Omega
I wonder how
I wonder why
Yesterday you told me 'bout the blue blue sky
And all that I can see is just a yellow lemon-tree.
(Fool's Garden)
Als am nächsten Morgen einer der Mechaniker aus seinen ruhigen Träumen nicht mehr erwachte, zeigte sich die Besatzung nicht sonderlich bedrückt.
Eine gefühlte Ewigkeit irrten sie nun schon gezielt durch die tiefschwarzen Abgründe des Weltalls und die Euphorie von damals war lange verblichen.
Als einer von 140 Probanden wurde ich seinerzeit mit der ehrenvollen Aufgabe betraut neue Lebensräume für die selbstzerstörte Menschheit zu finden. Propagiert wurde diese Reise als Schaustück der modernen Wissenschaften, die unseren Retter in Not darstellen sollten, doch konnte diese Farce nicht darüber hinwegtäuschen, dass nun auch die Oberen 10.000 von Ressourcenknappheit und Klimaveränderungen betroffen waren.
Nachdem ich mich von Freunden und Familie verabschiedet hatte, trat ich die Reise voller Hoffnungen an. Ich war der festen Überzeugung einen Planeten mit geeigneter Atmosphäre zu finden. Manch einer definierte jedoch eine erfolgreiche Reise anders, so waren einige Mitreisende dem Irrglauben verfallen, dass wir an die Grenzen des Kosmos stoßen würden. Andere hingegen bereiteten sich auf ein spirituelles Treffen mit dem Allmächtigen persönlich vor. An extraterrestrische Lebensformen dachte erstaunlicherweise niemand.
Einer der Gründe für die unterschiedlichen Erwartungshaltungen war, dass unter den Teilnehmern nicht nur Wissenschaftler und Techniker weilten, sondern auch so genannte Weltraumtouristen - ein Querschnitt durch alle Bevölkerungsschichten -, die im Falle eines positiven Fundes zurückbleiben könnten, bis weitere Erdbewohner nachgeholt werden.
Ich selbst bekleidete in meinem früheren Leben das Amt des stellvertretenden Oberstaatsanwaltes einer kleinen spanischen Stadt. Das soll hier aber keine Rolle spielen. Im Schiff, das mit einem Augenzwinkern auch Arche 2.0 genannt wurde, waren alle Völker und Konfessionen vertreten. Zusammengepfercht in jenem kleinen Raumschiff wurde die Verbundenheit gestärkt, sodass alle irdischen Streitigkeiten plötzlich nichtig und klein erschienen.
Der Reiseplan schrieb eine fünfjährige Hinreise vor. Wenn bis dahin nichts gefunden ist, wird die sofortige Rückreise angetreten, um genügend Treibstoff zu behalten.
Unser Sonnensystem haben wir schon lange passiert und dennoch blieb die Suche bisher äußerst erfolglos. Einzige Veränderung des ansonsten beängstigend monotonen Sterneneinerleis betraf die Oberfläche der Kometen. Wo vorher ein mehr oder minder ebenmäßiger Sternenmantel prangte, herrschten nun Krater, Spitzen und Kanten.
Im ersten Jahr der Reise schien die Stimmung der Besatzung unbetrübt. Die besonders abergläubischen Mechaniker verbreiteten mürrisch ihre Theorien der Monolithen. Der Rest von uns trat in einen geregelten Arbeitsablauf ein. Skizzenhafte Karten wurden gezeichnet, Prognosen wurden aufgestellt, es wurde geputzt. Alle waren beschäftigt.
Die meisten Astronomen stimmten weitläufig darin überein, dass die wichtigen Entdeckungen uns erst in Jahr fünf erwarten würden.
Nach einem Jahr bereits schlich sich langsam aber sicher der Missmut in den Alltag ein. Seinen Ursprung fand diese gefährliche Mischung aus Melancholie und Nihilismus in den Köpfen der Techniker.
Mit steigender Unlust trat der erste Todesfall auf.
Es wurde viel Aufsehen erregt, da der gesunde Mann mittleren Alters im Schlaf verstarb. Auffällig war, dass er sich in den Tagen vor seinem Tod stark zurückgezogen hatte und kaum ein Wort mehr von sich gab.
Aufgrund dieses mysteriösen Todesfalls wurden Medikamente unter den Mitreisenden verteilt und der Leichnam in einer Quarantänestation gelagert. Vereinzelte Untersuchungen ergaben keine Todesursache und so stieg die Angst vor einer Seuche weiter. Ich befürchtete eine unkontrollierte Panik, doch machte sich nach einigen Tagen bereits stille Resignation breit. Fast schien es so, als wäre der Tod bereits in Vergessenheit geraten.
