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Ordnungszahl 19

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06.10.2013
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Ordnungszahl 19

Hier kommt warmes Blut an. Wieso kommt hier warmes Blut an? Kann das sein? Fühl mal, das ist warm! Kontrolliert das. Jetzt!“ Ein Gummischlauch mit dem Durchmesser eines dicken Daumens steckt in einem weichen Beutel. Das Blut, das hier ankommt, sollte kalt sein. Er wird runtergekühlt.

Er ist hier, weil er sich aufgeregt hatte. „Dass die Leute einfach nicht mitdenken.“ Er musste sich praktisch um alles kümmern. Und natürlich war er immer für alle da. „Du musst abgeben lernen. Delegieren.

Geduldig hatte sie zuvor zwei Regenwurm-Makkaroni frei gelegt. Millimeter für Millimeter pulte sie sie aus einer Höhle. „Entschuldigen Sie, aber ich bin keine von denen, die währenddessen die ganze Zeit redet. Andere machen das, ich nicht.“ Nur wenn sie lang genug sind und keine Löcher haben, kann man sie verwenden.

Klug reden können sie. „Aber wenn etwas schief geht, ist es mein Problem. Wenn ich es selber mache, weiß ich wenigstens, wer schuld ist.

Die ist schön geworden.“ sagt sie und streicht über eine dritte Makkaroni in ihrer offenen Hand. – „Danke.“ – „Aber das muss nächstes Mal schneller gehen.“ – „Letztes Mal haben wir nur 39 Minuten gebraucht.“ – „Erinnerst du dich? 39 Minuten.

Da waren wir richtig gut!

Nächtelang hatten sie Pakete gepackt, sein Studienfreund und er. „Bald bekam der Theater mit seiner Frau. Sie meinte, dass er zu wenig zu Hause sei. Deshalb haben wir wieder aufgehört.“ Ein Erfolg war gekommen und wieder gegangen.

Seine Ex-Frau, von der er nicht geschieden war, sagte sie ihm ständig, er solle positiv denken. Er wusste beim besten Willen nicht, wie sie sich das dachte: Hätte er den ganzen Tag die rosa Brille auf, wäre er geliefert – und die anderen gleich mit. Er stellte sich Katastrophen gründlich vor. Nur so war er auf jeden Fall vorbereitet.

Die Vorbereitungen hatten eine Stunde gedauert. Die Helfer rotierten um ihn. Messer und Klemmen, Krüge und Fläschchen. Nadeln ins Fleisch. Schläuche und Röhren wo sonst keine sind, Kopf in den Nacken, Kehlkopf nach oben. Guten Tag Frau Doktor, hallo Sybille. Mit der Klinge geritzt, mit dem Messer geschnitten. „Und jetzt die Geflügelschere. Bitte.

Danke.

Als Kind wollte er gern alles richtig machen. Stolz hob er den leeren Teller, als er das Hendl aufgegessen hatte. Im Wirtshaus. Die Mutter schimpfte. Was sollten die Leute denken?

Währenddessen denken sie wenig.

Sie wissen, was zu tun ist. Sie tun es täglich. Er nicht. Er liegt nackt auf dem Rücken, beklebt mit Folie, über dem Kopf ein grünes Zelt. Die Folie spannt und schlägt Falten. Seit der Vorbereitung ist er gelb: Vom Hals bis zu den Füßen und sieht aus wie ein gefülltes Brathähnchen.

Samstags, mittags, saß man zusammen im Wirtshaus, aß Erbsensuppe mit Eisbein. Es war immer voll, die Suppe legendär. Ebenso, dass sie niemals zu Ende ging. Im Laufe des Tages wurde sie einfach immer dünner. So ging es ihm mit den Freunden aus dem Wirtshaus auch. Irgendwann ging er einfach nicht mehr hin.

