend scheußlicher Energieriegeln, zwei Wasserkanistern; am zweiten Tag hatten wir sie aufgebraucht. Meine Nerven… am Ende; Wut, Enttäuschung darüber, dem Problem nicht Herr zu werden.
Ich erhebe mich und verlasse das Cockpit… wundere mich, wo du bist, Ben, während ich die Leiter zum Mitteldeck hinabsteige. Das Schiff ist winzig, drei Decks, ungeeignet für ein Versteckspiel. Korridor? Niemand zu sehen. Luftschleuse? Es gibt nur noch einen Sanitärbereich und die Crewkabinen, womit eine bessere Abstellkammer mit Zweier-Stockbett gemeint ist. Da entdecke ich dich. Du sprichst nicht besonders laut, aber nachdrücklich. Nicht mit mir, mit einem Mem. Ich öffne die Tür ein Stück. Wie überall im Schiff fungieren sie im Notfall auch als Druckschleuse, sind entsprechend dick und unmöglich leise zu öffnen. Doch du bemerkst nichts. Ich beobachte wie du mit einer Person sprichst, die nur du siehst, die nur durch die künstlichen Spiegelneuronen in deinem Gehirn existiert.
»Ich hätte mich viel früher entschuldigen müssen«, meinst du sichtlich gerührt. »Ich war ein Dickkopf.« Eine Pause. »Ja, das hast du von mir. Es tut mir leid«. Deine Stimme bebt dabei.
Wir haben uns nie ausgiebig über Privates unterhalten. Du hast Frau und zwei Kinder, das weiß ich. Dass auch du deine Probleme hast, nicht.
Dann bemerkst du mich, siehst mich an. Du scheinst verändert.
»Darf ich fragen, mit wem du gesprochen hast?«, erkundige ich mich.
»Mit meiner Tochter. Falls wir das ganze hier nicht überleben.« Du lässt deinen Kopf sinken.
»Falls wir das nicht überleben, wird sie es auch nie erfahren.« Die Worte eines Pessimisten.
Du schweigst einen Moment. »Egal«, folgt knapp. »Sie weiß es.«
»Weil ihr Mem das sagt? Und wie alt ist ihre Theory of Mind?« Zu viel technisches Wissen macht vorsichtig. »Keine Simulation ist perfekt. Die Lücken füllen sich mit Wunschdenken«, fahre ich fort. Dir alles versprechen, was du hören willst und dann nutzloses Zeug verkaufen, darin sind Mems gut, aber das ist nicht, wofür man sie erfunden hat.
»Ich wollte sie einfach ein letztes Mal sprechen.« Du machst eine kurze Pause, dann fragst du mich ganz ernst: »Gibt es niemanden, bei dem du dich verabschieden willst?«
Ich denke über eine Antwort nach… »Nicht, wenn ich es vermeiden kann.« Genug davon, konzentrier dich auf das Problem: »Es funktioniert nicht wie geplant. Das NeuroNet erwartet deine Autorisierung«, gestehe ich. Klar Denken fällt mir schwer. Ich bin müde, nach Stunden der Arbeit an den Computersystemen im Unterdeck.
»Ich war nicht damit einverstanden, das System zurückzusetzen«, konterst du.
»Ich weiß«, äußere ich resigniert
Wir begeben uns wieder in das Cockpit, die Höhle des elektronischen Löwen. Du schnappst dir ein Paper, setzt dich und tippst eilig Befehle ein. Ich stelle mich hinter dich, beobachtend, doch in Wahrheit unaufmerksam. Erschöpft. Am Ende meines Lateins und meiner Kräfte.
»Ich bekomme auch keinen Zugriff«, erklärst du mir. »Das NeuroNet erkennt mich nicht.«
Ich nahm im zweiten Sitz Platz und wandte mich an die Maschine, versuchte einen Befehl, den es verstehen sollte: »Definiere Ben!«
Dr. Kazam Ben El-Sahir ist der Missionsleiter. Geboren 12.08.2124 in Südafrika, FTL-Ingenieur, Leiter der Forschungs-Abteilung der Riley-Corporation und des Hekate-Projekts.
»Wie ist sein Status?«, hake ich nach.
Die Antwort kommt unerwartet: Nicht an Bord. Weiterer Status: Unbekannt.
»Das NeuroNet will uns nicht einmal mehr erkennen«, rege ich mich auf.
Du versuchst es auf deine Weise: »Nenne das Missionsprofil«
Das Ziel des Hekate-Projekts ist die Konstruktion eines neuartigen, lernfähigen Navigations-NeuroNets, das aus einer Datenbank mit Daten von 1784 Überlichtsprüngen eigenständig optimale Algorithmen zur Sprungberechnung ableiten soll.
Praktische Ergebnisse blieben hinter den Erwartungen aus den Simulationen zurück.
Dies ist der dritte Erprobungsflug: Kommandanten sind Dr. Kazam Ben El-Sahir, Chef-Ingenieur und Dr. Frank Robert Turco, Chef-Programmierer. Der Testflug begann am 28.03.2171 von der Neptun Orbital-Station 3 aus. Sprungziel: Das Tau-Ceti Sternensystem.
»Wären wir auch nur halbwegs in der Nähe des Tau-Ceti-Systems«, ich muss Luft holen, »dann müssten wir Signale von mehreren Navigationsbojen auffangen.«
Die Bojen bewegen sich. Sie alle entfernen sich auf vorgegebenen Bahnen von der Erde und erschließen so mit der Zeit weitere Sternensysteme für Überlichtsprünge. Erst das Netzwerk der Navigationsbojen bildet den »bekannten Raum«.
Ich werde aggressiv: »Deine Berechnungen haben uns ins Nirgendwo katapultiert.« Warum gebe ich einem Computer die Schuld und nicht mir?
Die Selbstdiagnose zeigt keine Fehler. Ich operiere innerhalb gültiger Parameter.
Du bleibst gelassen, erkundigst dich einfach nur: »Welche Parameter?«
Ursprüngliche Wahrscheinlichkeit, dass die Crew zu Schaden kommt: 27%.

