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Opa ist tot.

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05.11.2005
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Opa ist tot.

„Opa ist tot.“
Kilian hört die Stimme der Mutter nah an seinem Ohr. Gerne würde er ihre Hand auf seiner Schulter spüren.
Opa ist tot.
„Er hat die Lungenentzündung nicht verkraften können. Mach‘ Dir keine Gedanken, gell, es hat ihm nicht wehgetan.“
Die Stimme der Mutter bricht. Nach einer Weile sagt sie:
„Wir sind jetzt noch im Krankenhaus. Ich bleibe heute Nacht bei Oma und Julia. Bring‘ Lilli ins Bett, ja? Und sag‘ ihr noch nichts davon, ich mache das morgen.“
„Ok.“
„Kilian? Ich habe dich lieb. Und Opa hat Dich auch lieb gehabt, das weißt Du.“
„Mh. Tschüss, Susa.“ Kilian legt das Telefon auf das Tischchen vor ihm.
Opa ist tot.
Der Alte war komplett gaga, ständig hatte er Kilian mit Susas Bruder verwechselt. Dabei war der im Krieg gefallen. Komplett gaga.
Trotzdem. Er hatte doch letzte Woche noch in seinem Sessel gesessen. Einem furchtbar wuchtigen Teil aus schwarzem Leder, das beherrschend im Wohnzimmer seiner Großeltern thront. Genau in der Mitte, sodass sich die gesamte Aufmerksamkeit beim Betreten erst einmal darauf konzentriert.
Wie gut dieser Sessel zu Gerhard passt. Gepasst hat.
Tot. Kilian fühlt sich komisch.
„Komm, Lilli.“
Er geht zu seiner kleinen Schwester, die sich auf dem Sofa zusammen gerollt hat. Sanft weckt er sie.
„Ich bring‘ Dich ins Bett.“

„Opa ist tot.“
Julia klemmt das Handy zwischen Ohr und Schulter, mit fahrigen Bewegungen kippt sie Kaffeepulver in den Filter, füllt den Wasserbehälter auf und drückt auf den Startknopf der Maschine.
„Seit gestern Nacht. Susa, Oma und ich waren bei ihm. Er war den ganzen Tag schon nicht mehr ansprechbar und die Ärzte haben gesagt, sie wüssten nicht, ob er es schafft.
Irgendwann hat es ‚piep‘ gemacht. Und fertig.“
Sie schnieft, öffnet die Tür der Spülmaschine und räumt sie hektisch aus.
„‘Piep‘. Und fertig. Kein Herzschlag. … Oma ist völlig fertig. Sie ist oben und schläft.“
Julia hält inne, einen Keramikbecher in der Hand dreht sie sich langsam um.
„Martin? Bist Du noch da?“
Es ist still.
Dann sagt Martin:
„Entschuldige Schätzchen, was hast Du gesagt? Ich bin im Vulpiano’s mit den Abgeordneten aus Paris. Es ist so laut im Hintergrund.“
Julias Hand beginnt zu zittern.
Der Keramikbecher zerschellt auf den Küchenfliesen.
„Scheiße.“
Julia flucht.
„Scheiße.“
Der Kaffee ist fertig. ‚Piep‘, macht die Maschine.
Julia zuckt zusammen.
Mit dem Handy in der Hand steht sie in den Scherben und schluchzt.


