One Way
Die Tür fiel hinter ihm zu. Es war vorbei, endgültig, das war ihm bewusst. Ihre Augen hatten es ihm verraten, sie waren hart und unnachgiebig. Wo sollte er hin, er wusste es nicht. Gedankenverloren stand er noch einige Minuten vor der verschlossenen Tür, starrte den Gang hinunter, seine schwarze Reisetasche in der rechten Hand haltend. Was war nur passiert, mit ihr, mit ihm? Immer noch in Gedanken, bewegte er sich langsam auf den Hausausgang zu.
Draußen war es neblig und kalt, der Wind wehte ihm hart entgegen, er bemerkte es jedoch nicht, in sich versunken ging er die Straße hinauf. Ob sie wohl einen anderen hatte? Und wenn schon, jetzt war es sowieso gleich. Er kramte in seiner linken Jackentasche und fand, wonach er suchte. Es blitze eine rote Schachtel hervor, sie war zerknittert und sichtlich mitgenommen. Es waren nur noch zwei Zigaretten drin. Geistesabwesend zündete er sich eine an und schritt weiter durch den vom Nebel verschleierten Abend. Sein Blick war auf den Boden gerichtet, er beobachtete, wie seine Füße ihn Schritt für Schritt weiter weg trugen. Wieder fragte er sich, wohin er sollte, hier konnte er jedenfalls nicht bleiben, nicht mehr. Was hielt ihn auch schon? Seinen Job als Kurier hatte er vor zwei Wochen verloren und nun auch noch sie. Es schmerzte wenn er an sie dachte, und wenn er sich ihr Gesicht immer und immer wieder vorstellte wurde der Schmerz fast unerträglich. Ihre kalten, steinernen Augen blickten ihn an und er verkrampfte automatisch. Sein Herz raste, er musste weg, weg von ihr. Er dachte das Feuer würde nachlassen, wenn er sich nur weit genug entfernte, das Feuer, das ihn einst so anzog, welches ihn jedoch beinah zu verbrennen drohte. Zu seinen Eltern konnte er jedoch nicht. Sie hätten ihm bloß wieder vorgehalten, wie unfähig er ist. Nein, das wollte er sich nicht anhören, nicht schon wieder.
Er durchsuchte seine rechte Hosentasche und fand einen zerknitterten Fünfziger. Es war der letzte Schein, der allerletzte. Die Restzahlung von dem Kurierdienst sollte erst in fünf Tagen eintreffen. Er überlegte, ob er die nächstgelegene Bar aufsuchen und das Geld vertrinken sollte, entschied sich jedoch dagegen, auch wenn der Gedanke wahrlich verlockend war. Schließlich wollte er vergessen, der Zaubertrank könnte seinen Schmerz dämpfen, ihn ertränken. Ja, es wäre einfach dem sich hinzugeben. Seine Füße trugen ihn jedoch weiter, vorbei an „Jonny’s Bar“ und wie sie alle heißen mögen. Zerstreut lief er weiter, ja wohin ging er überhaupt? Er suchte, ja suchte Zuflucht in den Armen der Fremde, sie sollte ihn warm umfangen.
Schließlich erblickte er ein leuchtendes Gebäude in der Weite, er war sich nicht sicher was es wirklich war, denn der Nebel hatte sich über alles gelegt und umhüllte die Nacht. Als er sich dem Gebäude jedoch immer weiter nährte, erkannte er den Busbahnhof. Alte Erinnerungen durchdrangen seinen Kopf. Von hier aus wollten sie einst den Bus nach Zürich nehmen und dann zwei Wochen lang, mit dem Rucksack auf dem Rücken, Europa bereisen. Ein unerträgliches Gefühl stieg in ihm erneut auf, flutete seinen Körper, ließ ihn wieder für einen Augenblick erstarren. Automatisch langte er erneut in seine Tasche und zündete, die nun letzte Zigarette an, nun ging es etwas besser. Er blickte sich um und sah mehrere große Reisebusse dort stehen, einer ging nach Prag, der andere nach Wien. Er schritt weiter und entdeckte einen etwas kleineren Bus hinter den zwei anderen. Das Ziel des Busses leuchtete ihm in gelben Großbuchstaben entgegen. Er verharrte, starrte hinauf und dann wieder auf den Boden hinunter. Sollte er, sollte er nicht? Er drehte sich entschlossen um und schritt nun in die entgegengesetzte Richtung. Am Informationszentrum hielt er schließlich an und ging hinein. Dort befand sich nur noch eine Angestellte der Reiseunternehmen und wirkte sichtlich genervt als sie ihn in der Tür bemerkte. Ihm war es egal, er drückte seine Zigarette im Aschenbecher, der an der Tür stand, aus und ging auf sie zu. Bei ihr angekommen kramte er seinen zerknitterten Fünfziger hervor und legte ihn auf die Theke. Er wolle einen One Way Ticket nach Zürich, sagte er ihr. Sie schaute ihn argwöhnisch an, druckte ihm jedoch das geforderte Ticket aus und wünschte ihm zum Schluss eine angenehme Reise. Beide wussten, dass dies nicht wirklich ernst gemeint war und so verließ er gleichgültig das Gebäude und sie widmete sich wieder ihrem Magazin, in dem das Wichtigste war, wer mit wem letzte Woche was am Laufen hatte.
Er hielt seine Fahrkarte in der Hand. Sein Ziel stand fest. Er nahm die Treppe, die in den Bus führte, hinauf. Drinnen war es fast leer, die Fahrt ging ja ach erst in einer Stunde. Er suchte sich einen Fensterplatz und legte seine Tasche zwischen seine Füße. Hier fühlte er sich sicher. Er seufzte und lehnte seinen Kopf gegen das Fenster. Nun waren 32,50 € weg. Es blieb ihm also nicht mehr allzu viel in Zürich, was wollte er dort tun? War es die richtige Entscheidung? Sein Kopf war nun gefüllt mit Fragen, mit Zweifel, jedoch auch mit Hoffnung. Möglicherweise könnte er wieder anfangen zu schreiben, so wie früher, ja vielleicht würde er.