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Oma und ich

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01.12.2015
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Oma und ich

Ich bin Omas Liebling. Zumindest komme ich auf ihrer persönlichen Rangliste gleich nach meinem Onkel. Wenn auch mit einigem Abstand, denn er ist unerreichbar. Er spielt in einer anderen Liga, als ich und der Rest meiner Familie. Trotzdem bin ich ihr Liebling und rangiere weit vor meiner Schwester, die immer zu vorlaut ist, zu kompliziert, zu eigen. Viel weiter vorne natürlich auch, als mein Vater, der gar nicht zählt. Und auch meine Mutter, die immer alles für meine Oma getan hat, war ihr nie so lieb wie ich. Zumindest dachte ich das, bis Mama gestorben ist.
Das hat meine Oma tief getroffen und verunsichert.

Vielleicht habt ihr eine Oma ohne Rangliste. Eine Oma, die alles für euch tut. Die euch Kuchen backt und Socken strickt und Schokolade schenkt. Meine Oma ist anders. Meine Oma malt wundervolle Bilder. Frauen mit exzentrischen Hüten. Bauern mit schiefen Nasen. Menschen, vor allem Gesichter. Zusammengesetzt aus einzelnen Farbflächen. Wunderbar bunt, wie die Glasfenster einer alten Kirche. Meine Oma ist eine Königin. Eine Herrscherin, die alle regiert von ihrem Rollstuhl aus.

Als wir klein waren, haben wir mit meiner Oma Karten gespielt, gesungen und natürlich gemalt. Verrückte Bilder mit Figuren, für die wir uns dann zusammen Namen ausgedacht haben. „Fräulein Mizi mit ihrem Pudel“. Während Mama einkaufen war oder geputzt hat, hat sich Oma mit uns Geschichten ausgedacht. Der Teppich vor ihrem Bett wurde ein Floß, auf dem meine Schwester und ich einen reißenden Fluss herunter gefahren sind; voller Gefahren und Abenteuer.

Doch meine Oma ist nicht nur eine Künstlerin. Sie ist auch krank. Ihre Gelenke schmerzen so sehr, dass sie nicht mehr laufen kann und ihre Finger ganz krumm werden. Aber sie beißt die Zähne zusammen und malt weiter. Und es ist nicht nur das Rheuma, das sie quält, sondern auch andere Dinge. Ängste, die verhindern, dass sie unter Menschen geht, Ängste, die sie nachts nicht schlafen lassen. Ängste, die sie aus dem Krieg mitgebracht hat.

Ich verstehe nicht alles und ich frage auch nicht. Die Erwachsenen haben immer nur darüber geredet, wenn sie dachten, dass wir Kinder nicht zuhören. Und was ändert es? Oma verlässt ihre Wohnung nicht! Wenn sie einmal etwas Neues essen will, schreibt sie auf ihren Einkaufszettel Dinge, die sie in der Werbung gesehen hat. Manchmal bittet sie auch den Zivi, der einmal in der Woche kommt, ihr aus dem Supermarkt einfach das mitzubringen, was er am liebsten mag. Meine Oma ist pfiffig.

Dass Oma krank ist, hat mich früher nicht belastet und ich habe nicht verstanden, dass Mama immer alles zu viel wurde. Ich habe nicht hinterfragt, warum wir fast jeden Urlaub abbrechen mussten. Ich bin gerne zu meiner Oma gegangen, um sie für das Bett fertig zu machen und ein bisschen mit ihr zu plaudern. Meine Oma kann fließend Französisch und Russisch.

Erst seit Mama nicht mehr da ist, gibt es Tage, an denen ich ungeduldig werde. An denen ich Oma lieber nicht erzähle, dass ich danach noch weg gehen will, weil sie dann Angstattacken bekommt und ich nicht fort komme. Manchmal ruft sie nachts an und ich gehe hinauf in ihre kleine Wohnung. Helfe ihr wieder ins Bett, wenn sie gefallen ist. Halte ihre Hand, wenn sie Angst hat, und warte auf den Morgen. Die alte Standuhr schlägt jede Viertelstunde. Die Zeit tröpfelt dahin, bis es soweit ist, dass ich die Pflegerin oder den Arzt anrufen kann, um zur Schule zu gehen.

