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Onkel Brunos kleine Rache

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23.09.2008
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Onkel Brunos kleine Rache

Das, genau das waren meine Befürchtungen, als ich vom Ableben meines Onkels Bruno erfuhr:
Ausgerechnet mir hinterließ dieser Geizhals etwas.
Mir, seiner renitenten Nichte. Dieser „Neunmalklugen“, der „Besserwisserin“, der „linken Terroristin“, die sich stets lautstark gegen seine rechtspolitischen Überzeugungen geäußert und ihn damit mehr als nur einmal verärgert hatte. Und jetzt das.

Ich sitze an der generationenübergreifenden Kaffeetafel.
„Ein Kleinod“, sagt Tante Agathe würdevoll, als sie das kleine Holzkästchen ihrer Schwiegermutter übergibt, die es an mich weiterreichen soll. "Eine besondere Gabe an seine liebe Nichte."

„Etwas Wertvolles“ schluchzt Oma Magda, während sie für einen kurzen Moment tränenumflort die Schatulle ans Herz presst und mich dabei durchdringend ansieht. „Von meinem Ältesten. Für Dich.“

„Verwahre es gut – und den Inhalt in deinem Herzen“, raunt mir meine Mutter zu, indem sie ehrfurchtsvoll das Kästchen ihres Bruders aus den Händen ihrer Mutter entgegennimmt und es in meine drückt.

Es fühlt sich warm an. So, wie sich Holz eben anfühlt, wenn es von einer Hand in die nächste wandert. Jetzt halte ich es in den meinen und stelle erstaunt fest, dass Onkel Brunos Erbe nicht gleichzeitig mit ihm erkaltet ist, sondern sich wärmend und lebendig anfühlt und nun in meinen Händen zum Erliegen kommt.
Ich betrachte seine Hinterlassenschaft genauer. Das Kästchen zeigt eine verblichene Intarsienarbeit im Deckel. Darauf ist eine chinesische Felsenlandschaft mit Bambusrohr im Vordergrund zu sehen.
Was hatte Onkel Bruno mit Felsen und Asien zu tun?, stutze ich und gleichzeitig beantworte ich mir die Frage selbst: Nichts. Rein gar nichts. Er war nie aus Finsterwalde herausgekommen.
Nur einmal, vor wenigen Jahren, als er in die Uniklinik musste. Wegen seines kranken Herzens. Dieser Ausflug in die große Stadt regte ihn damals jedoch mehr auf, als seine Herzkrankheit es je vermocht hatte.
„Dieser LÄRM! Dieser VER-KEHR! Einfach GRAU-EN-HAFT!", schnauzte Onkel Bruno, nachdem er mit seinem klapprigen Ford Taunus und vielen Irrfahrten endlich das Krankenhaus erreicht hatte. "Und dann noch diese neunmalklugen Quacksalber, diese Herren Doktoren, diese BESSERWISSER … !“
„So beruhige dich doch“, versuchte Tante Agathe ihn zu beschwichtigen.
Papperlapapp!“, fuhr er ihr über den Mund, während er sie blaugesichtig und wütend anstarrte.

Nun starren alle um mich herum auf das Teil in meinen Händen und sogar Oma Martha hat vor lauter Aufregung vergessen, weiterhin in ihr spitzenbesetztes Leinentaschentuch zu schniefen.
„Nun mach es schon auf“, wispert meine Mutter, während sie mich in die Seite stupst. Oma Martha winkt indes auffordernd mit dem Taschentuch und auch Tante Agathe meint mit aristrokatischem Blick, ich möge sie BITTE nicht länger auf die Folter spannen.
Also gut. Langsam klappe ich den Deckel auf.
Wie auf Befehl erheben sich drei Frauenkörper und deren Augenpaare starren wie gebannt in die Tiefe der geöffneten Schatulle. Ihre Köpfe stoßen mit meinem zusammen. Bumm, machts.
„Autsch!“, sage ich verärgert, während ich hineingreife und „Iiihhh“, als ich den Inhalt angewidert mit Daumen und Zeigefinger in die Höhe halte.
„Wieso?“, fragt Tante Agathe empört. Besser, als nichts!“
„Genau. Besser, als nichts“, echot meine Mutter und Oma Martha schluchzt, „tzä, du undankbares Balg.“
„Hm“, brumme ich nur, während ich meine Lippen aufeinanderpresse, um mir ein Schmunzeln zu verkneifen.
Andächtig bette ich Onkel Brunos Goldzahn auf meinen Kuchentellerrand.

