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26.01.2016
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Only you

I​

Die Morgensonne schnitt eine leuchtende Schneise in den verhangenen Himmel und bedeckt Asphalt und Beton mit Licht. Spatzen taten es den Hähnen auf dem Lande gleich und begannen ihr balzendes Konzert. Und während Kaffeegeruch und brutzelnde Spiegeleier auch in den Häusern der Stadt für Aufbruchsstimmung sorgten, verhieß der aufreißende Himmel einen Sonntag, wie ihn Georges Seurat nicht besser zu Bilde hätte bringen können.
Doch das Morgenritual täuscht nicht über die Stille hinweg, die fühlbar in der Luft lag. Eine Stille, wie sie Stadien umweht, kurz nachdem ein Spiel oder ein Konzert sein Ende findet und die Menschen bereits daheim von dem Gesehenen berichten. Eine Stille, die von Vergangenem erzählt und dabei schützend die Hände vor den Mund legt, um nur denjenigen davon zu berichten, die genau hinhören.
An jenem Morgen brüllte jene Stille. Sie tobte und schrie, wie die Menschen so blind seien könnten, das Geschehene der letzten Nacht nicht wahrgenommen zu haben. Doch sie weinte auch und schluchzte. Ein Zustand, wie er allenfalls nach dem Ende der ersten Liebe auftritt, voller Kraft und doch zerbrechlich wie der Hals eines Weinglases.
Ihr Wissen belastet sie und mit dem aufkommenden Tageslicht erhielt die Erkenntnis einer Tragödie Einzug. Eine Tragödie, die nicht wirklich eine war und deren Ausmaß vielleicht den Horizont der aufbrausenden Stille überstieg, wie sie da tobend und schnaubend über den Köpfen der Menschen hing.

II​

Dany sog kräftig an dem verbliebenen Glimmstängel. Er wollte den Schmerz in seinen Lungen spüren, während der wabernde Qualm ihm Tränen in die Augen trieb. Dies war seine erste Zigarette seit, ja seit er zwischen den Schenkeln seiner Mutter das Licht der Welt erblickt hatte. Trotz dem ihm speiübel war, zwang er sich einen Zug nach dem anderen in seine schmerzenden Lungenflügel.
Lennhard saß ihm gegenüber. Ein breites, rotes Lächeln aus Blut zog sich über seine Kehle. Seine Augen waren nach hinten gerollt und starrten ausdruckslos der Küchendecke entgegen. Das Weiß seiner Augäpfel wurde durch feine, rote Äderchen getrübt, die ein dicker Tränenfilm bedeckte.
Danys Kopf dröhnte wie ein Presslufthammer. Er berührte die aufgeplatzte Haut nahe seiner Schläfe. Dort, wo Lenny ihn mit dem Toaster getroffen hatte, der seine Geldbörse um 120 € erleichtert hatte. "Welcher normale Mensch, der auch nur ansatzweise bei vollem Verstand ist, kauft einen Toaster für 120€", hatte ihn Lenny einst gescholten.
Der Verkäufer hatte das Gerät wie den heiligen Gral des 21. Jahrhunderts gepriesen. "Das ist nicht einfach nur ein Toaster, das ist ein Lifestylegerät, Sir", hatte ihm der kleine Mann hastig mitgeteilt. "Modernste Sensor-Elektronik, Digitalanzeige, 12 fein abgestimmte Röststufen sowie ein integriertes Radio machen den Shockwaver zum Hingucker in jeder Küche." "Kann das Ding auch fliegen?", hatte Dany schnippig hinterhergeschoben, was den Mann in seinem Eifer etwas zu kränken schien. Doch Dany hatte nur gelacht, dem Verkäufer auf die Schulter geklopft und gesagt:
"Keine Angst, ich nehme ihren Shockblazer."
"Shockwaver", berichtigte der Mann eifrig und lächelte schüchtern.
Nun lag dieses Monster von einem Gerät wie ein verchromter Ziegelstein auf dem Küchenboden. 120€ und das Ding taugte absolut nicht als Mordwaffe. Dany lachte über diesen Gedanken und für den Bruchteil einer Sekunde entspannte sich sein verkrampfter Körper. Diese Gelegenheit nutzte sein Magen, um Alkohol und Erdnüsse - Danys Abendbrot - mit einem kräftigen Schub Richtung Mundhöhle zu befördern. Das Gemisch ergoss sich über den Küchenboden und vermischte sich mit Blut und Dreck.
Die Leuchtstoffröhren an der Wand flackerten, als würden sie diesem erbärmlichen Schauspiel Beifall spenden. Eine kurze Regung des Publikums, bevor wieder das Licht des Vollmonds die Küche erfüllte. Kalt und erbarmungslos brannten sich die bleichen Finger des Erdennachbarn durch das Fenster und tauchten die Szenerie in ein gespenstiges Licht.
Plötzlich ertönte ein Knall, gefolgt von einem Rauschen, bevor das integrierte Radio des Shockwavers ansprang. Sinatra gab gerade „I did it my way“ auf dem Century-Taste-Sender zum Besten; dem Kanal für alle Nostalgiker oder jene, die sich aus musikalischer Sicht in einem falschen Jahrzehnt geboren wähnten.
Das war das Gute an diesen kabellosen Dingern, dachte Dany, die funktionieren einfach überall. Bereits bevor das silberne Ding an seine Schläfe geknallt war, lief das Radio, doch er konnte sich nicht entsinnen, wessen Stimme zu diesem Zeitpunkt aus dem 120€-Gerät ertönt war.

And now, as tears subside
I find it all so amusing

Dany blickte erneut auf Lenny, der ungewöhnlich gerade auf dem Stuhl saß; dafür, dass bereits jegliche Lebenskraft aus seinem Körper gewichen war. Doch sein Blick wanderte weiter, folgte den Strahlen des Mondes, die auf ein Foto fielen, das mit einem Magnet in Form einer Blume an die Tür des Kühlschranks gepinnt war.
Darauf war eine Frau zu erkennen. Deren braune Rehaugen schienen ihn zu fokussieren. Ihr ovales Gesicht, wurde von vollen, braunen Locken umrahmt, die ihren hellen Teint sowie ihr feines Kinn betonten. Selbst in Danys jetzigem Zustand lächelte Rose ihn an, wie sie es immer getan hatte und wie es ihm jedes Mal aufs Neue, den Atem verschlug.

