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Oranienburg

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11.07.2021
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Oranienburg

Merkwürdigerweise machte ich mir als erstes Sorgen darüber, wie er den Fleck wieder aus dem Teppich rauskriegen will. Nie hätte ich vermutet, dass ein Faustschlag ins Gesicht so eine Wirkung haben kann. Man hätte ja direkt einen Wassereimer unter seine Nase stellen können. Er sitzt auf seinem Stuhl inmitten einer Blutpfütze, die immer größer wird und von der Auslegeware aufgesogen wird. Nelly und ich fragen ihn, ob wir ihm helfen können. Er verneint. Instinktiv spüre ich, dass wir hier überflüssig sind. Hier will jemand mit seinem Kummer allein bleiben. Wir gehen verstört aus der Wohnung, aber mir tut es leid. Eigentlich wäre ich lieber bei ihm geblieben. Der Abend hatte so gut angefangen.

Meine Freundin Nelly und ich hatten uns eine Flasche Whiskey gekauft und waren spontan in die S-Bahn gestiegen und nach Mönchmühle an den See gefahren. Mitten in der Woche, an einem Sommerabend war es hier relativ ruhig. Die Mücken waren sehr zudringlich. Das brachte uns auf die Idee, unsere Beine mit Whiskey einzureiben. Schade um den schönen Whiskey. Die Mücken störten sich nicht an dem Schnapsgeruch und stachen uns fleißig weiter.
Ein Stück weiter neckten ein paar Jugendliche, die eindeutig rechts waren, ihre Kumpeline, ein hübsches, sinnlich wirkendes Mädchen und bespritzten sie mit Wasser. Man sah ihr an, dass sie sich in ihrer Mitte pudelwohl fühlte. Ich überlegte, ob sie auch so dachte wie ihre Clique, oder ob sie sich darüber keine Gedanken machte. Als Nelly und ich zurück zur S-Bahn gingen, flog mit einem Mal eine Weinflasche haarscharf an meinem Kopf vorbei, und sie schrien uns etwas hinterher, wo das Wort Linke drin vorkam. Dazu waren sie wahrscheinlich durch meine hennaroten Haare inspiriert worden. Ich fühlte mich eigentlich sogar irgendwie geschmeichelt, dass ich für eine Linke gehalten wurde, denn in den coolen Hausbesetzerkneipen, von denen es in der Gegend, in der ich wohnte, jede Menge gab, wurden wir überhaupt nicht beachtet.

Auf dem Bahnsteig fuhr gerade die S-Bahn nach Oranienburg ein, und wir entschieden uns einzusteigen und nicht gleich nach Berlin zurückzufahren. Wir wussten eigentlich auch nicht, was wir in Oranienburg wollten. Nelly und ich waren beide aus der Provinz. Sie kam aus einem kleinen Dorf im Oderbruch und ich aus einem Dorf in Mecklenburg/Vorpommern. Vielleicht waren wir deshalb Freundinnen geworden.

Als wir in Oranienburg durch die Straßen schlenderten, staunte ich, dass sich hier überhaupt nichts verändert hat. Das ganze Graue, Triste, Bedrückende waren immer noch da, auch wenn jetzt Anfang der Neunziger kunterbunte Westwaren in den Schaufenstern lagen und überall Werbung für Coca-Cola klebte. Ich glaube, Oranienburg erinnerte Nelly an die Kleinstadt in Sachsen/Anhalt, wo sie ihre Lehre gemacht hatte und auch noch kurz gearbeitet hatte, bevor sie mit Anfang zwanzig nach Berlin ging. Wir bekamen Hunger. Auf dem Marktplatz gab es zum Glück noch die alte ostdeutsche Bratwurstbude. Mit Döner konnte ich mich nie so recht anfreunden. Nelly, die auch schon Erfahrungen mit Frauen gemacht hatte, fand die Imbissverkäufern niedlich. Ich hätte sie, mit ihrer Dauerwelle und ihrem Look, für eine junge Ehefrau und Mutter gehalten, und das war sie wahrscheinlich auch.