Jetzt sammelt sich seine dünne Suppe in einem durchsichtigen Topf. Später wird er sie wieder bekommen - und mehr noch dazu: „Wir haben zwei Konserven bestellt. Eine haben wir noch. Eine haben wir bereits eingefüllt. Den Grund dafür siehst du auf dem Boden.“ – „Es gibt Notwendigkeiten.“, murmelt sie und arbeitet weiter. - „Urlaub.“, denkt eine andere. Sie verschwindet mit einem Röhrchen und kommt mit einem wichtigen Zettel zurück. „Elfeinhalb Dienste noch, dann habe ich frei.

Er hatte Verpflichtungen. Er war früh Vater geworden. Sein Arzt sagte, er solle mal ausspannen. „Und wie stellen sie sich das vor?“ Darauf hatte er natürlich keine Antwort. „Wenn ich zehn Dinge mache, kann ich ja vorher nicht wissen, welche die richtige gewesen sein wird.“ So legte er größte Wege zurück, kannte Länder und Städte vom Fahrersitz. Natürlich fuhr er selbst. Sein Zugeständnis an den Urlaub waren Landstraßen. So zieht die Landschaft an den Fenstern langsamer vorbei.

Hier scheint die Zeit still zu stehen. Der Raum hat kein Fenster, keinen Horizont. Vielleicht ist es Nacht. Maschinen dokumentieren den Takt.

Mit Maschinen kannte er sich aus. Er würde gerne in seinem Holzhaus leben. Er hatte es im Internet gefunden und gekauft, ohne es vorher besucht zu haben. „Wenn es wie ein Kartenhaus zusammenfällt, baue ich mir ein Neues.“ Erst kürzlich stand er im Regen vor diesem Haus, frisch gestrichen und mit neuen Fenstern und war glücklich.

Frische Handschuhe, bitte.“ Sie greift in die Höhle und fährt mit einer Hand an der Innenseite der Wölbung entlang unter den weichen Beutel und dreht ihn langsam nach vorne. Auf der seidigen Oberfläche verfolgt sie mit dem Finger die blau geästelte Linie. „Hier ist es gut. Diese Stelle können wir nehmen.

Eine Autostunde vor dem Nirgendwo, zwischen Fichten und einem See. Er liebte das Land, hatte dort glückliche Jahre verbracht. Wo das Haus genau steht, war ihm egal. Er wollte in Ruhe arbeiten. „Mein Arzt will mich auf Kur schicken. Ich sag ihm, da kann er selber hinfahren. Da werd’ ich ja verrückt. Soll ich den ganzen Tag sitzen und schauen?

Voran jetzt. Das ist die beste Therapie.

So wird’s gemacht.“, zischt sie. „Keine Diskussion!“, sticht rein und näht weiter.

Er reparierte alles und brachte fast alles zum Laufen – ob er es brauchte oder nicht. Ein kaputtes Ding machte ihn nervös. So kam es, dass er eines plötzlichen Winters der einzige mit funktionierendem Vorderradantrieb wir. Mit einem Sammlerstück schleppte er zunächst den liegen gebliebenen Stiefsohn nach Hause, später alle Limousinen aus der Nachbarschaft. Die sollten sich noch mal beschweren, wo er seine Autos parkte. Davon hatte er einige.

Im Internat hatte er ein Versteck gehabt, in dem er kleine Schätze aufbewahrte. Später sammelte er alles, wovon er zu einem Zeitpunkt mehr hatte als zwei. Fotos sammelte er auch: Im Büro stand ein Regal mit dicken Alben: In langen Nächten am Computer sortierte er tausende Bilder. So dokumentierte er Arbeit, Reisen, Leben. Früher hatte er Menschen fotografiert. Jetzt fotografierte er lieber Sachen.

Einer macht seinen Bericht.

Der Mann auf der Autobahn war eingeschlafen und dann war er tot. Nachher war die Mutter schnell weiß geworden. Er hatte für sie gearbeitet.

Nach der Schule setzte er sich auf sein Fahrrad und lieferte die Waren aus Mutters Geschäft: Gemüse, Waschpulver, Zigaretten.

