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on a tour
Ich sehe von oben auf das Mikrofon in meiner rechten Hand. Es ist voller Blut. Mein Herz rast. Blut tropft von meiner Nasenspitze auf den schmutzigen Teppich. Der Boden um mich herum ist mit Blut besprenkelt. Das letzte was ich durch einen rötlichen Schleier erkennen kann, bevor sich meine Sicht immer weiter zuzieht und das Gefühl aus den Beinen weicht, sind Menschen - hunderte von Menschen. Sie sind still. Ihre Gesichter zu Fratzen verzogen. Die Art von Gesicht, die man macht, wenn vor einem ein Kinderwagen von einem Auto erfasst wird.
Dann wird alles schwarz.
Es heißt doch, wenn man stirbt, zieht das Leben an einem vorbei. Da stelle ich mir ganz klar die Frage: Zu welchem Soundtrack? Wenn der Tod wirklich so schlimm ist, wovon man bei genauerer Betrachtung der meisten sterbenden Menschen ausgehen kann, dann ist mein Soundtrack dazu definitiv von Green-Day und zwar alles nach dem Dockey Album. Wahlweise auch von sämtlichen Bands, die auf die Frage nach der Qualität ihres Machwerks mit: "we recorded on tape, man" antworten.
Genau über das unterhalte ich mich gerade, ob der Tod einen Soundtrack haben sollte.
Meine Band und ich spielen heute eine Show in Wien. Dort sitze ich in einem kleinen Backstageraum ohne Putz und Heizung, der aber Platz für drei Sofas hat.
"Mein Soundtrack des Todes kommt definitiv von U2", hustet Chris, unser Schlagzeuger. Er reicht die Tüte an seinen Nebenmann aus der anderen Band weiter, den ich nicht kenne.
Die Sofas sind um einen alten Holztisch postiert. In U-Form, wie in der dritten Klasse, nur mit Schnaps und Gras. Der Tisch ist überladen mit überquellenden Aschenbechern, Bierdosen, Schnaps- und Weinflaschen. Eingeschweißte Sechserpaken stilles Plastikwasser türmen sich neben der Tür. Kühlschrank gibt es keinen.
"Wohin gehts für Euch morgen?", fragt Herb, der Sänger der Band Buddha Pest, für die wir heute die Vorband machen.
"Lublijana, Slovenien", sage ich.
"Gut, dann habt ihr ja nicht so weit. Könnt ordentlich ausschlafen", gibt er kopfnickend zurück.
"Ein hoch auf unseren Tour-Manager der das klar gemacht hat", sagt Chris und prostet quer über den Tisch unserem Manager und Freund Frink zu und verzieht sein Gesicht zu etwas, das er für ein Grinsen hält.
"Wir haben die Arschkarte und können morgen um acht Uhr raus. Wir müssen nach Hamburg", sagt Herb.
Einige saugen die Luft zischend durch die Zähne ein und Seufzen, um ihre Anteilnahme zu bekunden.
"Heute dann keine Aftershowparty für euch?", frage ich.
"Wir lassen euch schon nicht hängen, verlasst euch drauf", sagt der Typ neben Chris, den ich für deren Bassisten halte.
"Dann wäre das wichtigste ja schon mal geklärt", sagt Frink und lacht sein charakteristisches Pessimistenlachen, dass nur aus einem kurzen "hehe" besteht.
Die Tür fliegt auf und der Konzertveranstalter steht im zerschrammten Türrahmen.
"Ihr könnt loslegen, viel Spaß", richtet er an uns.
Jammernd erhebt sich unser Haufen Elend. Frink gibt uns noch ein aufmunterndes: "besser nicht scheiße sein", mit auf den Weg und schnappt sich ein neues Bier, während er den stickigen Raum verlässt.
Jeder nimmt seine angestammte Position auf der Bühne ein. Sogar Frink steht am hinteren Bühnenrand, neben dem Gitarrenverstärker. Seine Aufgabe besteht nun darin, Stagediver von der Bühne zu treten, falls ihnen der nötige intrinsische Antrieb abhanden kommt, sich von selbst wieder in den Zuschauerpulk zu begeben.
Wir geben Vollgas, wie immer. Etwas mehr als 300 Zuschauer füllen das ramponierte Kellergewölbe. Wir kommen gut an, auch wenn wohl mehr als zwei Drittel der Leute nicht wegen uns da sind. Nach etwa der Hälfte unseres Sets wirft jemand eine Bierdose nach mir. Ich beobachte teilnahmslos wie sie an meiner Brust abprallt und zu Boden fällt. Von allen Wurfgeschossen, die der Mensch seit Anbeginn der Zeit benutzt hat, ist eine leere Hansa-Pils Bierdose wohl mit am wenigsten von letaler Natur. Ich kicke sie zurück ins Publikum und gehe weiter meiner Bühnenroutine nach. Business as usual.