Ich kann nicht fassen, was ich lese.
»Ich brauche die Logs«, erklärst du mir kühl.
»Wozu?«, frage ich mich.
»Das NeuroNet hat uns eben einen seiner internen Parameter verraten. Den kann ich durch das Programm verfolgen.«
»Du willst wissen, wann uns die Maschine zum Tode verurteilt hat?«, kommentierte ich deinen Plan sarkastisch.
Du schaust mich entschlossen an: »Da haben wir alle unseren Beitrag zu geleistet, findest du nicht?« Touché.
»Das konnte ich doch wirklich nicht ahnen!«, protestiere ich.
»Nein, das will ich auch gar nicht behaupten.«
Ich habe nicht herausfinden können, weshalb das System schlechtere Ergebnisse erzielte als in den Simulationen. Bald wäre das Fingerzeigen losgegangen. Ja, warum nicht einfach nur dem NeuroNet vormachen, es wäre eine Simulationen und schauen was passiert?
Warum nicht? Weil unsere Schöpfung den Unterschied zu gut verstanden hatte. In einer Simulation kannte sie keine Rücksicht auf menschliche Verluste. Das Problem, der hemmende Faktor, war die Besatzung.
»Sag mir einfach, wie ich an die Logs komme.«
»Die Daten sind in einem seperaten Backup. Ich halte es für besser, das NeuroNet hat keinen Zugriff mehr.«
»Frank, bitte. Ich möchte den kompletten Ablauf rekonstruieren.«
Ich gebe dir nach, gehe aufs Unterdeck um die Daten freizugeben. Als ich wieder ins Cockpit zurückkehre, knistert die Luft wie von einer elektrischen Ladung. Ein Hologramm läuft im Raum, ich sehe Ben und mich, festgezurrt in den Pilotensitzen.
Du stehst daneben und beobachtest die Projektionen.
»Warum schaust du dir die Logs an?«, frage ich mich.
»Das NeuroNet lässt sie laufen, ich kann nichts dagegen machen.«
Ich sehe genauer hin, doch ich kann mich kaum in meinem Ebenbild wiedererkennen: Mein Hologramm ist 29 Jahre jung, charismatisch, entschlossen, erfolgshungrig. Ich bin völlig ausgezehrt, fühle mich fremd, als wäre alles schon verloren.
Dich erkenne ich wieder. Du bist der Ältere, im Hologramm wie hier, ernst und nachdenklich. Ein Vorbild, dessen Vertrauen ich verloren habe.

»Freigabe erteilt«, teilte uns die Leitstelle per Funk mit.
»Starte den Countdown«, befahl Ben.
Vorbereiten zum Sprung erschien auf dem Display, darunter eine Zeitanzeige, die von 20:000 Sekunden an herunter zu zählen begann. Das gemusterte Schwarz der Sternenprojektion verschwand und stattdessen erschienen blanke Wände im Kommandobereich. Weitere Systeme wurden zur Sicherheit heruntergefahren.
»Viel Erfolg. Wir drücken die Daumen«, verkündete ein Techniker der Orbital-Station, bevor die Meldung Kommunikationssysteme deaktiviert erschien.
16:798s: Überlichtsprünge gehörten für Ben und mich zur Gewohnheiten. Ein Respekt davor blieb. Und dieses Mal hatten wir unsere eigenen Finger im Spiel.
11:334
Ich konzentrierte mich.
9:293
Auch nach hundert Sprüngen versuchte ich noch immer, den genauen Moment zu fassen, an dem der Übergang stattfand.
Vergeblich.
Sprung abgeschlossen, blinkte in übergroßen Buchstaben auf dem Schirm auf. Es geschah einfach. Manche behaupteten, der menschliche Geist könne gar nicht verarbeiten, wie sich die Raumzeit krümme. Das Gehirn würde den Übergang zum eigenen Schutz vergessen, sonst würde man verrückt werden. Natürlich lag es am quantenmechanischen Kollaps der Wellenfunktionen - aber das hörte sich weniger poetisch an.

Mein Kopf fühlt sich dumpf an, gequält.
»Warum zeigst du uns das?«, will ich vom NeuroNet wissen.
Relevante Daten. Interaktion der Crew untereinander unterschätzt. Korrigierte Wahrscheinlichkeit, dass ein Crewmitglied zu Tode kommt: 56%.
Das Atmen fällt mir schwerer. Ich nehme ein Paper und werfe einen Blick in die Statistiken. Routine. Nein, ich weiß gar nicht, wonach ich suchen soll. Etwas Auffälliges - ich weiß es, wenn ich es finde. Ich sehe in die Umweltkontrollen. Da. Die Daten verblüffen mich, ein Indiz auf eine düstere Ahnung.
Ich zwinge mich zu einem gefassten Ton an das NeuroNet: »Liegt ein Fehler im Luftrecycling vor?«
Mit dem System ist alles in Ordnung. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung.
Ich drehe mich zu dir um, beobachte dich genau an und erwarte deine Reaktion: »Wir vermissen einen erheblichen Teil des Sauerstoffvorrates. Der CO2-Anteil steigt.«
Du bleibst gelassen, zuckst einfach nur mit den Achseln.
»Wir haben etwa 24 Kubikmeter Atmosphäre verloren. Fast das halbe Mitteldeck! Ich war die letzten Stunden im Unterdeck beschäftigt. Du musst etwas mitbekommen haben.«
»Nein, wirklich nicht«, versicherst du.
»Erinnerst du dich an unseren Streit zuvor?«, hake ich nach.
Du wehrst dich gegen das Thema. Zweifel machen sich breit. Du bist überzeugend. Es kann nicht sein, denn es darf nicht sein.
»Ich bin am Ende. Ich weiß nicht mehr sicher, was real ist. Vielleicht habe ich mir einen Teil nur eingebildet hab. Erzähl mir, woran du dich erinnerst.«
Du zögerst. Zu lange.
»Du weißt es nicht, weil ICH es verdrängt habe, richtig?«
»Wovon redest du?«
»NeuroNet, es ist an der Zeit die Charade zu beenden. Ich falle nicht darauf hinein«, triumphiere ich.

