On a slowboat to China
On A Slowboat To China
Well there´s no verse to this song
‘Cause I don´t want to wait a moment too long
To say that I´d love you on a slow boat to china
All myself alone
To get you to keep you in my arms evermore
Leave all your lovers weeping on the far-away store
Well out on the briny with a moon big and shiny
Melting your heart of stone
Well I´d love to get you on a slow boat to china
All to myself alone
(Frank Loesser 1948)
Prolog
“Well, we have done a very good work“. Mit kratzender Kielfeder unterschreibt am 29.August 1842 Baronet Sir Henry Pottinger an Bord von HMS Cornwallis für die englische Krone ein Dokument, das er zuvor selber ausgehandelt hatte, und das als „Vertrag von Nanking“ in die Weltgeschichte eingehen wird.
Ein feines Dreiecksgeschäft war das, das der britischen Königin Victoria, aber auch vielen ihrer Untertanen ein einträgliches Auskommen sicherte. England kaufte Opium in Indien, verkaufte es nach China, kaufte in China Tee fürs Mutterland und verkaufte Waren und Maschinen aus dem Mutterland an seine Kolonie Indien. Und bei jedem dieser Schritte verdienten Handelshäuser, Kaufleute und die Krone.
Verlierer dieser Geschäfte war China. Leere Staatskassen und über zwei Millionen Opiumsüchtige zwangen 1839 den Kaiser, ein generelles Opiumverbot zu erlassen. England, dass auf diese Geschäfte angewiesen war, setzte militärische Mittel ein, der „Opiumkrieg“ begann mit der Besetzung einiger chinesischer Küstenstädte. 1842 schickten die Engländer 80 Kanonenboote den Jangtsekiang hinauf bis nach Nanking. Der Kaiser kapitulierte aufgrund der militärischen Übermacht und schloss den Vertrag von Nanking.
Darin musste China auf „ewig und alle Zeiten“ die unbedeutende Insel Hong Kong in der Mündung des Perlflussess an die Engländer abtreten, eine hohe Entschädigung zahlen sowie Ausländern Niederlassungsrechte und Exterritorialität in verschiedenen Hafenstädten, unter anderem Shanghai einräumen.
Keine andere chinesische Stadt hat so wie Shanghai die Auflagen des Vertrages umgesetzt. Es wurden drei exterrtoriale Zonen mit weitreichender Selbstständigkeit gegründet, eine britische, eine französische und eine amerikanische Zone. Shanghai wurde für China zum Einfallstor der Moderne. Technologien, Waren, Händler und Missionare gingen hier an Land. In der Blütezeit nach 1900 wurden Paläste, Villen, Bankhäuser und Fabriken gegründet. Man findet fast jeden Baustil wieder. Und nur in diesem Umfeld konnten grosse Hotels gebaut werden, die eine fast perfekte Kombination aus westlichem und östlichem Luxus boten.
Dieses quirlige Leben zog auch unvermeidlich seine Schattenseiten an. Es gab Tanzpaläste, organisiertes Verbrechen, die Opiumhöhlen lebten wieder auf und in manchen Strassen reihte sich Bordell an Bordell. Shanghai galt als das „Paris des Ostens“ und als die grösste Lasterhöhle am Pazifik. Noch heute wird in der neuesten Ausgabe des Dudens „shanghaien“ als gewaltsamer Menschenraub bezeichnet.
Um den „Shanghai-Sumpf“ auszutrocknen, begannen die Kommunisten nach ihrer Machtübernahme auch hier zuerst mit ihren „Umerziehungskampagnen“.
Auch das Deutsche Reich profitierte von China´s Öffnung. Im Nordosten gründeten es 1896 das Schutzprotektorat Tsingtao. Bis zum Ausbruch des 1.Weltkrieges stand es unter deutscher Herrschaft. Da in Deutschland Bier zu den Grundnahrungsmitteln zählt, wurde 1902 die Tsingtao-Brauerei gegründet. Sie ist heute die grösste Brauerei in China und arbeitet nach dem deutschen Reinheitsgebot. Selbst ein Hofbräuhaus findet man in Tsingtao.
Die Revolution und wie es weiterging
„Der Osten ist rot, lang lebe unser grosser Führer Mao Zedong“. Blauer Einheitsanzug, Mütze, die Hand mit der kleinen roten Mao Bibel hochgereckt, ziehen Tausende der roten Garde durch Shanghai´s Tian Mulu zum Hauptbahnhof. An der grossen Kreuzung davor stehen die Ampeln auf rot, die Masse zieht johlend weiter. Rot bedeutet jetzt in China Fortschritt und Aufbruch. Rot darf niemals anhalten, mit rot geht es immer voran. Dafür muss man jetzt bei grün warten.