III​

Es war Danys erster Tag an der Uni. Er saß im Einführungskurs Betriebswirtschaftslehre und knabberte nervös an den Nägeln. Wirtschaft für Dumme, oder diejenigen, die sich bisher noch nicht mit der Thematik ihres zukünftigen Studiums vertraut gemacht hatten, wäre der Vorlesung als Umschreibung vollkommen gerecht geworden.
Der Saal war riesig. Unzählige Reihen von harten Holzsitzen wanderten Stufe für Stufe von der Eingangstür hinunter zum Professorenpult. Hinter jenem erstreckte sich eine riesige Tafel, die liegend auch ein Badmintonfeld hätte füllen können. Ein Kreide-Wasser-Gemisch verschwamm mit dem tannengrün der Tafel und bildete abstrakte Muster.
Dany hatte sich bewusst in die mittlere Reihe des Auditoriums gesetzt, um in der Anonymität der Masse zu verschwinden. Dazu saß er ganz außen, um sich durch die Nähe des Treppengangs jederzeit eine Fluchtmöglichkeit offen zu halten. Bei all den Maßnahmen mochte man meinen, King Kong führe diese Vorlesung und nicht der verwirrte Dr. Moore, dessen Vortragsweise ebenso kraftlos wie der Inhalt seines Kurses war.
Der Saal war rappelvoll und trotzdem hatte Dany es geschafft, den Sitz neben sich freizuhalten. In einem Anflug von Geborgenheit, legte Dany seinen Rucksack auf den freigebliebenen Sitz, als ihn plötzlich eine Stimme schroff aufforderte: "Rutsch mal."
Danys Atem stockte. Flink wie ein verschrecktes Kaninchen fügte er sich der Anweisung. Erst nachdem sich sein Herzschlag wieder normalisiert hatte, wagte Dany einen Blick auf denjenigen, der sich seines Platzes und vor allem seiner Fluchtmöglichkeit bemächtigt hatte.
Der Junge, der etwa in seinem Alter war, starrte ihn unverhohlen an. Sein Blick wanderte von Dany Gesicht zu dessen Schreibpult, auf dem ein vorbereiteter Block und mehrere Schreibutensilien Danys wissbegierigen Eifer verrieten. Er wusste nicht warum, aber in jenem Moment schämte sich Dany dafür.
Als der Blick des Jungen eine Zeitlang auf dem Pult verweilt hatte, strecke er seine Hand aus und sagte: "Hi, Lennhard Wallet". Zögernd ergriff Dany die Hand und stotterte: "D-D-Dany Torrence, hi". "Du gefällst mir Dany. Guter Körperbau, breite Schultern, markantes Gesicht, ordentliche Zähne. Im alten Rom hätte man einen ordentlichen Groschen bei einem Sklavenhändler für dich bekommen." Lennhard grinste. Und bevor Dany etwas erwidern konnte, fügte er hinzu: "Nur an deiner Frisur müssen wir noch arbeiten, wenn man das da auf deinem Kopf überhaupt so bezeichnen kann." Daraufhin knuffte er Dany an der Schulter und lachte.
Tatsächlich glichen sich ihre Haarschnitte frapide, nur das Lennhard seine mittelangen, nussbraunen Haare ordentlich zur Seite gekämmt hatte, während Danys Spitzen wild in alle Himmelsrichtungen griffen. Generell war dies der einzige markante Unterschied zwischen den Beiden Studienanfängern, die sich ansonsten optisch sehr ähnelten.
Die vielen Worte des fremden Jungen schossen wie eine Welle durch Danys Kopf und zwangen ihn zur Sprachlosigkeit. Doch selbst wenn er in der Lage gewesen wäre, etwas zu antworten, hätte er es wohl nicht getan, da Lennhard unaufhörlich weiterplapperte: „Keine Sorge Kumpel, ich krieg dich schon noch aus deinem Schneckenhaus. Und jetzt greif dir einen deiner Stifte und schreib mit. Nächste Woche übernehme ich das. Arbeitsteilung nennt man das, wirst du hier auch noch lernen.“ Abermals grinste er Dany an.
Es war ein stilles Bekenntnis, das Dany zur Gründung dieser Freundschaft beitrug. Und auch wenn es erzwungen wirkte, so wurde ihm im Laufe der folgenden Jahre mehr und mehr klar, dass es aus vollstem Herzen stammte.
Lennys impulsive Art und sein ehrgeiziges Wesen taten ihm gut, rissen ihn mit und steigerten sein Selbstbewusstsein. Auf ihrer ersten Studentenparty betranken sie sich gemeinsam mit ihren Kommilitonen. Billiger Bourbon sorgte dafür, dass er letztendlich Lennys Druck nachgab und zum ersten Mal in seinem Leben ein Mädchen ansprach. Ihr Name war Diana Stills und der Alkohol hatte auch in ihrem Hirn für die Lösung einiger Sittenketten gesorgt. Und so dauerte es nur wenige Minuten, bis sich die Beiden wild knutschend auf einem verschlissenen Sofa wiederfanden.
Das nächste klare Bild an das sich Dany erinnern konnte, war das Erwachen in seinem winzigen Bett im Studentenwohnheim. Als er die Augen öffnete, bohrte sich die Sonne wie ein Laser durch seinen Kopf. Sein Mund war trockener als das verschlissene Sofa auf dem er sich gestern mit dem blonden Mädchen gewälzt hatte. Wie war doch gleich ihr Name? Dana?
Den Schmerz in seinen Gliedern ignorierend, drehte sich Dany und erblickte das blonde Mädchen. Der Geschmack ihrer Zunge, die wie ein in Schnaps eingelegte Gurkenscheibe durch seinen Mund gefegt war, unbeholfenes Gefummel sowie eine geöffnete Kondomverpackung schossen ihm durch den Kopf. Doch abgesehen von jenen Gedankenfetzen waren die restlichen Bilder in seinem Kopf verschwommen. Ungläubig beäugte Dany die Frau zu seiner Linken, die ein leises, regelmäßiges Grunzen von sich gab.
Plötzlich sprang die Tür zu Danys kleiner Bude auf und Lenny steckte neugierig den Kopf herein. Er blickte von Dany zu dem blonden Mädchen, gaffte dann einige Sekunden auf die entblößte Brust der Fremden, schaute dann erneut zu Dany und grinste, wobei er wie ein Irrer aussah, da die Spuren der letzten Nacht auch sein Gesicht gezeichnet hatten.
Dany grinste zurück und formte mit seiner Hand ungelenk ein Peace-Zeichen, bevor er sich über den Teppich erbrach.

