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Omnia

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20.12.2017
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Omnia

Etwas verändert sich in mir. Ich spüre es. Ist es Gott? Ich habe ihn mir wärmer vorgestellt. Ehrlich gesagt, habe ich bislang auch gedacht, dass der Herr schon längst bei mir ist. Vielleicht ist es aber auch ein dunkler Dämon, der langsam von mir Besitz ergreift. Ich bete öfter und länger als bislang schon, auch wenn das nur schwer möglich ist. Die Antworten blieben mir bislang verborgen, doch ich weiß, dass sie kommen werden. Und mir womöglich nicht gefallen.

Antonius blickte aus dem Fenster. Vor ihm erstreckten sich zahlreiche Felder und vereinzelte Bäume verirrt in der Landschaft. Der Himmel war grau behangen, doch ergaben sich immer wieder Lücken, durch die das helle Blau einfiel. Der Mönch legte seine Feder auf dem vor ihm stehenden Schreibtisch nieder. Die Weiten der Welt boten mehr Platz für seine Gedankenwelt, als es einem Schreibtischzimmer eines schmalen Turms möglich war. „Bin ich ein Ketzer?“, murmelte Antonius gedankenverloren vor sich hin und richtete seinen Blick wieder auf das beschriebene Pergament vor sich. Besitzergreifende Dämonen, Zweifel über Gottes bisherige Anwesenheit… diese Schriften mussten ungelesen bleiben, doch waren sie bitter nötig als Projektionsfläche für die verdrehte Innenwelt, der sich der Mönch im Moment ergab.
Die Glocke im Turm über ihm läutete schallend. Zeit für das Mittagsgebet. Mit seinen Brüdern sammelte sich Antonius im Gebetskreis, der das ganze kreisförmige Gebäude, das den Turm umgab, durchzog. Die Mönche knieten, ihre Hände waren gefaltet und ihre Blicke auf die farbigen Fenster gerichtet, die von Heldensagen gläubiger Ritter berichteten. Alle blickten auf die Fenster, in dem Bewusstsein, das dahinter der Gottesturm lag. Dort war man Gott am nächsten, der im Himmel thronte. Gebete und Gesänge wechselten sich harmonisch ab und die Stimmen verschmolzen zu einer. Sie alle waren von Gottes Größe durchfahren in Momenten wie diesen, daran glaubten sie innbrünstig.
Im Anschluss an das Gebet bat der Priester des Hauses Antonius zu einem Gespräch. „Geliebter Bruder, Gott braucht Eure Hilfe. Ihr müsst nach Burg Holenthalern reisen und Graf Wettenstein zurück zum Glauben führen. Er weigert sich, die Gottessteuern zu zahlen und hat sich gegen die Glaubensgemeinschaft ausgesprochen. Ihr müsst ihn zur Vernunft bringen. Nicht nur er, sondern seine ganze Gemeinde stehen auf dem Spiel.“ „Können wir ihn überhaupt noch retten, wenn er aus Gottes Obhut geflüchtet ist?“ „Noch ist es nicht zu spät. Ich habe den Hohen Priester noch nicht benachrichtigt. Graf Wettenstein taumelt noch am Wegesrand, aber er kann wieder zurückgeführt werden auf den Pfad Gottes.“ „Ich verstehe, Priester Domicus“, bestätigte Antonius seinen Auftrag. „Bruder Cornelius soll Euch begleiten. Zu zweit reist es sich schließlich besser“, schob Domicus hinterher. „Zu dritt“, korrigierte Antonius mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen. Der junge Mönch hatte nichts gegen einen Reisebegleiter einzuwenden, insbesondere nicht gegen Cornelius, der sich als geselliger Bruder erwiesen hat. Eine fromme Verbundenheit zum und große Ehrfurcht vorm Herrn. Zwar klammerte Cornelius sich für Antonius Geschmack etwas zu sehr an die Interpretationen von Priester Arminius, wenn es um die heiligen Gebete ging, aber wer war er schon, um darüber zu urteilen?