Der Mob skandiert immer wieder seinen Kampfruf. In ihrer Mitte treiben sie angebliche Systemfeinde und Abweichler. Intellektuelle, Künstler, Studenten und deren Professoren, aber auch Zuhälter und Prostituierte. Damit sie auch jeder in der Masse erkennt, müssen sie eine Papiertüte auf dem Kopf tragen. Die grosse proletarische Kulturrevolution von 1966 hat nur ein Ziel, die Säuberung von Staat und Partei. Wer Abweichler ist bestimmten Volkskomittees, eingesetzt von der Viererbande unter Mao´s Witwe. Sie legen auch fest, wie die gewollte Säuberung durch Umerziehung abläuft.
Musiker zählen zu den Abweichlern, besonders dann, wenn sie nicht im Orchester einer traditionellen chinesischen Volksoper sitzen. Sie werden überwiegend in der Landwirtschaft umgeschult, Musiker aus Shanghai in Wuxi, einer Stadt am Tai See. Dort müssen sie unter unsäglichen Bedingungen, zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche in knietiefem Wasser Tai Mi ernten. Tai Mi ist eine Wasserkastanie, die als Gemüse in der chinesischen Küche viel verwendet wird. Für die 6. Lebensmittelfabrik Wuxi ist sie das bedeutendste Produkt. Hier findet auch die Umerziehung statt.
Sechs Tage in der Woche wird gearbeitet, einen Tag lang steht politische Schulung auf dem Programm. Geschlafen wird in alten, kaum heizbaren Baracken auf Bambusmatten, vierzig Personen pro Raum. Als Nahrung gibt es hauptsächlich Tai Mi Abfälle, der Rest ist Wassersuppe.
Während dieser Umerziehung lernen sich Xia Duan, der kleine Duan, früher Lehrer am Musikkonservatorium in Shanghai und Yue und Chen, beide ehemalige Musiker an einem Theater kennen.
Erst 1973, wurden die drei Musiker aus der Umerziehung entlassen und nach Shanghai zurückgeschickt. Dort arbeiteten sie in verschiedenen Fabriken, blieben aber immer in Kontakt.
Nach Jahrzehnten der Isolierung öffnet sich China unter Deng Xiaoping Ende der 70er Jahre wieder. Shanghai wird wieder Tor zum Westen. Für die immer zahlreicher werdenden Geschäftsleute soll das Peace Hotel die alte Rolle wieder einnehmen. Ende 1982 wird eine Bar eröffnet und eine Kapelle beschäftigt. Sie soll das Flair der 30er und 40er Jahre vermitteln. Und hier schliesst sich der Kreis für unsere drei Umerzogenen. Die Musikrichtung lag ihnen sowieso im Blut, die Noten lassen sie sich von Freunden aus Hong Kong schicken.
Ende einer Dienstreise
Dumpf schlagen die Wellen des Huangpu, des gelben Flusses, in kurzen Stössen auf das Fährboot ein. Ich stehe am Bug und versuche, zumindestens einen Hauch an frischer Luft mitzubekommen. Das Innere des Schiffes ist völlig übervölkert, unter Deck ist es unerträglich schwül. Es stinkt penetrant nach faulem Fisch, Dieselöl, Schweiss und modrigem Wasser. Die alte Lu, warum heissen eigentlich die meisten alten Chinesinnen Lu, steht vor ihrem gusseisernen Ofen und heizt ihn mit diesen schwelenden, aus Kohlenstaub gepressten Zylindern. Geduldig stehen mindestens fünfzig Chinesen bei der alten Lu und warten auf heisses Wasser. Alle tragen ein Glas mit Schraubverschluss. Darin befinden sich einige matschige Teeblätter, die auf ihren vierten oder fünften Aufguss warten. Nach über vier Wochen China kann ich diesen Tee nicht mehr sehen, geschweige denn trinken. Nach vier Wochen sieht er für mich aus wie Pisse, schmeckt wie Pisse und ich muss davon nur noch pissen. Vier Wochen China abseits der Touristenströme, vier Wochen in alten Funktionärhotels. Plüschige, verstaubte Zimmer die nach Mottenpulver riechen. Kakerlaken für die, gestählt nach einem Millionen Jahre währenden Überlebenskampf, Insektenvertilgungsmittel zur Delikatesse geworden sind. Mahlzeiten, bei denen man zum Glück nie weiß, wie und woraus sie hergestellt wurden. Ich hab die Schnauze gestrichen voll, ich will einfach nicht mehr. Mir reicht es. Noch anderthalb Tage, zwei Besprechungen, eine Übernachtung und dann geht es ab nach Hause.
