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One Song For You On Sunday
One Song for you on Sunday
Der Regen prallte an unsere Fenster im Wohnzimmer und wir kuschelten uns noch näher aneinander. Wir starrten in den Fernseher, als ein Video abgespielt wurde. „Der dritte Mann“ oder so. Irgendwas von Hitchcock.
Ich weiß es nicht mehr. Andrew mochte diese Filme. Den Sonntag widmete er alten Filmen. Ich fand es okay. Sonntags saß ich nämlich meistens am Computer und schrieb an meinem Roman weiter. Ab und zu, wenn ich mir einen Tee aufsetzte, schlich ich mich für ein zwei Stunden zu Andrew ins Wohnzimmer. Seine Brille war ihm von der Nase runtergerutscht und es schien mir, als ob er die Dialoge lautlos mitsprechen würde. Dann stand ich meistens im Türrahmen und verkniff mir ein Lachen. Er verurteilte fast die neueren Filme, neue Literatur, den postmodernen Musikgeschmack. Er mochte sozusagen wenig was ich mochte. Anscheinend war das gut so, denn sonst wären wir uns zu nahe gekommen. Hätten uns verliebt und unsere Zwei-Mann-WG würde nicht funktionieren. Oft lagen wir zusammen auf der Couch und sahen aus wie ein Pärchen. Ein Arm lag über seiner Schulter, mein Kopf war in seinem Hals vergraben und unsere Füße spielten miteinander. Dann fragte Andrew immer, wieso aus uns eigentlich nie was geworden ist. Weil ich Pop-Musik höre, meinte ich dann und er rollte mit den Augen. Wie konnte ich das nur vergessen?
Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter und seufzte. Wie würde es mit meinem Buch weiter gehen? Fragte ich mich durchgehend als ich das schwarz-weiße Bild im Fernseher sah. Vielleicht sollte ich es auf Eis setzen? Immerhin studiere ich. Wann soll ich da noch großartig Zeit finden? Plötzlich spürte ich eine Hand auf meinem Schenkel. Ich blickte Andrew verstört an. Aber er war schon längst eingeschlafen und er tat es nicht aus Absicht.
Langsam kroch ich dann von der Couch runter, schaltete das Video aus und drehte ein Lied von den Cardigans laut auf. Andrew drehte und wendete sich. Sogar im Schlaf demonstrierte er gegen meinen Musikgeschmack. Barfuss rannte ich durch unsere Wohnung außerhalb Londons. Ich war froh, dass meine Eltern mir die Miete zahlten. Manche Studenten opferten mehr Zeit dafür, Geld für die Uni und die Wohnung zusammen zu sparen und etliche Mini-Jobs anzunehmen, als für das Studieren an sich. Währendessen bekam ich es als verwöhntes Mädchen bezahlt. „Wie verwöhnt kann man nur sein?“ Pöbelte mich Andrew bei unserer ersten Begegnung an. Ich weiß nicht mehr, ob es in einem Pub mit Freunden war oder nach einer Vorlesung. Er war purer Zufall. Aufjedenfall bot ich ihm an, doch bei mir einzuziehen, dann würde er bestimmt keine Vorurteile mehr haben. Er nahm überraschender Weise dankend an. Er ist zwei Jahre jünger als ich. 20. „Zwanzig!“ Sagte ich immer zu ihm „Da darfst du in Amerika noch nicht mal Alkohol trinken!“ „Dafür tue ich es hier umso mehr.“ Meinte er immer abwährend und fügte immer leise hinzu „Alte Schachtel.“
Der Sonntag erstreckte sich an dem Tag auf eine ungewisse Zeit um Stunden mehr, als er sonst war. Sonntage waren in England fast immer gleich. Regnerisch, traurig, melancholisch. Wenn du Glück hast und die Sonne scheint, kannst du dich auf deinen Balkon stellen, wenn du einen hast, und raus in die riesige Stadt blicken. Schätzen wie viel Liebespärchen in dem Moment zusammenfinden, wie viele sich trennen oder der wievielte Autor an dem Tag einen Bestseller beendet hat. In dem es sich natürlich nur um Liebe handelt. Ich wagte kurz einen Blick zum Fenster raus und stellte fest, dass es immer noch regnete. Trotzdem zog ich mich an und steckte Kleingeld ein. Ich musste mir Zigaretten holen. Anders konnte ich nicht schreiben. Ich mochte es, wie der Rauch um meinen Computerbildschirm rumspielte und sich dann der Geruch von Tabakrauch auf meinen Fingern festsetzte. „Du bist ja abstoßend!“ Meinte Andrew zu mir. Er war nämlich der erste, dem ich das erzählte hatte. Ich ließ meinen weißen Rock an und schlüpfte in meine neongelben Regenstiefel. Warf mir eine Strickjacke über und nahm einen transparenten Regenschirm mit. Einen kurzen Blick wagte ich noch auf Andrew, aber er war in anderen Sphären. Wahrscheinlich träumte er von Stummfilmen, alten Krimis und von den Leiden des jungen Werthers.