IV​

Dany lachte. Die Würgegeräusche hatten das Mädchen unsanft erwachen lassen. Hastig hatte sie sich eine Decke um die Hüften geschlungen und aus dem Staub gemacht. Lennys brüllendes Gelächter hatte das gesamte Wohnheim erzittern lassen. Nun saß er dort mit aufgeschlitzter Kehle und das Lachen war ihm vergangen.
Dany griff nach der Schachtel Lucky Strikes um die zweite Zigarette seines Lebens zu rauchen, als Lennys Augäpfel nach vorn rollten und ihn anstarrten. Mit der Schachtel in der Hand verharrend glotzte Dany in dessen braune Augen. Scheiße nochmal, er hat haselnussbraune Pupillen, schoss es Dany durch den Kopf.
Seine Mutter hatte das Dunkelblau seiner Augen damals oft mit dem Nachthimmel verglichen. Darin liegt die Unendlichkeit, hatte sie ihm dann immer gesagt und anschließend auf die Stirn geküsst.
Jahrelang hatte man sie für Zwillinge gehalten und nie hatte auch nur eine Menschenseele den kräftigen Unterschied ihrer Pupillenfarbe erwähnt. Jetzt, hier in der Küche im flackernden Licht der Neonröhren tat sich dieser Gedanke ganz klar hervor, wühlte sich durch die Schmerzen in Danys Kopf und gebar zur Erkenntnis.
„Seit wann rauchst du Waschlappen denn“, krächzte es aus Lennys Kehle. Die Stimme, die etwas Monotones, Totes in sich trug, riss Dany aus seinen Gedanken. Na klasse, jetzt quatsch ich schon mit Toten. „Schnauze“, erwiderte Dany, nicht sicher, ob er den Kühlschrank oder den Toten dazu anwies. Lennys Mund verschob sich langsam zu einem Grinsen, wobei sich die tiefe Wunde an seiner Kehle spannte, was einige frische rote Tropfen zu seiner Brust wandern ließ.
„Na na, das heißt doch nicht, dass wir beide nicht ein letztes Pläuschchen halten können.“ Auch wenn sich Lennys Mund leicht zu den Worten bewegte, so schien die Stimme doch eher aus dem clownesken Halbmond auf seiner Kehle zu kommen.
„Du sollst die Schnauze halten“, erwiderte Danys gelassen und sog daraufhin unbeholfen an der Zigarette, die er sich inzwischen angezündet hatte. Lenny neigte leicht den Kopf, sodass sich das Grinsen auf seinem Hals verschob. „Du siehst aus wie ein Zwölfjähriger, der zu blöd zum Rauchen ist.“ Sein Grinsen wurde breiter. „Danyboy wir haben einen Heidenlärm veranstaltet und dir dürften nur noch wenige Minuten bleiben bis die Bullen hier eintreffen.“ Tot oder nicht, er hatte Recht.
"Und nun willst du mir die letzten Minuten als freier Mann zur Hölle machen was?"
„Wie denkst du nur von mir“, antworte Lenny mit gespielter Empörung.
Seine Arme hingen nach wie vor schlapp herab, doch sein Mund erfreuter sich neuer Lebendigkeit. Das konnte man vom Rest seines Gesichts nicht behaupten. Ausdruckslose starrten diese braunen Augen auf ihn. Wie eine Wachsfigur saß ihm Lennys lebloser Körper gegenüber.
„Gib deinem alten Kumpel einen letzten Zug, ja?“
Dany wusste nicht, warum er sich erhob. Vielleicht hoffte er, sein toter Freund würde daran ersticken und endgültig die Klappe halten. Sein Körper heulte auf. Langsam lief er um den Tisch herum auf den lebendigen Toten zu. Er tat selbst einen tiefen Zug, bevor er den Sargnagel in Lennys grinsendes Maul steckte. Dessen aufgeplatzte Lippen schlossen sich um das kraftlose Orange des Filters und sogen daran. Dany nahm die Zigarette wieder an sich und für einen Moment hatte er die Hoffnung, dass Lenny nun endgültig verstummt war. Doch dann stieß er den inhalierten Qualm in einer riesigen Wolke gen Küchendecke. Wie aus den Nüstern eines Drachen drang der weiße Rauch aus Lennys Nase und - zu Danys Entsetzen - auch aus dessen offener Kehle. Wie die Rauchsäulen eines Geysirs schlängelte sich der giftige Qualm aus den tieferen Stellen der Wunde. Danys Magen begann zu rumoren.
„Ahhhh“ stöhnte Lenny. „Das tat gut. Der beste Zug meines Lebens, oder besser, meines Todes.“ Sein irres Grinsen kehrte so blitzschnell zurück, dass sein leicht Kopf nach hinten klappte und die tiefe Wunde an seinem Hals entblößte. Immer noch stiegen kleine Rauchwölkchen daraus hervor.
„So jetzt zu uns beiden Hübschen“, fiepste er. Die neue Position seines Kopfes hatte die Höhe seiner Stimmlage zehn Stufen nach oben schießen lassen. Unfähig aus eigener Kraft den Kopf wieder nach vorn zu schwenken, klang er, als hätte man ihm die Eier herausgerissen und noch einmal nachgetreten.
„Wie konntest du mir auf der Firmenfeier nur derart in den Rücken fallen, nach all dem, was wir zusammen erreicht und aufgebaut haben; das Studium, die Firma. Ohne mich wärst du immer noch die kleine schüchterne Wurst von damals. Und das ist dein Dank? Bringst deinen alten Kumpel um?“
Nachdem Lennys Fistelstimme verstummte, verkniff Dany sich ein Lachen. Sein Gegenüber klang wie eines der Streifenhörnchen von den Chipmunks. Dann rief er sich ins Gedächtnis, dass er einem Toten keine Rechenschafft schuldig war und schwieg. Doch Lenny fuhr fort: „Du bist doch immer noch nachtragend wegen deiner Rose. Rose hier Rose da. Wolltest es nicht wahrhaben, dass ihr beide nicht vor allen Schicksalsschlägen gefeit seid. Habt euch wohl für den Nabel der Welt gehalten.“
Dany schoss die Zornesröte ins Gesicht, doch er zwang sich zum Schweigen. Er schluckte die Worte hinunter. Sein Blick wanderte langsam von Lennys toten Augen zu dem Foto an der Kühlschranktür.

V​

Rose Virginia Fitzgerald war ihr Name und sie war das schönste Geschöpf auf diesem Planeten. Dessen war sich Dany bereits sicher, als er sie das erste Mal erblickte. In Danys drittem Semester betrat sie plötzlich den Vorlesungssaal, in dem er ein Jahr zuvor auch Lenny kennengelernt hatte, und plötzlich blieb die Zeit stehen. Wie der Fokus einer Kamera schien sich sein Blick scharf auf das fremde Mädchen zu legen, während die Welt verschwamm.
Sie war bereits im 5. Semester und eine Sonderform der Prüfungsauslegung gestattete ihr, ein längeres Referat zu einem der Kernthemen des dritten Semesters zu halten. Während sie sprach, blickte Dany sie unentwegt an. Er saß in den hinteren Reihen des riesigen Hörsaals und hoffte, dass aus der Starrheit seines Blickes eine Art Zoom entstünde, der ihm das Gesicht des fremden Mädchens näher brachte.
Während sie eine Folie nach der anderen erklärte – Dany konnte sich danach nicht einmal mehr an das Thema erinnern – blieb sein Blick an das Antlitz des Mädchens geheftet. Ihre erklärenden Bewegungen wirkten einstudiert aber glaubhaft, und eine Nuance Nervosität verlieh ihrer Gestik einen süßen Charme.
Als sie geendet hatte, stand sie dem Auditorium für Fragen offen. Und dann geschah etwas, dass Dany nicht kontrollierte, sondern einfach tat. Er erhob sich. Vielleicht tat er es in der Erwartung, einmal dieses Gefühl auszutesten, das er empfinden würde, wenn sich die braunen Augen des fremden Mädchens auf ihn legten.
„Ja, bitte?“ fragte das Mädchen, das klein und verloren vor der monströsen Tafel wirkte. Ein Großteil seiner Mitstudenten glotzte ihn inzwischen unverhohlen an, da es normalerweise üblich war, die Hand zu heben, sollte man eine Frage oder einen Einwand hervorbringen wollen. Nun stand er da in einem Meer aus Köpfen, deren Augen ihn fixierten.
Erst jetzt wurde Dany bewusst, was er getan hatte. Hilfesuchend ratterte sein Hirn die aufgefangen Bilder der letzten 30 Minuten durch. Es war wie die geknipsten Bilder einer Kamera zu studieren und festzustellen, dass man unzählige Male das gleiche Motiv fotografiert hatte, und plötzlich war der Speicher voll.
Dany hatte nun bereits einige Sekunden schweigend dagestanden, bis es etwas barsch aus ihm herausplatze: „Wie war ihr Name?“. Nach kurzem Schweigen erhob sich ein kollektives Kichern und auch Rose begann zu lächeln. „Rose Virginia Fitzgerald. Ich darf mich wohl glücklich schätzen, wenn das das Einzige ist, was sie nicht ganz nachvollziehen konnten“, antwortete sie keck ohne ihr sanftes Lächeln dabei abzulegen.
Abrupt setzte sich Dany. Bis auf ein paar Kopfschüttler und einiger höhnischer Zwischenrufe, war er für diese Torheit glimpflich davon gekommen. Doch er registrierte die letzten grinsenden Gesichter nicht. Er versuchte dieses warme Gefühl zu konservieren, dass der Blick des Mädchens in ihm ausgelöst hatte. Für einen Moment hatte sie nur ihn gesehen, hatte es nur sie Beide gegeben.

VI​

Dany spürte die Wärme noch heute. In Gedanken versunken, begann er zu lächeln, bis ihn ein schwaches Schnalzen zurück in die verwüstete Küche seiner Apartmentwohnung holte.
Lenny hatte in Ermanglung der Kontrolle über seinen restlichen Körper, schwach mit der Zunge zu Schnalzen begonnen. Wie ein kraftloses Fingerschnippen drang das Geräusch in seinen Kopf und zog ihn zurück in die Realität.
Dany war inzwischen sehr müde. Es war, als betrachte er die Szenerie durch eine Wolke hindurch: Da war immer noch Lenny, der mit aufgeschlitzter Kehle und breitem doppeltem Grinsen vor ihm saß, den Kopf in den Nacken geworfen und die Augen starr auf ihn geheftet. Die Neonröhren flackerten in einem chaotischen Rhythmus und aus dem Radio ertönte inzwischen ‚The End of the world‘ von der wundervollen Patti Page:

Why do the birds go on singing?
Why do the stars glow above?
Don't they know it's the end of the world?
It ended when I lost your love​