Reines weißes Blatt Papier,
heute anvertrau ich dir,
dass ich und mein Enkelkind
immer gute Freunde sind.​

Diesen Spruch hat Oma für mein Poesiealbum gedichtet. Nicht etwa „In allen vier Ecken soll Liebe drin stecken.“ Nein. Ein Spruch nur für mich. Ganz allein. Ob wir wohl immer noch gute Freunde sein werden, wenn ich weggehe?

Die Zusage für meinen Studienplatz liegt in der Schublade meines Schreibtisches. Ich habe sie noch niemandem gezeigt. Wenn ich weggehe, muss Oma ins Heim. Meine Schwester und mein Vater schaffen das nicht alleine mit Oma. Es würde auch nicht gutgehen. Sie passen einfach nicht zusammen. Und mein Onkel? Er hat mir einen Ausbildungsplatz in seiner Firma angeboten, damit ich hier bleiben kann. So regelt er immer alles: er macht Geschenke und Komplimente, bezahlt und findet Lösungen, die ihm seine Unabhängigkeit sichern.

Wenn ich sein Angebot annehme, wäre alles so einfach: ich könnte weiter hier wohnen, Oma müsste nicht weg und ich würde Blutproben untersuchen. Als Kind wurde mir immer schlecht, wenn ich Blut gesehen habe, aber inzwischen kann ich so Vieles, was ich früher nicht konnte: Spritzen geben, mit Banken telefonieren, Essen kochen. Meine Oma sagt nichts zu der Sache.

Meine Oma in einem Zweierzimmer? Würde sie dort weiter malen können? Singen? Lesen? Russisch üben? Wer würde kommen und an ihrem Bett sitzen, wenn sie Angst hat? Sie müsste mit dem Rollstuhl in den Gemeinschaftsaal fahren und zusammen mit vielen fremden Menschen essen. Sicher gibt es auch andere Frauen im Rollstuhl, in so einem Heim. Aber das ist egal, denn meine Oma ist eine stolze Frau.

Werde ich ihr verzeihen können, wenn ich hier bleibe? Wenn ich nicht in die Großstadt gehe, nicht studiere? Wenn aus Liebe vielleicht nur noch Pflicht wird? Werden wir uns hassen? Ich sie, wenn sie mein Leben bestimmt? Und sie mich, wenn sie von mir abhängig wird?

Wird Oma mir verzeihen können, wenn ich nicht bleibe? Wenn sie ihr Leben aufgeben muss? Wird Oma noch Oma sein, wenn sie unter vielen kranken und alten Menschen lebt?

„…, dass ich und mein Enkelkind ewig gute Freunde sind.“ Wenn ich weggehe, muss Oma ins Heim. Morgen muss ich mich entscheiden.

 

Hallo Snowmaid,

das ist eine ganz eigentümliche Geschichte. Auf den ersten Blick hat sie ein paar Eigenschaften, die bei mir eigentlich Minuspunkte sind: Sie hat keine echte Handlung, sondern beschreibt eigentlich eine statische Situation (das ist nichts Falsches, nur nicht so mein Geschmack); sie ist weder spannend noch lustig (am liebsten mag ich die Kombination, menschliche Dramen in bierernster Form schrecken mich eher ab); der/die Protagonist/-in wirkt zu Beginn nicht sonderlich sympathisch ("ich bin Omas Liebling" klingt total eingebildet); und einen besonders geschliffenen sprachlichen Stil, der es rausreißen würde, hat der Text auch nicht. Ich war drauf und dran, nach zwei Absätzen zu einer anderen Geschichte weiterzuspringen. Aber dann hat mich Deine Erzählung doch festgehalten, und ich habe eine Weile gebraucht, um mir klarzuwerden, woran das liegt.