Der Regen fiel mir in meine Gummistiefel, was ich nicht so lustig fand. Aber ich war zäh und bis zum nächsten Automaten waren es nur noch fünfhundert Meter. Ich sah gen Himmel und sah nur Wasser, Wasser, Wasser. Es ist Sommer! Schimpfte ich mit dem Wetter! Wasser, Wasser, Wasser! Meinte die Natur. Ich wusste schon immer, dass man sich mit komplexen Personen nicht unterhalten zu brauchte.
Das Unterhalten fiel Andrew und mir anfangs auch immer schwer. Erstens fühlte er sich nach dem Umzug doch unbehaglich. „Einfach so, in die Wohnung einer Frau, nachdem ich sie beschimpft hatte?“ Weiter konnte er sich mit meinen Geschmäckern nicht anfreunden. Auch mit den Tampons im Bad hatte er ein Schockerlebnis. Gott sei Dank fanden wir etwas, was uns beiden gefiel. Sushi essen. Wenn wir uns nicht in der eigenen Kultur treffen konnten, dann wenigsten in einem billig Restaurant um die Ecke. „Weißt du, wie lang ich die nicht mehr g’essen hob’?“ Nuschelte er mit vollen Mund. „Mein Gehalt göng doarnd ufd Wohn-ung drof.“ Dass machten wir dann jeden Donnerstag. An den anderen Tagen trafen wir unsere Freunde, Liebhaber /innen oder beschäftigten uns mit der Uni. Meistens hörte ich ihn gegen ein Uhr nachts nach Hause kommen. Ab und zu mit Begleitung. Blondes Kichern konnte ich dann immer wahrnehmen und ich hatte leichtes Stechen im Bauch. Es kam auch nicht selten vor, dass Andrew sich panisch aus dem Staub machte wenn ich mit einem Typen auftauchte. „Ich muss in die Bibliothek! Wir haben keine Tomaten mehr! Ich, äh, muss weg!“ Selten verbrachte er mit meinen Freunden mehr als eine Minute in einem Raum. Und wenn, dann huschte seit Blick von einem Ding zum anderen. Als ob er auf Drogen wäre.
Nicht selten erwischte ich mich dabei, als ich im Bett mit einem Typ war, dass ich an Andrew dachte. Ich schloss meine Augen und stellte mir vor, wie ich durch seine dunklen, kurzen, vergelten Haare fahren würde. Als ich die Augen dann doch wieder öffnete sah ich… nicht Andrew. Vielleicht war er ein Grund dafür, dass meine Beziehungen nicht sonderlich lang hielten. Vielleicht hab ich auch nicht aus Zufall einen Charakter in meinem Buch nach ihm benannt?