Er schloss die Augen. Visuell abgeschnitten von seiner Umgebung beschlich ihn das Gefühl, einfach wegfliegen zu können. Er fühlte sich, wie ein mit Helium gefüllter Luftballon, der achtlos an einen Laternenmast gebunden wurde. Doch der Knoten öffnete sich allmählich.
Ein fernes Geheul von Sirenen zog ihn erneut aus seinen Gedanken. Lenny hatte mit dem Schnalzen aufgehört und grinste ihn nun wieder an. Sein Kopf war glücklicherweise wieder nach vorne geklappt und seine Stimme dröhnt nun wie das Gebrüll eines Bären: „Danyboy ich weiß, dass du darüber nachdenkst, dich selbst zu killen. Woher? Tja, ich würde es wahrscheinlich selber tun.“ Dany hatte keine Lust darauf einzugehen und ließ seinen Monolog gewähren. „Doch deine einzige Möglichkeit dürfte ein abgestumpftes Küchenmesser sein und die Aussicht darauf, es mehrere Male über dein beschissenes Handgelenk reiben zu müssen, bis du auf rotes Öl stößt.“ Er brummte dies in einem nüchternen Ton, als würde er in irgendeiner heruntergekommenen Spielunke seinem Sitznachbarn die Inhaltsstoffe einer Ketchup-Flasche aufzählen.
Lenny hatte Recht. Doch allein der Tatsache willen, dass dies seinem leblosen Gegenüber eine gewisse Genugtuung verschaffen würde, schob er diese Alternative beiseite. Viel wichtiger war: Was würde Rose dazu sagen? Wie könnte er die Enttäuschung in ihren Augen ertragen, wenn sie erfahren würde, dass er einfach aufgegeben hatte.
Er hegte nicht die Hoffnung, sie irgendwann im Himmel wiederzusehen, wo sie sich gegenseitig mit Weintrauben verwöhnten und den Tag damit verbrachten, anhand von Wolken Gesichter und Tiergestalten zu erraten. Seine religiöse, agnostische Grundhaltung, die ihn prinzipiell an etwas Glauben ließen, dass er aber selbst nicht in Worte hätte fassen können, war vor genau 272 Tagen gestorben. Der Tag, an dem sein Herz brach. Der Tag, an dem Rose starb.

VII​

Keans Blick fixierte die vorbeihuschenden Balken des Mittelstreifens. Er hielt das Lenkrad seines grauen Kombis fest in beiden Händen, während er auf der Gegenspur der Stadtautobahn entlangdonnerte.
Punkt 21 Uhr war er aufgebrochen, hatte in seiner üblichen Penibilität Wetterbericht und Verkehrslage studiert. Das Einzige, dass er nicht bestimmt hatte – was seiner Art völlig zuwider war- war ein Ziel. Er hatte sich grob für einen Abschnitt der Stadtautobahn entschieden, der Tag wie Nacht von einem fließenden Strom an Fahrzeugen erfüllt wurde. Doch es gab keinen bestimmten Ort, den er versuchte zu erreichen. Sein Ziel war der Tod.
Seit 5 Minuten blickte er nun auf die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos, die hupend an ihm vorbeizogen. Adrenalin schoss durch seine Adern und schärfte seine Sinne. Er roch den leicht Dunst, von brennenden Kabeln und schwelendem Gummi. Er sah die unzähligen leuchtenden Augenpaare vor sich, die wie treue Untertanen zur Seite wichen. Und er fühlte die kühle Abendluft, die durch den Lüftungsschlitz drang und über sein Gesicht streifte. Er fühlte sich lebendiger denn je.
Doch war es eben jene Lebendigkeit derer Keane überdrüssig geworden war. Vor allem aber war er der Gedanken überdrüssig, die seinen Kopf Tag und Nacht erfüllten. Gedanken, die sich wie Pfeile in sein Hirn bohrten.
Diana hatte ihm immer gesagt, dass er zu viel denke, bevor sie begann ihn zu liebkosen. Nachdem sie miteinander geschlafen hatten, schwor er sich stets, diese Eigenschaft nach und nach abzustellen.
Nun war es seine Ex-Frau gewesen, die einen Großteil der Pfeile abschoss, die für seine chronischen Kopfschmerzen sorgten. Die Pfeile hatten sich zu einem verdammt großen Haufen angesammelt, den sein Arzt als Hirntumor identifizierte.
„Inoperabel“, hatte er mit genügend Mitleid in der Stimme verkündet, um nicht den Eindruck zu erwecken, er würde über das Wetter sprechen. Ein simples Wort, doch es brach Keane. War sein Dasein zuvor bereits ein großer Scherbenhaufen, so trat nun noch jemand in das Häufchen Elend hinein. Mit festem Schuhwerk und hart gummierter Sohle ließ dieser Jemand die Scherben knirschen, bis sie in winzige Teile zerbarsten.
Die Elemente sind nur rein im Kleinen, hatte Keane einmal gelesen. Demnach hatte er die reinste aller Formen erreicht. Ein Häufchen feinkörniger Glassplitter, das jederzeit durch den Hauch eines Windes auseinander zu stoben drohte.
Gleichzeitig legte dies eine unbändige Wut in Keanes fragilem Herzen frei. Doch diese konnte er nicht kanalisieren. Er wusste nicht, ob er seine Ex-Frau oder seinen Arzt hasste. Er wusste nicht, ob er überhaupt einen bestimmten Menschen hasste. Es war eher ein universeller Hass auf das Leben. Wenn es dir Zitronen gibt, mach Limonade draus. Und wenn du gegen die beschissenen Säuren der Frucht allergisch bist, dann verrecke elendig daran.
Keane lächelte bei dem Gedanken. Nicht, dass sich seine Mundwinkel heben würden; er lächelte innerlich über die Klarheit dieser Gedanken. Das Adrenalin ließ das Blut in seinen Adern pulsieren. Beinahe hätte er seine Brille von der Nase genommen, überzeugt, seine volle Sehkraft wiedererlangt zu haben. In diesem Moment schien alles möglich zu sein.
Er war bereit, all das hinter sich zu lassen: Diana, die er trotz ihrer Abscheulichkeit und ihres neuen Freundes liebte, seinen ehemaligen Chef, der ihm stotternd erklärt hatte, dass der Personalabbau ein notweniges Übel wäre, um die Firma am Leben zu halten, und seinen Vater, der alt und schwach in irgendeinem Krankenhaus an der Pforte des Allmächtigen kratze. Dort werden sie dich nie hinein lassen du stinkender Säufer, dachte Keane gehässig. Nun hoben sich seine Mundwinkel. Wie ein Raubtier hockte er hinter dem Steuer.
Ihm war bewusst, dass diese Aktion das Leben unschuldiger Menschen kosten würde. Doch er hatte nicht das Gefühl, sich einer moralischen Verwerflichkeit schuldig zu machen. Sie haben mich dazu gebracht. Sie alle. Jeder einzelne von ihnen trägt sein Päckchen Schuld an den Toden, die diese Geisterfahrt nach sich ziehen würde.
Zu seinem Entsetzen erschien das Gesicht von Dianas neuem Freund vor ihm. Dieses dümmlich, junge Gesicht eines Mannes, der etwa 10 Jahre jünger als seine Freundin und mit dem Intellekt eines Waschbären gesegnet war. Ein Waschbrettbauch sowie die stattliche Größe seines Penis schienen diese Makel recht wirkungsvoll zu kompensieren.
Der Gedanke an sein dümmliches Grinsen war der Letzte, den Keane je klar fassen würde. Dann ging alles ziemlich schnell. Der rote Chevy knallte frontal in Keanes Wagen hinein. Keane, der den Sicherheitsgurt nicht umgeschnallt hatte, wurde wie von einer unsichtbaren Hand gepackt und nach vorne gerissen. Als er durch die Frontscheibe knallte, war sein Körper - bis auf eine schwere Gehirnerschütterung - noch voll funktionstüchtig. Dann traf er mit dem Gesicht voran auf die Frontscheibe des Chevys. Das Knacken seiner Wirbelsäule ging in dem Knirschen der sich verkeilenden Karosserien unter. Aluminium, Stahl und Glas flirrte durch die Luft, die nun von einem metallischen Geruch erfüllt wurde. Drei Menschen starben an diesem Morgen.