Langsam wurde es Nacht. Nelly steuerte die nächste Kneipe an. Es war ziemlich leer. Einen Tisch weiter, saßen ein paar Leute in unserem Alter, zwei Männer und eine junge Frau, alle so Mitte zwanzig, die sehr kontaktfreudig wirkten. Nelly war die jüngste von uns. Schon nach dem ersten Bier saßen wir mit bei ihnen am Tisch. Die anderen drei kannten sich schon jahrelang und freuten sich über die neue Bekanntschaft. Der eine, der sehr nach Knast aussah, kümmerte sich um Nelly, dagegen redete der andere, ein Typ mit langen Haaren, auf mich ein. Es stellte sich heraus, dass die beiden Männer erst vor kurzem von ihren Frauen verlassen worden waren. Der, der sich mit mir unterhielt, sah eigentlich ganz gut aus und war sympathisch, aber war mir trotzdem völlig gleichgültig. Wahrscheinlich merkt man instinktiv, wenn einer das nicht erst meint. Er war wohl noch lange nicht über seine Trennung hinweg. Die Kumpeline der beiden musste nach Hause, und wir restlichen vier kauften noch eine Flasche und gingen zu einem der beiden Männer in die Wohnung. Ich hatte dabei ein mulmiges Gefühl, aber Nelly wollte unbedingt. Der Grund dafür war, dass ich den einen der beiden, der wohl gerade aus dem Knast kam, für aggressiv und unberechenbar hielt. Aber Nelly wollte heute Abend unbedingt noch etwas erleben. Also musste ich mit. Ich hoffte, dass sie sich nicht mit ihm einlässt, denn ich hatte ein schlechtes Bauchgefühl. In der Wohnung, die ziemlich deprimierend wirkte, tranken alle, außer ich, weiter und Nelly unterhielt sich mit dem einen und auf mich redete der Langhaarige ein. Unsere Unterhaltung war aber nur freundschaftlich.

Langsam schlich sich bei mir das Gefühl ein, dass mir mein Gesprächspartner, der mir zu Anfang völlig gleichgültig gewesen war, gefällt. Er sah gut aus und war intelligent und sensibel. Auch imponierte mir, dass er kein oberflächlicher Typ war, sondern dass der Verlust seiner Freundin, die mit dem Kind zu einem anderen gezogen war, ihn extrem mitgenommen hat. Vielleicht war das ja hier in dieser tristen Stadt, in dieser tristen Wohnung, das, wonach man immer gesucht hatte. Auch Nelly und ihr Gesprächspartner lachten zusammen und unterhielten sich angeregt.

Plötzlich und unerwartet geschah das, womit ich ja von Anfang an gerechnet hatte, denn ich hatte seinen Kumpel vom Gefühl her immer für einen „Hauer“ gehalten. Eine Faust fuhr an mir vorbei und in das Gesicht meines Gegenübers. Bei dem Angreifer hatten wohl Kinderheime, Jugendwerkhöfe und Knäste ihre Wirkung hinterlassen. Schlagartig war alles anders. Nelly, die schon einiges getrunken hatte, wollte wohl die Heldin spielen und drängte sich zwischen die beiden. Ich sah sie schon im Koma liegen, denn der Schläger war ein sehniger, durchtrainierter Typ. Blutströme ergossen sich aus der Nase meines Gesprächspartners auf den Fußboden. Der andere verschwand in der Nacht, und wir drei blieben in der Wohnung zurück. Ich fühlte, dass er allein bleiben wollte mit seinem Schmerz, und dass ich ihm eigentlich nichts bedeutete. Beim Rausgehen hoffte ich noch, dass er mich zurückhalten würde, aber er saß bloß zusammengesunken auf seinem Stuhl und starrte vor sich hin. Erst hatte ihn seine Freundin verlassen, und jetzt war auch noch sein bester Kumpel, den er schon viele Jahre kannte, grundlos auf ihn losgegangen. Nelly und ich gingen zum Bahnhof. Der erste Zug nach Berlin stand schon da, und wir setzten uns in die S-Bahn, auch wenn sie erst in einer Stunde fuhr.