Ist er Raucher?“ – „Nein. Für die schwarzen Punkte reicht ein Leben in der Großstadt.“ Die Kissen heben und senken sich von allein. „Kannst du noch mal die Atmung anhalten?“ – „Ja.“ – „Gleich.“ – „Jetzt.“ – „Danke.“ Sie versucht gleichmäßig zu atmen, auf ihren Brillengläsern kleben Lupen. - „Wie lange geht’s noch?“ – „Zwei Minuten.“ – „Gut, das war’s. Atmung ein.

Er brüllte ins Telefon, während die anderen frühstückten. „Wieso geht das nicht?“, sein Blick starr, er schaute ins Leere. „Hören Sie mir gut zu. Ich sage ihnen jetzt etwas. Wenn das bis morgen nicht funktioniert, werden sie mich kennen lernen.“ - Er war nicht so gleichgültig wie andere. Und wenn einer im Unrecht war, musste man es ihm sagen. „Soll ich lieber lügen?“ Sein Vater war früh verschwunden.

Der nächste Stich ins Herz.

Mein Sohn. Mein Leben.“ hatte ein anderer Vater in eine Nadel diktiert, trägt das Herz offen auf dem Unterarm. Sein offenes Herz hängt an dem Gerät mit den Schläuchen. Über dem Kopf ein Science-Fiction-Traum der vorigen Generation. Jede Zeichnung kann entscheiden. Diese Monitore beobachtet man aufmerksam.

Er hatte auch Fernseher in jedem Zimmer, sogar in der Küche. Sie liefen immer - wenn er alleine war auch in der Nacht. Wie könnte er abschalten, wenn er den Stimmen in seinem Kopf ständig zu hören müsste.

Seit einer Stunde hört man nur noch die Lüftung. Kein Piepen im Herzschlagtakt. Zählt er noch? Einer blättert in der Gratiszeitung, einer lehnt am Türrahmen. Am Griff der Deckenlampe klebt Blut. Langsam näht sie einen Stich nach dem anderen. Er war auch immer fleißig gewesen. Das hatte er von seiner Mutter. Sie starb zu früh.

Das Herz hört auf zu schlagen. Nur so können sie die Arbeit beenden.

Auch bei Hinrichtungen wird Kalium verwendet, es lähmt den Muskel. Man sagt, ein Toter wiegt 21 Gramm weniger. Das Gewicht der Seele, soviel wie sieben Stück Zucker. Es war nur ein Anruf. Man hatte sie eines Wintermorgens flussabwärts aus dem Wasser gezogen.

Eiswasser!

Einer nimmt den Krug und gießt das Wasser vorsichtig und kreisend. „Schneller. Alles rein!“ Sie faltet ihre Hände vor der eigenen Brust, legt den Kopf schief und meditiert einen Moment in den See. Dann greift sie nach einem Schlauch und saugt ihn wieder trocken.

Es könnte auch Hagebuttentee sein.

Die Kinder lebten weit weg. Sie riefen selten an.

So hatte er sich das nicht vorgestellt.

Blaue Geschirrtücher im Brustkorb und einen Wagenheber zwischen den Brustkorbhälften. Fettzellen an der Schnittkante wie orange Granatapfelkerne. Vor zwei Stunden ging hier eine stromversetzte Metallspitze entlang. Das roch brenzlig. „Dafür blutet es weniger.“ - „Riechst du das Kerosin? Auf dem Dach ist ein Hubschrauber gelandet. Das riecht man durch die Lüftung.“ – „Manchmal riecht man auch die Kantine.

Babys duften so gut. Er erinnerte sich nicht, wann das aufgehört hatte. Als Kleinkind roch der Sohn nach Windel und zerlegte die Wohnung. Als Jugendlicher saß er vor dem Fernseher mit Gummibärchen im Arm. Später jobbte er als Kellner und ging nicht zur Schule. Was war bloß mit dem Jungen? Von ihm hatte er das nicht. Aber der Arme sah schon aus wie er.

Mit einer Pinzette, lang wie ein Babyarm, stößt sie von außen ein Loch in die Höhle, schnappt innen ein Kabel und zieht es nach draußen. Blaue Enden stehen raus und werden ihm einen neuen Rhythmus schicken. Er wird lange nicht wissen, was er davon halten soll.

