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Ophelia und das geraubte Geburtstagsgeschenk
Es war ein drückend heißer Sommertag und ich war auf dem Weg zum Haus meiner Schwester Ophelia. Schon auf dem Weg zu ihr hatte ich das komische Gefühl, dass heute noch etwas Geheimnisvolles und Aufregendes passieren würde.
Ich strich mir die blonden Haarsträhnen, die an meiner Stirn klebten, aus dem Gesicht und klopfte bei Ophelia an der kunstvoll geschnitzten Eingangstür an.
Aufgeregtes Bellen von ihrem süßen Mischlingshund erklang durch die Haustür und ich hörte Ophelia über den Flur heranschlurfen. Es war echt heiß und mit meinem Babybauch fühlte ich mich wie ein Elefant in der Savanne. Ich hoffte deshalb darauf, dass meine Schwester mir schnell öffnete. Ein kühles Glas Wasser und dann hinsetzen, das war jetzt mein Wunsch.
Da ging endlich die Tür auf. Ihr müder Blick verwandelte sich in ein Strahlen, als sie mich sah. “Sophia!“ ,trällerte Ophelia zur Begrüßung und ließ dabei ihre roten Locken auf und ab wippen. “Rein mit dir“, forderte sie mich auf und ich folgte ihr ins Wohnzimmer. Ihr Hund Asterix lief mit wedelndem Schwanz und hechelnder Zunge hinter uns her. Ich setzte mich auf ihr blaues Sofa und fächelte mir Luft zu, während Ophelia mir aus der Küche mein Glas Wasser holte. Da setzte sich Asterix zu mir, schaute mich aus seinen runden Knopfaugen an und öffnete sein Maul, um mich, wie sonst auch, bellend zu begrüßen. Statt seinem vertrauten Bellen schoss aus seinem Maul jedoch, wie bei einem Märchendrachen, eine kleine Flamme.
Ich schrie erschrocken auf und fiel fast vom Sofa herunter. Ich schaute ihn an, er hatte sein Maul wieder geschlossen. Ich hatte sicher einen Hitzschlag und Halluzinationen. Ängstlich legte ich meine Hände über meinen Babybauch. Was sollte jetzt nur aus meinem Kind werden?
„Ophelia, dein Hund speit Feuer!“ kreischte ich entsetzt in Richtung Küche.
„Oh, das ist neu“ ,meinte meine Schwester Ophelia und reichte mir zu dem Glas Wasser ein gut gekühltes Glas alkoholfreien Sekt. Ich schaute sie verwundert an.
„Wir müssen was feiern“,plapperte Ophelia fröhlich,„ Mein Nachbar Gustav von schräg gegenüber mit dem ich ja seit kurzem befreundet bin, hat mir sein Geheimnis verraten. Er kann zaubern! Ich konnte es erst auch nicht glauben, doch Asterix ist der lebende Beweis. Er hat ihn verzaubert und jetzt kann er die Wände hoch laufen und außerdem Feuer speien, wie du grade gesagt hast. Eigentlich macht er es nur auf Befehl, aber dir wollte er wohl was beweisen.“
Ich starrte sie ungläubig an.
Meine Schwester drehte sich um und kramte in einer an der Wand stehenden, schweren Truhe, als wäre sie selbst eine geheimnisvolle Zauberin, die gleich ein Kaninchen aus dem Hut zaubern würde. Sie gab mir mit bedeutungsschwerer Miene ein seidiges, sehr großes schwarzes Tuch. “Das ist ein Tarnumhang und ich durfte ihn mir ausleihen. Und damit klauen wir das Lieblingsbild von Mama für ihren Geburtstag.“
Ich starrte abwechselnd das Tuch und Ophelia an und fragte mich, ob ich das alles träumte und in Wirklichkeit in einem Krankenhausbett lag, umringt von all meinen Liebsten, die jammerten und sagten, dass die Hitze einfach zu viel für mich war.