Der Alltag hatte uns wieder und auch ich hatte den Vorfall kurzzeitig verdrängt. Rund einen Monat später wurden wir wieder schmerzhaft daran zurückerinnert, als kurz hintereinander zwei Passagiere verstarben. Die Symptome waren dieselben wie zuvor und beide waren im Schlaf dahingeschieden. Zwar wurden die Symptome vorher bemerkt, doch wurden diese als nichtig abgetan. Die Resonanz der Tode war nur noch gering und verebbte bald darauf.
Nun ist ein weiteres Jahr vergangen und bisher verstarben drei Dutzend Menschen. Besonders Mechaniker schienen betroffen, doch auch der Rest blieb nicht verschont. Niemand konnte gewiss sein aus dem Schlaf wieder zu erwachen. Außergewöhnlich war, dass niemand mehr Interesse oder gar Angst zeigte.
Krankheitsanzeichen waren schwerer auszumachen, da jeder Passagier nur noch selten über sein Befinden sprach und auch sonst jegliche Konversation vermied. Selbst die ansonsten so lebensfrohen Kinder, die die erste Generation der neuen Siedlung darstellen sollten, blieben ruhig und unterließen das Spielen.
Seit drei Tagen nun erkenne ich das Krankheitsbild auch an mir. Ich bin des Lebens überdrüssig geworden. Meine Existenz scheint mir sinnlos in den Weiten des Alls. Selbst meine Gedanken werden von bloßer Unlust regiert.
Der Tod scheint meine einzige Rettung zu sein, doch will ich nicht wie die Anderen im Schlaf dahingerafft werden, sondern will mit meinem Tod ein Zeichen setzen. Das System durchbrechen.
73 Stunden habe ich jetzt nicht mehr geschlafen aus Angst vor dem stillen Tod. Meine Augen sind ader-rot und meine Lider zucken unentwegt. Bald ist alles vorbei. Die mögliche Tatwaffe konnte ich aus der Kabine eines Verstorbenen entwenden. Ein Revolver - klassisch. Für einen Abschiedsbrief fehlte mir die Muße, außerdem glaube ich nicht an eine Rückreise. So schrieb ich auf die Rückseite des Speiseplans die Worte "Mir war so schrecklich kalt".
Auf dem Weg zum Zentrum des Schiffes, schritt ich durch einen Tunnel. Dieser hatte mich seit jeher fasziniert. Die Wandbekleidung bestand zu 90% aus Glas. Das Innenleben hingegen war in gleißend helles Licht getaucht, sodass die Dunkelheit des Alls vom Tunnel aus fast sogar albern wirkte. Als die dunklen Wellen des Kosmos vor mir an das große Fenster schlugen, konnte ich meine Tränen nicht länger zurückhalten. Meine wunden Augen brannten, als die salzigen Tränen sie benetzten.
Schnellen Schrittes gelangte ich ins Zentrum, das einem Marktplatz glich.
Ich zwängte mich durch die Massen der übrig gebliebenen Menschen, die ihrem Verhalten zufolge nicht mehr lange durchhalten würden.
In der Mitte des Platzes stellte ich mich auf eine kleine Anhöhe. Als ich mir die kalte Öffnung des Revolvers an die Schläfe hielt, brüllte ich, um die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
Ein paar drehten sich zu mir um, als ich meine Gedanken auf den Zeigefinger richtete, der mir das Leben aushauchen sollte. Es. Ist. Vorbei.
Ein schriller Schrei riss mich aus meiner Anspannung. Mit mir drehte sich die komplette Besatzung um.
Die Quelle des Schreis stand mit nach draußen gerichtetem Indexfinger zitternd vor einer riesigen Glaswand.
Zuerst war nicht zu erkennen, worauf die Dame deutete, doch als die Bordbeleuchtung ausgeschaltet wurde, war die - aus der Dunkelheit ragende - Felswand erschreckend sichtbar. Wie ein Berg reichte das steinerne Monstrum in die Höhe.
Der Anblick bereitete mir eine Gänsehaut und ich fing unwillkürlich zu Zittern an.
Bei näheren herantreten erkannte ich, was alle ungläubig anstarrten: weiter unten zeichneten sich in der Wand Gravuren ab, die mit Licht gemeißelt zu sein schienen.
U.E.P.M.S.O.R.H.
Alle blickten sie aus dem Fenster und betrachteten fassungslos die monumentale Wand. Die Kinder , der Kapitän, der Wissenschaftler, der Steuermann. Jeder einzelne war herbeigekommen.
Doch ich hatte alles durchschaut. Mir schauderte als sich eine neue Welt vor meinen Augen eröffnete.
UEPMSORH
HSEPROUM
EUORPMSH
HRSPOUEM
PMHSUREO
MORPHEUS
RUSOMHPE
ROMPEHSU
PER HUMOS
Er musste leise schmunzeln, als das Schiff unkontrolliert auf den Berg zuraste und dort unbemerkt zerschellte.