VIII​

Die Sirenen waren jetzt direkt vor dem Haus. Ein unnatürlich steriles Blau huschte über die Küchenzeile. Die bleichen Finger des Mondes hatten sich zurückgezogen und am Himmel im Osten kündigten violette Wolken die Sonne an.
Ein Polizist brüllte etwas in seinen Lautsprecher, doch Dany verstand kein Wort. Er war in einem Zustand purer Entspannung. Seine Glieder gaben die Anstrengungen der letzten Stunden von sich, sein Kopf schob die Tonlage von einem wummernden Pochen auf ein beruhigendes Summen und seine Lider wurden schwer wie eine Felsküste, an die unaufhörlich die Realität brandete.
Ohne Zweifel: Die sprechende Leiche Lennys gehörte nicht zu dieser Realität. Doch wen wunderte es? Nach Rose‘ Tod schwang Dany wie das Pendel einer alten Standuhr zwischen Traum und Wirklichkeit, des Tickens allmählich überdrüssig werdend.
Seine Erinnerungen – vom Schleier der Trauer ummantelt – trugen wenig Trost in sich. All die vergangenen Bilder verband er mit einer Bitterkeit, da sie zu abrupt von Erlebnissen zu Erinnerungen gemacht wurden. Wäre Rose einer langwierigen Krankheit erlegen, wäre seine Trauer nicht minder groß gewesen, doch hätte er Zeit gehabt. Zeit, die ihn schneller zu seinem rationalen Wesen zurückgeführt hätte.
Eine junge Frau war in der Blüte ihres Lebens vom Schicksal zermalmt worden; oder besser: von einem grauen Chevy Nubiria. Der Fahrer hieß Keane Carrighan, arbeitslos, geschieden und in einem Alter, in dem die Gesellschaft keine Neuanfänge duldete. Als Danys Trauer Wut wich und das dringende Bedürfnis einer Schuldzuweisung mit sich brachte, vergeudete er keinen Gedanken an den Mann, den er nie kennengelernt hatte.
Wie die Fühler eines Insekts ertastete seine Wut in erster Linie Lenny. Er war es gewesen, der Rose darum gebeten hatte, das Geschäftstreffen in der benachbarten Stadt zu übernehmen. Er hätte in dem Auto sitzen sollen und in seinen Körper hätten Glassplitter eindringen sollen wie die Zähne eines Raubtieres in rohes Fleisch.
Die Gedanken führten unweigerlich zu ihm. War er es nicht gewesen, der Rose eine Stelle in ihrem erfolgreichen Start-Up-Unternehmen angeboten hatte? Und war er es nicht gewesen, der sie durch die Einladung zu einem Dinner ihrem Schicksal in die Arme geführt hatte?
In ihrer Nähe war er wieder zu dem schüchternen Jungen vor dem Studium geworden, hatte ihre Treffen mit provisorischen Gedankenspielen durchdacht, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein – so wie er einst den Sitzplatz im großen Vorlesungssaal gewählt hatte.
Im Sommer vor 4 Jahren war er zu ihrem ersten Date mit einem Schirm erschienen. Der Abendhimmel war wolkenlos gewesen und die trockene Nachtluft wurde vom Zirpen der Grillen erfüllt.
Jahre später hatte sie ihn häufig mit seinem übervorsichtigen Verhalten aufgezogen. Wenn sie ausgingen, fragte sie ihn oft in einem koketten Ton, ob er nicht seinen Schirm mitnehmen wolle. Er hatte sie daraufhin immer geküsst und dabei in die sanfte Wölbung ihres Hinterns gekniffen, was sie jedes Mal zu einem entzückten, schrillen Kichern veranlasste.
Es waren jene Riten, die er vermisste. Diese Tänze, die nur sie tanzten und die sie nur gemeinsam beherrschten. Plötzlich stand er allein auf der Tanzfläche des Lebens. Die blassen Lichter tauchten das zerkratzte Parkett in einen matten Beigeton. Die Musik war verstummt.

Nur wenige Stunden zuvor hatte er auf noch auf dem Parkett eines pompösen Saals gestanden, den sie anlässlich ihres dreijährigen Firmenjubiläums gemietet hatten. Er hatte zugehört, wie sich Lenny auf der Bühne für ihn entschuldigte, da „Herr Torrence noch nicht in der Verfassung sei, Reden zu schwingen und die Leitung der Firma erneut aufzunehmen“. Was dann folgte, riss Dany aus seiner Lethargie, brachte das Fass zum Überlaufen und erfüllte Dany mit Zorn.
Lenny präsentierte einige der strategischen Unternehmensziele, die äußerst ambitioniert wirkten. Dazu verkündete er feierlich, dass man sich entschlossen hatte, zu expandieren und ein überregionales Firmennetz zu etablieren. Danys Kiefer war langsam nach unten geglitten.
Jahrelang hatten sie darüber diskutiert, wann der richtige Zeitpunkt gekommen war, eine Expansion zu fokussieren und waren immer wieder zu dem Entschluss gelangt, dass sie Geduld walten lassen würden und ein übereiltes Handeln dem Unternehmen nur schaden würde.
Lenny hatte dem jedes Mal zugestimmt, jedoch auch seinen Unmut über dieses „Abwarten“ geäußert. Er sah die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens bedroht, was absolut unbegründet war, da sie mit ihrem Dienstleistungsangebot lokal gesehen ein Monopol bildeten.
Nach der Gründung ihres Unternehmens war es immer wieder zu solchen stillen Auseinandersetzungen gekommen, die stets ungeklärt blieben und sich wie Termiten in den Stamm ihrer Freundschaft fraßen. Rose‘ Tod hatte zum Verdorren des Gewächses geführt, das sein Blätterkleid allmählich von sich gab. Doch diese Ankündige riss den Stamm samt Wurzeln aus dem Erdreich.
In dieser Zeit hatte Dany oft an die Beschaffenheit von Bäumen denken müssen. Ähnlich wie die menschlichen Knochen fand man im Innersten eines jeden Baumstamms das sogenannte Mark. Dazu kommt das tote Kernholz, dass durch seine dunklere Färbung den nicht mehr aktiven Bereich vom helleren Splintholz abgrenzt. Ältere Bäume bestimmter Arten bilden gar einen Falschkern. Durch Wasserentzug werden kleine Hohlräume gebildet, die sich mit Luft füllen. Oxidationsvorgänge sorgen dann für die dunkle Färbung der Stammmitte.
Dany wusste nicht ob ihrer Freundschaft von Beginn an dieses tote Gewebe innewohnte oder ob ihre Meinungsverschiedenheiten zur Bildung eines Falschkerns führten. Ganz gleich, wie es zum Verfall ihrer Freundschaft kam; es geschah.
Diese Analogie ging ihm in dem großen Saal erneut durch den Kopf. Er fühlte sich hintergangen, und was noch viel schlimmer war: er hatte das Gefühl, dass Lenny den Tod seiner Frau und seinen jetzigen Zustand genutzt hatte, um die Richtung des Unternehmens in Bahnen zu lenken, die ihm gefielen. Erst nimmt er mir meine Liebe und jetzt meine Arbeit.
Dann ging alles ziemlich schnell. Dany war auf die Bühne gestürzt, hatte Lenny das Mikrofon entrissen und die verkündeten Pläne kurz und knapp für nicht verbindlich erklärt. Nachdem sich Lennys Verblüffung gelegt hatte, entfachte das Handgemenge um das Mikrofon eine ernstere Rangelei, die rechtzeitig von den Anwesenden unterbunden werden konnte.
Nachdem sich die Lage beruhigt hatte, begannen die Beiden den Abend hindurch mit Blicken, Beleidigungen und obszönen Gesten einen Psychokrieg auszufechten, der von dem andauernden Konsum hochprozentiger Cocktails angefacht wurde.
Trotz Trunkenheit und Rage erfasste Dany gegen 0 Uhr den vernünftigen Entschluss, die Feier zu verlassen, um den anwesenden Mitarbeitern den Abend nicht gänzlich zu ruinieren. Auf dem Weg nach draußen tätschelte er grob Lennys Wange und kniff ihn – begleitete von einem lallenden „Ciao, Wichser“ – fest in die weiche Haut seines Gesichts, was erneut in einer Rangelei mündete. Dabei begann Dany wie irre zu lachen, als hätte er den besten und letzten Witz des Abends gerissen. Doch der Abend war noch jung.

