- Beitritt
- 08.01.2002
- Beiträge
- 5.120
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Oma - Wir wollen niemals auseinander gehen (2)
Meine Eltern waren allein in den Urlaub gefahren und hatten mich zu Oma und Opa gegeben. Ich weiß nicht, wie lange ich dort war, mein Zeitgefühl als Siebenjährige war gewiss anders als heute.
Oma liebte es, zu singen. Sie hatte ein unzähliges Repertoire an Volksliedern, deren Texte sie gut kannte. Immer, wenn Oma gute Laune hatte sang sie. Manchmal unterbrach sie sogar ihre Hausarbeit dafür. Dann stand sie, den Kopf etwas schräg geneigt, einen Fuß vorgestellt und ihre Arme bewegten sich zum Takt, als würde sie eine kleine Sängergruppe dirigieren. Ihre Augen glänzten dann freudig. Für Oma war es perfekt, wenn jemand mitsang und bei allen Familienfeiern war sie stets diejenige, die dazu aufforderte: “Kommt, lasst uns ein Lied singen.“ Opa stimmte dann meistens mit ein, denn auch er fand, dass gemeinsamer Gesang zu einer gelungenen Familienfeier gehörte. Opa war dafür berühmt, auf den Weihnachtsfeiern der Oberpostdirektion, zu denen er auch noch als Rentner stets eingeladen wurde, “Det Lied von de Krumme Lanke” zu singen. Das war eine Scherz-Ballade mit vielen Zeilen, wohl aus Berlin, darin hieß es zum Beispiel:
“Und denn saß ick mit deah Emman uff ‘ne Banke
Üba uns, da sang so schmelzend een Pirol
Unta uns, da floß so still de Krumme Lanke
Vis-à-vis aß Eena Wurscht mit Sauakohl
Im Jebüsch, da zooch sich Eena um vom Baden
Und wia konnten’n noch im Badeanzuch seh’n
Und die Emma saachte traut:
“Biste ooch so scheen jebaut?”
Und denn jab sie mia’n Kuß; ach, wah det schön!“
Meine Mutter war mal bei so einer Feier dabei und berichtete, wie Opa vor allen Versammelten, auf der Bühne stehend, das Lied vollendet vorgetragen hatte. Da war er schon weit über 80.
Wenn bei Oma und Opa gesungen wurde, ging es nur darum mit zu machen, die richtigen Töne mussten nicht getroffen werden und der Text war unwichtig, auch wenn oftmals Oma als einzige Strophe um Strophe weitersang, weil nur noch sie den Text kannte und Opa schon lange ausgestiegen war, um den Gästen einen Schnaps anzubieten. Opa trank gerne, am liebsten Rumgrog, egal zu welcher Jahreszeit. In seinem Schrebergarten, den er noch bis zu seinem neunzigsten Lebensjahr regelmäßig per Fahrrad aufsuchte, befand sich stets genügend Rum und Zucker und ein Spirituskocher. So mancher Gartennachbar wird sich an Besäufnisse in Opas Laube erinnern.
In diesem Sommer, in welchem mich meine Eltern bei Oma und Opa untergebracht hatten, gab es einen Schlager, den ich Oma vorsang, wenn ich sie beeindrucken wollte. Oma war nämlich begeistert, dass ich einfach nur ein paar Mal die Schallplatte hören musste und dann Teile der Melodie und des Textes nachsingen konnte. “Wir wollen niemals auseinander gehen, wir wollen immer zueinander stehen, mag auf der großen Welt auch noch so viel geschehn, wir wollen niemals auseinander gehen.” Omas Bewunderung war mir Ansporn, ihr die anderen Schlager hinten dran vor zu singen, die ich aufgeschnappt hatte. “Kalkutta liegt am Ganges, Paris liegt an der Seine und dass ich so verliebt bin, das liegt an Madeleine.” Ich erinnere mich nicht mehr daran, ob ich richtig sang und ob ich die Textfragmente wenigstens treffend wiedergab. Mir ist nur noch in Erinnerung, dass Oma stolz auf mich war und genau zuhörte, wenn ich ihr etwas vorsang und ein Strahlen in ihrem Gesicht war, so dass ich mir sehr wichtig vorkam.
Später als ich eine wesentlich größere Anzahl an Volksliedern singen konnte, habe ich oft mit Oma in der Küche gesessen und gesungen. Meistens tat sie was dabei, schälte Kartoffeln oder putzte Gemüse und wir sangen ein ganzes Potpourri derjenigen Lieder, die wir beide kannten, nahtlos immer an das Ende des vorangegangenen Liedes anschließend,
manchmal eine halbe Stunde und länger.
Noch heute gibt es Momente in denen ich, ohne es zu bemerken, anfange zu singen. Meistens etwas, was meine Stimmung unterstreicht und wenn mir das bewusst wird, fällt mir manchmal Oma ein und ich muss lächeln. “Wir wollen niemals auseinander gehen...”