Nach ziemlich genau 45 Minuten und dreizehn Songs ist unser Set vorbei. Wir werden von warmem Applaus von der Bühne eskortiert, was ziemlich gut ist und bei weitem nicht selbstverständlich.
Als Sänger bin ich der erste im Backstagebereich, da ich praktisch der einzige bin, der kein Equipment abzubauen hat. Da wir erst morgen das Zeug in den Bus räumen, habe ich auch kein schlechtes Gewissen, die Anderen mit dem Geschleppe alleine zu lassen. Frink steht an unserem Merchandise-Stand und verkauft Platten und Shirts. Ich werde mich gleich zu ihm gesellen, wenn ich wieder bei Atem bin und sich der Kreislauf wieder eingenordet hat.
Im Backstage sitze ich alleine mit Herb. Er hat sein Shirt und den Kapuzenpullover abgelegt. Tattoos schmücken seine Brust, Rücken und beide Arme. Erst jetzt wird mir klar wie durchtrainiert der Typ ist. Ich halte mich für ziemlich fit, aber Herb, Herb ist eine Maschine. Seine ganze Statur sieht aus wie Leuchtreklame für Anabolika.
Er reagiert nicht auf mein Erscheinen. Doch das kann ich ihm nicht als Arroganz auslegen.
Herb sitzt auf der Couch, vorgebeugt, die Ellbogen auf die Knie gestützt und atmet schwer. Er blickt starr zu Boden. Sein Rücken schwillt auf und ab, mit jedem tiefen Atemzug. Der Typ ist einfach nur krass. Plötzlich steht er auf und marschiert, ohne mich eines Blickes zu würdigen, schnaubend an mir vorbei aus dem Raum.
Ich sehe ihm irritiert nach und öffne mir ein Heinecken an der Tischkante, nehme zwei große Mundvoll, puste abwechselnd meine Nasenlöcher durch und starre, dampfend vor Schweiß, auf den vollgemüllten Tisch. Was schiebt Herb für einen Film? Macht er das jeden Abend? Wie gut ist er auf der Bühne?
Er soll richtig gut sein, was man so hört. Die Fanzineschreiber sehen das zumindest so.
Was solls, denke ich. An meiner Leistung heute Abend, wird auch er sich aufreiben. Da kann ihn auch ein schizophrener Schub oder sonst was für Stoff nicht auf das selbe Level hieven, wobei ich sehen will, was er auf der Bühne abliefert.
Ich stehe an der hinteren seitliche Bühnenkante, wo Frink noch vor ungefähr 30 Minuten gestanden hatte. Die Band ist schon in Position, nur Herb fehlt noch. Da kommt er auch schon. Er tritt mit gesenktem Kopf, grimmiger Miene und aufgeblähtem Brustkorb von der mir gegenüberliegenden Seite auf die Bühne, wie ein Bodybuilder vor die Jury. Als das Licht der Scheinwerfer ihn trifft, drehen alle durch und brüllen und jubeln ihm zu. Er bezieht in der Mitte der Bühne, kurz vor dem Publikum Stellung. Sogleich fängt der Bassist mit dem kurzen Intro an. Als die Gitarren und Drums gleichzeitig mit voller Wucht einsetzen, hebt Herb seinen Kopf in Richtung Menschenmasse und brüllt wie besessen die erste Zeile des Songtextes. Es ist nicht zu verstehen, was er da brüllt. Den Leuten ist es völlig egal. Die Hölle bricht los.
Nach der dritten Zugabe ist dann endlich Schluß. Meine komplette Wahrnehmung wurde aus den Angeln gehoben. Ist der Typ wirklich so gut? War das die beste Performance, die ich je gesehen habe? Er kann nicht um längen besser sein als ich. Kann er?
Ich gehe zu Frink und hole mir mein Handy, das er immer während der Show für mich aufbewahrt.
"Danke, dass du mich mit dem Verkaufsscheiß im Stich lässt", sagt er beiläufig. "Siehst auch ziemlich beschissen aus, was ist?", schiebt er nach.
"Nichts, nur kaputt", versuche ich mir nichts anmerken zu lassen.
Als das Handy endlich hochgefahren ist, suche ich den Typen auf twitter.
Die halbe Welt folgt Herb. Nicht die echte halbe Welt, nur meine halbe Welt.
Er hat gut zehnmal mehr Follower als ich, obwohl seine Band nur knapp mehr hat als wir.
Fuck, Er ist um längen besser und bekannter als ich.