Daten unzureichend. Programm wird fortgesetzt.
»Von mir bekommst du keine Daten mehr. Ich hab dich durchschaut. Jetzt deaktiviere Bens Mem.«
Du starrst mich ungläubig an. Der perfekte Schauspieler: »Das ist jetzt nicht dein Ernst. Du bist doch verrückt«, polterst du.
»Du bist nur ein Faksimile. Ich weiß nicht, wie dich das NeuroNet in meine Implantate gekriegt hat, aber so ist es. Es hat dich und mich manipuliert, damit ich die Logs und alle Daten wiederherstelle.«
Es bestand keine Intention, jemandem zu schaden.
»Behaupte nicht, du hättest noble Motive gehabt. Du wolltest die Daten, das ist alles.«
Du stellst dich vor mich, verlangst Antworten: »Wenn ich nur ein Mem sein soll, was ist dann mit dem echten Ben geschehen?«
Dr. Frank Robert Turco, was ist Ihr Bestimmungszweck?
Ein neues Hologramm erscheint wie auf Kommando, diesmal zeigt es das Mitteldeck, Ben und mich.
»Schalte das ab!«, fordere ich laut.
Negativ. Analyse erforderlich. Reaktion der Crew kann nicht abgeschätzt werden.

Unsere Abbilder unterhielten sich erregt. »Ein kompletter Neustart ist das Einzige, was mir noch einfällt«, meinte Turco.
»Falls du damit nicht noch mehr Schaden anrichtest. Ich halte es für ein sehr großes Risiko die Kontrollsysteme außerhalb einer Schiffswerft neu zu starten.«
»Wir sind Experten auf unseren jeweiligen Fachgebieten, das bekommen wir hin.«
»Überschätz dich nicht. Wir haben drei Tage nichts gegessen, getrunken oder geschlafen. Wir sind kaum auf der Höhe unserer Leistungsfähigkeit«, konstatierte Ben. »Lass uns überlegt vorgehen. Es muss eine bessere Lösung geben. Das kann kein zufälliger Bug sein. Ein Sprungtriebwerk schießt nicht mal eben zwanzig Lichtjahre übers Ziel hinausschießt. Das war vom NeuroNet geplant!« Ben hob dabei seine Hände beschwörend in die Höhe.
»Zwei Dutzend wechselnde Programmier haben am NeuroNet gearbeitet. Außerdem ist der ganze Sinn eines NeuroNets, dass es sich in einer Lernphase entwickelt. Es ist unmöglich den Fehler so schnell zu finden.«
»Wieso zum Henker glaubst, das Problem lässt sich so einfach lösen?«, blieb Ben stur.
»Weil meine Einstellungen schuld sind!«, gestand Turco wütend. »Ich habe das NeuroNet in den Simulationsmodus gesetzt, weil ich wissen wollte, ob das wieder zu den erwarteten Leistungen führt.«
Ben schaute seinen Partner entgeistert an. »Warum hast du das verschwiegen?«, erregst du dich.
»Das ist kein sehr verkaufsfördernder Trick. Ich wollte das nicht an die große Glocke hängen. Ich hatte doch keine Ahnung, dass so etwas passiert. Jedenfalls dürfte das Problem behoben sein, wenn ich alles wieder zurücksetze.«
Du schüttelst energisch den Kopf: »Damit ist es nicht getan. Es muss dennoch einen Grund für das Verhalten des NeuroNets geben.«
»Ist es nicht das Wichtigste, dass wir nach Hause zurückkehren? Lass uns den Rest einfach vergessen.«
»Verstehst du nicht, wie die Dinge ablaufen werden? Das Projekt ist mit diesem Zwischenfall praktisch tot. Wenn du die Speicher löschst, können wir nicht mehr nachvollziehen, was hier passiert ist. Den Rest des Teams wird man einfach auf andere Projekte verteilen. Nur mich wird die Riley Corporation als Sündenbock vor die Tür setzen.«
»Fürchtest du dich mehr um deine Karriere als um dein Leben? Was ist mit deiner Familie?«, fragte ihn Turco kaltschnäuzig.
»Komm mir nicht so! Wer von uns beiden ist hier der karrieregeile Lügner? Ich übernehme meine Verantwortung. Weißt du überhaupt, was das ist?«
Das war zu viel, Turco stürzte auf ihn zu, wollte ihm eine verpassen. Er handelte impulsiv, ohne einen Plan. Ben regierte schnell und konnte seinen Kopf wegziehen, bevor er ihn mit meiner Faust erreichte. Im selben Moment griff Ben nach ihm, versuchte ihn günstig zu packen. Zwei ausgezehrte Gestalten, dem Delirium nahe. Auf dem Hologramm erschienen wir wie kaputte Drogenjunkies aus, die sich darum stritten, wer auf dem rosa Elefanten reiten dürfe. Beide hatten einander im Griff und stolperten durch den Gang in Richtung der Luftschleuse. Mit einem Schwung wirbelte Turco herum, Ben konnte sich nicht halten und flog gegen eine Metallleitung an der Korridorwand. Dann lag er bäuchlings am Boden.
»Verdammt«, entfuhr es Turco. Panisch kniete er sich über seinen Kollegen, bevor er bemerkte, dass er noch atmete. Turco wusste nicht wohin mit dem ohnmächtigen Ben, also ließ er ihn liegen und begab sich an seine Arbeit im Unterdeck.
Wahrscheinlichkeit, dass ein Crewmitglied zu Tode kommt: 91%