Ophelia bemerkte meine skeptischen Blicke, schlang sich das Tuch um und war weg. Da wo sie eben noch stand, war jetzt nur noch die weiße Wand mit einer Kopie von Mamas Lieblingsbild zu sehen, der Caféterrasse am Abend von Vincent van Gogh. Das Original hing natürlich in einem Museum in den Niederlanden. Da wir nahe an der Grenze wohnten, hatte meine Mama das Museum schon oft besucht und das Bild angeschmachtet. Manchmal hatte sie mir dann davon erzählt, wie sie sich vorstellte im Jahre 1888 in Arles in diesem Café zu sitzen und sich mit Van Gogh über seine Kunst zu unterhalten.
Eine Hand schwebte plötzlich ohne Körper im Raum und zeigte auf das Bild. „ Du liebst Mama doch auch, oder nicht? Du weißt doch, ihr Kater ist vor kurzem gestorben und seitdem suche ich nach einer Möglichkeit, wie ich sie aufmuntern kann. Komm schon, Sophia, das wird das perfekte Verbechen!“, meinte Ophelia begeistert.
Ich seufzte. “Also gut, wenn das echt alles wahr ist mit dem Umhang, dann machen wir das“. Ophelia jubelte: “Danke, Süße!“
Sie guckte auf die Uhr. “Wir sind noch nicht zu spät und können gleich los. Proviant liegt schon im Auto“. Ihr Auto war eine klapprige Mühle und sie hatte einen rasanten Fahrstil. Ich würde diese Fahrt sicher nicht genießen.
„Sophia, ich kann deinen Bauch sehen!“, jammerte Ophelia. Wir saßen unter dem Tarnumhang eingequetscht in der Toilette und warteten, bis auch die letzten Besucher das Museum verlassen hatten. Zuvor hatten wir versucht, uns wie normale Besucher unter die anderen Menschen zu mischen und waren über die Gänge des Museums geschlendert. Möglichst unauffällig hatten wir dabei ausspioniert, wo die Kameras hingen. Als der Wachmann schließlich die letzten Besucher zum Gehen aufgefordert hatte, liefen wir schnell zur Toilette.Hier umklammerte ich nun die Kopie aus Ophelias Wohnzimmer, die wir anstelle des echten Bildes aufhängen wollten, damit niemand bemerkte, dass es überhaupt verschwunden war. Alle zusammen passten wir kaum unter das Tuch und wir mussten aufpassen, dass unsere Füße nicht hervorguckten.
Als eine Stunde vergangen war,streckten wir unsere schmerzenden Glieder und schlichen aus den Toiletten. Ich versuchte, nicht so laut schnaubend zu atmen, doch so richtig gelang es mir nicht, weil in der Stille einfach alles laut klang. Beinahe erwartete ich, dass uns laut rufend ein Wachmann hinterhergelaufen kam, weil der Tarnumhang doch nicht funktionierte,doch nichts geschah.
Als wir endlich vor dem van Gogh standen, hielt ich einen Moment staunend inne. Ich bewunderte die Atmosphäre des Bildes und die geschwungenen Linien und verstand plötzlich, was meine Mama daran liebte. Bei Ophelia hatte ich das Bild zumeist ignoriert.
Ophelia nahm eine Farbsprühdose aus ihrer Clutch und streckte sich, um die Überwachungskamera durch einen ordentlichen Strahl Farbe aus der Dose unbrauchbar zu machen. Schließlich hatte ihr zauberhafter Nachbar Ophelia eindringlich gewarnt, das sie das Geheimnis wahren musste und er keine schwebenden Bilder auf irgendwelchen Überwachungskameras sehen wollte.
Anschließend ging sie zum Van Gogh und nahm ihn herunter.Ein schriller Alarm erklang sofort.Sie tauschte das Bild schnell aus, während wir schon die schnellen Schritte einer herannahenden Person hörten, die aufgrund des Alarms vermutlich schon einen Diebstahl vermutete.
Ophelia rannte los, aber ich kam nicht so schnell hinterher und stolperte mit dem Bild. Einen kurzen Moment war ich zu sehen. Meine Schwester hielt sofort an und drehte sich zu mir um, warf den Umhang wieder über mich und fragte flüsternd:
“Sophia, alles okay mit dem Bild?“.