 

Hm, klingt nach realem Vorfall und somit als winziger Ausschnitt aus einer – Jean Paul hat es mal so genannt – „Selberlebensbeschreibung“,

liebe Frieda,

dass ich mich allsogleich frag – war das Ende nicht eigentlich vorprogrammiert, wenn bei einem vermeintlich harmlosen Treffen in einer Gaststätte (ich nehm das Wort Gast mal buchstäblich für bare Münze) ein (politisch) linkes Grüppchen auf rechte Vögel trifft. Da zeigt der erste Satz

Merkwürdigerweise machte ich mir als erstes Sorgen darüber, wie er den Fleck wieder aus dem Teppich rauskriegen will.
wie (klein-)bürgerlich im Grunde auch die Linke ist, gar nicht anders sein kann, wenn das System der Erziehung noch immer dem Bismarckschen Sozialstaatsgedanken anhängt und die soziale Struktur konserviert. Der ist ja nicht aus Gutmenschentum entstanden, so wenig wie die Abschaffung von KInderarbeit (und das nicht nur) in Preußen ein humanistisches Ziel hatte, sondern die Kinder vor allem in der aufstrebenden Industrie verkrüppelten und nicht mehr gerade stehn konnten (da gewinnt Turnvater Jahn ja auch eine etwas andere Ertüchtigungssicht).

Meine Frage wäre nach dem Titel

Oranienburg,

denn ursprünglich hätte ich Dich nach Berlin eingestuft … was ja nicht einen Kneipennamen ausschließen kann … und das vorweg: „Kumpeline“ (also das Wort) gefällt mir. So wird Gendern schön ...

Bissken Flusenlese
(wirklich nur'n bissken ...)

Er sitzt auf seinem Stuhl inmitten einer Blutpfütze, die immer größer wird und von der Auslegeware aufgesogen wird.
nix falsch, aber durchs additive „und“ kannstu auf Wiederholungen des „wird“ verzichten
und das gleich hier nochmals
Ich glaube, Oranienburg erinnerte Nelly an die Kleinstadt in Sachsen/Anhalt, wo sie ihre Lehre gemacht hatte und auch noch kurz gearbeitet hatte, bevor ...

Ein Stück weiter neckten ein paar Jugendliche, die eindeutig rechts waren, ihre Kumpeline, ein hübsches, sinnlich wirkendes Mädchen und bespritzten sie mit Wasser.
Direkt hinterm Mädchen bleibt Dear gar nix anderes übrig als ein „es“, erst mit dem nächsten Satz
Man sah ihr an, dass sie sich in ihrer Mitte pudelwohl fühlte.
kann die grammatische Emanzipation vollzogen werden.

Als wir in Oranienburg durch die Straßen schlenderten, staunte ich, dass sich hier überhaupt nichts verändert hat.
(innerhalb eines Satzes musstu auf jeden Fall auf zeitliche Einheit achten, also hier besser „verändert hatte“)

Einen Tisch weiter, saßen ein paar Leute in unserem Alter, …
Warum das erste Komma?

Es stellte sich heraus, dass die beiden Männer erst vor [K]urzem von ihren Frauen verlassen worden waren.
Nix falsch an der Zeitenfolge, aber was hindert uns daran, aus dem sperrigen „worden waren“ ein schlichtes „wurden“ zu zaubern?

In der Wohnung, die ziemlich deprimierend wirkte, tranken alle, außer [mir] weiter und Nelly ...

Nu bin ich gespannt auf die nächste Etappe der Selberlebensbeschreibung!

Bis bald

Friedel

 

Hallo @Frieda Kreuz,

du hast eigentlich einen angenehmen munteren Tonfall in deiner Geschichte, erzählen kannst du, wenn auch einige Flusigkeiten manchmal meinen Lesefluss gehemmt haben, aber dazu gleich noch en detail anhand der Zitate.

Was mir an deiner Geschichte gefehlt hat, ist die Intention. Was genau willst du mitteilen?
Dass es manchmal für Frauen/Mädels sehr gefährlich werden kann? Denn immerhin hätte ja auch sein können, dass der Typ eine der beiden Frauen schlägt. Oder willst du aufzeigen, dass es Menschen gibt, die grundlos aggressiv werden können? Das kommt bei mir nicht so recht an.

Du beobachtest an vielen Stellen angenehm genau, aber an manchen zeichnest du mir zu arg mit grobem Pinsel. Es fehlen also so hie und da Details in deiner Geschichte.