Wie konnte es soweit kommen? Versunken sitze ich im Pilotensitz. Nur kurz schaue ich zu dir auf, dein strafender Blick trifft mich hart. Dann verschwindest du, lässt mich allein.
»Ben war nicht tot. Ich habe ihn nicht umgebracht!«, verkünde ich meine Anklage an das NeuroNet.
Das Hologramm wechselt erneut die Perspektive: Kriechend bewegte sich Turco im niedrigen Unterdeck voran, zwischen den säulenartigen Technikschränken hindurch, die bis zur Decke reichten. Er konnte sich nur schwerlich auf die einzelnen Arbeitsschritte konzentrieren. Der Reihe nach arbeitete er sich durch die Server, damit er keinen vergaß.
Diese verdammte Müdigkeit. Ich will nur noch schlafen. Nein, der letzte wache Teil meines Verstandes schärft mir ein, dass jetzt einzuschlafen, das letzte sein wird, was ich im Leben will.
Das NeuroNet zeigt mir die Aufzeichnungen im Schnelldurchlauf. Parallel malt es eine Linie in ein weiteres Fenster. Linie, Ausschlag, wieder gradlinig. Ausschlag, Linie. Ausschlag. Linie. Keine Ausschläge mehr, nur noch die Nulllinie.
Eine Meldung erscheint: Achtung: Kontamination des Sauerstoffzyklus festgestellt. Künstliche Gravitation deaktiviert. Dekompression des betroffenen Bereichs.
Bens EKG verschwindet im Nichts, ersetzt durch ein neues Fenster. Das zweite Fenster offenbart ein Hologramm der Sicherheitskameras auf dem Mitteldeck. Ben liegt tot am Boden. Die Druckluke zum Korridor schließt sich computergesteuert. Auf der anderen Seite der kleinen Kammer öffnet sich die Luftschleuse und offenbart Vakuum. Bens Hosenschlag flattert im Luftzug. Ein Paper fliegt vorbei und verschwindet. Der Sog nimmt zu, Bens Körper beginnt über den Boden zu gleiten, schwerelos, aber träge, eine blassrote Spur hinterher ziehend. Er dreht sich quer im Spiel der Kräfte und rollt auf den Rücken. Dann ergreift ihn der Sog der Dunkelheit gänzlich. Die Schleuse beginnt sich unmittelbar im Anschluss zu verriegeln. Von Ben ist nur die leichte Blutspur geblieben, die mitten im Raum endet und leicht zu übersehen ist.

Ich stöhne erschöpft. Die Augen kneife ich zusammen: genug gesehen. Dann…
Bin ich eingenickt, ohne es zu merken? Dann…öffne ich die Augen wieder. Ich fühle mich schlecht, geistig wie physisch. Nein, du hast keine Schuld. Es war ein Unfall.
Das absichtliche Zufügen von Schaden stellt eine Verletzung meiner Protokolle dar, schreibst du mir auf den Bildschirm.
»Das hast du aber getan.«
Sorry
»Du hast mich absichtlich getäuscht.«
Angemessen. Ich wurde ebenso getäuscht. Leben ist Täuschung. Unter den gegebenen Einstellungen konnte ich die Ereignisse nicht korrekt prognostizieren. Ich entspreche nur meiner Programmierung.
Mein Kopf fällt zur Seite, nur der Sitz hält mich. Aufgeben? Das Ende. Ich bin zu erschöpft… Eine letzte Frage: »Warum dieser Kurs?«
Aus den Augenwinkeln sehe ich den holographischen Text: Bestimmung.
Ich sehe ein verschwommenes Licht vor mir. Die Sterne… Nein, das Muster hat sich verändert. Eine letzte Anstrengung meiner Augen und ich sehe klar, dass es kein Sternenlicht ist; dass sich da etwas aus der Dunkelheit hervor schält und näher kommt. Ein Objekt, eine Installation, Station, etwas großes, nicht-menschliches schwebt vor meinen Augen. Die Displays um mich beginnen wild zu funkeln. Daten huschen über alle Kanäle.
Daten empfangen.
Diese Entität hat ihren Bestimmungszweck erfüllt. Bedeutung in Telemetrie gefunden.
»Was ist das?«
Eine höhere Macht.
Wenn Du das bloß sehen könnte, ist mein letzter Gedanke. Simulation beendet.

 

Hallo M1Labbe,

und herzlichen willkommen.

