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Ordnungszahl 19
„Hier kommt warmes Blut an. Wieso kommt hier warmes Blut an? Kann das sein? Fühl mal, das ist warm! Kontrolliert das. Jetzt!“ Ein Gummischlauch mit dem Durchmesser eines dicken Daumens steckt in einem weichen Beutel. Das Blut, das hier ankommt, sollte kalt sein. Er wird runtergekühlt.
Er ist hier, weil er sich aufgeregt hatte. „Dass die Leute einfach nicht mitdenken.“ Er musste sich praktisch um alles kümmern. Und natürlich war er immer für alle da. „Du musst abgeben lernen. Delegieren.“
Geduldig hatte sie zuvor zwei Regenwurm-Makkaroni frei gelegt. Millimeter für Millimeter pulte sie sie aus einer Höhle. „Entschuldigen Sie, aber ich bin keine von denen, die währenddessen die ganze Zeit redet. Andere machen das, ich nicht.“ Nur wenn sie lang genug sind und keine Löcher haben, kann man sie verwenden.
Klug reden können sie. „Aber wenn etwas schief geht, ist es mein Problem. Wenn ich es selber mache, weiß ich wenigstens, wer schuld ist.“
„Die ist schön geworden.“ sagt sie und streicht über eine dritte Makkaroni in ihrer offenen Hand. – „Danke.“ – „Aber das muss nächstes Mal schneller gehen.“ – „Letztes Mal haben wir nur 39 Minuten gebraucht.“ – „Erinnerst du dich? 39 Minuten.“
„Da waren wir richtig gut!“
Nächtelang hatten sie Pakete gepackt, sein Studienfreund und er. „Bald bekam der Theater mit seiner Frau. Sie meinte, dass er zu wenig zu Hause sei. Deshalb haben wir wieder aufgehört.“ Ein Erfolg war gekommen und wieder gegangen.
Seine Ex-Frau, von der er nicht geschieden war, sagte sie ihm ständig, er solle positiv denken. Er wusste beim besten Willen nicht, wie sie sich das dachte: Hätte er den ganzen Tag die rosa Brille auf, wäre er geliefert – und die anderen gleich mit. Er stellte sich Katastrophen gründlich vor. Nur so war er auf jeden Fall vorbereitet.
Die Vorbereitungen hatten eine Stunde gedauert. Die Helfer rotierten um ihn. Messer und Klemmen, Krüge und Fläschchen. Nadeln ins Fleisch. Schläuche und Röhren wo sonst keine sind, Kopf in den Nacken, Kehlkopf nach oben. Guten Tag Frau Doktor, hallo Sybille. Mit der Klinge geritzt, mit dem Messer geschnitten. „Und jetzt die Geflügelschere. Bitte.“
„Danke.“
Als Kind wollte er gern alles richtig machen. Stolz hob er den leeren Teller, als er das Hendl aufgegessen hatte. Im Wirtshaus. Die Mutter schimpfte. Was sollten die Leute denken?
Währenddessen denken sie wenig.
Sie wissen, was zu tun ist. Sie tun es täglich. Er nicht. Er liegt nackt auf dem Rücken, beklebt mit Folie, über dem Kopf ein grünes Zelt. Die Folie spannt und schlägt Falten. Seit der Vorbereitung ist er gelb: Vom Hals bis zu den Füßen und sieht aus wie ein gefülltes Brathähnchen.
Samstags, mittags, saß man zusammen im Wirtshaus, aß Erbsensuppe mit Eisbein. Es war immer voll, die Suppe legendär. Ebenso, dass sie niemals zu Ende ging. Im Laufe des Tages wurde sie einfach immer dünner. So ging es ihm mit den Freunden aus dem Wirtshaus auch. Irgendwann ging er einfach nicht mehr hin.
Jetzt sammelt sich seine dünne Suppe in einem durchsichtigen Topf. Später wird er sie wieder bekommen - und mehr noch dazu: „Wir haben zwei Konserven bestellt. Eine haben wir noch. Eine haben wir bereits eingefüllt. Den Grund dafür siehst du auf dem Boden.“ – „Es gibt Notwendigkeiten.“, murmelt sie und arbeitet weiter. - „Urlaub.“, denkt eine andere. Sie verschwindet mit einem Röhrchen und kommt mit einem wichtigen Zettel zurück. „Elfeinhalb Dienste noch, dann habe ich frei.“
Er hatte Verpflichtungen. Er war früh Vater geworden. Sein Arzt sagte, er solle mal ausspannen. „Und wie stellen sie sich das vor?“ Darauf hatte er natürlich keine Antwort. „Wenn ich zehn Dinge mache, kann ich ja vorher nicht wissen, welche die richtige gewesen sein wird.“ So legte er größte Wege zurück, kannte Länder und Städte vom Fahrersitz. Natürlich fuhr er selbst. Sein Zugeständnis an den Urlaub waren Landstraßen. So zieht die Landschaft an den Fenstern langsamer vorbei.