Trotz meiner oben erwähnten Vorlieben habe ich eine Schwäche für widersprüchliche oder gebrochene Charaktere und Beziehungen (auch wenn ich die noch nicht selbst produzieren kann). Und genau das habe ich hier gefunden. Da ist zum einen die Oma, die mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften beschrieben wird. Manche sind liebenswert, andere eher ärgerlich, einige wecken Bewunderung, weitere sind einfach nur anstrengend, und ein paar sind gar nicht mehr vorhanden, sondern waren es nur in der Vergangenheit. Das sind körperliche, geistige, seelische und verhaltensmäßige Eigenheiten. Und die Reihenfolge, in der sie genannt werden, ist bunt gemischt; das könnte man für sprunghaft und unstrukturiert halten, aber mir scheint darin Methode zu liegen. Zum einen werden gerade den problematischen Eigenschaften immer wieder positive Aspekte gegenübergestellt, meist am Ende eines Absatzes, das sieht schon recht gezielt aus. Zum anderen wirkt dieses Hinundherspringen völlig natürlich, wenn man sich darauf einlässt, dass hier die Ich-Erzählerin (ich nehme mal die weibliche Form an) über eine persönliche Beziehung nachdenkt/berichtet, die tatsächlich genau so widersprüchlich ist wie die Beschreibung. Denn das ist die Haupterkenntnis, die ich aus dem Text ziehe: Die Enkelin ist ja hin- und hergerissen in der Entscheidung, die sie zu treffen hat, und deshalb fliegen in ihrem Kopf die Pro- und Contra-Argumente von links nach rechts und zurück. Sie liebt ihre Oma ganz offensichtlich, fühlt sich aber von gewissen Dingen auch abgestoßen. Wie verdammt kompliziert das Leben aber auch manchmal ist, kein Schwarz und Weiß, das uns eine eindeutige Entscheidung vorgibt!

Und neben der Oma und der Beziehung der Erzählerin bekommt so ganz nebenbei auch die Prota selbst ein bisschen Farbe und Kontur. Die Beschreibung der Beziehung sagt selbstverständlich schon eine Menge über sie aus. Aber dann kommen eben noch ein paar Vorlieben und Abneigungen heraus, wie schwer sie sich mit der Entscheidung tut, da stecken Moralvorstellungen und eigene Wünsche drin u.v.m. Da ist die scheinbare Überheblichkeit vom Beginn recht bald entschärft, wird vielleicht vom kindlich-arroganten Selbstlob zur einengenden Bürde, denn mit dem Status des Lieblings ist ja auch verbunden, dass die Oma offenbar nur von ihr gepflegt werden will.

Ich habe keine Ahnung, ob Du eine solche Tiefe tatsächlich bewusst angestrebt hast, aber ich lese sie in Deinem Text. Und jeder, der Verantwortung für ältere Angehörige trägt oder vielleicht irgendwann mal tragen wird, kann sich darin wiederfinden, auch wenn die konkrete Familiensituation wahrscheinlich anders aussieht. Ich hoffe, das beschriebene Problem ist nicht autobiographisch.

Die folgenden Fragen und Problemchen sind mir beim Lesen aufgefallen:

Was hat es mit dem Onkel auf sich? Er scheint ja der Oma noch viel lieber zu sein als die Prota. Offenbar wohnt er auch nicht weit weg, wenn der von ihm angebotene Job es der Erzählerin ermöglichen würde, vor Ort zu bleiben. Warum also kümmert er sich nicht stärker um die Oma (die nach meiner Einschätzung wohl seine Mutter ist)?