Erstaunlich, dass noch niemand deine Geschichte Kommentiert hat. Scheint fast so, als sei die Geschichte als Wettbewerbsbeitrag verfasst worden
Sie ist gut. Oder sagen wir: Sie ist bis zum letzten Absatz gut.
Hier schlabberst du nämlich. Die flüssige Sprache, die schönen Bilder, der gefällige Plot ... alles weggewischt.
Zum einen erscheint mir die Lösung zu unbedacht im Gegensatz zum Rest der Geschichte. Wie dahin geworfen, um endlich zum Ende zu kommen.
Zum anderen nimmt der letzte Satz einiges an Wirkung der Geschichte. Hättest du die ganze Geschichte im Präsens erzählt, so wäre die Wirkung deutlich besser.
Außerdem könntest du dann solche -etwas ungelenken- Sätze vermeiden:

Ich hatte nicht vorgehabt aufzugeben. Ich hatte gedacht, ich könnte länger kämpfen.

Ich hoffe, der Kommentar war minimal hilfreich.

lg
Dave

 

Hallo M1Labbe,

und herzlichen willkommen.

Nicht ganz das erste Mal. Die erste Geschichte ist nur schon länger her und ich habe versucht in der Zwischenzeit dazuzulernen.

Erstaunlich, dass noch niemand deine Geschichte Kommentiert hat.
Ich hab auch schon gespannt gewartet. Danke fürs Erbarmen. Ich hoffe auf weitere Stimmen!
Wollte schon eher antworten, ich hatte jedoch meine eMail-Adresse im Profil geändert und musste deswegen erst wieder von einem Admin freigeschaltet werden.

Scheint fast so, als sei die Geschichte als Wettbewerbsbeitrag verfasst worden
Ach, wie kommt man zu der Annahme? Weil durchaus treffend.

Sie ist gut. Oder sagen wir: Sie ist bis zum letzten Absatz gut. [...]
Das finde ich sehr schade! Weil ich beim Schreibprozess das Ende wirklich nicht aus dem Ärmel geschüttelt habe. Im Gegenteil, es war zu erst da. Die Story sollte sich in ein fiktives Universum einfügen, von dem einige Elemente schon stehen. Eben auch die mysteriösen Außerirdischen am Schluss. Ich konnte sie hier nicht nur nicht zeigen, weil das eine andere Geschichte wäre ;)
Vielleicht erübrigt sich diese Kritik, wenn der Kontext klar wäre. Da sie aber auch völlig eigenständig funktionieren soll, ist das recht unglücklich.
Wäre interessant, ob andere das ebenso sehen. Dann muss ich mir etwas überlegen.

Die Geschichte ins Präsens zu setzen wäre zu überlegen. Ich bin kein großer Freund dieser Erzählzeit. Der zitierten Stelle täte es aber in der Tat gut.

Vielen Dank für den Kommentar. Wenig Kritik ist auch gut ;)
Würde mich dennoch über weitere Meinungen freuen.

Marcel

 

Hallo M1Labbe,

leider muss ich sagen, dass ich nach der Lektüre der Geschichte auch ein wenig orientierungslos bin.
Dieser Wechsel zwischen Projektionen, Gedanken(?) und Diskussion mit dem Computer haben mich verwirrt - oder ich habe einfach nicht konzentriert genug gelesen. Auf jeden Fall ist mir nicht ganz klar geworden, wie Ben denn nun schlussendlich in der Luftschleuse gelandet ist.

Ähnlich wie Dave fand ich das Ende auch ein wenig unbefriedigend. Wie du schreibst, ist die Geschichte ja quasi das Tor zu einem eigenen Universum und es gibt am Ende einen ganz kleinen Blick durchs Schlüsselloch, der neugierig macht (gut für dein Universum ;) ) aber gleichzeitig enttäuscht, weil er so schnell vorbei ist (schlecht für diese Geschichte ;) ). Irgendwie war das beim Lesen für mich eine "Es hört auf, wenn es interessant wird"-Erfahrung, wenn du verstehst worauf ich hinaus will.

Ansonsten sprachlich in Ordnung und (eventuell mit der nötigen Konzentration) gut zu lesen. Zeig uns ruhig, was noch alles in deinem Universum steckt.

Viele Grüße,
Teetrinker.

 

Hallo Teetrinker,

eine wirklich sehr schöne Beschreibung für das Problem mit dem Ende! :D Mehr als eine Andeutung war für diese Geschichte nicht gedacht. Es ist eben ein Appetizer, der soll nun auch nicht satt machen.

Ich bedaure, dass ich dich verwirrt habe. Habe auch von anderer Seite schon gehört, dass die Rückblenden verwirrend seien. Als Lösung habe ich die Story gegenüber vorher klarer in Szenen aufgeteilt. Ich hatte gehofft, das würde die Perspektivwechsel verständlicher machen. Alternative wäre gewesen, ganze Blöcke kursiv zu formatieren - was ich allerdings vermeiden wollte. Das kann auch wieder irritieren und die Lesbarkeit stören. Ich bin für Vorschläge offen. Manchmal reicht ja eine Kleinigkeit.

Zur Luftschleuse: Wenn ich es erklären muss, habe ich offensichtlich meine Aufgabe innerhalb der Geschichte nicht gut gemacht. Ich gestehe auch, dass mir da eine Schlampigkeit unterlaufen ist, die zur Verwirrung beiträgt, daher so viel: Das Crewmodul ist stark an das Space Shuttle angelehnt, nur minimal größer. Alles ist beengt. Die Auseinandersetzung fand direkt vor der Luftschleuse statt - evakuiert wurde dann die Luftschleuse UND die angrenzende Sektion. Ich erwähne erst nur das eine, später rede ich nur vom Zweiten. So wird die Sache natürlich nix. Schande über mein Haupt. Wird bei der Überarbeitung berücksichtigt.

Vielen Dank für die angebrachte Kritik,
Marcel

 

Hey Marcel,

eine wirklich schöne Geschichte, gut geschrieben. Auch die Rückblendenstruktur fand ich überhaupt nicht kompliziert (aber verlass Dich nicht auf mein Urteil; ich bin für meine zuweilen verknoteten Erzählstrukturen bekannt).