Folgendes ist mir aufgefallen:

die eindeutig rechts waren,
Woran erkennt deine Protagonistin, dass die rechts waren?
wurden wir überhaupt nicht beachtet.
Beachtet trifft es doch eher nicht, denke ich, sondern die beiden waren vermutlich aus der Sicht der Bewohner der Hausbesetzerszene viel zu spießig, wenn nicht sogar aus deren Sicht für reaktionär gehalten. Ich würde da nach der genauen Begründung suchen.
dass sich hier überhaupt nichts verändert hat.
Woran erkennt die Protagonistin das? Ich würde diesen Satz weglassen und gleich bei der dann folgenden Antwort beginnen. Da erklärt sie es nämlich, was sie alles so unverändert findet.

wo sie ihre Lehre gemacht hatte und auch noch kurz gearbeitet hatte,
ein "hatte" weniger macht den Satz flüssiger: "...wo sie ihre Lehre gemacht und auch noch kurz gearbeitet hatte"
fand die Imbissverkäufern
Imbissverkäuferin
Es war ziemlich leer.
Das klingt ein bisschen unbeholfen dieser Satz.
weiter, saßen ein paar Leute in
Komma weg
Der eine, der sehr nach Knast aussah
Woran erkennt deine Protagonistin das? Hier müsste sie ein wenig mehr über ihr dumpfes Bauchgefühl berichten. Woran erkennt man so etwas? Ich weiß genau, was du meinst, man sieht manchmal förmlich, dass Personen mit Brutalität in enger Verbindung stehen. Aber uns Autoren ist nun mal die Pflicht auferlegt, die Augen der Leser zu sein und wir müssen dem Leser vermitteln, was wir erkennend sehen.
Der Grund dafür war, dass ich den einen der beiden, der wohl gerade aus dem Knast kam, für aggressiv und unberechenbar hielt.
Hier formulierst du sehr umständlich. Du hast ja schon an vorheriger Stelle angedeutet, dass der Mann aus dem Knast stammen könnte, das kann man hier weglassen. Wie wäre es mit schlicht: "Ich hielt ihn für aggressiv und was noch schlimmer war, für unberechenbar."
die ziemlich deprimierend wirkte,
Auch hier fehlt Input. Woran erkennt man eine deprimierende Wohnung? Was für Merkmale findet man dort vor?
Unsere Unterhaltung war aber nur freundschaftlich.
Das klingt unbeholfen formuliert. Du willst damit sagen, dass er keinerlei sexuelles Interesse hatte, nicht wahr? Wenn ja, dann sag es auch so.
Bei dem Angreifer hatten wohl Kinderheime, Jugendwerkhöfe und Knäste ihre Wirkung hinterlassen. Schlagartig war alles anders.
Das sind reinste Unterstellungen, ich weiß zwar, was du meinst und die Wahrscheinlichkeit war gewiss groß, dass deine Protagonistin alles richtig einschätzt, aber das kommt hier an dieser Stelle fast schon zu pauschal abwertend und ist eigentlich denjenigen gegenüber, die ebenfalls das Pech hatte, in Kinderheimen, Jugendwerkhöfen oder Knästen in der Ex-DDR zu landen, fast schon verhöhnend. Das willst du ja damit gar nicht ausdrücken.

Du resümierst hier auch zu sehr. Wie wäre es denn, wenn beide Mädels erstmal nur total geschockt sind und dann sich eben zurückziehen aus der Wohnung, aber natürlich auf dem Weg zur Bahn glühend darüber diskutieren, wie so etwas passieren konnte und deine Ich-Erzählerin müsste doch eigentlich auf Nelly einreden und sie immerzu erneut fragen, ob sie denn wirklich nichts vorher gemerkt habe. "Denn man schlägt doch nicht so einfach zu". Verstehst du, wie ich es meine? Deine beiden Mädels nehmen das scheinbar wortlos hin. Sie stellen sich keine Fragen dazu.
Das fehlt mir hier.


Ansonsten habe ich deine Geschichte gern gelesen.