In der Ferne ist der Himmel von den Lichtern einer Stadt rötlich angemalt. Shanghai, dieser Moloch wartet zwar nicht auf mich, aber ich warte auf Shanghai.
„Warum müssen Sie eigentlich immer in Shanghai im Peace Hotel absteigen? Ich kann Sie auch zu gleichen Konditionen im Sheraton einbuchen und das ist wesentlich komfortabler“. Die Leiterin unserer firmeneigenen Reisestelle legt mir meine Reiseunterlagen auf den Schreibtisch. Sie blickt mich mit grossen Kulleraugen durch eine Nana Mouskouri Brille an und zupft verlegen an ihrer Rüschchenbluse. Seit fast fünf Jahren betrachtet sie voller Argwohn meine Reisepläne, besonders die Sonderwünsche, platzt fast vor Neugierde. Am liebsten wäre es ihr wahrscheinlich, ich würde sie in ein Restaurant einladen und ihr meine Gründe erzählen. Und genau das verkneife ich mir, so wie die dafür angedeutete Belohnung.
Heping Fandian, das Peace Hotel, ein Hotel das immer noch das Ambiente der Kolonialzeit vermittelt, in dem Charly Chaplin und Bernhard Shaw gewohnt haben. Hier schrieb Noel Coward seine „Privat Lives“, es diente Vicky Baum als Vorlage für ihren Roman „Hotel Shanghai“. 1929 wurde es als Cathay Hotel eröffnet und galt als das beste Hotel am Pazifik. Erst nach kommunistischen Machtübernahme wurde es in Peace Hotel umgetauft.
Mein wievielter Aufenthalt ist das nun? Unwichtig, einschneidend für mich wird immer der erste Aufenthalt im Jahre 1985 bleiben. Sechs Tage Messe in den alten Hallen. Morgens Gespräche am Stand, nachmittags Vorträge. Michael Cheung, mein Partner aus unserem Hong Kong Büro hatte alles vorbereitet. Michael ist in Shanghai geboren und kennt die Stadt wie seine Westentasche, er muss wohl auch noch viele Verwandte hier haben, denn täglich verschwindet er für drei Stunden und ist unauffindbar. Wahrscheinlich macht er, wie alle Chinesen, irgendwelche Geschäfte. Er ist während der Kulturrevolution nach Hong Kong geflohen und hat dort von der britischen Kolonialmacht einen neuen Namen erhalten. Seinen richtigen Namen hat er mir nie genannt.
Michael hat mir von der Jazzbar im Hotel und “some very old men playing strange music“ erzählt, er nannte sie die Old Jazz Band. Deutsche Kollegen von anderen Messeausstellern schwärmten von der Swingmusik der „Rentnerband“.
Ich hatte an diesem Tag Geburtstag. Was macht man(n) weit von zu Hause entfernt an seinem Geburtstag? Zusammen mit Michael und einigen Geschäftsfreunden aus verschiedenen Ländern haben wir in der Bar kräftig gefeiert. Kräftig hiess in diesem Falle viel Tsingtao Bier und Maotai-Schnaps, diesem fürchterlichen Gesöff aus Hirse mit 55% Alkohol. Die Kapelle spielte Swingmusik vom Feinsten, irgendwann wurde sie in die Runden einbezogen. Nach dem dritten obligatorischen „Happy Birthday“ kam der kleine Trompeter an unseren Tisch, stellte sich als Xia Duan vor und sagte zu mir „especially for you, one of our famoust song, the most popular slowboat“.
Und dann spielte die Kapelle dieses Stück in einer Interpretation wie ich sie so vorher noch nie gehört hatte. Weich, fordernd und überraschende Tempiwechsel. Der ganze Tisch war plötzlich ruhig, ja fast ergriffen. Zumindestens bei mir ist da ein Funke übergesprungen.
Danach habe ich bis Mitte der 90er Jahre fast jährlich Shanghai besucht, und bin immer im Peace Hotel abgestiegen. Und jeden Abend verbrachte ich in der Jazz Bar. Die Band ist mittlerweile weltweit bekannt. Selbst im deutschen Fernsehen, im Weltspiegel, wurde sie als Rentnerband portraitiert.
Sobald ich die Bar betrat, und zum Abschluss spielte die Band stets „On a slowboat to China“und Xia Duan grinste mich dabei an. Endlose Stunden haben wir nach Ende des Auftritts mit Maotai und viel Tsingtao Bier verbracht. Xia Duan hat mir viel erzählt, von der Kulturrevolution, von China und von seinem Leben.