Die diversen Verwandten werden unterschiedlich tief beschrieben. Die Schwester ist vorlaut, kompliziert, eigen. Die Mutter hatte anscheinend ein schwieriges Verhältnis zur Oma (ihrer Mutter?), und ihr Tod hat die Oma schwer getroffen. Darunter kann ich mir etwas vorstellen, auch wenn bei der Mutter für mich schon die Spekulation beginnt. Aber warum zählt der Vater gar nichts und der Onkel so viel? Ungeliebter Schwiegersohn vs. Lieblingssohn? Darüber wüsste ich wahnsinnig gerne mehr. Allerdings heißt das nicht zwangsläufig, dass Du das auch erzählen musst. Vielleicht möchtest Du uns ja absichtlich ein bisschen rätseln lassen, oder vielleicht findest Du das einfach nicht weiter wichtig. Vielleicht magst Du uns ein kleines bisschen mehr andeuten oder vielleicht auch deutlich mehr offenlegen. Denk einfach mal darüber nach, ob Du da genau so weit gehst, wie Du es möchtest. Wenn ja, dann ist es gut so, wie es ist.

Ein rein praktischer Widerspruch:

Meine Oma malt wundervolle Bilder.
(...)
Ihre Gelenke schmerzen so sehr, dass sie nicht mehr laufen kann und ihre Finger ganz krumm sind.
Mir scheint nicht, dass sie noch gut malen kann. Vielleicht liegt das Malen eher in der Vergangenheit? Dann spräche m.E. nichts dagegen, das auch klar zu schreiben, Du hast ja für andere Punkte auch die Vergangenheitsform benutzt; Spielereien mit den Zeitebenen scheinst Du also nicht anzustreben.

Rechtschreibfehler o.ä. sind mir nicht ins Auge gesprungen, aber ich habe auch nicht groß darauf geachtet. Nach stilistischen Kleinigkeiten mag ich jetzt auch nicht mit der Lupe suchen. Ich bin einfach gerade noch ziemlich perplex davon, wie viel ich in einer Geschichte gefunden habe, die gar nicht in mein Beuteschema passt.

Überraschend gern gelesen!

Grüße vom Holg ...

 

Hallo Holg,
da in ich ja sehr froh, dass dich die ersten Abschnitte nicht am Weiterlesen gehindert haben. Du bist ja wirklich sehr tief in die Geschichte eingestiegen. Deine Überlegungen zu den einzelnen Personen spiegeln genau das wieder, was ich beim Schreiben im Kopf hatte. Ich denke mal drüber nach, wie ich den Onkel noch ein bißchen klarer zeichnen kann, ohne dass er zu sehr in den Vordergrund rückt. Und das mit dem Rheuma und dem Zeichnen muss ich auch noch mal überarbeiten, da hst du Recht. Mit den gekrümmten Fingern kann die Oma sicher noch Stifte halten, aber natürlich nicht mehr so viel Druck geben und feinzeichnen.
Ich danke dir sehr für deinen Kommentar. Sollte ich den Anfang ändern?
Grüße von Snowmaid

 
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Hallo Schneemädchen - so ein wundervoller Name übrigens,
ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen. Mir ging es mit dem Anfang nicht so wie Holg, mich hat die forsche Überheblichkeit gleich stutzig gemacht, weil die Erzählerin im Absatz danach dem Leser sagt, dass er sicherlich eine stinknormale Oma hat, keine mit einer Rangfolge. Da gewinnt man den Eindruck, dass der zweite Rang hinter dem Onkel nicht nur Ehrentitel, sondern auch Bürde ist.

Zu deiner Erzählweise muss ich gleich mal sagen, dass ich mich gewundert habe, normalerweise mag ich das überhaupt nicht, wenn der Leser so direkt angequatscht wird. Und eigentlich tust du das ja im zweiten Abschnitt, aber hier fällt das kaum auf. Ich denke, das liegt an deiner Erzählhaltung insgesamt, sie wirkt sehr erzählerisch im unmittelbaren Sinne, sehr mündlich wiedergebend, so, als wäre die Icherzählerin direkt unter uns und erzählte nun über die Oma, sie ist weniger showing. Hier passt das aus meiner Sicht gut. Die Widersprüchlichkeit der Großmutter und die Ambivalenz der Icherzählerin kommen sehr deutlich zum Ausdruck.