Liebe Grüße

lakita

 

Ein freundliches Hallo an meine beiden Kommentatoren,

da habe ich ja mal was erreicht, wovon jeder, der schreibt, träumt. Jemand hat sich angesprochen gefühlt.
Oranienburg ist übrigens ein Vorort von Berlin. Auf der S-Bahnstrecke nach Oranienburg liegt Mönchmühle. Der See dort ist ein Naherholungsgebiet für die Berliner. Die Skinheads am See waren übrigens total kahlrasiert.
Der Sinn von dem ganzen Text ist, die Nachwendezeit einzufangen. Eigentlich wollte ich ja als Überschrift so was Ähnliches wie: „Bounjour Tristesse“ wählen. Aber das war mir zu vordergründig. Es geht um zwei junge Frauen aus der Ex DDR, die nirgends so richtig reingehören und die auf zwei Männer treffen, die in einer Krise sind. Wir vier waren uns ähnlicher, als ich wahrhaben will.
Zwischen den beiden Freunden hat es wohl im Geheimen gegärt. Da hat sich wohl ein seit langem schwelender Konflikt entladen. Jeder von ihnen hat sich im Anderen widergespiegelt gesehen. Mir und meiner Freundin erging es genauso. Obwohl wir Frauen sind, haben wir auch schon im Streit die Fäuste geballt.
Übrigens, der, von dem ich schrieb, dass er nach Knast aussah, hatte das selber erzählt. Außerdem habe ich mich früher viel in Kneipen rumgetrieben. Dort saß meist in einer Ecke immer ein Trupp „härterer Jungs“, und ohne Anlass flogen plötzlich die Tische und Stühle durch die Luft, und man musste zusehen, wie man rauskommt. Irgendwie habe ich seitdem ein Gefühl dafür entwickelt, ob in jemandem ein Potenzial für Aggressivität ist. Natürlich weiß ich, dass es dafür Gründe gibt, die oft in der Kindheit liegen, prügelnde Väter usw.
Die Wohnung war damals wirklich ein bisschen deprimierend. Man merkte, dass der Wohnungsbesitzer von seiner Freundin verlassen worden war und seitdem einen ganz schönen Hänger hatte. Aber solche Phase hat jeder.
Das Gespräch war keine Anmache oder so etwas. Wir haben so wie Kumpels miteinander geredet. Aber ich schreibe auch, dass mir langsam klarwurde, dass mir mein Gesprächspartner eigentlich ganz sympathisch war.
In den Hausbesetzerkneipen hier in Berlin haben meine Freundin und ich leider wenig Kontakt zu den Anderen gefunden, obwohl wir großes Interesse hatten. Wahrscheinlich lag das daran, dass wir aus zwei deutschen Staaten kamen, die, außer der Sprache, wohl nicht viel Gemeinsames hatten.

 

Hallo @Frieda Kreuz ,

ich lese aus deiner Erwiderung zu meinem Feedback, dass du es wohl gar nicht verstanden hast, was ich zu bemängeln hatte. Das finde ich schade, weil ich glaube, es könnte dich weiterbringen. Bitte versteh mich bloß nicht falsch. Ich käme nicht auf die Idee, von dir zu verlangen, dass du die Geschichte umschreibst, veränderst und so. Das ist ein Part, für den jeder Autor hier selbst zuständig ist und dementsprechend auch die Entscheidungshoheit darüber hat.
Mir wäre aber doch wichtig, dass du verstehst, was mir gefehlt hat. Wir sind hier ja nicht das "Jau, deine Geschichte ist toll"-Jubel-Plattform und verstehen uns als zum Teil intensiv an unseren Texten Arbeitende. Deswegen wirst du hier immer Verbesserungsvorschläge erhalten, weil es die perfekte Geschichte, die jemand zu 100% gefällt nicht gibt.
Und deswegen unternehme ich nochmals einen Versuch, es dir doch näher zu bringen, wie ich es gemeint hatte.

Oranienburg ist übrigens ein Vorort von Berlin. Auf der S-Bahnstrecke nach Oranienburg liegt Mönchmühle. Der See dort ist ein Naherholungsgebiet für die Berliner. Die Skinheads am See waren übrigens total kahlrasiert.
Ich habe grad mit meinem Mann drüber diskutiert, wie man eigentlich Rechte oder wie du jetzt schreibst Skinheads erkennt und als erstes fiel uns tatsächlich, wie du es jetzt schreibst, der raspelkurze Haarschnitt oder das Kahlrasierte ein.
Es ging mir genau darum. Woran erkennt deine Protagonistin eigentlich, was und wen sie da vor sich hat. Ich bin nur die Leserin, ich muss durch deine Autorenaugen schauen. Wenn du die aber nicht öffnest und berichtest, woran man Rechte erkennt, dann kann ich es entweder nicht einordnen oder aber ich habe zufällig meine eigenen Bilder vor meinen Augen. Aber oftmals möchte man das doch als Autor gar nicht. Da möchte man nicht, dass der Leser sich etwas Falsches vorstellt.
Es hätte mir vielleicht schon gereicht, dass sie kahlgeschoren waren, vielleicht hätte noch ein oder zwei Sätze, die sie sagen, die Sache vervollständigt.