Noch bevor die Glocke des Turms zur ersten Stund‘ des Tages ihr tiefes und meditativ anmutendes Klangbild zum Besten geben konnte, waren Antonius und Cornelius bereits auf direktem Wege in die Grafschaft des Herrn Wettenstein, der auf Burg Holenthalern residierte. Die Grafschaft befand sich inmitten einer Triangel aus mächtigen Fürstentümern, die nicht nur ein Auge auf ihren reichen Nachbarn warfen. Antonius war aufrichtig erstaunt darüber, dass Graf Wettenstein die Treue zu Gott infrage stellte und sich somit zum Freiwild für ehrgeizige Adelsgenossen machte. Der Mönch hatte seine Zweifel daran, dass die Grafschaft vor einem tödlichen Konflikt noch zu bewahren war, doch durfte das Vorhaben, Graf Wettenstein wieder zu Gott zu führen, nicht unversucht bleiben.
„Wenn der Graf erst einmal den Glauben verliert, wird das einfache Volk folgen. Ihrem Landsherren verdanken sie schließlich die Weide für die Viehzucht und das Feld zum Ackerbau“, beklagte Cornelius während der Wanderschaft der beiden Mönche auf der Salzstraße Richtung Holenthalern. „Oberflächlich betrachtet ja, aber ich kann dem einfachen Mann nicht verübeln, so zu denken. Letztendlich ist es aber doch Gott, der die Früchte des Lebens gibt“, entgegnete Antonius. „Recht habt ihr doch“, stimmte Cornelius eifrig zu. Er war leicht zu überzeugen, wenn es darum ging, die Größe Gottes hervorzustellen. Der vom Morgenrot geküsste Himmel wich im Laufe des Tages einem weichen Blau, doch als die Sonne am höchsten stand, verdunkelte sich der Himmel. Verwundert blickten die geistlichen Brüder empor und trauten ihren Augen nicht, als sie feststellen, dass es nicht die Wolken waren, die so urplötzlich den strahlenden Himmel verdeckten. Ein riesiges pyramidenähnliches Gebäude sank vom Himmel hinab. Doppelt, nein, dreifach so groß wie jede Burg, die Antonius je erblickt hatte. Silberner als das glanzvollste Schwert und von seiner Beschaffenheit glatter als das kühlste Wintereis. Eckig verlaufende Adern durchzogen den riesigen Himmelskörper und pulsierten schwarz. Cornelius Blick hatte sich in ein Gaffen gewandelt, Antonius hingegen machte den Eindruck eines Erkenntnisgewinns. Seine Augen wirkten wie gebunden an das, was sie erwartete. „Ein Zeichen Gottes!“, lobpries Cornelius ehrfürchtig die riesige Pyramide. „Das ist nicht Gott“, hauchte Antonius geistesabwesend und sich darüber unsicher, ob Cornelius seine Worte vernommen hatte. Die Pupillen wurden enger, der Blick noch immer starr auf den silbernen Giganten gerichtet. Schließlich färbten sich die Augen des Mönchs schwarz. Im Inneren des Gläubigen ertönte ein Laut, kraftvoller und intensiver als das Pauken von tausend Trommelschlägen. Ein innerliches Krachen mit der Intention, ihn aus einem langen Schlaf zu wecken. Wie von seiner Seele verlassen, kippte Antonius nach vorne und ging mit einem dumpfen Schlag zu Boden, der sich für ihn jedoch butterweich anfühlte. Für den Mönch war da kein Boden, sondern er fiel weiter. Er sah den Nachthimmel, die Sterne und die Größe des Himmels - alles auf einmal, von allen Perspektiven aus und in all seiner Vielfalt. Zu viel um es fassen zu können.

„Antonius! Antonius, wach auf!“, schrie Cornelius den wieder zu sich kommenden Mönch an und rüttelte an seinem Leib. „Wir müssen zu ihnen“, murmelte Antonius geistesabwesend vor sich hin, die Augen dabei müde geöffnet. „Zu ihnen?“, fragte Cornelius mit gerunzelter Stirn. „Wir alle müssen zu ihnen. Zu uns“, brummte Antonius. Seine Augen wirkten leer und waren noch immer schwarz. Cornelius stutzte, als er die Augenfarbe seines Bruders realisierte. „Ein Dämon“, hauchte der gottesfürchtige Mönch und wich zurück. Er hatte noch nie einen gesehen, doch in den Heiligen Schriften stand geschrieben, dass eine entleerte Seele Anzeichen dafür war, dass ein Dämon des Dunklen Gottes einen schwachen Geist heimgesucht hatte. Die entleerte Seele würde sich zu allererst über die Augen erkenntlich zeigen. Cornelius war trotz dieses eindeutigen Anzeichens verwundert, denn bislang hatte Antonius mitnichten wie ein schwacher Geist gewirkt. „Cornelius“, sagte Antonius plötzlich hellwach und mit scharfem Unterton, „in welche Richtung müssen wir?“ Cornelius wich einen weiteren Schritt zurück. Sein Gefährte ängstigte ihn. Antonius richtete sich auf und blickte sich suchend um. Der Himmelskörper war nicht leicht zu übersehen und hatte sich inzwischen auf die Erde abgesetzt. In dem Moment, als der Mönch das pyramidenartige Gebäude erblickte, begann er auch schon loszumarschieren. „Antonius? Antonius!“, rief ihm Cornelius hinterher. Der Gerufene hörte nicht, sondern setzte seinen Weg stur fort. „Wir müssen nach Gruben! Der Tempel ist nicht weit von Holenthalern! Bitte!“, wies der fromme Mönch seinen Bruder an. Aus seiner Perspektive war eine Seelenreinigung Antonius letzte Hoffnung und diese konnte nur von Mönchen durchgeführt werden - Gruben war schließlich der nächstliegende Tempel. Antonius hörte weiterhin nicht, sondern setzte seinen Weg unbescholten fort. „Bruder, bitte! Noch ist Zeit! Der Dämon des Dunklen Gottes ist noch nicht lang genug in Euch gefahren, um Eure Seele zu leeren, zu vernichten!“, redete Cornelius auf den schwarzäugigen Wanderer ein und versuchte zum strammen Schritt mitzuhalten. „Cornelius, alles was jetzt wichtig ist, ist ans Ziel kommen.“ „Welches Ziel denn? Versteht doch, Ihr seid besessen!“, erwiderte der Mönch lauthals. „Ich hab sie gesehen, die Welt, Cornelius. Alles. Ich weiß, wo ich hinmuss und wo wir alle letztendlich hinmüssen. Dort…“, Antonius zeigte in Richtung der Pyramide, „…ist jedenfalls der Anfang. Folg mir oder folg mir nicht, aber hör auf, mich von meinem Weg abbringen zu wollen.“ Cornelius war fassungslos. Plötzlich kam dieses Ding von Himmel und Antonius war darauf so fixiert, als wäre es Nemal, die Pilgerstadt. „Ihr habt gesagt, dass das am Horizont nicht Gott ist, bevor Ihr zu Boden gefallen seid. Wie kommt Ihr darauf, sowas zu sagen? Wer sollte sonst so mächtig sein?“, hakte Cornelius weiter nach, als sie ihren Weg zu besagtem Gegenstand fortsetzten. „Ich weiß es. Ich kann es Euch nur nicht erklären. Zumindest noch nicht“, war die ernüchternde Antwort Antonius. Sein Bruder war vor ihm noch immer geängstigt und sie hatten noch immer ihren Auftrag in Holenthalern zu erledigen, doch Cornelius konnte seine eigene Neugier gegenüber diesem silbernen Ding nicht verleugnen. Für ihn war klar, dass es sich um ein Zeichen Gottes handelte. Antonius Haltung überraschte ihn weiter nicht, denn der Scherge des Dunklen Gottes, der von ihm Besitz ergriffen hat, versuchte durch Leugnung, die Macht des wahren Gottes zu schwächen.