Das Herz ist ein Muskel.

In zwei Stunden fährt hier einer mit Knochenkleber entlang. Ein Draht durch die erste linke Rippe. Ein Draht durch die erste rechte Rippe. Ein Draht durch die zweite linke Rippe. Ein Draht durch die zweite rechte Rippe. Anschließend verzwirbeln sie die Enden. - „Manchmal, selten, kommt es vor, dass der Körper die plötzliche Enge nicht mehr akzeptiert. Dann muss der Brustkorb einige Tage offen bleiben, bevor er wieder genäht werden kann.“ - „Hört er uns?“ – „Ich hoffe nicht.

Das Haus stand für alle offen, zumindest so lange er es nicht verkaufen musste. Die Zukunft sah wieder düster aus. Die Politik hatte ihm sein Geschäft zerstört. „Diese Politiker sind alle Lügner. Wenn die in eine Sitzung gehen, wissen sie nicht, worüber sie abstimmen. Wenn du sie beim Reingehen fragst, haben die nicht mal die Unterlagen gelesen und geben das auch noch zu.

Natürlich hatte er nicht tatenlos zu gesehen.

Er sortiert Fäden mit Hakennadeln. Ein anderer sortiert Läppchen und hängt sie auf ein Gestell. Gleich ist er fertig.

Zu Hause habe ich einen dicken Ordner. Voll mit Briefen, die ich Politikern geschrieben habe. Genützt hat es nichts.

Die Dokumentation bitte mitgeben.

"Je kühler das Blut, umso weniger Komplikationen."

 

Hallo rmtlpmpf,

vielleicht bin ich schwer von Begriff, aber ich musste deinen Text mehrere Male lesen, um richtig zu verstehen, was denn da jetzt genau passiert. Ich weiß nicht, ob das jeder tut. Also nochmal lesen. Und dann nochmal.

Bevor ich darauf eingehe einen Tipp: Lies und kommentiere andere Geschichten hier. Stell nicht einen Text rein und warte, dass man dich bedient, sondern geh auf die Anderen zu. Das ist nur fair, schließlich kommst du ja mit einer Erwartungshaltung hier rein und erhoffst dir ein Feedback. Geben und nehmen, du weißt schon.

Im Grunde finde ich deinen Text nicht schlecht, man merkt, da ist Gefühl für Sprache, Klang und Rhythmus. Ein Mann landet in der Notaufnahme im OP, wo man versucht, ihn zusammenzuflicken, während sein Leben an ihm vorbei zieht. Dabei ist er in einer Art Delirium, nicht ganz da, nicht ganz weg, irgendwo dazwischen, und alles verschmilzt für ihn zu einer dicken, fast untrennbaren Suppe.
So weit, so gut.
Nur, ich habe ein Problem mit deiner Erzählstimme. (Oder sollte ich sagen: mit deinen Erzählstimmen?) Die ist nämlich auch eine dicke, untrennbare Suppe. Sie fällt hin und her. Jetzt kannst du sagen: Ja, ist doch genau das, was beabsichtigt ist, wegen Delirium etc. Damit machst du es dir aber zu leicht. Du setzt nämlich so etwas wie kleine Notanker, um ganz sicher zu gehen, dass der Leser zumindest an ein paar Stellen zumindest ansatzweise rafft, was los ist.

Die Vorbereitungen hatten eine Stunde gedauert. Die Helfer rotierten um ihn. Messer und Klemmen, Krüge und Fläschchen. Nadeln ins Fleisch. Schläuche und Röhren wo sonst keine sind, Kopf in den Nacken, Kehlkopf nach oben. Guten Tag Frau Doktor, hallo Sybille. Mit der Klinge geritzt, mit dem Messer geschnitten.

Sie wissen, was zu tun ist. Sie tun es täglich. Er nicht. Er liegt nackt auf dem Rücken, beklebt mit Folie, über dem Kopf ein grünes Zelt. Die Folie spannt und schlägt Falten. Seit der Vorbereitung ist er gelb: Vom Hals bis zu den Füßen und sieht aus wie ein gefülltes Brathähnchen.