Die Sache mit dem Malen und dem Rheuma ist mir allerdings auch aufgefallen. Da müsstest du was machen.

Und die zweite Sache, die mir aufgefallen ist: Wenn du den Onkel gleich am Anfang so herausstellst, dann erwartet man natürlich mehr von ihm. Aber das lässt du sehr im Hintergrund. Ich bin da selbst unschlüssig. Du könntest ihn blass lassen oder ihn ausstaffieren. Dann kriegt die story natürlich ein anderes Gewicht. Da musst du überlegen, was du mit dieser Figurenkonstellation und dem Konflikt, den du installiert hast, beabsichtigst. Das Hin- und Hergerissensein des Mädchens ist schon cool dargestellt. Sie sieht sich, aber auch die Oma im Lichte der anstehenden Entscheidung.
Ein Gedanke, der mir kam zu dem Onkel, war, die Oma mag den so sehr, weil er entweder Erfolg hat (immerhin hat er eine Firma) oder aber sie mag ihn gerade deshalb so sehr, weil er sich von der Oma unabhängig gemacht hat. Keine Ahnung, ob dir das weiterhilft.

Und die letzte Sache:

Zumindest dachte ich das, bis Mama gestorben ist.
Das hat meine Oma tief getroffen und verunsichert.
Das suggeriert, als gäbe es nun eine noch tiefgreifendere Oma-Änderung. Als fiele sie jetzt in noch tiefere Schwermut. Aber eigentlich geht doch alles weiter seinen Gang. Sie geht vorher schon nicht mehr raus und muss gepflegt werden. Nur für die Erzählerin hat sich was geändert. Das empfand ich, ähnlich wie bei dem Onkel, als legtest du einen Faden, der dann aber nirgendwohin führt.
Viele Grüße und herzlich Willkommen natürlich auch.
Novak

 

Hallo Novak,
vielen Dank für deine Anmerkungen. Ich habe gerade eine Überarbeitung rein gestellt, um das Problem mit dem Rheuma und dem Onkel zu lösen. Wird es jetzt klarer? Den Anfang habe ich so gelassen, weil ich mich davon nicht lösen konnte. Deshalb freut es mich sehr, dass der erste Abschnitt dich in die Geschichte hereingezogen und nicht abgeschreckt hat.
Darüber, wie die Oma den Tod der Mutter verarbeitet hat, werd´ ich auch noch mal nachdenken.
Auf jeden Fall vielen Dank für deinen Kommentar. Der Austausch hier auf Wortkrieger ist wirklich hilfreich - genau so, wie das Stöbern in den Geschichten der Anderen!
Liebe Grüße von Snowmaid

 

Hallo nochmal,

schön, dass ich mit meiner Interpretation Deine Intentionen richtig erfasst habe. Denn das zeigt ja im Umkehrschluss, wie gut Du Deine Erzählabsichten umgesetzt hast.

Sollte ich den Anfang ändern?

Ich glaube nicht. Zumindest hätte ich keine rechte Idee, wie.

Der Hauptgrund, warum mich dieser Anfang eigentlich nicht gelockt hat, liegt ja in mir und meinem Beuteschema. Und Du wirst es nie schaffen können, dass wirklich jeder Deine Geschichte toll findet, denn dafür sind die Leser einfach zu verschieden. Natürlich gibt es ein paar Faustregeln, wie man beim Einstieg in eine Geschichte Interesse wecken kann. Eine spannende Geschichte kann mit einem Knalleffekt oder einem Mysterium anfangen, eine humoristische mit einem guten Gag. Aber das kann man natürlich nicht künstlich draufsetzen, wenn es nicht zur Geschichte passt. Deine ist auf das Zwischenmenschliche gerichtet, und genau dort steigt sie auch ein, in medias res. Das ist schon stimmig.

Außerdem zeigt schon der Kommentar von Novak, dass man diese ersten Zeilen auch ganz anders einordnen kann. Da solltest Du mich nicht zu sehr als Maßstab nehmen, zumal - Beuteschema, siehe oben.