Die pyramidenhafte Festung aus dem Himmel hatte sich abgesetzt inmitten eines Feldes nicht weit von einem kleinen Dörfchen. Je näher Antonius und Cornelius dem silbernen Mysterium kamen, umso strammer schritt der schwarzäugige Mönch voran. Eine große Menschentraube hatte sich bereits darum versammelt, jedoch noch mit großem respektvollem Abstand. Und es wurden immer mehr Menschen. Jeder musste es mit seinen Augen sehen. Gleichzeitig konnte man jedoch auch die Furcht in jenen Augen lesen. Erwartete sie eine Strafe Gottes? Oder war es gar die Erlösung? Seitdem sich die Pyramide auf das Feld abgesetzt hatte, passierte jedoch nichts mehr, was viele der Menschen überhaupt erst ermutigte, sie nicht nur von der Ferne zu beobachten, sondern tatsächlich in ihre Nähe zu kommen. Viele begannen zu beten, als sie dort angekommen waren. „Was will uns der Herr sagen?“, fragte Cornelius seinen Bruder mit ehrfürchtiger Stimme. Er versteht es noch immer nicht. Aber wie auch, dachte sich Antonius, doch wagte es nicht, seinen Blick von dem silbernen Monstrum vor ihm abzuwenden. Er konnte nicht länger warten, er musste es berühren. „Macht Platz, ihr Bauern! Macht Platz!“, wies ein Reiter, gefolgt von mehreren weiteren, die Menschen an, als er und seine Gefährten sich mit wiehernden Pferden und mit klappernden Rüstungen dem Getümmel näherten. Sie trugen das Wappen von Graf Donnersberg, was darauf schließen ließ, dass das kleine Dörfchen unter dessen Schutz stand. Einer der Ritter stieg ab und bewegte sich - raschelnd durch das Kettenhemd - zur Pyramide. Sein Gang war gezielt und zügig, ähnlich wie es der von Antonius war. Der Mönch folgte ihm, näherte sich ebenfalls der Pyramide. „Haltet ein!“, schrie einer der Reiter Antonius hinterher und auch Cornelius klinkte sich in das Rufen mit ein: „Was tut ihr da? Lasst euch vom Dunklen Gott nicht weiter verführen! Bringt ihn nicht durch euch zum Herren!“ Der Mönch ließ sich nicht beirren und schritt weiter auf das silberne Mysterium zu. Als der Ritter bei dem Himmelskörper angekommen war, zog er sich den Helm vom Kopf und ließ diesen zu Boden plumpsen. Vorsichtig streckte er seine rechte Hand der aalglatten Mauer entgegen. Sie berührten sich kurz und es war, als würde ein Blitz durch den Körper des Ritters fahren. Als er sich umdrehte, waren seine Augen nicht länger schwarz. Es war so, als spiegelte sich der Nachthimmel in ihnen wieder. Nicht zu überschauende Dunkelheit gespickt mit zahlreichen funkelnden Sternen. Erwartungsvoll blickte der Ritter nun Antonius in die Augen, der kurz stehengeblieben war und innegehalten hatte. Nach dem kurzen Blickwechsel setzte auch Antonius seinen Gang fort und reichte der Mauer seine Hand, den Zeigefinger dabei leicht nach vorne gestreckt. Auch dem Mönch war es so, als würde ein Blitz ihn durchfahren, doch der Donner blieb aus und stattdessen hörte er in seinem Kopf das Geräusch eines so eben entflammten Feuers. Er suchte den Blick des Ritters und als sie sich diese trafen, spiegelten sich in beiden Augenpaare die Sterne und die Unendlichkeit wieder, in der sie lagen. Die Menschenmenge, die das Treiben beobachtete, wechselte unsichere Blicke. „Wie können wir es ihnen erklären?“, fragte Antonius an den Ritter gerichtet. „Wir müssen es ihnen predigen. Und predigen. Und immer wieder predigen. Ihr kennt Euch doch damit doch aus, oder nicht?“ „Ja, ja, das tue ich“, antwortete Antonius nickend und richtete sich zur versammelten Menschentraube. „Das…“, Antonius zeigte hinter sich, „… ist nicht Gott. Das ist auch kein Zeichen Gottes. Das, was ihr seht, ist eure Zukunft. Unsere Zukunft. Wir sind alle miteinander verbunden. Das was dazwischen liegt, ist das, was uns noch trennt. Ich weiß, meine Worte müssen wirr und verrückt klingen. Ich mag für euch wie ein Ketzer sprechen, doch ich spreche die Wahrheit. Wir sind die Vielen, doch die Vielen sind eins.“ Viele der Menschen wichen verängstigt zurück, manche beteten und wieder andere machten sich aus dem Staub. „Sie verstehen es nicht…“, murmelte Antonius. Der Ritter trat einen Schritt nach vorne. „Die Vielen…“, begann er und hob seine Hände. Die Schwerter der anderen Reiter entglitten aus ihren Scheiden und schwebten wie von unsichtbarer Hand geführt über die Menschenköpfe hinweg und stellten sich in Reihe vor dem Ritter mit den Sternenaugen auf. Sie färbten sich erst schwarz und leuchteten dann plötzlich auf, als sich aus dem Dunkel strahlende Punkte hervor tan, die wie Sterne anmuteten. „Die Vielen werden … zu eins“, beendete der Gesalbte seinen vorhin begonnenen Satz und die Schwerter verschwanden zur Mitte hin im jeweils anderen Schwert, bis letztendlich nur noch ein Schwert über war, was jedoch größer war und heller schien als die einzelnen davor. Cornelius brach verzweifelt zu Boden: „Wer seid ihr?! Schergen des Dunklen Gottes oder doch die Propheten des einzig wahren Herren?“ Sein Blick war von Angst erfüllt, so wie der vieler anderer Anwesenden. Das, was er bzw. sie alle gerade erlebten, war so fremd und anders, als alles, was sie bislang kannten. Konnte etwas so Fremdes und Anderes überhaupt das Werk Gottes sein, der einem eigentlich ja so vertraut sein sollte?