IX​

Auch jetzt noch verschaffte ihm der Kniff in Lennys Wange eine wohlige Genugtuung. Er betrachtete das Gesicht des Toten und sah deutlich einen roten Fleck auf dessen rechter Wange, der trotz getrocknetem Schweiß und Blut klar zum Vorschein kam. Dany grinste.
Schritte hallten von den Dielen des Flurs vor Danys Apartment wieder. Erneut erklang eine Stimme gefolgt von einem energischen Pochen auf das alte Holz der Eingangstür. Die Sonne schielte inzwischen über die gekrümmte Kante der Erde und wärmte Danys Nacken. Die Strahlen entlarvten die Anstrengungen der letzten Nacht auf dem Gesicht von Lenny und ließen ihn gut und gerne 20 Jahre älter wirken.
Inzwischen war das obskure Lächeln aus seinem Gesicht gewichen. Für einen Moment glaubte Dany, er wäre für immer verstummt; doch dann bemerkte er einen wimmernden Zug um Lennys Mund. Auch die Augen hatten ihre Starrheit verloren und füllten sich mit Panik und Verzweiflung. Die verkrustete Wunde an seinem Hals leuchtete heller als es die hereinfallenden Sonnenstrahlen vermochten. Es wirkte, als würde irgendeine höhere Macht seine Wunden annullieren und ihm neues Leben einhauchen. Nur die rote Quetschung auf seiner Wange blieb unverändert. Gott sei Dank.
Dany hatte nicht die Kraft sich darüber zu wundern. Alle Sinneseindrücke verschwammen zu einem formlosen Brei. Die Wärme in seinem Nacken, die leuchtende Wunde an Danys Hals und das unregelmäßige Pochen an seiner Eingangstür vermochte er kaum noch voneinander zu trennen.

Ähnlich hatte er die Zeit nach der Firmenfeier empfunden. Er war in ein Taxi gestiegen und hatte dem Fahrer lallend die Adresse seiner Wohnung mitgeteilt. Die Ledersitze waren schwarz und kühl, wobei er an die zahlreichen Alkoholleichen denken musste, die dieser Wagen ohne Zweifel bereits befördert hatte. Lässt sich super abwischen. Und wenn mal jemand zu viel Magensäure über die Rückbank erbricht, braucht man sich auch keine allzu großen Sorgen um Verfärbungen machen. In seinem benebelten Zustand erschien Dany diese Schlussfolgerung äußerst klug. Er war zufrieden mit sich.
Gerade als der Mann losfahren wollte, sprang die Tür auf und Lenny setzte sich mit einer Flasche Champagner in der Hand zu ihm. Schroff wies er den Fahrer an loszufahren. Erst dort hatte Dany bemerkt, dass es sich eigentlich um eine Fahrerin handelte und auch nur, da Lenny ihn mit allerlei billigen Witzen über die – seiner Meinung nach - mangelnden Fahrkünsten von Frauen darauf Aufmerksam machte:
Was zeigt man Frauen nach 10 Jahren unfallfreiem Fahren? Den zweiten Gang!
Nachdem er ausgiebig über seine eigenen Witze gelacht und einen langen, röhrenden Furz in das Wasserbüffelleder der Sitze gepresst hatte, wandte er sich Dany zu. Unaufhörlich redete er auf ihn ein, wie er es damals in der Universität getan hatte. Doch Dany schenkte ihm keine Beachtung. Gelegentlich ergriff er die Champagnerflasche, die in seiner Erinnerung riesig war, und schüttete das prickelnde Zeug in seinen Rachen. Dazu sah er Lenny ins Gesicht und stellte sich vor, dass der rote Fleck auf seiner Wange einen Mund bekäme und wie sein Sitznachbar auf ihn einredete. Das amüsierte ihn ungemein.
Als das Taxi endlich zum Stehen kam, bedachte Dany die Fahrerin mit einem großzügigen Trinkgeld und entschuldigte sich lallend für Lenny, der unplanmäßig Teil dieser Fahrgemeinschaft geworden war. Die Frau bedankte sich, ohne ihn anzublicken.
Jemand hatte das Fenster im Hausflur offen gelassen. Das stellte Dany zu seinem Leidwesen fest, als er die Eingangstür im Erdgeschoss aufschloss und ihm anstatt wohlig warmer Luft, die alten Backsteingebäuden zusammen mit dem leichten Geruch zerriebener Steine stets innezuwohnen schien, ein kalter Zug ins Gesicht schnitt.
Seine Heiterkeit aus dem Taxi hatte sich verzogen und die 22 Stufen, die hinauf zu seinem Appartement im ersten Stock führten, änderten nichts daran. Er hatte in diesem Moment an eine Szene aus Alfred Hitchcocks ‚Vertigo‘ denken müssen. Darin hatte es der Regisseur durch ein gekonntes Spiel mit der Kamera geschafft, einem Kirchturm eine endlose, hypnotische Aura zu verleihen. Die Figuren wähnten sich in einem Labyrinth aus Stufen, dem zu entrinnen unmöglich schien.
Danys Situation war nicht anders. Während die Protagonistin des Films dem Leben und den damit verbundenen Schrecken zu entfliehen versucht, floh Dany vor Lennhards sprudelndem Mundwerk.
Mühsam hob er ein Bein nach dem anderen. Sein Blut begann stärker zu zirkulieren und die frische Luft wusch den trüben Nebel des vorangegangenen Gelages davon. Sein Zorn kehrte zurück.
Als er an seiner Eingangstür angelangt war und unbeholfen an seinem Schlüsselbund herumfummelte, fiel ihm ein, wie respektlos Lennhard die Taxifahrerin behandelt hatte. Er hatte ihr Gesicht nicht zu sehen bekommen, erinnerte sich aber an einen zierlichen Hals und gepflegte braune Locken, die sich über ihren hellen Nacken ergossen und ein nicht unattraktives Gesamtbild vermuten ließen. Wie bei Rose.
In diesem Moment gab das Türschloss ein einwilligendes Klacken von sich. Und während die schwere Eingangstür zurückschwang, drehte sich Dany um und schlug zu. Die Knöchel seiner Faust trafen auf Lennhards niemals ruhende Lippen. Er verstummte mitten im Satz. Dann flog er rücklings auf die weiter nach oben führenden Stufen und gab ein erbärmliches Jaulen von sich, als er mit dem Steißbein auf die Kante einer Stufe knallte. Wenn er doch nur die Stufen hinuntergefallen wäre, dachte Dany jetzt, dann hätte der Abend an diesem Punkt sein Ende gefunden. Die Leiche Lennhards wäre mit gebrochener Wirbelsäule von den Stufen der Treppe gekratzt worden und Feierabend. Schluss. Der Vorhang fällt.
Doch dies war eben nicht der Fall und so mündete Danys Affekt in einem kurzen Zwischenspiel.
Er spürte an seinen Knöcheln das warme Blut, das aus Lennhards geplatzter Lippe geschossen war. Eine kleine Ecke vom Schneidezahn seines ehemals besten Freundes hatte sich in seine Hand gebohrt, die nach wie vor zur Faust geballt war.
Lenny blickte ihn schockiert an. Doch dieser Zustand war nicht von Dauer. Blitzschnell rappelte er sich auf, hob die unversehrt gebliebene Champagnerflasche empor und hechtete auf Dany zu. Der hatte sich inzwischen abgewendet und war dabei, seine Wohnung zu betreten. Gerade als er in die Sicherheit der eigenen vier Wände eintauchte, sauste die leere Hülle einer 3-Liter-Flasche auf seinen Hinterkopf zu. Es gab einen lauten Knall, bevor tausend spitze Bruchstücke wie kühler Herbstregen auf Danys Nacken niedergingen.
Lenny hatte die Größe der Flasche unterschätzt und gegen den oberen Teil des Türrahmens geschlagen. Nun hielt er den scharfkantigen Rest der einst prächtigen Flasche in seiner Rechten. Sie beide blickten auf die spitze Scherbe, die bedrohlich wie ein glasiger Dreizack in Lennhards Hand ruhte.
Dann brüllte er los. Er brüllte wie ein Krieger aus vergangenen Zeiten, der mit dem Schwert in der Hand in die Schlacht zog, um Volk, Weib und Ehre zu verteidigen. Dany taumelte rückwärts. Dem ersten Hieb konnte er ausweichen. Beim Zweiten stolperte er über die Leiste, die das dunkelbraune Parkett vom helleren Linoleum der Küche trennte. Als er wie ein Käfer auf dem Rücken lag, hastete Lennhard auf ihn zu. Zumindest hält er endlich sein Maul, hatte Dany gedachte. Dann trat er zu.
Er traf – eher glücklich als gekonnt – Lennhards Hand und die grüne Scherbe, die bisher die Machtverhältnisse diese Kampfes klar verteilt hatte, flog durch die Küche. Unbeholfen stand Dany auf. Die Einrichtung kreiste um ihn und das regelmäßige Muster des Linoleums verschwamm zu einem abstrakten Gewirr aus Linien und Punkten.
Gerade als er sich allmählich gefangen hatte, donnerte etwas Schweres an seinen Kopf. Der beschissene Toaster. Dany fühlte sich, als hätte er während einer Zugfahrt den Kopf aus dem Fenster gehalten und eines der vorbeihuschenden Schilder geknutscht.
Erneut taumelte er zu Boden, dem flirrenden Muster des Linoleums entgegen. Er hatte das Gefühl ewig zu fallen, als befände er sich in einer Störung des Raum-Zeit-Kontinuums. Ein Spielball der Natur. Die Welt bestand nur noch aus sich windenden Linien, in die er tiefer und tiefer versank.
Dann traf er auf den kühlen Boden der Küche. Unter Schmerzen drehte er sich auf den Rücken, um mit anzusehen, wie Lennhard auf ihn zu torkelte. Bereit für einen finalen Schlag. Bereit ihm die Lichter auszupusten. Der Vorhang fällt. Auch diesmal irrte er sich.
Während er erneut hilflos wie eine Schildkröte auf dem Rücken lag, streiften seine Finger über etwas Hartes, Kühles. Die Scherbe. Er packte sie mit eben jenem Zorn, durch den sie geschaffen wurde. Dabei hatte er Glück, dass er – ohne den Blick von Lenny zu lösen – nicht in das spitze Ende des zweckentfremdeten Bruchstücks griff.
In einem letzten Kraftakt schwang Dany den grünen Dreizack mit einer ausholenden Geste. Zwei Zentimeter des spitzen Endes drangen in das weiche Fleisch von Lennhards Hals, halbierten den Kehlkopf und öffneten die Luftröhre. Zunächst wirkte es, als hätte Dany mit einem roten Filzstift einen Strich auf seinen Hals gemalt. Dann quoll unnachgiebig wie eine rote Lawine Blut aus der Wunde. Wie eine Menschenmasse sich im Sommersale durch die Eingangstüren eines ohnehin billigen Textilunternehmens quetschte, so drängten sich nun Leukozyten, Erythrozyten und Thrombozyten durch die skalpellhafte Feinheit des Schnitts.
Lennhard war auf die Knie gesunken. Er versuchte etwas zu sagen, was das Blut in seinem Mund jedoch zu verhindern wusste. Hätte Dany nicht gewusst, dass es sich dabei ohne Zweifel um eine letzte derbe Beleidigung gehandelt hatte, so hätte man meinen können, er hätte seine letzte Chance im Diesseits genutzt, um bei den Lebenden um Verzeihung und im Jenseits um Vergebung zu bitten. Dann fiel er nach vorn und landete mit dem Kopf auf Danys Bauch. Wäre all das Blut und der Schweißgeruch nicht gewesen, hätte die Szene etwas Friedliches, Versöhnliches ausgestrahlt.
Die Wochen vor Rose Tod hatte Dany häufig in ähnlicher Weise auf ihrem Bauch gelegen. Er hatte sein Ohr ganz sanft an die leichte Wölbung unter ihren Brüsten gelegt und der Entstehung des Lebens gelauscht, dem bald seine ganze Liebe gelten sollte. Rose war im fünften Monat schwanger, als sie starb.