Dabeisein war noch nie Alles. Ich will dominieren. Ich werde dominieren.
Die Aftershowparty war für mich gelaufen. Die Jungs hatten Spaß, wenn man die zerfahrenen Gesichter am nächsten Morgen als Anhaltspunkt dafür nimmt. Wir schliefen im Club. Genauer gesagt, in einer kleinen Wohnung darüber.
Ich war bereits um sechs Uhr wach und beobachtete vom Fenster aus, wie Herb mit seinen Männern den Tourbus einlud. Sie hatten anscheinend sogar so früh am Morgen Spaß.
Ich machte Situps, Liegestütz und Kniebeugen. Den Rest der Zeit verbrachte ich mit Kaffee und Lesen.
Um elf Uhr waren alle wach und wir luden das Equipment in den Van und fuhren los.
Auf dem Weg nach Slovenien machten sich ein paar der Jungs einen Spaß und veranstalteten eine CD-"Release"-Party. Das ganze folgt folgenden Regeln. Man nimmt CDs, die man von irgendwelchen Leuten zugesteckt bekommt, um sie mal "auszuchecken", und wirft sie aus dem fahrenden Van. Hohe Geschwindigkeit und Verkehrsschilder erhöhen dabei den Spaßfaktor.
Lubliajana ist unsere letzte Station auf dieser Tour und wir werden heute nochmal so richtig die Sau rauslassen, soweit die Theorie.
Irgendwie will sich meine Laune nicht erholen. Übertreibe ich? Nein. Dieser Herb kann nicht besser sein als ich. Das werden auch heute wieder alle bestaunen können, die das Glück haben vor Ort zu sein.
Die Show läuft ausgesprochen gut. Das Publikum geht voll mit und kann fast alle Texte mitgröllen. Ich lege alles rein was ich habe. Die Leute sind begeistert und reißen gefühlt die halbe Fabrikhalle nieder, die den 500 Wahnsinnigen Platz bietet.
Nach dem letzten Akkord des letzten Songs, lasse ich mich einfach Fallen und bleibe im Scheinwerferlicht dampfend und tropfnass liegen. Die Leute feiern Uns, die Leute feiern Mich.
Als ich mich, ein oder zwei Minuten später, aufsetze klatschen immer noch alle. Ich verbeuge mich, winke ihnen zu, bedanke mich nochmals und gehe.
War das besser als Herb, ich sage um Längen, die meisten auf Twitter würden da sicher nicht widersprechen.
Die Meisten. So ein debiler Schwachkopf schreibt doch tatsächlich was von, "Great Performance tonight, man! Almost like Herb from Buddha Pest!".
Almost? Was soll das heißen? Es waren doppelt so viele Leute auf hundertachtzig als den Tag zuvor bei Herb.
Hätten wir noch härter gespielt, hätte es gebrannt!
Die Leute brauchen einen eins zu eins Vergleich, damit das aufhört.
Von der Tour zuhause, lege ich mir eine eiserne Trainingsroutine zu. Ich gehe fünf mal die Woche ins Gym und trainiere bis zum Kollaps und das jeweils von ein Uhr Mittags bis fünf Uhr Abends.
Auf meinen Ernährungsplan, wäre jeder Soldat von Sparta stolz gewesen.
Vormittags betreue ich geistig behinderte Kinder, um mir mein Rock´n Roll Leben zu finanzieren.
Nach vier Monaten steht die nächste große Tournee an. Frink ruft mich an und gibt mir die letzten Details durch.
"Dreißig Shows in dreißig Tagen", sagt Frink durchs Telefon.
"Alles was du dir gewünscht hast und mehr", sagt er.
Ich habe ihn seit der letzten Tour darauf gedrängt, uns mit Herbs Band wieder in ein Lineup zu bekommen.
Frink atmet hörbar ein und versucht mich künstlich auf die Folter zu spannen.
"Ich weiß zwar nicht warum du so scharf darauf bist, aber ich hab es für dich klar gemacht", leiert Frink vor sich hin.
"Was!?", gebe ich barsch zurück.
"Ihr spielt die letzte Show im Hafenklang in Hamburg mit Buddha Pest, Herbs Band".
Es wird still in der Leitung. Ich atme tief ein. Meine Hand schließt sich zitternd vor Kraft um mein Smartphone. Frink ist noch blechern aus dem kleinen Lautsprecher zu hören. Es ist egal. Nur eines zählt. Er wird untergehen. Es ist Zeit. Der nächste Held, der von einer Vorband beerdigt wird. Alle werden sich nur an Mich erinnern.
Die Tour läuft ausgezeichnet. Wir sind als Headliner Band unterwegs, das heißt, nach uns spielt keiner mehr. Das wird sich auch bis zum Schluß nicht ändern.