„Ja, wir sind sowas wie Propheten. Doch nicht für einen Gott, sondern für unsere Zukunft. Nur wenn wir eins sind, können wir unsere Zukunft retten. Wir dürfen uns nicht länger entzweien. Wir Alle sind eins. Wir Alle sind Omnia“, erklärte Antonius mit ausschweifender Gestik. „Omnia?“, fragte einer der Bauern mit zitternder Stimme. „Omnia kommt dem am nächsten, an was wir alle so lange geglaubt haben. Wir sind der Herr. Wir alle zusammen. Wir müssen nur jetzt die Chance ergreifen, diese Macht wahrzunehmen und uns vor einer Katastrophe zu schützen. Die Menschheit ist in Gefahr, zu verderben“, holte Antonius weiter aus. „Und wie soll es jetzt weitergehen?“, wollte einer der Reiter wissen, der einen skeptischen Gesichtsausdruck auflegte, aber auch gleichzeitig eingeschüchtert schien von dem, was er so eben beobachten konnte. „Ihr werdet auf ein Zeichen warten, das wir euch schon bald geben werden. Verbreitet die Kunde von Omnia, unserer Vereinigung. Wir müssen noch versuchen, so Viele wie möglich zu retten und ein Teil Omnias werden zu lassen. Wir sind nicht die einzigen Propheten und das hier ist nicht das einzige Tor zu Omnia“, klärte Antonius die Menschen weiter auf. „Ich will auch sehen, was ihr seht! Ich will können, was ihr könnt!“, forderte einer der Bauern und lief auf die Pyramide zu. „Noch ist es für Euch nicht soweit!“, rief der Ritter ihm hinterher. Der Bauer hörte nicht und stürmte weiter auf das silberne Gebäude zu. Kurz bevor er es jedoch erreichen konnte, schnellten zwei Schatten vom Boden auf und umschlungen seine Arme, was ihn am Weiterrennen hinderte. „Euer Geist würde das, was Euch erwartet, alleine nicht stemmen können. Doch Omnia wird schon bald vollendet sein“, beruhigte Antonius den überschwänglichen Ausreißer und hob beschwichtigend die Hand. „Wir müssen die Kunde weiter verbreiten“, richtete Antonius mit gesenkter Stimmte das Wort an den Recken neben ihn. Dieser nickte.

