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One for my Baby
[Wird überarbeitet ...]
Es war Valentinstag. Mir ging es nicht gut, da ich einen Anruf meines Exfreundes befürchtete, der sich in den Kopf gesetzt hatte, mich zurückzugewinnen. Ich wollte Thomas weder sehen noch hören; zum einen, weil ich wütend auf ihn war und zum anderen, weil ich ihn immer noch liebte. Ja, er hatte mich betrogen, hatte neben mir noch eine andere Frau gehabt und ein Teil von mir hasste ihn dafür so sehr, dass ich ihm den Tod wünschte. Aber ein anderer Teil liebte ihn nach wie vor abgöttisch und dieser Teil bereitete mir weitaus mehr Sorge als der andere. Nicht der Hass auf einen Menschen ist schwer zu ertragen, sondern die Liebe, die nicht verschwindet, obwohl sie nur noch schmerzt.
Ich habe keine Ahnung, wie Marten erfahren hat, dass ich gerade heute Hilfe gebrauchen konnte. Er war auf einmal da. Nach so langer Zeit. Die zugezogenen Vorhänge ließen kaum Licht ins Schlafzimmer. Ich sah ihn, als ich zum Schrank ging, um mir ein Kleid herauszuholen. Ein großer Schatten. Ich fuhr herum. Eine riesige, massive Gestalt stand vor mir. Mein Herz raste, ich stieß einen Schrei aus und stürmte zur Schlafzimmertür. Der Gestalt genügte ein einziger Schritt, um mich einzuholen. Als sie mir ans Handgelenk griff, verlor ich die Besinnung.
Ich erwachte auf meinem Bett. Marten saß neben mir auf dem Fußboden. Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu mir zu finden und weitere Augenblicke, um zu begreifen, wer bei mir war. Über zehn Jahre war es her, dass ich ihn zuletzt gesehen hatte, wenn man von Sehen sprechen konnte. Marten erschien mir nur dann, wenn es dunkel war und ich nur seine Umrisse ausmachen konnte. Er war groß und breit, größer und breiter als alle Menschen, die ich kannte, aber viel mehr kann ich nicht über sein Aussehen sagen. Mit neun Jahren fragte ich ihn einmal, warum er sich nicht im Hellen zeige. Er antwortete, dass manche Dinge besser in Dunkeln blieben. Ich verstand nicht, was er meinte, doch ich fragte nie mehr danach.
»Katharine«, sagte er zu mir. »Katharine.«
Nur ein Wort, aber voller Sehnsucht, Trost und Friedlichkeit. Ich lächelte mit Tränen in den Augen. Marten war wieder da.
Viele Kinder besitzen einen unsichtbaren Freund, mit dem sie sich unterhalten, mit dem sie spielen. Daran ist nichts Ungesundes, auch wenn es für Eltern ein seltsames Gefühl ist, wenn das Kind immer einen zusätzlichen Teller auf den Tisch stellt, wenn es im Garten zu jemandem spricht den sie nicht sehen können und wenn es im Bett einen Platz freihält. Ich war sechs, als Marten das erste Mal zu mir kam und er blieb bei mir bis nach meinem zehnten Geburtstag. Ich kann mich nicht erinnern, an welchem Tag er verschwand, ob dort etwas besonderes vorgefallen war; vermutlich brauchte ich ihn einfach nicht mehr und er ging von alleine. Zu dem Zeitpunkt, als er wiederkehrte, benötigte ich einen Freund dringender als alles andere.
In den nächsten Stunden redeten wir wenig. Die meiste Zeit über hielt er meine Hand. Wie früher. Er war so groß, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Es war dunkel im Raum, wie immer, wenn er zu mir gekommen war. Seine Stimme sprach meinen Namen mit einer Zärtlichkeit, die ich lange nicht mehr gehört hatte. Ich liebte die Ruhe, die von ihm ausging.
Obwohl er nicht verändert schien, hatte ich Bedenken, als meine Freundin an der Tür klingelte. Noch fehlte mir der Beweis, dass Marten das geblieben war, als das ich ihn immer gekannt hatte: Ein unsichtbarer Freund.
Ich fasste mir ein Herz und bat Anna, mich kurz ins Schlafzimmer zu begleiten. Marten stand hinter der Tür, hünenhaft und unübersehbar für mich, trotz der Dunkelheit. Anna jedoch blickte durch ihn hindurch, ohne ihn wahrzunehmen.
Sie blieb nicht lange, was mir nur Recht war. Auch wenn sie Marten nicht sehen konnte fühlte ich mich unwohl, sobald jemand anderes in seine Nähe kam.
Als es kurz danach erneut an der Tür klingelte, dachte ich zunächst wieder an Anna. Ein Fehler. Es war Thomas. Ich erstarrte, als ich seine Silhouette erkannte. Ich zögerte, meine Gedanken wirbelten umher und zu allem Überfluss begann er nun auch noch zu klopfen und meinen Namen zu rufen.
»Bitte mach auf, ich weiß, dass du da bist!«
Seine Worte durchfuhren mich wie Nadelstiche. Verdammter Mistkerl, hau endlich ab, flüsterte ich im Geiste. Kein Ton kam über meine Lippen. Ich rührte mich nicht. Thomas rief weiter, seine Stimme wurde immer flehentlicher. Ich warf einen Blick zum Schlafzimmer; Marten war nicht zu sehen, doch ich spürte seine Anwesenheit. Thomas würde nicht weggehen, das wusste ich. Ich wollte nicht mit ihm sprechen, aber er würde keine Ruhe geben. Vielleicht sollte ich ihn einlassen. Zum ersten Mal ahnte ich, dass Martens Gegenwart mir Kraft verleihen würde.
Im Zeitlupentempo bewegte ich mich auf die Tür zu. Mit zitternder Hand drehte ich den Knauf. Sekunden später stand Thomas vor mir, groß, dunkel und unverschämt gutaussehend. Er überschüttete mich mit Dankesworten, drückte mir einen Blumenstrauß entgegen und berührte mich am Arm. Ich wich vor seiner Nähe zurück. Thomas versuchte mich zu beruhigen und kam einen Schritt auf mich zu, zu nah, viel zu nah. Mein Herz klopfte schneller, meine Kehle war wie zugeschnürt, worauf hatte ich mich nur eingelassen. Marten hämmerte eine Stimme in meinem Kopf, der ich blindlings folgte. Ich riss mich los und stolperte ins Schlafzimmer, Thomas rannte hinter mir her. Alles war dunkel, Marten, wo war Marten, ich konnte nichts erkennen; ich tappte umher, bis Thomas hereinstürzte. Ich drängte an ihm vorbei und schlug die Tür hinter mir zu. Das Letzte, was ich hörte, war ein Schrei; ein schwacher Lichtstrahl, der unter der Tür hindurchfloss, das Letzte, was ich sah, ehe ich zusammenbrach.
Hätte meine Nachbarin nicht die offene Haustüre bemerkt, läge ich vielleicht immer noch hier und müsste mich nicht Ihren ungläubigen Fragen stellen. Ich weiß, was Sie von mir denken.
Es stimmt, was ich zu Beginn über Thomas sagte. Ich habe ihn gehasst; geliebt, aber auch gehasst. Doch das, was dann mit ihm geschah, hatte er nicht verdient. Ich konnte nichts dafür. Ich habe Marten nicht darum gebeten, ich habe ihn nie um etwas gebeten. Ich konnte nichts dafür.
Er wird nicht mit Ihnen reden. Gehen Sie ruhig hinein, versuchen Sie es. Erledigen Sie Ihren Job.
Aber lassen Sie das Licht aus.