„Opa ist tot.“
Die Großmutter sitzt auf einem Holzschemel vor dem Küchenfenster.
„Das sagen Sie. Aber eigentlich stimmt es nicht.“
Sie weint. Sie weint oft und daher ist es, als geschehe es beiläufig.
Dennoch sieht Lilli sie mit großen Augen an.
„Er ist im Himmel, weißt Du. Bei Gott.“
Mit dem Zeigefinger deutet sie zur Zimmerdecke und nickt.
„Mensch, der Gerhard war doch so ein guter Mann.“
Ihre Stimme verändert sich, die Brauen ziehen sich zusammen, das Kinn bebt.
Lilli ist auch traurig. Sie klettert auf den Schoß der Großmutter und schlingt ihre kurzen Arme um deren Hals.
Kurz wird Lillis Umarmung erwidert, dann schiebt die Großmutter sie mit einem Ruck von ihrem Schoß.
Wieder nickt sie.
Dann nimmt sie das Messer vom Brettchen und taucht es ins Butterfass.
Lilli beobachtet die fleischige, mit Altersflecken übersäte Hand, die mit geübten Bewegungen eine Scheibe Graubrot bestreicht, Salz darauf streut und das Brot anschließend zum Mund führt.
Abbeißen, Kauen, Schlucken. Normalität.
Für Lilli sieht die Großmutter sehr groß aus. Gelangweilt vom Anblick des kauenden Kiefers schweifen ihre Gedanken ab.
Opa ist also im Himmel. Wie es da wohl aussieht?
Sicher voller Flauschewolken, auf denen man hüpfen kann.
Und der Opa hat sich auf einer ein Haus gebaut, mit einem Vorgarten und einem Briefkasten aus Holz.
Und gerade jetzt liegt er auf dem gestreiften Liegestuhl und lässt sich die Sonne auf den dicken Bauch scheinen.
Lilli steht vor ihrer Großmutter und gluckst leise.
Ihre Augen leuchten, bevor die Hand der Alten ihre Wange trifft.


„Opa ist tot.“
Susa ist nackt, entspannt liegt ihr Kopf auf Peters Brust.
„Es ist merkwürdig es auszusprechen. Als werde es erst dadurch, dass mein Mund die Laute formt tatsächlich.“
„Ich weiß, Liebes.“
„Mein Vater ist tot.“
Sachte fährt Susa mit den Fingern durch Peters Brusthaare.
„Du weißt, wie ich zu ihm gestanden habe. Ich kann nicht sagen, dass es mich schmerzt.“, sagt Peter.
„Mh.“, macht Susa. „Ich wusste ja, dass es passiert. Es ist nicht so, dass es mich überrascht oder ich sehr traurig bin. Es ist nur komisch.“
„Ich sag‘ es nicht gern, Susa. Aber er war ein Faschist. Ein wenig vertrottelt und alt, aber das macht es nicht besser.“
Susa steht auf und geht zum Fenster. Grazile Hände schieben die weiße Spitzengardine zur Seite, Susa sieht in die friedliche Winterlandschaft hinaus.
Peter fährt fort:
„Allein schon dieser alberne Sessel. So ein riesiges Teil in dem engen Raum. So muffig und alt. Fast schon tragisch. Genau wie er eigentlich, immer wollte er etwas beherrschen, dass für seine starke Hand zu schwach, für seinen Größenwahn zu klein war. Das hat er nie verstehen können. Nein falsch, er hat es nicht verstehen wollen, er hat sich gar nicht die Mühe gemacht.“
Susa dreht sich um.
„Was soll nur aus Julia werden?“
Wieder dreht sie sich zum Fenster.
„Und dann die Beerdigung, es gibt so viel zu bedenken. Ich muss morgen unbedingt Julia anrufen, sie muss sich so verloren vorkommen.“



„Opa ist tot.“
Julia flüstert in die Dunkelheit. Sie liegt auf dem Rücken und hat die Hände hinter ihrem Kopf verschränkt.
Sie lauscht den tiefen Atemzügen Martins, der neben ihr liegt, und starrt an die Decke.
Sie fühlt sich sehr leer, wie ein Kürbis, den jemand zu Halloween ausgehöhlt hat. Und anstelle eines Lächelns ist da jetzt nur noch eine hässliche Fratze.
Martin war ständig unterwegs und sie sonst ganz allein in dem großen Haus.
Es war doch nur logisch, dass Oma und Opa in die Wohnung unter ihnen ziehen.
Sie hatte so viel Zeit mit ihm verbracht.
Immer schon war er ihr Held gewesen, an den sie sich lehnen konnte und der ihr auf die Beine half, wenn sie fiel.
Und jetzt? Julia ist, als stehe sie verloren im Dickicht der unbegrenzten Möglichkeiten, ohne Halt. Ohne Wegweiser oder Kompass oder Karte.
Jetzt ist sie auf sich gestellt.
Leise steht sie auf und geht zur Tür, kurz dreht sie sich um, sieht ihren schlafenden Mann traurig an.
Sie geht die Treppe hinunter, die Kälte der Nacht hinterlässt eine feine Gänsehaut auf ihren Armen.
Die Tür der Wohnung schleift über den Boden, als sie sie öffnet.
Julia durchquert das Wohnzimmer und setzt sich in den großen schwarzen Sessel.
Einen Moment hält sie im Bewusstsein der Situation inne, dann legt sie ihre Hände auf die Lehnen. Und in Gedanken an gestern und an morgen, an die große Welt, schleicht sich ein Lächeln auf ihre Lippen.