Antonius und sein Gleichgesinnter, der vor der Offenbarung als Ritter Winfrid von Golten Graf Donnersberg diente, pilgerten durch die Ländereien, auf der Suche nach den weiteren ‚Omnia-Toren‘. Winfrid hatte sich inzwischen seines Wappens entledigt, um problemloser die verschiedenen Ländereien durchqueren zu können. Cornelius begleitete Antonius nicht länger. Er war noch immer verängstigt und verwirrt und hielt unentwegt an seiner alten Vorstellung des Herren fest. Die Worte Antonius wirkten für ihn ketzerisch und die silberne Pyramide deutete er noch immer als ein Zeichen Gottes oder zumindest als eine weitere Probe für die Menschen. Der ehemalige Mönch und der früher mit dem Rittertitel auftretende Winfrid waren jedoch nicht die einzigen Propheten, die durch das Land zogen. Sie begegneten immer mehr von ihresgleichen, die sich alle durch die Sternenaugen auszeichneten. Ein Blick in ihre Augen war wie ein Blick in den Nachthimmel. Auch unter den Menschen verbreitete sich das Wort und immer häufiger wurde von „Omnia“ gesprochen. Viele vermochten noch nicht ganz den Unterschied zwischen der alten Vorstellung eines Gottes und Omnia zu begreifen, doch sie hatten auch noch nicht das gesehen, was die Propheten gesehen hatten. Omnia übte jedoch eine besondere Faszination aus; die silbernen Giganten und die Propheten mit ihren übernatürlichen Kräften. Wie der altbekannte Gott, nur in einem neuen Gewand. Oder wie die Skeptiker in der Bevölkerung sagten: wie der dunkle Gott - mal wieder in einem neuen Gewand. Besonders die Tempel und die dort betenden Mönche und ihre Priester waren tief gespalten. Wie waren diese Geschehnisse zu deuten? Sprach Gott nun zu ihnen deutlicher als jemals zuvor und sollten sie diesem Ruf folgen? Unsicherheit prägte die Ländereien in diesen Tagen, doch auch eine Art Aufbruchsstimmung machte sich bemerkbar.
Ein, vielleicht auch zwei Tagesmärsche entfernt von dem kleinen Städtchen Kübingen, in der die beiden Propheten im Moment rasteten, lag eine weitere Pyramide. Berichten zufolge wurden bislang drei gesichtet. In der Grafschaft Donnersberg, deren silbernen Giganten sie bereits kennengelernt hatten, in der Grafschaft Streißing und in der Grafschaft Türgen. „Ihr seid Omnia-Propheten, nicht wahr?“, fragte die Wirtin während sie die bestellten Hellbiere vor ihnen abstellte. Die beiden nickten. „Seid auch Ihr bereit, ein Teil Omnias zu werden?“, fragte Antonius. „Ich habe zu arbeiten und gehe jeden Friastag in die Tempel zum Beten. Ich hab auch nicht noch Zeit für sowas“, entgegnete die Wirtin, die sich offenbar ausgelastet, aber gleichzeitig auch pflichtbewusst geben wollte. „Verstehe, doch im Gegensatz zu dem Herrn, zu dem Ihr betet, ist Omnia Wirklichkeit“, erwiderte Antonius, „ihr werdet euch bis ans Ende aller Tage dafür Zeit nehmen müssen, andererseits wird es für Euch keine Zeit mehr geben.“ Die Wirtin stutzte. „Ich will Euch nicht ängstigen, aber--“ Die Türen der Wirtschaft flogen auf, mehrere bewaffnete Krieger stürmten hinein und begannen wahllos Gäste aufzuschlitzen und Tische umzuwerfen. Kreischende Panik erfüllte den Raum. Die Kämpfer trugen auf ihrer Brust das Banner von Wettenstein. Winfrid sprang von seinem Stuhl auf und klatschte in seine Hände. Ein Donnern hallte inmitten der kleinen Stube und brachte sie beinahe schon zum Beben. Die Blicke der Schlächter richteten sich auf Winfrid und im selben Augenblick machte dieser mit seiner Hand eine bogenförmige Gestik, der alle Augen der Kämpfer folgten. Im nächsten Moment fanden sich diese und Winfrid in einem schwarzen Raum wieder. Alles war dunkel. Es war nicht zu erkennen, wo eine Wand anfing, wie weit der Boden reichte und ob es überhaupt noch etwas anderes gab als diese flächendeckende Dunkelheit, die erst leicht von einzelnen Lichtern erhellt wurde und dann mit immer mehr Sternen gespickt wurde. „Ihr… tötet Omnia“, sagte der ehemalige Ritter in einem nüchternen Ton. Die Bewaffneten gerieten in Panik, drehten sich im Kreis und suchten nach einem Ausweg aus dieser nur von Sternen erhellten Dunkelheit. „W-wir handeln im Auftrag von Omnia!“, entgegnete einer von ihnen schließlich stotternd, der bereits die Erkenntnis gewonnen hatte, dass es keinen Ausweg aus dieser Misere gab. „Ihr tut was?“, hakte Winfrid ungläubig nach und verlieh seiner Aussage einen abfälligen Unterton. „Omnia hat es uns befohlen! Wir haben Omnia gesehen!“ „Wo? Wo habt ihr Omnia gesehen?“ „Graf Wettenstein wurde auserwählt! Er ist von Omnia ergriffen! Er ist Omnia, heißt es!“, erklärte sich der Kämpfer weiter, dabei schon in knieender Pose. Winfrid konnte es nicht glauben. Irgendein Graf wagte es, zu beanspruchen, ganz alleine Omnia zu verkörpern. „Wir alle sind Omnia. Omnia kann sich nicht selbst töten“, mahnte Winfrid. „Ja… Ja!“, stimmten die verzweifelten Kämpfer ehrfürchtig zu. „Ihr werdet euch eurer Waffen entledigen, nicht weiter euresgleichen morden und auf ein Zeichen warten. Dann wisst ihr, dass die Zeit gekommen ist, eins zu werden“, befahl Winfrid, worauf nur eifriges Nicken folgte. Wieder machte der ehemalige Ritter eine bogenförmige Bewegung, was den dunklen Raum verschwinden ließ. Antonius sah die am Boden knieenden und kriechenden Männer, die bis zum Donnersklatschen vor wenigen Augenblicken noch meuchelten und mordeten. Keine weltliche Macht konnte sich mit den Werkzeugen messen, die den Omnia-Propheten zur Hand gelegt wurden. „Graf Wettenstein behauptet, Omnia zu sein. Er hat die Worte der Propheten wohl missverstanden und nimmt sie wohl als Anlass, jetzt den Umfang seiner Grafschaft zu erweitern“, berichtete Winfrid von seinem neu gewonnenen Erkenntnisstand. Antonius lief es eiskalt über den Rücken. Ausgerechnet jener Graf, den er als Mönch zurück zu Gott führen sollte, missbrauchte die Kunde von Omnia für seine Herrschaftsgier. „Wettenstein gefährdet Omnia. Er muss aufhören oder weichen“, forderte Antonius, was von einem Nicken Winfrids quittiert wurde. Die beiden Propheten nutzten ihre Macht, um den durch die Wettensteiner ausgebrochenen Terror in Kübingen zu beenden und machten sich auf den Weg zu Burg Holenthalern.
Auf den Weg zur Burg von Graf Wettenstein wurden den beiden Propheten immer mal wieder missachtende Blicke zugeworfen. Ihre Augen verrieten ihre Identität und offenbar war man den Omnia-Propheten hier nicht immer unbedingt wohlgesonnen. Aus ihrer Sicht nicht verwunderlich, da sich immerhin Graf Wettenstein als einziger Vertreter bzw. als Personifikation Omnias darstellte und somit all die Propheten, die etwas anderes behaupteten, als Lügner und Täuscher verkaufen musste. Ritter oder Kampfkundige wagten es jedoch nicht, den Beiden in die Quere zu kommen; sie hatten sicher schon Erfahrung mit der Macht von Propheten gemacht.