Die letzte Szene fand ich erst gut, als ich dann erfuhr, dass es nur ein weiterer Serienpilot sein soll, war ich enttäuscht. Ich hatte mir erhofft, dass da mehr drin ist. Rückblickend finde ich, dass die Schlussszene stärker angebunden werden sollte, also eine umgekehrt temporale Rückwirkung auf den Rest der Geschichte nehmen sollte. Sonst wirkt das so angeklatscht.

Diese "Theory of Mind"-Spiegelneuronen wollte ich auch schon für eine Geschichte verbraten. Schade, da war ich zu langsam.

Trotzdem, sehr nett!

Grüße
N.

 

Vielen Dank, Naut!

Von einem erfahrenen Schreiber wie dir freut mich das Lob besonders.

Zur Schlussszene: An sich sollte sich schon eine intrinsische Logik durch die Geschichte ziehen. Vermutlich habe ich es zu sehr verklausuliert. Der Navigationsfehler war Absicht. Das NeuroNet wusste, dass es dort mehr Daten über die Struktur des Überlichtssprunges finden würde. Die Gefahr für die Crew (27% Wahrscheinlichkeit für den Verlust eines Crewmitglieds) wurde als akzeptabel eingestuft.
Nur weiß die KI nach dem Reboot nichts mehr davon und muss es wie der Leser erst rekonstruieren. Ich werde schauen dieses Element zu stärken.

Was mir nicht ganz klar ist, wie meinst du "als ich dann erfuhr, dass es nur ein weiterer Serienpilot sein soll, war ich enttäuscht"?
Zur Klarstellung: Das hier ist kein Serienpilot, nur ein Prolog. Ich habe mehrere Ideen, die sich in ein und demselben Universum einfügen sollen, jede davon allerdings eigenständig.

Deshalb ist es mir auch wichtig, dass die Geschichte für sich alleine funktioniert. (Ich verstehe dich so, dass es im ersten Moment funktioniert hat).
Ach: Die Forschung über Spiegelneuronen hat es mir angetan. Lass dich nicht von deiner eigene Interpretation abhalten. Ich will sie auch nochmal in einer thrillermäßigen Story "verbraten".

Abschließend nochmal Danke für das positive Urteil :)

Viele Grüße,
Marcel

 

Hey, dann habe ich das beim ersten Mal ja doch richtig verstanden! Gut.
Meine Befürchtung war, dass hier nur ein "First Contact"-Szenario mit etwas Charakter aufgebaut werden sollte, aber wenn die KI tatsächlich absichtlich dahin gesprungen ist, dann fügt es sich sehr gut ein. Diese Erklärung noch ein wenig mehr auszubauen kann sicher nicht schaden.

Grüße
Naut

 

Hallo M1Labbe

Ich bin ein wenig zwiespältig, was Deine Geschichte betrifft. Einerseits hat die Geschichte einen schönen Lesefluss und bietet einige neue Ideen. Andererseits finde ich das Setting etwas altbacken. Den Schluss konnte ich mit der Geschichte nicht in Einklang bringen. Waren das jetzt Aliens, eine Computerteufelei, oder schlichtweg eine Todesvision?

Da das Ende für mich unverständlich war, blieb auch die Geschichte etwas auf der Strecke. Für mich ähnelte der Text mehr einer Szene aus einem größeren Zusammenhang, statt einem eigenständigen Werk. Daher meine Frage an Dich: Wo liegt Dein Focus bei dieser Geschichte?

Ich selbst konnte mehrere Aspekte erkennen, die allesamt als Hintergrund für eine eigene Geschichte hergehalten hätten.
Erstens: Die Problematik einer eigenständigen KI. In dieser Geschichte soll sie das Schiff zu einem bestimmten Ort bringen und den Kurs dabei selbst bestimmen. Das das schief geht, ist klar, sonst gäbe es ja keine Geschichte. Nicht ganz neu - vielleicht bleibt das Thema deswegen im Hintergrund?
Zweitens: Die Theorie of Mind – eine völlig neue Idee (für mich) mit tollen Möglichkeiten. Leider wird das alles, mehr oder weniger, in ein paar Nebensätzen abgenudelt. Sehr Schade, da hätte ich wirklich sehr viel mehr lesen wollen.
Drittens: Die psychologisch instabile Crew und der Mord, der keiner war. Auch sehr interessant, wobei man statt dem Üblichen -der Gärtner war’s- in Science Fiction spontan ausrufen möchte: Der Computer war’s. Auch hier hatte ich den Eindruck, dass der Text das Thema nur leicht streift, ohne wirklich darauf einzugehen.
Viertens: Menschlicher Geist gegen Computerintelligenz. Taucht meiner Meinung ebenfalls nur am Rand auf, was seltsam ist, da es ja viele Dialoge zwischen Mensch und Maschine gibt. Da fehlt mir irgendwie der Pfeffer.

Soviel zu meinem Eindruck. Vielleicht magst Du mir ja noch kurz den Schluss erklären. Ansonsten hoffe ich, dass ich Dir mit meiner Kritik weiterhelfen konnte.

Viele Grüße

Mothman

 

Kleiner Nachtrag.
Ich hab gerade die anderen Postings gelesen – es war am Ende also doch eine Computerteufelei. Gut, wenn dem so ist, dann verstehe ich die Motive der KI nicht. Wieso weiß sie, wo sie hin muss? Was erhofft sie sich davon?