 

Guten Abend Mücke!

Eigentlich eine ganz normale Geschichte. Jemand ist
gestorben und die Familienmitglieder unterrichten sich
gegenseitig vom Ableben des Großvaters.

Aber, ich blicke bei den Beteiligten nicht durch.

Hier zum Beispiel:

„Opa ist tot.“
Julia klemmt das Handy zwischen Ohr und Schulter, mit fahrigen Bewegungen kippt sie Kaffeepulver in den Filter, füllt den Wasserbehälter auf und drückt auf den Startknopf der Maschine.
„Seit gestern Nacht. Susa, Oma und ich waren bei ihm. Er war den ganzen Tag schon nicht mehr ansprechbar und die Ärzte haben gesagt, sie wüssten nicht, ob er es schafft.
Irgendwann hat es ‚piep‘ gemacht. Und fertig.“
Sie schnieft, öffnet die Tür der Spülmaschine und räumt sie hektisch aus.
„‘Piep‘. Und fertig. Kein Herzschlag. … Oma ist völlig fertig. Sie ist oben und schläft.“
Susa hält inne, einen Keramikbecher in der Hand dreht sie sich langsam um.
„Martin? Bist Du noch da?“

Das beeinträchtigt natürlich meine Leselust.

Dabei finde ich das Thema recht interessant.
Diese subjektive Sicht der Familie auf den Opa, der für den einen
gaga, und für den anderen ein Vorbild war.

Aber wie gesagt, ich blicke nicht durch.

Gruß Malina

 

hallo Mücke,

ich bin wie Malina über die gleiche Stelle gestolpert. Da hast du selber nicht mehr so ganz durchgeblickt und dann Julia/Susa vertauscht.

Es ist schwierig deinen Szenen zu folgen, weil soviele Personen auftauchen, von denen man nicht sofort erkennen kann wer sie sind und in welchem Verhältnis sie zum Opa stehen. Vieleicht kannst du da ein bisschen mehr Ordnung reinbringen?

So ganz verstehe ich auch das Ende bzw. den tieferen Sinn der Geschichte. Was willst du genau aussagen?

lg
engelchen

 

Kam mit der Erzählweise nicht klar, die war mir zu abgehackt. Das wirkt eher wie ein Dramenfragment oder Drehbuch. Den Ansatz finde ich gar nicht schlecht, der tote Opa mit seinem pompösen Sessel ist in meinem Kopf lebendig geworden, die Charakterisierung einer Figur, die selbst gar nicht in der Geschichte auftritt, mittels eines markanten Details - das finde ich beeindruckend.

Ein paar Redundanzen sind mir aufgefallen:

„Scheiße.“
Julia flucht.
Ach nee;-)

Mit dem Zeigefinger deutet sie zur Zimmerdecke und nickt, als wolle sie selbst ihre Worte bestätigen.
Dass sie ihre eigenen Worte bestätigt, geht schon aus dem Nicken hervor, würde ich streichen.

Susa steht auf und geht zum Fenster. Grazile Hände schieben die weiße Spitzengardine zur Seite
"Grazile Hände" klingt überkandidelt, warum nicht einfach "ihre Hände"?

Julia ist, als stehe sie verloren im Dickicht der unbegrenzten Möglichkeiten, ohne Halt. Ohne Wegweiser oder Kompass oder Karte. Oder Joker.
Finde ich albern, würde ich streichen.

das waren so die Stellen, über die ich beim Lesen gestolpert bin.

 
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Hallo, Mücke!
Mir gefällt Deine Geschichte. Die Anmerkungen bezüglich der Verwechslung der Personen sind m.E. aber zutreffend. Trotzdem finde ich die Idee prima, den Tod durch die verschiedenen Augen erfahrbar zu machen (habe gerade "Tannöd" gelesen, da wird ähnlich montiert).