Burg Holenthalern lag auf einem Hügel, den man beim Hang zur Ausschmückung auch sicher Berg hätte nennen können. Ein guter Ausgangspunkt zur Verteidigung und aufgrund der lichten Wälder auch gut überschaubar. Trotz der schwierigen Dreiecksposition, in der sich die Grafschaft von Wettenstein befand, hatte sie sich dank der günstigen Verteidigungsmöglichkeiten in der Vergangenheit tapfer behaupten können. Ironischerweise waren es nun die Wettensteiner, die zur Plünderung in die anderen Ländereien ausfielen.
„Haltet ein! Wer seid ihr?“, schalte es vom Tor hinunter, als sich Antonius und Wilfrid näherten. „Propheten. Euer Herr hat morden lassen und im Namen Aller gesprochen und das als Einzelner. Omnia sind wir Alle. Omnia kann sich nicht selbst angreifen. Und Omnia kann nicht nur einer sein“, lautete die ausschweifende Antwort von Antonius. Der Kopf des Rufenden verschwand hinter den Zinnen und aus den Schießscharten kamen im nächsten Moment auch schon die ersten Bolzen geflogen. Noch bevor sie überhaupt in die Nähe der beiden Leiber gelangen konnten, verpufften sie zu schwarzen Rauch. Noch einige weitere Bolzen und Pfeile folgten, doch alle erlitten das selbe Schicksal und schließlich erkannten die Angreifer die Ausweglosigkeit ihrer Abwehrversuche. Wilfrid hob beide Hände empor und ließ sie kurz darauf wieder bedächtig absenken. Was folgte, war ein sich schwarz färbendes Tor, welches zerschmolz und sich als Pech über den Boden unter dem Torbogen verteilte. Aufgeregte Schreie und Rufe von den Burgmauern hallten. Der Klang ihrer Stimmen glich denen, die um ihr Leben fürchteten. Wilfrid hatte diesen Klang schon oft vernommen, doch nur selten so einseitig und als so großes Stimmbild. Die Propheten ließen sich nicht weiter beirren und bahnten sich ihren Weg über den Hof in das Innere der Burg auf der Suche nach Graf Wettenstein. Schließlich fanden sie im Residenzsaal Graf Wettenstein, der auf einem silbernen Thron saß und von zwei Pikenieren bewacht wurde. Sein Blick war gesenkt, doch als die beiden Propheten näher rückten, erhob der Graf seinen Blick und seine tiefschwarzen Augen offenbarten sich. „Kommt ihr als Mönch oder als Prophet zu mir?“, fragte der Graf in einer ruhigen Stimme, seinen Blick auf die Mönchsrobe von Antonius richtend. „Als Propheten. Wir alle werden Teil--“ „Spart Euch das Geplapper. Egal ob Mönch oder Prophet, egal ob Gott oder Omnia, all diese Naivlinge haben hier ihren Tod gefunden. Ihr seid nur zwei weitere Propheten, die komplett entgeistert sind und gar nicht anders können, als sich kampflos den Eindrücken in ihrem Kopf zu ergeben und ein Teil einer einzigen, bewusstlosen Masse zu werden“, griff der Graf sie scharf an. „Wir haben mit Euren Kämpfern gesprochen. Sie denken, Ihr seid Omnia“, sagte Antonius und nahm zwar die Aussage über die Mönche wahr, die wohl Cornelius Tod bedeuteten, aber fühlte demgegenüber nichts weiter. „Und das stimmt auch“, entgegnete Wettenstein schroff, „ich bin der Einzige, mit denen sie Kontakt aufgenommen haben und der sich nicht ihrem Geflüster und ihren erdrückenden Bildern ergeben hat. Ich bin kein so schwacher Geist. Erst Gott, dann Omnia. Ihr seid nichts weiter als Lemminge. Ich habe diese Macht erfahren und sie für mich genutzt, anstatt mich ihnen zu ergeben, wie ein Sklave. Omnia, Omnia, Omnia! Omnia sind Alle? Omnia bin nur Ich, weil ich der Einzige bin, der diese Kraft kontrollieren kann, ohne seinen Geist, sein ganzes Wesen dafür aufzugeben.“ „Ihr habt Omnia nicht verstanden. Ihr habt nicht richtig in Euch hineingehört und hineingesehen“, erwiderte Wilfrid und blickte tief in die pechschwarzen Augen seines Gegenübers, „ihr wart nicht bei den Toren, oder?“ „Um mich ihnen völlig zu ergeben? Nein, nein, das war ich nicht“, entgegnete Wettenstein kühl, „Ich genieße Momente wie diese. Fehlgeleiteten ihre brüchige Wahrheit vorzuhalten und anschließend das Leben aus ihren Augen gleiten zu sehen. Das ist nirgends beeindruckender als bei euch sogenannten ‚Propheten Omnias‘.“ Wettenstein schloss langsam seine Faust und ballte sie schließlich immer fester, bis die Burg begann zu beben und scheppernd zersprang. Um sie herum war plötzlich eine karge, graue Landschaft aus Stein und Berg. Der Himmel pechschwarz und sternlos. Wettensteins Gesicht zerlief und offenbarte einen schwarzen, konturlosen Kopf. Sein Körper war von nun an nichts weiter als tiefstes Schwarz, der nach und nach zu einer riesigen Gestalt heranwuchs. „Omnia… bin ich“, hallte es aus allen Richtungen und der vermeintliche Graf hob seinen Fuß, um nach den Propheten zu treten. Wilfrid und Antonius sprangen zur Seite. Der ehemalige Ritter vermutete die gleiche Panik wie einst zu spüren, doch da war nichts. Seine Gemütslage veränderte sich nicht und ähnlich erging es auch Antonius. Der früher als Mönch Tätige ließ seinen Zeigefinger herumwirbeln und erschuf einen Strudel unter dem linken Fuß des großgewachsenen Wettensteins. Dieser sank leicht ein, doch befreite sich aus dem einsinkenden Boden so leichtfertig, als wäre es nichts weiter als eine Pfütze gewesen. Wilfrid faltete seine Hände zusammen und zog diese anschließend auseinander, um dazwischen ein tiefschwarzes Schwert zu kreieren, das er direkt in die Ferse des Grafen schießen ließ. Dieser hielt kurz inne, doch ließ die Waffe in Rauch aufgehen. „Omnia kann sich nicht selbst verletzen! Omnia kann sich nicht selbst töten!“, schrie Antonius, dessen Ausruf so etwas Ähnlichem wie Fassungslosigkeit nahekam. Der ehemalige Geistliche warf seinen Arm in einer schneidenden Bewegung nach oben und kurz darauf krachte ein angespitzter Felsen aus dem Boden und rammte sich in die Hüfte des schwarzen Riesen. Wilfrid tat es seinem Gefährten gleich und bearbeitete die andere Seite. Ein Schrei entwich Wettenstein, doch dieser Schrei war weit davon entfernt nur irgendwie menschlich zu klingen. Er war auch nicht animalisch, sondern schrill und kalt. Vielleicht klang ein Berg ähnlich, wenn man sein Gestein aufschürfte. Auch die beiden Propheten spürten plötzlich einen stechenden Schmerz in ihren Seiten. Das Wesen griff schließlich an die beiden Steinspitzen und riss diese heraus und schleuderte sie hinweg. „Omnia… Wir Alle sind Omnia“, ging es Antonius durch den Kopf. Durch Wilfrids Kopf ging der gleiche Gedanke. „Omnia kann sich nicht selbst verletzen. Nicht sich selbst töten“, hallte es durch Wilfrids Kopf und auch im selben Moment durch Antonius. Sie dachten angestrengt nach, was sie tun konnten und realisierten nach und nach, dass ihre Gedanken die selben waren. Ihre Gedankenwelt war die gleiche. Antonius Gedankenwelt. Antonius Erinnerungen. Wilfrids Gedankenwelt. Wilfrids Erinnerungen. Es war alles dasselbe, vermischte sich. „Wir sind Omnia“, hallte es durch ihren Kopf. Sie wiederholten diesen Satz immer wieder und wieder, während sie den Schlägen und Tritten des Grafen auswichen. In der kargen Steinwelt tauchten nach und nach weitere Propheten auf. Sie alle waren gesichtslose, schwarze Körper, die den Sternenhimmel abbildeten. Inzwischen waren Wilfrid und Antonius dasselbe. Genau genommen, ließen sich sie die Beiden gar nicht mehr unterschieden. Sie waren Omnia. Eine riesige Masse aus Propheten tummelten sich um das schwarze Wesen. Nach und nach krochen sie den Riesen hinauf. Die Sternengestalten bedeckten den ehemaligen Grafen zusehends. „Nein! NEIN!!! Ich bin Omnia alleine! Ich kann mich ihnen WIDERSETZEN!“, schrie das Wesen verzweifelt. „Omnia - Omnia - Omnia“, hallte es im Chor. Das Wesen verschwand in der Masse der den Sternenhimmel wiederspiegelnden Körpern. Der Nachthimmel breitete sich über die gesamte Landschaft aus, bis schließlich die gesamte Welt in ein tiefes Schwarz, das mit Sternen behangen war, verschwand mit einem lauten Knall, der das Schlagen tausender Kriegstrommeln bei Weitem übertraf.