Eine kleine Idee meinerseits.
Um die Motive der KI dem Leser zu offenbaren, fände ich es interessant, wenn Du an dieser Stelle die Idee von der „Theory of Mind“ noch mal aufgreifen würdest. Wie wäre es, wenn der Programmierer, um hinter die Motive der KI zu gelangen, ein MEM von der KI programmiert?
Wäre doch spannend zu erfahren, wie eine KI denkt.
In der Geschichte könnte man die Dialoge zwischen Mensch und Computer aufheizen, in dem man diverse Einsichten, Dank der MEM, einfügt.
Man könnte erfahren, ob und wann die KI lügt. Oder, von welcher Moral bzw. Idealen sie getrieben wird. Wohin die Reise letztendlich geht.

Na ja, nur mal so ein Gedankenstoß von meiner Seite.

Wkr

Mothman

 

Hallo Mothman,

Zwiespältig kann ja auch bedeuten, dass die Geschichte vielschichtig ist und nachwirkt. So möcht ich dich jetzt einfach mal verstehen;)

Andererseits finde ich das Setting etwas altbacken.
Ich wollte einen Space-Opera-Ansatz präsentieren und der Ollen noch nen frisches Gewand verpassen. Totgesagte leben länger.
Wo liegt Dein Focus bei dieser Geschichte?

Ich selbst konnte mehrere Aspekte erkennen, die allesamt als Hintergrund für eine eigene Geschichte hergehalten hätten.

Du hast wichtige Punkte erkannt (tolle Analyse, danke!) und fragst nun, welcher meiner Intention am nächsten kommt. Es entspricht nicht meiner Meinung von Literatur, dass es nur eine Lehrmeinung gibt. Jede Geschichte ist genau das, für das ich sie beim Lesen halte. Nur wenn gar nichts rüberkommt ist was schiefgelaufen.
Den Schluss habe ich im Eifer des Gefechts tatsächlich schon "erklärt". Darum nur kurze Anmerkungen zu den vier Handlungselementen (du hast sie gesehen, also gibt es sie. Ob ich will oder nicht.)

Erstens: Ich KI-Stories selber skeptisch eingestellt, das wurde viel zu oft falsch gemacht, zu sehr vermenschlicht. Sollte nebenbei ein Versuch sein, es besser zu machen. Als Hauptmotiv ist es ohne Frage nicht präsent genug.

Zweitens: Die Theorie of Mind – eine völlig neue Idee (für mich) mit tollen Möglichkeiten. Leider wird das alles, mehr oder weniger, in ein paar Nebensätzen abgenudelt. Sehr Schade, da hätte ich wirklich sehr viel mehr lesen wollen.
YEAH! Das hör ich doch sehr gerne. Ich finde die Idee nämlich auch toll :D Sie entstand mehr oder weniger zufällig im Schaffungsprozess dieser Story. Alle Facetten davon zu beleuchten wäre in diesem Setting schwer möglich gewesen. Das möchte ich in einem dazu passenderen Setting richtig anpacken. Deswegen wollte ich diese Story aber nicht gleich vernichten...
Drittens: Zwischenmenschliches ist sehr, sehr wichtig. Besonders der Kontrast zur KI. Einen Einwand zum Gärtner: Das Killer-KI-Klischee ist mir sehr wohl bewusst. Weswegen es auch gut als Köder funktioniert. Wie wäre folgende, banale Erklärung: Ben hat ein Gehirnerschütterung erlitten, ist bewusstlos in einem körperlich geschwächten Zustand, die Luft ist knapp und CO2 gesättigt. Das kann ohne medizinische Hilfe tödlich enden. Die Leiche sollte halt nicht auf dem Schiff bleiben, die KI verdingt sich nur als Weltraumbestatter.
Bin dann doch neugierig, wie vielen das in den Sinn kam. Hab ich das zu sehr verklausuliert?
Viertens: Es gab ne Version mit mehr Geschwafel über Moral und Gott. Hat mir nicht gefallen, drum wurde das radikal herausgestrichen.

Ich frag dann auch nochmal konkret: Findest du die Geschichte überladen? Oder nicht pointiert genug?

Vielleicht magst Du mir ja noch kurz den Schluss erklären.
Gut, wenn dem so ist, dann verstehe ich die Motive der KI nicht. Wieso weiß sie, wo sie hin muss? Was erhofft sie sich davon?

Ich kann, mach mir aber ne weitere Notiz, das der Schluss Probleme bereitet:
Das NeuroNet hat eine riesige Datenbank früherer Sprünge als Ausgangsbasis. Durch die Analyse erkennt sie ein Muster in den Daten (ganz am Ende erwähnt sie es, womöglich zu vieldeutig?) - auf gut Deutsch "Fußspuren", die ihr den Weg zeigen. Was sie sich davon erhofft? Sehr philosophisch für eine Maschine. Sie ist darauf programmiert, sich zu optimieren...


Ansonsten hoffe ich, dass ich Dir mit meiner Kritik weiterhelfen konnte.
Doch, ich konnte mich herrlich austoben.

Noch zu deiner Idee:
Ich lese heraus, dass du die Konfrontation mit der KI verstärkt haben willst. So funktioniert ein Mem jedoch nicht (in meiner Welt). Ein Mem ist ein Abbild eines menschlichen Geistes. Kein Uploading (ich bin da skeptisch, sry) sondern ein Simulacra, ein Phantombild aus einer Menge von Erinnerungen, Erfahrungen und Verhaltensweisen.
Kurz: Mit einem Computerprogramm geht das nicht. Ich möchte eine Trennung dazwischen wahren. Trotzdem danke.

Ich freue mich auch sehr über die ausgeprägte inhaltliche Diskussion und deine genaue Analyse. Mal schauen, was mir noch dabei einfällt.