„Aber da ist noch was“, sage ich, ernsthaft darum bemüht, meine zuckenden Mundwinkel im Zaum zu halten. „Da liegt ein Zettelchen drin.“
„Hach, handgeschriebene Zeilen. Von meinem lieben Jungen an dich!“, jault Oma Martha auf, während sie flehentlich ihre Hände in die Höhe reckt. „Mir hat er nie etwas geschrieben“, nölt sie, als sie erneut das Taschentuch zückt und sich damit ergriffen über die Augen wischt. „Noch nicht mal je-he-hetzt“, fügt sie in einer Kaskade von bitterlichen Schluchzern hinzu.
„Na? Und?“ Meine Mutter schaut mich wissbegierig an. „Nun sag schon! Was steht drauf?“
Tante Agathe guckt hoheitsvoll in die Runde. Dann faltet sie ihre Hände zum Gebet, führt sie stumm zum Mund, nickt mir zu und presst im stillen Einverständnis die Augenlider zusammen.

Mit gebührendem Ernst entfalte ich den vierfach gefalteten Zettel und beginne zu lesen. Doch während ich mühsam die Buchstaben der Sütterlinhandschrift entziffere, reiße ich vor Staunen den Mund auf. Dann lasse ich den Zettel auf meinen Schoß sinken und gucke verblüfft in die Runde.
Oma Marthas Mund entschlüpft ein tiefer Seufzer, meine Mutter schaut mich über ihren Brillenrand erwartungsvoll an und Tante Agathe hockt auf ihrem Stuhl wie ein Eisklotz.
Nun kann ich einfach nicht mehr an mich halten. Prustend vor Lachen werfe ich Onkel Brunos Zettel in die Luft, der sanft wie eine Feder herab segelt und ausgerechnet auf dem Teller seiner Witwe landet - und als ich das sehe, fange ich vor lauter Lachen an zu kreischen.
Oma Martha schüttelt vehement den Kopf und ruft entsetzt: „Nein! Also, sowas?! Oh Gott, oh Gott! Sie tritt das Vermächtnis ihres Onkels mit Füßen!“
„Nun übertreibst Du aber, Mutter“, sagt meine Mutter vorwurfsvoll. "Mach aber mal einen Punkt!" Und zu mir gewandt: "Kind, nun reiß dich aber mal zusammen!"
Anstatt einer Antwort fächelt sich Oma Martha theatralisch mit dem Taschentuch Luft zu, um einer nahen Ohnmacht zu entgehen.
Und Tante Agathe? Die guckt ganz pikiert, während sie den Zettel vornehm von ihrem Teller klaubt und an mich zurückgibt, ohne einen Blick darauf zu werfen.
„Nun? Was schreibt Dir mein lieber Gatte?", fragt sie mit hochgezogenen Brauen, während ihre Finger nervös an den Stickereien ihrer Tischdecke nesteln. "Dein dich liebender Onkel, der sogar noch in der Stunde seines Todes deiner gedacht hat?“
„Tja“, sage ich kichernd, während ich mir die Tränen vom Gesicht wische. „Er muss doch immer das letzte Wort haben.“
„Was steht drauf?!“, brüllen alle drei Frauen wie aus einem Mund.
„Och“, gluckse ich vor mich hin. "Da steht nur:

**********
Damit die Terroristin immer was zu Beißen hat.
Dein Onkel Bruno
**********​

 

Irgendwie kommt mir das alles bekannt vor. Herrlich geschildert. Tja die liebe Verwandschaft, man kennt es...Mach weiter so...

 

Hallo Sua Sponte,

Für meinen Geschmack fehlt Deinem launigen Text die satirische Überspitzung - die olle Verwandschaft verhält sich so, wie man sie sich vorstellt. Vor allem aber ist die Geschichte, angesichts der eher kleinen Pointe, doch arg lang geraten.

Diese Formulierung fand ich nett:

'generationenübergreifende Kaffeetafel' :D

Das Ganze wirkt auf mich wie die Nacherzählung eines tatsächlichen Ereignisses, das für die Teilnehmer amüsant gewesen sein mag. Da ich als Leser die Erinnerung nicht teile, teile ich auch nicht den Spaß daran - das ist wie auf Klassentreffen, auf denen nur die Jahrgangsangehörigen sich über längst vergangene Pennälerscherze totlachen können.
Vielleicht könntest Du noch Deine Schwäche für Adverben bremsen ...

Viele Grüße vom
gox

 

Hallo Gox,

habe bewusst auf die Überspitzung verzichtet, weil ich die Situation innerhalb der "Normalität" sowieso schon als extrem erheiternd empfand. Und liegt nicht gerade in der "Normalität" die Komik begründet?
Dennoch, es mag sein, dass Du recht hast ... nämlich, dass sich eher die Beteiligten darüber köstlich amüsieren, die Außenstehenden weniger, oder gar nicht.
Werde mir das mal durch die Birne geistern lassen.

Tja, die Adverben - Boing! Treffer!
Eine meiner Schwächen, die Du gut erkannt hast.

Danke für Deine Kritik. Sie bringt mich weiter.

Gruß
Sua Sponte

 

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