Ich warf das Kleingeld in den Automaten und nahm mir die Schachtel raus. Ich zündete mir sofort eine an. Na ja, vielleicht brauchte ich auch öfter eine, nicht nur zum Schreiben. Ich schlenderte zurück und freute mich schon insgeheim auf Andrew. Das tat ich jeden Abend. Ich denke aus rein freundschaftlichen Gefühlen. Manchmal kommt es vor, dass wir uns in der U-Bahn treffen. Stehen Rücken an Rücken und merken es nicht. Dann wenn wir aussteigen stellen wir es erst fest. Wir begrüßen uns immer seltsam. Wir umarmen uns heftig und er gibt mir dann meistens ein Kuss auf die Stirn. Langsam und zärtlich. Ich hatte ihn mal darauf angesprochen, warum er denn so was macht. Seine Mutter hat das bei ihm immer gemacht. „Sie war immer froh, dass ich heil von der Schule kam und küsste mich auf die Stirn.“ Noch schlimmer ist es, wenn wir uns verabschieden. Er hat einmal aufgeschnappt, dass ich zu meiner besten Freundin Charlotte „ich liebe dich“ zum Abschied sagte. „Ich liebe dich!“ Rief er mir dann eines Nachmittages nach, als ich zum Einkaufen wollte. Ich riss die Tür abrupt wieder auf. „Was? Was hast du gerade gesagt?“ Er sah mich verlegen an. „Ich liebe dich?“ „Wie kommst du drauf?!“ Meinte ich geschockt. Mein Herz raste. Ich wusste nicht, was ich mit diesen drei Wörtern anfangen sollte – nicht aus seinem Mund. „Charlotte sagt dass doch auch immer…“ Meinte er vor sich hinmurmelnd als auf der Couch saß und an seinem Handy rumschraubte. „Oh.“ Ich hatte meinen Oh-Blick aufgesetzt. „Oh.“ Langsam drehte ich mich um und ging Richtung Ausgangstür. Ich rief dann zurück: „Ich dich auch!“ Seit dem sagen wir dass immer zum Abschied.
Ich sperrte die Tür auf. Andrew lag nicht mehr auf der Couch. Die Musik lief aber noch. Ich hörte aus der Küche, wie er zum Takt der Pop-CD ein Selbstgereimtes Lied sang. „Oohh“ hörte ich. Ein sehr schiefes „Oohh“ . Unweigerlich lachte ich und zog meine Stiefel aus, lag den Regenschirm beiseite und lauschte weiter. „Why? Why My Darling? Everynight we are together but your mind is not by meeeeehiiiee.” Ich hörte wie er mit Kochlöffeln auf Töpfen rumschlug. Ich fragte mich, ob er von uns sang. Ich ging zur Küche und stellte mich an die Tür. Andrew stand mit dem Rücken zu mir und. Auf dem Herd kochte Tomatensuppe und daneben hatte er zwei Töpfe verkehrt rum hingestellt und benutzte sie als Trommeln. Ich erkannte jetzt erst die Melodie zu der er sang. Roger Sanchez, Another chance tonight. „Give me just one chance, and I will show how I love you. Yes I do.”
“Hey, Mister DJ.” Meinte ich laut genug, damit ich ihn übertönen konnte. Dann tat er das, was ich nicht erwartet hatte. Er schmiss seine Kochlöffel beiseite und tanzte zu einem House-Pop Song mit mir. Und sang immer wieder „Just one chance.“ Statt another chance. „Du hast wieder geraucht.“ Warf er zwischendrin ein, als ich noch immer nichts gesagt hatte. Meine Gedanken drehten sich so schnell wie ich mich um die eigene Achse. Es ist Sonntag! Rief ich mir selber immer zu. Das ist doch nicht normal! Andererseits genoss ich die Berührungen von ihm. Wenn er mir an den Po fasste während dem Tanz oder mit seinen Beinen zwischen meine Schenkel ging. Die CD wechselte das Lied und es sang die Wahl-Engländerin Kylie Minogue. „Nur heute Nacht, okay?“ Fragte er mich und seine Hände fuhren mir unter das Shirt. „Wir vergessen es morgen.“ Er küsste mich auf den Hals. „Oder wenn du willst auch nicht.“ Meinen Mund küsste er nicht. Mir war heiß, ich wollte ihn, ich zitterte, aber was würde nach dieser Nacht sein? Ich wollte ihn eigentlich schon so lange. Aber was würde nach dieser Nacht sein? „Denk nicht immer an Morgen.“ Sagte er und strich meinen Rock im Takt der Musik hoch. „Nur diese Nacht?“ Fragte ich diesmal. „Oder für immer und ewig.“ Meinte er und küsste mich. Er küsste mich lange. Auch am nächsten Abend.