Das sind so zwei Stellen, die ich meine.
An einer anderen Stelle weiß dein Erzähler plötzlich, was in zwei Stunden passieren wird.

Verstehst du, was ich meine? Ich finde die Idee deines Textes sehr gut, ist gut umgesetzt, so eine Mischung aus SoC, (überhörtem? Ja, das ist die Frage.) Dialog und Beschreibung der Geschehnisse. Aber ich finde, du warst nicht konsequent genug. Wenn schon krass, dann richtig krass, ohne Notanker. Ob das dann noch so viele lesen, sei dahingestellt.

Ich spreche hier auch immer nur von Text, nicht von Kurzgeschichte, und das hat einen Grund. Ich vermisse nämlich die Geschichte darin. Du verzwirbelst das Leben deines Prota (wenn man ihn so nennen will) in diesem Delirium, aber viel rum kommt dabei nicht. Im Grunde könnte man sagen, dein Text handle von einem sterbenden(?) Unfallopfer. Punkt. Mensch, da steckt doch mehr drin! Du lässt doch schon sein Leben an ihm vorbei ziehn, dann mach doch was draus. Vielleicht steckt da auch schon genug drin, und ich war einfach nicht in der Lage, es aus dem Chaos da zu extrahieren, ich weiß es nicht. Aber schade wär's schon.

Mir gefällt dein Text, auch, wenn ich ihn viel zu oft habe lesen müssen. Da geht so eine makabre Faszination von aus, auch von der Sprache, die du wählst. Delirium kannst du, finde ich, aber da braucht es noch mehr Arbeit. Arbeit für und gegen den Leser, so absurd das jetzt klingen mag: An diesen Stellen sagst du zu viel, machst es dir einfach, an den anderen lässt du den Leser (und deine Geschichte) ein wenig im Stich. Ist schwer, das ordentlich fassen zu können, auch für mich.

Am Besten, du liest nun erst mal ein paar der anderen Geschichten und sagst den Autoren, was du denkst. Dann schreibt dir jemand Andres vielleicht, dass ich total daneben liege. Ist nämlich gut möglich.

In diesem Sinne: Hau rein.

PSS

 

Hallo rmtlpmpf,

Ich hatte ebenfalls anfangs Schwierigkeiten, deinen Text zu verstehen. Das erste Drittel musste ich bestimmt 5 mal lesen, bis es bei mir richtig Klick gemacht hat. Und als es das tat, hab ich richtig Gefallen dran gefunden.

Ich mag es, wie du die OP-Szene und die Erinnerungen (wobei ich bezweifle, dass es sich um solche handelt) deines Prots miteinander verschmelzen lässt. Das gibt dem Ganzen eine auf den ersten Blick undurchsichtige Konsistenz, auf den zweiten erkennt man schon mehr Transparenz und beim dritten hatte ich mich bereits daran gewöhnt. Mir gefallen Geschichten grundsätzlich, die beim ersten Mal Lesen nicht sofort verstanden werden; zu diffus dürfen sie aber auch nicht sein, weil ich dann schnell die Lust am Lesen verliere. Deine Geschichte passt da grad so noch rein und hat somit mein Interesse geweckt.

Ich habe die Geschichte so verstanden, dass dein Prot unter akutem Stress steht, den er sich selbst verschreibt, weil er denkt, dass nur er es selbst am Besten machen kann, Fehler dürfen er und die anderen sich nicht erlauben. Das scheint für ihn das Wichtigste zu sein. So eine Lebenseinstellung zerrt an den Nerven und bringt ihn schließlich unters Messer und da liegt er also nun und muss wohl das erste Mal in seinem Leben die Verantwortung, die Kontrolle über sich, über sein Leben, gänzlich abgeben, als ihm ein Herzschrittmacher (?) eingesetzt wird. Doch wie er damit umgeht, erfahren wir nicht. Er befindet sich schließlich unter Narkose. Stattdessen erzählst du alles aus einer auktorialen Erzählperspektive, die es erlaubt, Geschehnisse vorwegzugreifen, ohne dabei aus einer spezifischen Personenperspektive zu schildern. Diese Metaebene finde ich gut gewählt, da sie zu dem aktuellen Zustand des Prots passt, der unter Narkose nicht denk- und sprechfähig ist und wir dennoch so viel über ihn erfahren können. Aus einer anderen Perspektive wären die Schilderungen aus dem Leben des Prots schließlich nicht möglich gewesen, die ebenfalls sehr spezifisch gewählt sind. Es sind wie kleine Spots, die uns aus der Lebenschronik entgegen leuchten und hier und dort mit dem Geschehen im OP ineinander greifen, z.B.:

Als Kind wollte er gern alles richtig machen. Stolz hob er den leeren Teller, als er das Hendl aufgegessen hatte. Im Wirtshaus. Die Mutter schimpfte. Was sollten die Leute denken? Währenddessen denken sie wenig.

Beeindruckend finde ich auch die ganzen Details während der OP. Das hat mich neugierig werden lassen. Kennst du dich auf diesem Gebiet aus oder beruht das auf guter Recherche? Ich hatte die Szenen jedenfalls sehr plastisch vor Augen.

Was ich trotzdem, auch nach längerem Grübeln, nicht verstanden habe, war die Stelle mit den Regenwurm-Makkaroni. Bitte kläre mich auf :D
Ebenso rätsel ich immer noch über den Titel der Geschichte. Was hat es damit auf sich? Ich raff's leider nicht.

Insgesamt betrachtet würde ich deine Geschichte als eine Art Patchworkdecke beschreiben. Da werden Fetzen an andere Fetzen gehängt. Auf der einen Seite hat das eine interessante Wirkung, man muss nachdenken, wie das jetzt gemeint ist, in welchem Kontext das steht. Auf der anderen Seite irritiert es und frustriert zum Teil, weil man zu sehr darüber grübelt und nicht dahinter kommt.

Nächtelang hatten sie Pakete gepackt, sein Studienfreund und er.
Was für Pakte? Wird irgendwo sichtbar, was gemeint ist?

Jetzt fotografierte er lieber Sachen. Einer macht seinen Bericht. Der Mann auf der Autobahn war eingeschlafen und dann war er tot. Nachher war die Mutter schnell weiß geworden. Er hatte für sie gearbeitet.
An dieser Steller - neben der mit den Makkaronis - bin ich negativ hängen geblieben, da mir die Fetzen zu schroff aneinander gefügt sind, zu diffus erscheinen. Um was für einen Mann geht es, der da auf einmal stirbt? Sein Vater? Sowas könntest du vielleicht noch sauberer rausarbeiten, damit das Ganze runder wird.

Auf die Rechtschreibfehler gehe ich jetzt mal nicht ein, da der Inhalt und die Form deines Textes zu viel Aufmerksamkeit verlangen ;)

Ich wünsche dir noch viel Spaß beim Schreiben und hoffe auf weitere Texte von dir.

Viele Grüße
Die Nachtwanderin

 

OH! Ich danke Euch vielmals für das ausführliche, differenzierte und hilfreiche Feedback. Ihr habt mir Eure Augen und Gedanken geliehen und Eure Zeit geschenkt. Das ist wertvoll und mehr als ich gehofft hatte. Jetzt bin ich bei der Arbeit, daher dieser rasche Dank. Ausführlicher antworte ich mit etwas mehr Ruhe.

 

Hej rmtlpmpf,

zu Beginn find ich das Ganze noch spannend, dieses Hin und Her hat etwas von Flickwerk, als würde Dein Text die Fummelei am offenen Brustkorb wieder spiegeln.

Leider hab ich schon vor der Hälfte nicht mehr gut zuhören können. Das mag z.T. auch daran liegen, dass ich heute einfach zu müde bin, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass mir die Person, die da auf dem Operationstisch liegt bis dahin besonders nahe gekommen ist.