So, und jetzt sehe ich gerade Deine Überarbeitungen. Das mit dem Rheuma passt jetzt für mich, das braucht ja keine Details, man muss nur merken, dass da nichts vergessen wurde. Beim Onkel ist jetzt schön zu sehen, warum er sich nicht selbst mehr um die Oma kümmert, auch sehr schlüssig. Offen bleibt immer noch, warum er Omas Oberliebling ist (kann natürlich genau sein beruflicher Erfolg sein, wie Novak spekuliert, muss aber nicht, obwohl es gut zu Deiner Änderung passt). Aber wie in meinem ersten Komm erwähnt, hast Du m.E. die freie Wahl, wie viel Du da preisgeben willst.

Ein paar Kommafehler sind mir jetzt beim zweiten Lesen aufgefallen. Mal eins zu viel, mal eins zu wenig:

Und auch meine Mutter, die immer alles für meine Oma getan hat, war ihr nie so lieb[,] wie ich.
Der Teppich vor ihrem Bett wurde ein FloßK auf dem meine Schwester und ich einen reißenden Fluss herunter gefahren sind; voller Gefahren und Abenteuer.
Halte ihre Hand, wenn sie Angst hatK und warte auf den Morgen.
Reines weißes Blatt PapierK
heute anvertrau ich dir,
…, dass ich und mein Enkelkind ewig gute Freunde sind.“
Im letzten Zitat habe ich das Komma nur eine Winzigkeit weiter nach links gerückt, man sieht es kaum.

Grüße vom Holg ...

 

Hallo Snowmaid,


dein Text behandelt ein spannendes Thema. Pflegebedürftigkeit und die Frage, wie damit umzugehen ist. Es steckt viel in diesem Text. Du zeigst die innere Zerrissenheit auf, die Frage, ob Liebe verpflichtet, Erinnerungen verpflichten. Muss man für einen Menschen da sein, der einmal selbst für einen da gewesen ist? Muss man das eigene Streben runterschrauben, pausieren, um nicht zu verletzen, um nicht zu egoistisch zu sein? Könnte man die Folgen akzeptieren? Was für Folgen überhaupt?
Du sieht schon, dein Text regt mich zum Nachdenken an. Das hast du wohl auch bezwecken wollen und das ist dir auch gelungen.

Du hättest das Thema natürlich auch anders angehen können. Den gesamten Text als Entwurf nehmen und daraus eine Geschichte mit Handlung, Dialog, Entwicklung schreiben können. Ja, das wäre natürlich spannend gewesen, hätte mir besser gefallen. Das wäre natürlich eine größere Herausforderung gewesen, aber gut.


Ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind:

Ich bin Omas Liebling. Zumindest komme ich auf ihrer persönlichen Rangliste gleich nach meinem Onkel. Wenn auch mit einigem Abstand, denn er ist unerreichbar. Er spielt in einer anderen Liga, als ich und der Rest meiner Familie. Trotzdem bin ich ihr Liebling und rangiere weit vor meiner Schwester, die immer zu vorlaut ist, zu kompliziert, zu eigen. Viel weiter vorne natürlich auch, als mein Vater, der gar nicht zählt. Und auch meine Mutter, die immer alles für meine Oma getan hat, war ihr nie so lieb, wie ich. Zumindest dachte ich das, bis Mama gestorben ist. Das hat meine Oma tief getroffen und verunsichert.