Ich versuche dir ein anderes Beispiel zu geben, vielleicht ist das für dich einfacher zu sehen, was ich meine: Wenn ich in einer Geschichte schreibe " Dahinten kommen Gläubige", dann möchtest du doch von mir wissen, wieso ich das schreibe, woraus ist das schließe, ersehe, wie sie aussehen und was für Gläubige es sind. Ich kann das nicht so einfach behaupten. Ich muss es dem Leser zeigen.

Der Sinn von dem ganzen Text ist, die Nachwendezeit einzufangen. Eigentlich wollte ich ja als Überschrift so was Ähnliches wie: „Bounjour Tristesse“ wählen. Aber das war mir zu vordergründig.
Wäre anstelle von Oranienburg durchaus ein guter Titel gewesen.
Es geht um zwei junge Frauen aus der Ex DDR, die nirgends so richtig reingehören und die auf zwei Männer treffen, die in einer Krise sind. Wir vier waren uns ähnlicher, als ich wahrhaben will.
Und genau das erklärst du mir jetzt, aber es hätte in der Geschichte stehen müssen. Ich hätte nach dem Lesen der Geschichte mir selbst sagen müssen, dass das zwei eigentlich enttäuschte frustrierte Frauen sind, die keine Wurzeln haben.
Übrigens, der, von dem ich schrieb, dass er nach Knast aussah, hatte das selber erzähl
Das zweifele ich keine Sekunde an, nur woran erkennt man so jemanden, wenn man es vorher nicht erfährt? Ich zweifele auch nicht an, dass deine Protagonistin solch ein Bauchgefühl entwickelt hat. Aber das nützt ihr nichts, denn du willst ja den Leser ins Boot holen, der soll erfahren, was das für ein Mensch ist. Also musst du ihn beschreiben. Vielleicht hatte er einen harten Gesichtsausdruck, die Zähne fest aufeinander gepresst,harte Gesichtszüge, kantige Gesichtszüge, breite kräftige Hände, so Hände zum Fürchten ... und so weiter. Auch hier möchte ich mir ein Bild machen.