„Es ist Zeit“, sagten Antonius, Wilfrid und der Graf gleichzeitig, als sie sich in Burg Holenthalern wiederfanden.
Die Ankündigung von Omnia überrollte von fortan die Grafschaften. Immer mehr Menschen wurden von der Kunde ergriffen und die eindrucksvollen Fähigkeiten der Propheten ließen sie an Omnia glauben. Die Gottestempel versanken in der Bedeutungslosigkeit. Omnia dominierte rund um die silbernen Pyramiden nach und nach alles und jeden.
Eines Tages wich der hellblaue und Wolken behangene Himmel von einem Moment zum anderen einem strahlenden Nachthimmel. Die Menschen verstanden das Zeichen, auf das sie seit der Kunde von Omnia gewartet hatten. Die Menschenmassen wurden zu den Pyramiden geführt, mit den Propheten an deren Spitzen. Im Chor sangen sie „Omnia - Omnia - Omnia“. Die silbernen Pyramiden hatten sich mittlerweile jeweils auf einer Seite komplett geöffnet. Die Menschen strömten durch diese gigantischen Tore. Omnia würde sich nun endgültig bewahrheiten. Als alle Menschen eingetreten waren, verschlossen sich wieder die jeweils offenen Seiten der Pyramiden. Die schwarz pulsierenden Adern an den silbernen Außenseiten begannen zunehmend zu pochen und allmählich färbten sich die Pyramiden schwarz. Das Schwarz wurde doch schon bald ergänzt von den Lichtern scheinbar tausender einzelner Sterne. An den Spitzen der Pyramiden spannte sich über die Ländereien hinweg ein riesiges schwarzes Dreieck. Es war flach und dünn wie Pergament. Erst schien die fortan herrschende Stille Jahre anzudauern, doch schließlich wurde sie gebrochen. Unter dem Dreieck, das sich über unzählige Meilen hinweg zwischen den Pyramiden aufgespannt hatte, tauchte eine riesige schwarze und mit Sternen verzierte Hand auf, die den Zeigefinger leicht abgewinkelt in Richtung des Erdbodens streckte. Erst die Hand, dann ragte ein ganzer Arm heraus, gefolgt von einem den Nachthimmel verkörpernden, gesichtslosen Schädel samt seines Leibs.