Ich guck die Tage noch mal, ob ich Dir mehr dazu sagen kann (oder vllt mein jetziges Urteil revidiere, weil ich mit mehr Klarheit im Kopf alles ganz anders und viel besser sehe).

Ich wünsche Dir noch viel Spaß hier,

LG
Ane

 

Hallo Purersternenstaub,

vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast, die Geschichte zu lesen und ein so ausführliches Feedback zu geben.

Deine Anmerkungen haben mir sehr geholfen, sie erscheinen mir sehr überlegt und nachvollziehbar begründet. Danke! Ich nehme u. a. mit, dass mein Vorhaben bzgl. der allwissenden Erzählperspektive noch nicht aufgegangen ist und dass ich zu viel gekürzt habe, so dass darunter die inhaltliche Ebene („… verstehen, was da geschieht“ und „Text, nicht Kurzgeschichte“) gelitten hat.

Natürlich freue ich mich sehr, dass dir die Idee gefällt und freue mich schon darauf, die Geschichte zu überarbeiten. Jetzt wandert sie aber erstmal eine kleine Weile in die Schublade, damit ich wieder Abstand gewinne: So lange ich beim Lesen jeden Satz auswändig mitsprechen kann, gelingt es mir kaum, unsentimental größere Änderungen vorzunehmen.

Lieber Gruß,
rmtlpmpf

PS: Dein Tipp bzgl. Forenaktivität ist angekommen.

 

Hallo Nachtwanderin,

auch dir ein herzliches Dankeschön für’s Lesen und Feedback geben!

So wie du die Geschichte zusammen gefasst hast („Ich habe die Geschichte so verstanden, dass …“), trifft es einiges von dem, was ich vor Augen hatte sehr gut.
Dass Vieles nicht klar geworden ist, leuchtet mir auch ein (Titel, Regenwurm-Makkaroni, Pakete packen, Herzschrittmacher, der Mann auf der Autobahn, die Relation zwischen Ärztin und Patient). In meinen Gedanken schwingen natürlich viele Informationen auch dann noch mit, wenn ein gekürzter Absatz längst nicht mehr dort steht. Aber der Grat zwischen hohem Tempo bzw. gewollten Perspektivenwechseln und unlösbaren Rätseln ist schmal.

Die Pakete sind ein Erlebnis aus der beruflichen Anfangszeit des Mannes. Hier wird offensichtlich nicht deutlich, dass er mit positiven Gefühlen daran zurück denkt, dass er nicht nur Stress und Probleme hatte, sondern auch schöne und zufriedene Arbeitsphasen, bedauerlicherweise durchkreuzt durch die Frau seines Partners. Das ist zu kurz geraten, ebenso wie deine anderen Beispiele. Die möchte ich gerne in einer überarbeiteten Version besser ausführen. Eine zweites Beispiel jetzt ausführlicher:

Der Patient befindet sich unter Vollnarkose in einer Bypass-Operation. Hierfür werden Blutgefäße im Körper frei gelegt und ausgeschnitten (z.B. in der Wade) und in der Herzregion statt verstopfter Blutgefäße wieder eingesetzt (Regenwurm-Makkaroni). Zusätzlich bekommen solche Patienten immer auch die Kabel für einen Herzschrittmacher eingesetzt: Sicherheitshalber, damit man die Patienten nicht noch einmal aufschneiden muss. Falls der Herzschrittmacher später doch nicht gebraucht wird, können die Kabel einfach wieder entfernt werden.

Ich selber habe keine medizinische Ausbildung, aber begeistere mich für Themen, die in unserer Welt selbstverständlich geworden und damit für einige, wenige Menschen beruflicher Alltag sind (wie z.B. eine Operation am offenen Herzen), aber für die meisten Menschen noch wie Science-Fiction anmuten, weil sie kaum damit in Berührung kommen.

Zum Titel: „Ordnungszahl: 19“ ist die Position von Kalium im Periodensystem ("Kalium lähmt den Muskel"). Und der Protagonist ist ein Sammler und Sortierer, er ordnet alles, was er hat.

Lieber Gruß,
rmtlpmpf

 

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