“Ja und mir geht es übrigens auch gut!“ maulte ich mit gepresster Stimme und hielt meinen Bauch. “Oh Gott, ich glaube, meine Fruchtblase ist geplatzt.“
Ophelia betrachtete mit zusammengekniffenen Augen in dem schummrigen Licht meine Jeans.
“Quatsch, da ist nix und du bist erst im sechsten Monat“.
„Du hast echt kein Mitleid mit mir!“, beschwerte ich mich.
Ophelia half mir hoch und erstarrte, als ein älterer Wachmann angerannt kam. Für einen Moment verharrten wir in unserer Position,bis er vor der Kopie des Van Gogh stehen blieb und ihn betrachtete.
“Wir müssen hier weg!“ ,drängte Ophelia und ich folgte ihr auf leisen Sohlen.
Wir liefen unter dem Tarnumhang wieder zu den Toiletten zurück, wo ich mich ächzend auf einen Toiletten-Deckel setzte. Wir hatten beschlossen unter dem Umhang darauf zu warten, bis die größte Aufregung vorbei war. Ophelia, die sich neben mich gequetscht hatte, legte ihren Kopf auf meine Schulter und brachte es tatsächlich fertig, in dieser angespannten Situation zu schlafen und dabei noch leise zu schnarchen.
Die nächsten Stunden lebte ich mit der Angst, dass wir entdeckt werden würden und tatsächlich wurde es einmal knapp, als eine Sicherheitsfrau in jede Kabine guckte. Ich hielt der schnarchenden Ophelia die Nase zu, woraufhin sie aufgeregt nach Luft schnappte und uns beinahe verraten hätte. Doch wir hielten dem prüfenden Blick unter unserem Tuch stand und erstarrten dabei zu unbeweglichen Statuen.
Danach musste Ophelia dann auch noch ganz nötig auf Toilette und ich hatte noch nie so lautes Plätschern in meinem ganzen Leben gehört. Sie verzichtete dann zumindest darauf, die Spülung zu betätigen.
Schließlich wollte Ophelia nicht mehr warten und schlug vor, einen Schlüssel vom älteren Wachmann zu stehlen, denn der würde das eh nicht merken. Ich hatte da so meine Zweifel, aber wenn Ophelia sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte man es ihr nicht mehr ausreden.
Wir verließen also unser Versteck und trafen nach kurzem Suchen auf den Wachmann, der murmelnd und kaum verständlich etwas in sein Funkgerät sagte. „Redet der über uns?“ fragte ich Ophelia ängstlich. Ophelia schüttelte den Kopf. „Nein, der flirtet bestimmt mit der Sicherheitsfrau, die wir eben gesehen haben. Und guck mal, er trägt einen Ehering! Er hat es verdient, dass wir ihm den Schlüssel klauen.“
Mit zitternden Fingern griff ich nach dem schweren Schlüsselbund an seinem Gürtel.Da klimperten die Schlüssel.Bevor der Wachmann verwundert herunterschauen konnte,kitzelte Ophelia ihn und er sprang erschrocken zur Seite. Ich sah sie böse an,während sie mühsam ein Kichern unterdrückte. Wenigstens hatte ich mir schnell die Schlüssel greifen können, während der Wachmann nun vermutlich dachte, es gäbe hier Geister, oder er wäre schlicht überarbeitet.
Wir schlichen uns schnell heraus, versteckten das Bild in Ophelias Klapperkarre und machten uns auf den Weg nach Hause.
Der nächste Tag war auch schon der Geburtstag unsere Mama. Wir hatten sie nach Ophelia eingeladen und alles für den Geburtstag vorbereitet. Das schön in rosa Einhorn-Papier verpackte Bild hatte sie schon ausgepackt. Meine Mama stand strahlend vor uns, das Bild in den Händen.„Das ist die schönste Kopie, die ich jemals gesehen habe!“ ,schwärmte sie. Ophelia und ich lächelten uns an und waren äußerst zufrieden mit uns.