Alle waren Omnia. Omnia war da.

Das Zeitalter von Omnia begann.

 

Hallo Otto!

Da dein Text noch keinen Komm hat, werde ich ein paar Anmerkungen machen. Möglicherweise bekommst du ja noch mehr Kommentare, wenn dein Text wieder an den Anfang der Textliste gespült wird.

Mit der Wahl deines Protagonisten und des Settings hast du bei mir einen schweren Stand. Mönche, Gott, Religion und so was interessiert mich überhaupt nicht.

Also eher allgemeine Tipps von mir:

Setze unbedingt mehr Zeilenumbrüche. Das würde die Lesbarkeit deines Textes sofort erhöhen. Bei reinen Textblocks verliert das Leserauge schnell den Faden. Besonders bei Dialogen müssen immer Zeilenumbrüche gesetzt werden, wenn der Sprecher wechselt.

Beim Satzbau und so solltest du genauer hingucken. Was genau sagst du? Und klingt das auch richtig?

"Vor ihm erstreckten sich zahlreiche Felder und vereinzelte Bäume verirrt in der Landschaft."
=> Vor ihm erstreckten sich Bäume verirrt in der Landschaft?

"Der Himmel war grau behangen, doch ergaben sich immer wieder Lücken"
=> Das "ergaben" klingt nach Bürokratendeutsch. Du möchtest aber doch Atmosphäre erzeugen?

"Die Weiten der Welt boten mehr Platz für seine Gedankenwelt, als es einem Schreibtischzimmer eines schmalen Turms möglich war."
=> Ganz allgemein: Versuche dich in kurzen Sätzen präzise auszudrücken. Sätze wie dieser zitierte sind schwer auf den ersten Blick zu erfassen. Und wenn der Leser zweimal lesen oder den Satz gedanklich auseinandernehmen muss, um ihn richtig zu erfassen, wird er aus dem Lesefluss gehoben. Das ist nicht gut.

"und richtete seinen Blick wieder auf das beschriebene Pergament vor sich. Besitzergreifende Dämonen, Zweifel über Gottes bisherige Anwesenheit… diese Schriften mussten ungelesen bleiben, doch waren sie bitter nötig als Projektionsfläche für die verdrehte Innenwelt, der sich der Mönch im Moment ergab."
=> Ich muss mir wirklich jeden deiner Sätze einzeln vornehmen, um zu erfassen, was du erzählen willst. (Und da dein Text eine Menge Sätze hat, wäre ich tagelang beschäftigt, wollte ich das alles lesen und verstehen.)
=> Was lese ich hier? Der Mönch blickt aufs Pergament. Dann sagst du was über Schriften - ich gehe also davon aus, dass du das meinst, was auf dem Pergament steht, auf das der Mönch blickt. Aber die Schriften mussten ungelesen bleiben? Der Mönch blickt also auf das Pergament, aus dem Schriften stehen, diese liest er aber nicht, weil das verboten ist. Er guckt also hin, aber nicht wirklich, weil er sonst ja lesen würde, was er nicht darf?
(Und die "Projektionsfläche" ist ein technischer Begriff, der überhaupt nicht zum Setting passt.)

Okay, hier höre ich auf. Du hast sicher gemerkt, was für Probleme ich bei deinem Text habe?

Grüße,
Chris

PS: Selbst Kommentare zu schreiben hilft. Man lernt nicht nur was, man macht auch auf sich und seine Texte aufmerksam.

 

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