Also mir ist das zu widersprüchlich (Hast du das bezweckt?). Omas Liebling, eigentlich doch nur zweite Geige, letztendlich trotzdem Liebling? Hm. Überhaupt finde ich den Onkel sehr prominent gezeichnet, er findet ja kaum weiteren Platz in deinem Text. Ich würde ihn auf der Rangliste, wenn du ihn überhaupt erwähnen möchtest, höchstens gleichsetzen (dann ginge es zudem vielleicht noch um den ersten Platz). Oder du beleuchtest die Oma-Onkel-Beziehung näher - gibst dem mehr Raum und zeigst dort einen Konflikt. Z.B. dass er, obwohl sie sich nach ihm sehnt, keine Zeit in sie investiert, das Berufliche, Unternehmerische klar vorzieht.
Den ersten Absatz würde ich stark eindampfen. Rangliste gefällt mir nicht, wird auch so klar. Zudem verwendest du sie später schon. Den letzten Satz streichen, wird durch die Einschränkung schon deutlich, dass das was mit der Oma gemacht hat.
In etwa derart:
Ich bin Omas Liebling. Zusammen mit meinem Onkel, auch wenn der nie da ist. Ich rangiere weit vor meiner Schwester, die vorlaut, kompliziert, eigen ist. Viel weiter vorne auch, als mein Vater, der gar nicht zählt. Und auch meine Mutter, die immer alles für meine Oma getan hat, war ihr nie so lieb, wie ich. Zumindest dachte ich das, bis Mama gestorben ist.


Vielleicht habt ihr eine Oma ohne Rangliste. Eine Oma, die alles für euch tut. Die euch Kuchen backt und Socken strickt und Schokolade schenkt. Meine Oma ist anders. Meine Oma malt[e?] wundervolle Bilder.

Würde ich auch kürzen. Und wenn sie malte hast du kein Problem mehr damit, dass sie jetzt Rheuma oder Arthritis hat.


Doch meine Oma ist nicht nur eine Künstlerin. Sie ist auch krank. Ihre Gelenke schmerzen so sehr, dass sie nicht mehr laufen kann und ihre Finger ganz krumm sind. Aber es ist nicht nur das Rheuma, das sie quält, sondern auch andere Dinge. Ängste, die verhindern, dass sie unter Menschen geht, Ängste, die sie nachts nicht schlafen lassen. Ängste, die sie aus dem Krieg mitgebracht hat.

Vielleicht hast du die Wiederholungen bewusst gewählt - nicht kommt sehr oft in deinem Text vor. Ansonsten ließe sich vieles vermeiden.
Mal so zum Beispiel:
Meine Oma ist eine Künstlerin. Sie ist auch krank. Kann nicht mehr laufen, da ihre Gelenke schmerzen. Ihre Finger sind ganz krumm. Das Rheuma quält sie. Auch andere Dinge. Ängste, die verhindern, dass sie unter Menschen geht, Ängste, die sie nachts schlaflos lassen. Ängste, die sie aus dem Krieg mitgebracht hat.


Ich habe nicht hinterfragt, warum wir fast jeden Urlaub abbrechen mussten. Ich bin gerne zu meiner Oma gegangen, um sie für das Bett fertig zu machen und ein bisschen mit ihr zu plaudern.

Das glaube ich nicht :).


... dass ich danach noch weggehen will, weil sie dann Angstattacken bekommt und ich nicht fortkomme.

Halte ihre Hand, wenn sie Angst hat[,] und warte auf den Morgen.

Die Zeit tröpfelt dahin, bis es so weit ist

Die Zusage für meinen Studienplatz liegt in der Schublade meines Schreibtisches.

Zweimal mein... ließe sich vermeiden.


Das wäre so einfach: [I]ch könnte weiter hier wohnen, Oma müsste nicht weg und ich würde Blutproben untersuchen. Als Kind wurde mir immer schlecht, wenn ich Blut gesehen habe, aber inzwischen kann ich so Vieles, was ich früher nicht konnte: Spritzen geben, mit Banken telefonieren, Essen kochen. Meine Oma sagt nichts zu der Sache dazu.

Würde ich auch kürzen.
Du hast eine unschöne Würde-Wurde-Kombination. Es ginge auch so: [I]ch könnte weiter hier wohnen, Oma könnte hier bleiben und ich müsste eben Blutproben untersuchen.