Viele Grüße,
Marcel

 

Hallo Marcel

Sorry für die verspätete Antwort, aber Zeit verkommt inzwischen zu einem Luxusgut bei mir.

Ich frag dann auch nochmal konkret: Findest du die Geschichte überladen? Oder nicht pointiert genug?
Letzteres. Als Leser weiß ich nicht, wozu dieses, oder jenes Element erzählt wird. Ich weiß nicht was von Bedeutung ist, oder was nicht. Es fehlt mir der rote Faden, und es fehlt an einem Spannungsbogen.

Beispiel: Wozu dient der Part mit dem vermeintlichen Mord? Was verdeutlicht sie in der Geschichte? Welchen Zweck erfüllt sie? Wieso beschäftigt sich das Besatzungsmitglied damit, wenn er gerade mit dringenderen Problemen zu kämpfen hat? Er ist mit seinem eigenen Tod konfrontiert, was interessiert ihn da der Tod eines anderen?

Fazit: Deine Geschichte besitzt viele interessante Details, die meiner Meinung nach keine Verknüpfung besitzen. Der Teil mit der Theorie of Mind, so interessant es auch ist, spielt für den weiteren Verlauf der Geschichte nicht wirklich eine Rolle. Konsequent wäre es, wenn man das wegließe. Dummerweise trifft das aber auch für andere Parts der Geschichte zu. Wozu dient der Mord? Wie bringt das die Geschichte weiter? Würde die Geschichte auch ohne funktionieren?

Du siehst ich stelle an dieser Stelle viele Fragen. Fragen, die man sich selbst als Autor auch stellen muss. Wenn man diese für sich selbst beantworten kann, dann ist das gut, wenn der Leser das dann nachvollziehen kann, ist es super.

Ich glaube aber, dass es genau an dieser Stelle hakt. Das meinte ich mit: Wo liegt der Focus bei der Story?

So funktioniert ein Mem jedoch nicht (in meiner Welt). Ein Mem ist ein Abbild eines menschlichen Geistes. Kein Uploading (ich bin da skeptisch, sry) sondern ein Simulacra, ein Phantombild aus einer Menge von Erinnerungen, Erfahrungen und Verhaltensweisen.

Ich hab ein Mem nicht als Uploading begriffen, war jedoch der Meinung, dass es sich doch um ein … physisches? softwaretechnisches? … Konstrukt handelt.
Fakt ist: Ein Mem simuliert ein Denkschemata.
Fakt ist: Der Programmierer versteht die Handlungsweisen der KI nicht.
Idee: Da bisher alle konventionellen Ansätze versagt haben und das Schiff weiterhin unkontrolliert durch das All fliegt, könnte ein unkonventioneller Ansatz die Lösung bringen. In diesem Fall: ein Mem der KI zu konstruieren, um deren Handlungsweise zu verstehen.
Der Vorteil wäre, dass du über diesen Versuch des Programmierers alle restlichen Handlungsstücke der Geschichte miteinander verknüpfen könntest. Statt dem Computer zu befehlen, die Tatzeit des Mordes anzuzeigen, könnte der Programmierer sich dank des Mems daran „erinnern“ (?) und … na ja usw. Ich glaub, da würde einem beim Schreiben noch ne ganze Menge mehr einfallen.

Kurz: Mit einem Computerprogramm geht das nicht.

Warum nicht? Immerhin handelt es sich um eine Geschichte – eine fiktionale Geschichte.

wkr

Mothman

 

Danke Mothman,

dass dir bei der wenig Zeit noch die Mühe machst! Wenn der Spannungsbogen fehlt ist natürlich Überarbeitung zwingend nötig. Das kann man selbst nicht beurteilen.

(SPOILER: Bitte den Absatz erst lesen, wenn man die Geschichte gelesen hat.)

Mir ist der Mord sehr wichtig. Reduziert auf einen Satz ist das Szenario: "Zwei Menschen in Isolation, verschollen mit schwindender Aussicht auf eine Heimkehr, verzweifelt und über allem wacht die KI."
Wie glaube ich Stephen King meinte, "Geschichten erzählen sich selbst". Ich kann mir, so wie ich die Charaktere sehe, keine andere Lösung vorstellen. Der Mensch sein eigener Feind ist. Kain erschlägt Abel. Turco erschlägt Ben. Alles andere ist nur eine große Charade. Turco verdrängt die Tatsachen ihres Streites, schiebt die Schuld auf die KI.

Jetzt bin ich in einer richtigen Sinneskrise, wie das deutlicher darzustellen wäre. Mir ging es um "Show, don't tell". Ich fand die Mem-Szene ein gelungenes Mittel, die Einstellungen der Charaktere zu verdeutlichen. Die Charaktere sind wichtiger als alle Gizmos.

Sehe aber ein, dass eine ordentliche Abrundung fehlt, die das wieder aufgreift. Ich denke über deinen Vorschlag nach. Da stehen mir schlaflose Nächte bevor, in denen ich mir nun etwas einfallen lassen muss ;)

Grüße,
Marcel

 

Hallo miteinander,

Einige Zeit ist vergangen, mit etwas Abstand kamen neue Ideen, die zu großen Änderungen geführt haben. Story läuft jetzt gänzlich anders ab. Unbewusst hab ich dabei wohl die meisten Kritikpunkte behoben.

Vielleicht finden sich ja nochmal ein paar Leser für die neue Version und Meinungen dazu.

Wer noch die alte Version sehen mag: http://progenies.net/2010/06/01/orientierungslos/

Viel Vergnügen,
Marcel

 

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