Ich würde generell nicht "mehr Ordnung" in die Figuren bringen - sollen sich die Leser doch erstmal etwas mühen, das macht die Geschichte interessant. Problematisch ist aber, dass sowohl die Enkel Kilian und Lilli als auch die Töchter Juia und Susa von der Großmutter/Mutter immer als "Oma" sprechen, auch wenn das in vielen Familien so üblich ist.

Die in der Tat abgehackte Erzählweise finde ich gerade angemessen - wenn jemand gestorben ist, ist man als Hinterbliebener wie betäubt und nicht wie gewohnt fähig, umfangreiche Zusammenhänge in den Gedanken herzustellen.

Ich würde vielleicht den letzten Absatz mit dem vorletzten vertauschen, denn die Einschätzung des Schwiegersohns rundet die Geschichte besser als jetzt ab und der Hinweis auf den wuchtigen Sessel in Kilians Absatz findet so seine Erklärung erst am Ende - das erhält die Spannung.
Die Figur der Julia müsste schärfer und konsequenter gezeichnet werden: warum brauchte sie den Vater als Leitbild? Warum leidet sie nach Einschätzung ihrer Schwester Susa am meisten nach dem Tod des Vaters? Was für Pläne hat sie nun und hat denn der Vater sie, solange er lebte, daran gehindert, sie umzusetzen? Warum zweifelt Susa an der Zukunft der Schwester, die doch einen Mann (Martin) hat, also eine eigene kleine Familie? Martin könnte eine Ursache für die Schwäche Julias sein, aber das bleibt alles noch zu unklar. Wenn er dem Vater so kritisch wie Peter gegenüber stünde, wäre ein Konflikt möglich, der Julias Schwäche ebenfalls erklären könnte.

Einen Kommafehler gibt es noch:
"Oma hatte eine Kur gemacht und Opa war zwar immer noch ein starker Mann gewesen, aber auch starke Männer werden alt."
In diesem Satz verstehe ich auch den gedanklichen Zusammenhang zwischen der "Kur" und der Stärke des Verstorbenen nicht.

Das war's.
Lieben Gruß
Minna

 

Hey Malina,
Vielen Dank für deinen Kommentar.
Ja, das war natürlich ein Fehler, an dieser Stelle geht es um Julia. Ich habe die Namen verwechselt, ist aber schon geändert.
Schade, dass die Geschichte sich dir nicht erschließt, es sind wohl mehr die Konturen einer Familie geblieben, daran muss ich noch feilen.
Liebe Grüße

Hey Engelchen,
Auch Dir vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.
Der tiefere Sinn der Geschichte ist einfach die Darstellung des Umgangs der Familie mit dem toten Opa und vor allem von Julias Reaktion, die die Loslösung vom Elternhaus bzw. vor allem vom dominanten Vater erst mit dessen Ableben vollziehen kann, da er eine so zentrale Rolle in ihrem gesamten Leben gespielt hat und natürlich auch immer noch spielt. Sie wird ja auch von den anderen Familienmitgliedern bsw. von Susa als schwaches Glied in der Kette charakterisiert, die aus der unglücklichen Beziehung zu Martin flieht, in dem sie sich für ihre Eltern aufopfert. Das Ende soll das Freimachen und den Neuanfang symbolisieren, der sich durch den, natürlich erstmal schmerzhaften, Tod des Vaters bzw. Opas andeutet.
Die letzte Szene muss ich wohl noch deutlicher zeichnen.
Grüße!

Hey Medya,
Vielen Dank für deine Änderungsvorschläge!
Habe sie teilweise übernommen, allerdings gefallen mir die grazilen Hände, die sollen bleiben.
Gruß!

Hey Minna,
Vielen Dank für deinen Kommentar, schön, dass du etwas mit der Geschichte anfangen kannst.
Ich denke auch, dass Julia als Charakter noch zu schwammig ist. Ich muss noch mal überlegen, wie ich die Absätze anordne, weil ich schon gerne hätte, dass sie das letzte Wort hat.
Die Fehleinschätzung der Familie, die sich um Julia sorgt, soll durch ihre Schlussreaktion relativiert werden.
Auch sollte ich wohl erwähnen, dass Julia die jüngere Schwester ist, da so die enorm enge Beziehung zu den Eltern vielleicht nachvollziehrbarer wird.
Oh je, ich vermute, da liegt noch ein ganzes Stück Arbeit vor mir.
Vielen Dank für deine Zeit und liebe Grüße!

 

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