Hier scheint die Zeit still zu stehen. Der Raum hat kein Fenster, keinen Horizont. Vielleicht ist es Nacht. Maschinen dokumentieren den Takt.
Mit Maschinen kannte er sich aus. Er würde gerne in seinem Holzhaus leben. Er hatte es im Internet gefunden und gekauft, ohne es vorher besucht zu haben. „Wenn es wie ein Kartenhaus zusammenfällt, baue ich mir ein Neues.“ Erst kürzlich stand er im Regen vor diesem Haus, frisch gestrichen und mit neuen Fenstern und war glücklich.
„Frische Handschuhe, bitte.“ Sie greift in die Höhle und fährt mit einer Hand an der Innenseite der Wölbung entlang unter den weichen Beutel und dreht ihn langsam nach vorne. Auf der seidigen Oberfläche verfolgt sie mit dem Finger die blau geästelte Linie. „Hier ist es gut. Diese Stelle können wir nehmen.“
Eine Autostunde vor dem Nirgendwo, zwischen Fichten und einem See. Er liebte das Land, hatte dort glückliche Jahre verbracht. Wo das Haus genau steht, war ihm egal. Er wollte in Ruhe arbeiten. „Mein Arzt will mich auf Kur schicken. Ich sag ihm, da kann er selber hinfahren. Da werd’ ich ja verrückt. Soll ich den ganzen Tag sitzen und schauen?“
Voran jetzt. Das ist die beste Therapie.
„So wird’s gemacht.“, zischt sie. „Keine Diskussion!“, sticht rein und näht weiter.
Er reparierte alles und brachte fast alles zum Laufen – ob er es brauchte oder nicht. Ein kaputtes Ding machte ihn nervös. So kam es, dass er eines plötzlichen Winters der einzige mit funktionierendem Vorderradantrieb wir. Mit einem Sammlerstück schleppte er zunächst den liegen gebliebenen Stiefsohn nach Hause, später alle Limousinen aus der Nachbarschaft. Die sollten sich noch mal beschweren, wo er seine Autos parkte. Davon hatte er einige.
Im Internat hatte er ein Versteck gehabt, in dem er kleine Schätze aufbewahrte. Später sammelte er alles, wovon er zu einem Zeitpunkt mehr hatte als zwei. Fotos sammelte er auch: Im Büro stand ein Regal mit dicken Alben: In langen Nächten am Computer sortierte er tausende Bilder. So dokumentierte er Arbeit, Reisen, Leben. Früher hatte er Menschen fotografiert. Jetzt fotografierte er lieber Sachen.
Einer macht seinen Bericht.
Der Mann auf der Autobahn war eingeschlafen und dann war er tot. Nachher war die Mutter schnell weiß geworden. Er hatte für sie gearbeitet.
Nach der Schule setzte er sich auf sein Fahrrad und lieferte die Waren aus Mutters Geschäft: Gemüse, Waschpulver, Zigaretten.
„Ist er Raucher?“ – „Nein. Für die schwarzen Punkte reicht ein Leben in der Großstadt.“ Die Kissen heben und senken sich von allein. „Kannst du noch mal die Atmung anhalten?“ – „Ja.“ – „Gleich.“ – „Jetzt.“ – „Danke.“ Sie versucht gleichmäßig zu atmen, auf ihren Brillengläsern kleben Lupen. - „Wie lange geht’s noch?“ – „Zwei Minuten.“ – „Gut, das war’s. Atmung ein.“
Er brüllte ins Telefon, während die anderen frühstückten. „Wieso geht das nicht?“, sein Blick starr, er schaute ins Leere. „Hören Sie mir gut zu. Ich sage ihnen jetzt etwas. Wenn das bis morgen nicht funktioniert, werden sie mich kennen lernen.“ - Er war nicht so gleichgültig wie andere. Und wenn einer im Unrecht war, musste man es ihm sagen. „Soll ich lieber lügen?“ Sein Vater war früh verschwunden.
Der nächste Stich ins Herz.
„Mein Sohn. Mein Leben.“ hatte ein anderer Vater in eine Nadel diktiert, trägt das Herz offen auf dem Unterarm. Sein offenes Herz hängt an dem Gerät mit den Schläuchen. Über dem Kopf ein Science-Fiction-Traum der vorigen Generation. Jede Zeichnung kann entscheiden. Diese Monitore beobachtet man aufmerksam.