Meine Oma in einem ZweierMehrbettzimmer? Würde sie dort weiter malen können? Singen? Lesen? Russisch üben? Wer würde kommen und [Käme jemand, um] an ihrem Bett [zu] sitzen, wenn sie Angst hat? Sie müsste mit dem Rollstuhl in den Gemeinschaftsaal fahren und zusammen mit vielen fremden Menschen essen. Sicher gibt es auch andere Frauen im Rollstuhl, in so einem Heim. Aber das ist egal, denn meine Oma ist eine stolze Frau.

Ich finde Zweierzimmer zu spezifisch. Das Mehrbettzimmer wiese (stärker) auf finanziellen Druck hin - Einzelzimmer kann sie sich wohl nicht leisten.
Würde finde ich meist furchtbar, als Dopplung ohnehin. Ließe sich ändern. Und die Rollstuhlsache würde ich rausnehmen oder überdenken. Den letzten Satz verstehe ich ohnehin in dem Zusammenhang nicht, auch wenn mir klar ist, was du damit sagen wolltest.


Wenn aus Liebe vielleicht nur noch Pflicht wird?

Ohne Füllwort wird der Satz stärker.


Wenn sie ihr Leben aufgeben muss?

Das mit dem Leben ... hm ... stattdessen vielleicht Zuhause?


Wird Oma noch Oma sein, wenn sie unter vielen kranken und alten MenschenFremden lebt? „… ,[Leerschlag] dass ich ...

Auf die vielen Alten und Kranken würde ich verzichten.


So viel mal von mir.

Das Thema finde ich spannend, macht mich nachdenklich, es ist ein wichtiges. Dir gelingt es, mich am Konflikt deiner Prota teilhaben zu lassen. Du machst das alles nachvollziehbar für mich. Interessant fände ich, wie du eine Handlungsgeschichte daraus weben würdest.

Du könntest noch mehr auf deinen Stil achten, Wortwiederholungen, Konjunktive ...

Ich habe deinen Text gerne gelesen. Vielleicht ist der eine oder andere Hinweis hilfreich für dich. Ich bin gespannt auf weitere Texte von dir.


Danke fürs Hochladen


hell

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Snowmaid, deine Geschichte hat mich berührt. Eine Geschichte voller Liebe. Sie endet mit Fragen, die die Protagonistin in Zweifel stürzt. Diese Fragen werden mit Sicherheit sehr oft gestellt.
Ein brisantes Thema!

Du hast mich mitgenommen in den Alltag einer Großmutter und ihrer Enkeltochter. Einer äußerst kreativen Oma. Wundervoll! Ich denke, diese alte Dame würde es ihrer Enkeltochter nicht verzeihen, würde sie aus Pflichtgefühl auf ihr Studium verzichten. Und die Oma darf sicher sein, ein eigenes Zimmer im Heim zu bekommen. Inzwischen hat sich einiges geändert, die Oma hat ein Recht darauf.

Danke, für deine Geschichte, die mich nachdenklich zurücklässt!
Liebe Grüße!
Amelie

 

Hallo Holg,
danke, dass du noch mal reingeschaut hast. Kommafehler hab ich grad korrigiert. Ich glaub noch mehr zum Onkel krieg ich grad nicht unter. Vielleicht kommt mir ja noch ein Gedankenblitz. :) Grüße von Snowmaid

Hey Hell,
als ich deinen Beitrag gelesen habe, dachte ich erst, ich kann mir die Geschichte nicht in einer anderen Form denken, aber gerade hatte ich eine Idee, die ich mal testen will. "Oma und ich 2.0" im Dialog - schaun wir mal, ob was draus wird. Deshalb lass ich jetzt auch den Stil mal so stehen, wie gehabt, weil ich Sorge habe, dass es sonst Stückwerk wird, Vielen Dank auf jeden Fall für deine Anmerkungen. Ich finde es sehr spannend, dass so ganz neue Ideen entstehen können.
Grüße von Snowmaid

Liebe Amelie,
auch dir vielen Dank für deinen Kommentar. Klingt so, als ob du dich richtig gut auskennst mit Pflege. Es macht Hoffnung, wenn sich da etwas tut.
Liebe Grüße von Snowmaid

 

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