Irgendwann einmal lud er mich zum morgentlichen Tai Chi, zum Schattenboxen, mit seiner Nachbarschaft ein. Man trifft sich in einem kleinen Park am Bund. Ein Meister steht vor der Gruppe und führte durch die einzelnen Übungen. Es soll insgesamt 108 davon geben. Jede dieser Figuren hat einen eigenen, blumenreichen Namen „Einfache Peitsche“, „Der weisse Kranich breitet seine Flügel aus“, „Den Tiger umarmen und zum Berg zurückkehren“ und und...
Wie in Trance bewegt sich die Gruppe, Gewichtsverlagerungen und genau vorgeschriebene Bewegungen. Das alles strahlt für mich eine unendliche Ruhe aus. Die wirkliche, tiefe innere Harmonie bleibt mir jedoch verschlossen.
Nur noch Erinnerungen
Letztes Jahr. Das alte Shanghai, wie ich es geliebt, gehasst und manchmal verflucht habe, gibt es schon lange nicht mehr.
Die alten typischen Garküchen auf der Haupteinkaufsstrasse, der Nanjing Dong Lu sind fast alle verschwunden. Vorbei die Zeiten, in denen Kulis in blauer Arbeitskleidung morgens von ihrem Lastwagen grosse Tofublöcke auf die staubige Strasse vor den Garküchen schmissen. Die Blöcke hatten die Form, Farbe und Grösse alter gebrauchter Schaumstoffmatratzen. Wahrscheinlich schmeckten sie im ungekochten Zustand auch so. An Stelle der Garküchen weisen jetzt grelle Neonleuchten auf westliche Fast Food Abfütterungsstellen hin, in denen die Stäbchen durch Finger und die Sojasauce durch Ketchup ersetzt sind.
Pudong, der Stadtteil auf der anderen Flussseite, gibt es immer noch. An Stelle der alten Wohnhütten und Bauernhäuser inmitten sumpfiger Felder stehen jetzt die riesigen, futuristischen Wolkenkratzer des Finanzzentrums. Man könnte glatt die Skyline von Manhattan dahinter verstecken, selbst wenn es die Türme des World Trade Centers noch gäbe. Und dort liegt auch der Bahnhof der Magnetschwebebahn, die zum Flughafen führt. Komisch diese Deutschen, pfiffig genug so etwas zu entwickeln, aber zu blöd, um es auch im eigenen Land zu finanzieren. Erklär das mal einem Chinesen.
Eins ist geblieben, auf dem Bund, der Uferpromenade und Flaniermeile, wird jeder Gweilo, jede weisse Langnase, so wie schon vor 80 Jahren angesprochen :“Do you want Shanghai-Ladies?“ Und wie früher eröffnet der Dollar alle, wirklich alle Möglichkeiten.
Natürlich bin ich, wie bisher jedes Jahr im Peace Hotel abgestiegen. Und genauso selbstverständlich führt der Weg abends in die Jazzbar. Nichts mehr vom Kantinenlook mit Plastiktischdecken der 80er Jahre, ein Pseudokolonialstil mit schweren Ledersesseln, edlem Holz und viel Messing erwartet die Gäste. Man hat edel renoviert.
An der Theke sitzen, dekorativ wie auf einem Foto eines Lifestyle-Magazins, fünf Shanghai-Ladies. Sie sind jung, attraktiv und bereit den männlichen Gästen behilflich zu sein. Einige dieser Gäste benötigen offensichtlich Hilfe. Die Samtkleider der Ladies sind seitlich geschlitzt, bis zum Himmel oder für manche auch bis zur Hölle.
Die Band spielt „In the mood“. Sie besteht immer noch aus sechs Musikern, das Gesamtalter ist aber gegenüber dem Vorjahr um mindestens 100 auf ca. 350 Jahre zurück gegangen. Kein Yue und Chen zu sehen, kein Xia Duan, der mich angrinst, die Trompete grüssend anhebt und beim nächsten Stück das Slowboat intoniert. Als nächstes spielt die Band „Tuxedo Junction“, improvisiert dann Themen aus dem Cotton Club.
Muss ich zum Buddhismus konvertieren? Nur, um irgendwann in der chinesischen Abteilung des Himmels die Altmeister des Swings wiederzutreffen. Ich glaube kaum, dass sie Saxophon, Trompete und Klavier mitnehmen durften. Mit Sicherheit wird es dort aber keinen Maotai und schon gar kein Tsingtao Bier geben.
Irgendwann einmal kann man Sehnsüchte nur noch kaufen. Ich habe der Kapelle eine Runde ausgegeben.... Please, do me a favour. Could you please play for me „On a Slowboat to China“
Rüdiger Schulte April 2003