Er hatte auch Fernseher in jedem Zimmer, sogar in der Küche. Sie liefen immer - wenn er alleine war auch in der Nacht. Wie könnte er abschalten, wenn er den Stimmen in seinem Kopf ständig zu hören müsste.
Seit einer Stunde hört man nur noch die Lüftung. Kein Piepen im Herzschlagtakt. Zählt er noch? Einer blättert in der Gratiszeitung, einer lehnt am Türrahmen. Am Griff der Deckenlampe klebt Blut. Langsam näht sie einen Stich nach dem anderen. Er war auch immer fleißig gewesen. Das hatte er von seiner Mutter. Sie starb zu früh.
Das Herz hört auf zu schlagen. Nur so können sie die Arbeit beenden.
Auch bei Hinrichtungen wird Kalium verwendet, es lähmt den Muskel. Man sagt, ein Toter wiegt 21 Gramm weniger. Das Gewicht der Seele, soviel wie sieben Stück Zucker. Es war nur ein Anruf. Man hatte sie eines Wintermorgens flussabwärts aus dem Wasser gezogen.
„Eiswasser!“
Einer nimmt den Krug und gießt das Wasser vorsichtig und kreisend. „Schneller. Alles rein!“ Sie faltet ihre Hände vor der eigenen Brust, legt den Kopf schief und meditiert einen Moment in den See. Dann greift sie nach einem Schlauch und saugt ihn wieder trocken.
Es könnte auch Hagebuttentee sein.
Die Kinder lebten weit weg. Sie riefen selten an.
So hatte er sich das nicht vorgestellt.
Blaue Geschirrtücher im Brustkorb und einen Wagenheber zwischen den Brustkorbhälften. Fettzellen an der Schnittkante wie orange Granatapfelkerne. Vor zwei Stunden ging hier eine stromversetzte Metallspitze entlang. Das roch brenzlig. „Dafür blutet es weniger.“ - „Riechst du das Kerosin? Auf dem Dach ist ein Hubschrauber gelandet. Das riecht man durch die Lüftung.“ – „Manchmal riecht man auch die Kantine.“
Babys duften so gut. Er erinnerte sich nicht, wann das aufgehört hatte. Als Kleinkind roch der Sohn nach Windel und zerlegte die Wohnung. Als Jugendlicher saß er vor dem Fernseher mit Gummibärchen im Arm. Später jobbte er als Kellner und ging nicht zur Schule. Was war bloß mit dem Jungen? Von ihm hatte er das nicht. Aber der Arme sah schon aus wie er.
Mit einer Pinzette, lang wie ein Babyarm, stößt sie von außen ein Loch in die Höhle, schnappt innen ein Kabel und zieht es nach draußen. Blaue Enden stehen raus und werden ihm einen neuen Rhythmus schicken. Er wird lange nicht wissen, was er davon halten soll.
„Das Herz ist ein Muskel.“
In zwei Stunden fährt hier einer mit Knochenkleber entlang. Ein Draht durch die erste linke Rippe. Ein Draht durch die erste rechte Rippe. Ein Draht durch die zweite linke Rippe. Ein Draht durch die zweite rechte Rippe. Anschließend verzwirbeln sie die Enden. - „Manchmal, selten, kommt es vor, dass der Körper die plötzliche Enge nicht mehr akzeptiert. Dann muss der Brustkorb einige Tage offen bleiben, bevor er wieder genäht werden kann.“ - „Hört er uns?“ – „Ich hoffe nicht.“
Das Haus stand für alle offen, zumindest so lange er es nicht verkaufen musste. Die Zukunft sah wieder düster aus. Die Politik hatte ihm sein Geschäft zerstört. „Diese Politiker sind alle Lügner. Wenn die in eine Sitzung gehen, wissen sie nicht, worüber sie abstimmen. Wenn du sie beim Reingehen fragst, haben die nicht mal die Unterlagen gelesen und geben das auch noch zu.“
Natürlich hatte er nicht tatenlos zu gesehen.
Er sortiert Fäden mit Hakennadeln. Ein anderer sortiert Läppchen und hängt sie auf ein Gestell. Gleich ist er fertig.
„Zu Hause habe ich einen dicken Ordner. Voll mit Briefen, die ich Politikern geschrieben habe. Genützt hat es nichts.“
„Die Dokumentation bitte mitgeben.“
"Je kühler das Blut, umso weniger Komplikationen."