Außerdem habe ich mich früher viel in Kneipen rumgetrieben. Dort saß meist in einer Ecke immer ein Trupp „härterer Jungs“, und ohne Anlass flogen plötzlich die Tische und Stühle durch die Luft, und man musste zusehen, wie man rauskommt.
Auch deine Erfahrungen zweifele ich keine Sekunde an. Aber die helfen mir nicht und dir nicht weiter, solange du sie nicht in Worte kleidest, die das bildlich darzustellen vermögen.
Ich erinnere mich selbst, dass ich mich früher in Hamburg in so einer Kneipe rumtrieb, weil es damals einfach so exotisch war, unter lauter Ausländern zu sein, die sich nachts dort systematisch betranken und dann wie es schien urplötzlich, während sie hochschnellten den Stuhl auf dem sie saßen als Verteidigungsmittel in der Hand hielten, während der Gegner der leergetrunkenen Weinflasche den Kopf an der Tischkante abschlug, um sich damit zu verteidigen. Es kam einem damals so vor als sei das urplötzlich geschehen, weil man abgelenkt und auf was ganz anderes fokussiert war. Aber überraschend war es eigentlich nie, weil immer vorher auch eine Art Streit schwelte. Einer, den man selbst zum Teil gar nicht richtig kapierte, weil man gar nicht mitbekam, dass die Ausländer untereinander sich zum Teil hassten und es nur wenig brauchte, um zuzuschlagen.
Was mir in deiner Schilderung fehlt, sind genau deine Beschreibungen, die du jetzt hier im Kommentar gemacht hast. Wenn du die ausbaust, dann würde deine Geschichte plastischer werden.
Irgendwie habe ich seitdem ein Gefühl dafür entwickelt, ob in jemandem ein Potenzial für Aggressivität ist.
Und auch das zweifele ich nicht an. Aber es fehlt mir dazu quasi die Betriebsanleitung deiner Protagonistin in der Geschichte.
. Natürlich weiß ich, dass es dafür Gründe gibt, die oft in der Kindheit liegen, prügelnde Väter usw.
Soweit muss man ja gar nicht zurückdenken. Von jetzt auf gleich aggressiv werden, das wird nur bei Leuten der Fall sein, die psychische Probleme haben. Aber im Gegensatz zu Otto Normalverbraucher gibt es halt Leute, die sind derartig schnell aggressiv, gegen diese Menschen hätte man selbst eine irre lange Leitung. Und ich gebe dir Recht, es gibt Personen, denen sieht man an, dass etwas in ihnen lauert und das ist unberechenbar.
Nur in deiner Geschichte muss das erklärt werden für den Leser. Der kann ja nicht deine Gedanken lesen. Btw: dann bräuchten wir auch keine Bücher.
Die Wohnung war damals wirklich ein bisschen deprimierend. Man merkte, dass der Wohnungsbesitzer von seiner Freundin verlassen worden war und seitdem einen ganz schönen Hänger hatte. Aber solche Phase hat jeder.
Was macht eine Wohnung so? Ist die Tapete fleckig, sind die Wände an allen Stellen verschmiert und wirken als hätten sie die letzten 50 Jahre keine Farbe bekommen? Blättert die Farbe von den Türblättern ab? Sehen die Fugen im Bad schon ranzig braun aus? Wellt sich der Linoleumfußboden? Knarren die Dielen? Ist das Waschbecken vergilbt?Hat sich schon Tapete an manchen Stellen von der Wand gelöst und es sind Ecken umgekippt und hängen in der Luft? Ist Grünspan auf dem Balkonfußboden? Ist der Teppich voller Flecken?
Wirkt alles schmierig? Stapeln sich das Geschirr? Liegt überall was herum? Wobei man da bereits mit einer einzigen Szene etwas darstellen könnte, um dem Leser den Eindruck zu vermitteln, dass es dort deprimierend aussieht.
Das Gespräch war keine Anmache oder so etwas. Wir haben so wie Kumpels miteinander geredet. Aber ich schreibe auch, dass mir langsam klarwurde, dass mir mein Gesprächspartner eigentlich ganz sympathisch war.
Ja, aber das sind, so wie du es jetzt schreibst, auch wieder nur Resümées dessen, was in der Protagonistin vor sich geht. Wie gelangt sie aber dahin? Was fühlt sie? Was denkt sie?
Wie verhält sie sich?
In den Hausbesetzerkneipen hier in Berlin haben meine Freundin und ich leider wenig Kontakt zu den Anderen gefunden, obwohl wir großes Interesse hatten. Wahrscheinlich lag das daran, dass wir aus zwei deutschen Staaten kamen, die, außer der Sprache, wohl nicht viel Gemeinsames hatten.
Schau da haben wir doch schon einen Aufhänger. Dieses Gefühl, obgleich man sich solidarisch fühlt, dann aber doch nicht Gemeinsames zu finden. Das kann man darstellen.
Es wird dafür Fakten geben. Verbessere mich gern, wenn ich hier Mist schreibe, aber ich erinnere noch, dass in der DDR die Mieten so preiswert waren, dass man wirklich viel Geld übrig hatte für den restlichen Lebensunterhalt. Die BRD-Besetzerszene entstand ja schon deswegen, weil es kaum bezahlbaren Wohnraum gab und manche Mietshauseigentümer einfach ihre Häuser aus Spekulationsgründen leerstehen ließen. Renovieren und danach vermieten, war ihnen nicht ertragreich genug, statt dessen wollten sie lieber verfallen lassen, abreißen und neu bauen. Das sind schon Unterschiede in tatsächlicher Hinsicht.
Aber das müsstest du dann in der Geschichte auch darstellen und dass es sicherlich geschmerzt hat, zu erkennen, dass beide Seiten dasselbe wollten, nämlich eine gerechtere Welt und die BRD-Typen einfach eine Arroganz in sich hatten, die verletzend war.
Das fehlt alles im Text.

Ich hoffe, ich habe es dir nun ein wenig deutlicher aufzeigen können, was mir gefehlt hat.


Lieben Gruß

lakita

 

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