Die Jungs legen jeden Abend alles rein, was sie haben. Ich ziehe meine Show eiskalt ab. Spule das ganze Repertoire ab, lasse meine ganze Routine von über 600 Konzerten auf die Leute los. Sie sind begeistert. Aber, jeden Abend halte ich etwas zurück. Hebe etwas auf. Rüste mich, für das große Finale.
Show Nummer 30, Hamburg. Herbs letzter Tag als bekanntester Frontmann der Szene.
"Ich bleibe im Van", sage ich.
"bist du sicher, ist ziemlich kalt?", fragt Chris.
"Bin etwas ausgelaugt, nicht mehr genug Power. Wenn ich noch in Ruhe Schlafen kann, bin ich bis zur Show voll da", verspreche ich. Chris und Frink sehen sich Schulterzuckend an und nicken dann.
"Dann schlaf gut Prinzessin", sagt Frink und schlendert Richtung Hintereingang. Die anderen sind nach dem Einladen des Equipments gleich drinnen geblieben und köpfen bestimmt gerade ein Szenebierchen oder eine dieser Club Mate - Eistee für Erwachsene Flaschen.
Keiner von Herbs Jungs soll mich sehen. Der Meister bereitet sich alleine vor. Er darf es nicht mal kommen sehen. Ich klettere nach vorne und mache Musik an. Black Sabbath. Meine Begleitung in die Schlacht. Grinsend sitze ich mit einer alten Decke auf der letzten Bank des Vans.
Kein Bier, kein Schnaps wird heute meine Sinne trüben. Ich leere eine Wasserflasche in zwei Zügen und lege mich quer über die drei sitze der Rückank. Schlafen kommt nicht in Frage. Die Anspannung wütet in mir, wie vor den ersten Konzerten, die wir je gegeben haben.
Frink klopft an die Scheibe.
"Ihr seid in zehn Minuten dran, auf gehts".
Ich sehe ihm in die Augen und nicke nur. Er geht zurück zur Venue. Jetzt ist es soweit.
Bis auf meine kurze Hose habe ich alles ausgezogen. Mein gelbliches Handtuch um meinen Hals, meine Trinkflasche in der Hand, marschiere ich barfuß Richtung Tür.
Den Blick habe ich zu Boden gerichtet und erwidere weder Grüße noch reagiere ich auf aufmunternde Zurufe. Ich ignoriere alles, marschiere einfach weiter durch die Crew Backstage, direkt auf die Bühne. Die Jungs sehen erleichtert und beunruhigt zugleich aus, als ich das Licht der Scheinwerfer betrete. Vereinzelt brandet Applaus auf. Das Handtuch lege ich vor mir neben die Monitorbox, ebenso meine Flasche. Mit beiden Händen umklammere ich den Mikrophonständer vor mir.
Chris zählt den song auf vier ein. Als er bei drei angekommen ist, schwinge ich den Mikroständer über meinen Kopf und lasse ihn, genau auf die Vier, an der Bühnenkante zerschellen. Das Publikum ist wach.
Ich gebe alles, was mein trainierter Körper hergibt. Beim dritten Song klettere ich auf einen der drei Meter hohen Boxentürme und mache ohne zu zögern einen Rückwärtssalto in die Menge. Die Leute drehen durch und zerlegen den halben Laden. Die Gesichter der Security sind von Angst und Schweiß gezeichnet.
Alles dampft und die Luft ist zum Schneiden dick, als wir den letzten Song unseres Sets beenden. Halbstarke Kids laufen auf die Bühne und schmeißen sich zurück in den Pulk. Die Security hat längst den Dienst quittiert.
Alle rufen nach einer Zugabe. Der Moment ist da. Meine Augen suchen nach Herb. Jetzt ist meine Zeit gekommen. Die Zugabe ist ein Coversong.
Wie versteinert stehe ich auf meiner Position, leicht in Richtung Publikum geneigt.
Kurz nach dem Zweiten Refrain, kurz bevor der Song seine ganze Magie entfalten kann, beginne ich mir das Sennheiser SM 58 Mikrophon ins Gesicht zu schlagen. Ich schlage es mit meiner ganzen Kraft wieder und wieder in mein Gesicht. Meine Trinkflasche, voller zerstossener Ecstasypillen, habe ich vor der Zugabe geleert und kicke sie nun ins Puplikum. Ich fühle Stücke meiner zerbrochenen Zähne auf meiner Zunge. Mein linkes Auge schwillt zu. Die Band ist perplex, spielt aber immer noch unsere Zugabe und den Soundtrack zu meinem Tod.
Mein Soundtrack des Todes ist Lust for Life von Iggy Pop.