X​

Der Frage nach dem Beginn des Lebens wird bereits seit Jahrhundert umfassend auf den Grund gegangen. Man kann ihr aus religiöser Sicht begegnen, biologisch auf den Grund gehen, Rechtswerke durchforsten oder aber ausgedehnten philosophischen Diskursen und Ausführungen lauschen. Letztere setzen den Startblock des Lebens teilweise sehr früh an. Steinfuhrt sprach ab dem 14. Tag von einer entstehenden Individualität des Embryos. Für Kant hingegen ist bereits die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle als willkürfreie Zäsur die Entstehung eines individuellen Lebewesens.
Während Dany jene rudimentären Wissensbrocken durch den Kopf schossen, versuchte er sich an seine Situation zu erinnern. Rose hatte ihm im zweiten Monat mitgeteilt, dass sie schwanger wäre. Von dort an empfand er sich als Vater. Für ihn begann das Leben mit dem Wissen um selbiges und seine ganze Liebe galt von dort an zwei Menschen.
Splitterndes Holz wusch diese Gedanken davon. Die Eingangstür war aufgesprungen und feine Holzsplitter verteilten sich im Flur. Zwei Polizisten drängten sich Schritt für Schritt mit gezogener Waffe durch den Flur. Als sie die Küche betraten, begriff Dany, dass er die gesamte Szenerie aus einer erhöhten Position heraus betrachtete. Die Schnur hatte sich gelöst. Der Ballon war empor gestiegen. Nun hockte er wie ein Insekt an der Decke der Küche. Er sah Lenny, in dessen Gesicht Tränen tiefe Furchen in die schmutzigen Wangen gegraben hatten. Die Wunde war verschwunden.
Dann betrachtete er seinen eigenen Körper. Schlaff und reglose weilte dieser auf dem Stuhl gegenüber von Lennhard. Zu seiner Erleichterung waren die Augen geschlossen und kein roter Mund aus getrocknetem Blut zog sich über seinen Hals. Dafür war das Haar an seinem Hinterkopf zu einem roten Büschel verklebt. Hatte der hinterhältige Schweinehund ihm doch rücklings die Flasche über den Schädel geknallt. So hatte ihn der Tod mit Glassplittern, die wie Konfetti um seinen Kopf geflogen waren, und feinen Sektspritzern empfangen. Ein wahrlich feierlicher Empfang.
Mit geringer Verblüffung stellte er fest, dass er der Tote in diesem Spiel war. Er war die Leiche, aus dem das Leben sich weigerte, endgültig zu entfliehen. Er fühlte sich leicht und unbeschwert. Die Schmerzen waren verflogen, er hatte losgelassen.
Er sah wie die Polizisten seine Leiche untersuchten und Lennhard Handschellen anlegten. Dabei hörte Lenny nicht auf zu weinen. Die Tränen rannen wie Sturzbäche über seine Wangen und wuschen den Dreck hinfort. Sie waren Produkte tiefsten Bereuens, die bewiesen, dass er in seinem Inneren doch ein guter Kerl war. Seine Trauer galt nicht seiner eigenen Situation, sondern den Menschen, die er einst gewonnen und nun verloren hatte.
Woher Dany das wusste? Er wusste es einfach. In diesem Moment schien er alles zu wissen. Aus dem Radio erklang ‚Only You‘ von The Platters. Die Klänge erreichten vorsichtig und gedämpft seine Seele, wie sie dort losgelöst von seiner irdischen Hülle an der Decke klebte. Und während er dem Lauf von Lennhards rollenden Tränen folgte, zog ihn etwas aus dem Fenster gen Wolken. Rose. Ich fliege zu Rose. Nach Hause.
Sein letzter Blick fiel auf den Kühlschrank. Das Bild von Rose war verschwunden. Das mit Licht gezeichnete Abbild seiner Liebe ruhte in der schlaffen Hand seines toten Körpers und in dem Moment empfand er Dankbarkeit gegenüber seinem ehemals besten Freund. Sie war es sicher auch gewesen, die ihn mit dem Taxi seinem Schicksal entgegen gefahren hatte. Die scheue Fahrerin, die ihr Gesicht verborgen hatte. Die Sonne seines Mikrokosmos, mit deren Untergang auch die Energie und das Licht aus seinem Leben gewichen waren. Vielleicht würde er nun erfahren, ob ihr Kind ein Junge oder Mädchen geworden wäre. Vielleicht würde er den Grund für Keane Carrighans Geisterfahrt erfahren.
Schneller und schneller stieg er empor. Die Platters gaben die letzten Zeilen von sich:

The magic that you do
You’re my dream come true
My one and only you​

Dann legte sich die Stille über das Haus und die angrenzenden Straßen. Der Ort des Geschehens verstummte. Eine Stille, wie sie Stadien umweht, kurz nachdem ein Spiel oder ein Konzert sein Ende findet und die Menschen bereits daheim von dem Gesehenen berichten.

 

Hallo liebe Community,

hier meine erste Veröffentlichung über diesen Kanal. Viel Spaß beim Lesen :)

 

Hallo Rutaretil und Herzlich Willkommen bei den Wortkriegern.

Ich mag das Horrorgenre sehr gern und war entsprechend gespannt, deine Geschichte zu lesen. Ich beginne mal mit den Dingen, die mir positiv ins Auge gesprungen sind.
Ich finde es schon mal sehr gut, dass du dir viel Mühe mit der Charaketrisierung deiner handelnden Personen gibst. Das lässt den Leser ein wesentlich besseres und tieferes Verständnis für die Figuren entwickeln, als dies bei nur kurz beschriebenen Personen der Fall wäre.
Du kannst abwechslungsreich erzählen und schlägst dem Leser nicht ständig dieselben Formulierungen um die Ohren. Beim Lesen konnte ich deine Bemühungen gut erkennen, jeweils treffende Formulierungen zu finden. Das zeugt von Sprachgefühl und Eloquenz. Auch das ist natürlich sehr praktisch, wenn man schreibt.;)

Nun mal zu den Dingen, die mir allerdings nicht so gut gefallen haben.
Ich finde deine Story nicht zu lang, sondern zu langatmig. Bei dem ohnehin schon recht langen Text (für eine Kurzgeschichte) hast du relativ viel unnötigen "Ballast" eingebaut. Ob es jetzt Danys One-Night-Stand ist, oder seine Liebe-auf-den-ersten-Blick-Nummer während der Vorlesung, die mirkoskopische Beschreibung der Rückbank eines Taxis, die Blutzusammensetzung bei einer Halswunde - das ist alles einfach überall ein Tick zuviel.
Auch deine Eloquenz, die ich ja vorhin als positiven Aspekt angesprochen hatte, wird dir hier leider zum Verhängnis. Du ergehst dich in ausufernde Detailbeschreibungen, du bringst viel zu viele blumige und epische Vergleiche an (Freundschaft mit Bäumen, das Leben mit nem Tanz, Krankheiten mit irgendwelchen Pfeilen) und benutzt auch viel zu exzessiv Metaphern, Adjektive und Bilder. Deine Beschreibungen selbst kleiner Nebensächlichkeiten sind leider zu ausufernd. Das erklärt dann nicht nur die beträchtliche Länge deiner Geschichte, sondern lässt diese dann leider auch streckenweise regelrecht langweilig werden.
Diese ganze Episode mit Lennys sprechender Leiche - sorry, zu viel Sin City! Besonders die Wechsel zwischen den Stimmlagen, die pseudo-höhnischen Kommentare, die Zigarette ... lass das mal weg! Hat für die Story keinen größeren Nährwert und wirkt abgekupfert, so als müsstest du deine Phantasie mit Vorlagen aus Filmen unterstützen. Brauchst du nicht!
Diese Stephen-King-artigen Musikeinschübe haben mich schon immer tierisch genervt!!! Entweder ich lese ein Buch oder ich höre Musik - aber ich muss nicht lesen, dass ich Musik höre!;) Das ist jetzt aber keine formale Kritik an deiner Geschichte, sondern mein persönlicher Geschmack bzw. meine Abneigung bestimmter Stilmittel.
In handwerklicher Hinsicht haben sich -bei der Länge des Textes kein Wunder- auch ein paar Fehler bzgl. Kommas und Rechtschreibung eingeschlichen. Du hast auch ab und zu mal ein Wort vergessen. Da vielleicht nochmal drüberlesen.
Insbesondere im letzten Kapitel X. wird die Trennung zwischen den Personen nicht immer deutlich. Wer hat jetzt keinen roten Strich auf dem Hals? Wer hat jetzt blutverklebte Haare? Das könntest du auch noch etwas mehr verdeutlichen.
Und noch eine kleine logische Anmerkung - deine Geschichte spielt ja offenbar in einem anglophonen Gebiet, nicht wahr? Der Toaster hat aber 120 "Euro" gekostet. Sollten es dann nicht eher Pfund oder Dollar sein? Na gut, natürlich könnte Dany den auch in der EU gekauft haben.;)

So, Rutaretil, angesichts meiner negativen Anmerkungen bist du jetzt wahrscheinlich sauer auf mich und denkst darüber nach, mir mit einem Toaster den Schädel einzuschlagen!:D
Wie gesagt - du hast ja Sprachgefühl und kannst mit Forulierungen gut und abwechslungsreich umgehen. Mein Rat - kürzen, kürzen, kürzen. Klar, macht kein Autor gern, würde aber deiner Story gut tun.:)

Viele Grüße vom Eisenmann

 
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Hallo Eisenmann,

vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, diese nicht ganz so kurze "Kurzgeschichte" zu lesen :p

Ich kann wirklich jeden deiner Kritikpunkte verstehen und nachvollziehen, weil ich als "Nichtautor" dieses Textes wahrscheinlich ähnliche geäußert hätte (ich lasse den Toaster mal stecken).

Im Detail:

Die Langatmigkeit einiger Stellen kommt vor allem dadruch zustand, dass es sich hierbei nicht wirklich um eine Kurzgeschichte handelt. Es ist eher ein Bastard aus Kurzgeschichte und (Kurz-)Roman, der sich nicht so recht für eine Seite entscheiden mag und deshalb vielleicht auch hier ein wenig fehl am Platz ist; weshalb auch einige Details etc. überflüssig wirken ( gibt es hier auf der Seite andere Kategorien, wo man solch längeren Geschichten eher veröffentlichen sollte?).

Ich musste sehr über deine 'Sin City'-Ansprache schmunzeln, weil die eine Szene aus selbigem Film tatsächlich als Inspiration diente.

Auch dein Stephen King-Verweis fand ich ganz wunderbar, da die Geschichte ein Geschenk für meine Mutter war und die ist glühender King-Fan. Die Musikeinschübe mag ich persönlich sehr, sind aber - wie du bereits erwähntest - Geschmackssache :)

Vor allem zum Ende hin, haben sich viele Fehlerchen eingeschlichen, was vor allem damit zu tun hat, dass der Geburtstag meiner Mutter immer näher rückte und das Ende der Geschichte in immer weitere Ferne :D Mit etwas mehr Zeit und einer endringlicheren Überarbeitung hätte man das Gesamtbild etwas sauberer abrunden und weitere Fehler vermeiden können.

Nochmals vielen Dank für deine sehr ergiebige Kritik.

Grüße

Den wichtigsten Punkt habe ich vergessen:

Das mit der Eloquenz, die mir zum Verhängnis wird. Das ist eines meiner Hauptprobleme! Daran werd ich bei hoffentlichen folgenden Geschichten nach und nach arbeiten (die Kritik musste ich mir schon von Mutti anhören :sealed: :D )

 

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