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Serie Oma - der Löwe (1)

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08.01.2002
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Oma - der Löwe (1)

Hätte Oma gewusst, dass sie zwischen einem Pastor und einer Bankerfamilie in der vordersten Reihe auf dem Friedhof beerdigt wird, sie hätte protestiert und um ein unscheinbares Plätzchen versteckt hinter einer Hecke gebeten. Oma war es unangenehm, im Mittelpunkt zu stehen, denn sie hielt sich für unbedeutend.
Dabei war sie der bedeutendste Mensch in meinem Leben. Als sie, begraben unter all den bunten Sommerblumen, zu ihrer letzten Ruhestatt getragen wurde, war mir das noch nicht bewusst. Da fühlte ich nur den Schmerz, dass sie nun nicht mehr unter uns weilte und zugleich Trost, dass sie von ihrem Gebrechen erlöst worden war.
Die letzten Monate hatte Oma nur noch gelegen, war in den Zustand eines Kleinkindes zurückgefallen, das niemanden mehr erkannte. Sie wurde gefüttert und gewindelt.
Ich erinnere mich noch an ihr schmerzvolles Jammern, als die Pflegerin sie auf die Seite drehte, um ihren Rücken zu waschen. Oma war wundgelegen und ich fühlte mich hilflos.
Dieser Plüschlöwe, der, der immer auf der obersten Kante der Couch gesessen hatte und den ich als Kind nie zum Spielen nehmen durfte, weil Oma ihn hütete wie einen Schatz, mit dem brachte ich sie nun zum Kichern. Ich hatte ihr mit der weichen Schwanzquaste des Löwen die Wangen gekitzelt. Oma, die sonst alles zuließ, sich in ihrer nachgiebigen Weichheit alles abfordern ließ, blieb konsequent. Der Löwe war tabu. Ich begehrte diesen Plüschlöwen mit seiner verwegenen krausen Mähne und den ausdrucksvollen dunklen Augen. Zu gerne hätte ich ihn in meine Arme geschlossen und mit mir herumgetragen, wenigstens nur so lange, wie ich bei Oma zu Besuch war. Ob wohl meine Liebe zu Raubkatzen da ihren Ursprung nahm? In dieser ungestillten Sehnsucht nach diesem Löwen? Wer weiß schon, welche Begebenheiten ein Kind prägen.

Im Laufe der Jahre verlor sich meine kindliche Sehnsucht nach diesem Löwen. Gewiss, mir wäre aufgefallen, wenn er nicht mehr auf der Couch gesessen hätte, aber ich wollte ihn nicht mehr besitzen. Er wurde mit der Zeit mit dem Rauch aus Opas Pfeife und Zigarren verschmaucht und sein Plüschfell begann zu altern. Die Nähte wurden mürbe, so dass man hie und da schon Stellen erkennen konnte, aus denen die sägemehlartige Füllung hervorlugte.
Er verfiel zusammen mit Oma.
Am Ende ihres Lebens war er das Bindeglied zwischen ihr und mir. Sie erkannte mich nicht mehr, wahrscheinlich auch ihren Löwen nicht. Aber sie betrachtete mit interessierten Augen, wie dieser Löwe in kleinen Sprüngen über das Bett auf ihr Gesicht zu hüpfte und ihre faltige Hand griff ungelenk nach ihm. Ihre Gesichtszüge zeigten kindliche Freude.
Das war die letzte Erinnerung an Oma und ich fühle mich dankbar dafür.

 

Hallo Noel,

lieben Dank für dein positives Feedback, macht mir Mut, die Serie fortzusetzen.
Dass mit der Überschrift, das räume ich ein, ist irgendwie nicht so arg gelungen. Vielleicht fällt mir oder einem der Leser ja noch etwas Treffenderes dazu ein. Das Problem ist, dass in den Serien ja immer dieselbe Überschrift im Anfangsteil stehen soll.
Ich hatte als Überschrift ja zuerst gewählt gehabt: Omas Löwe.
Das geht aber nicht, wenn ich noch mehrere Teile von Oma schreiben und in Serie posten will. Da muss ich dann eine verbindende Überschift wählen. *seufz*

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Lakita!

Ich finde die Episode gelungen - der Ausgangspunkt des Grab zwischen Banker und Pastor schafft einen guten Einstieg, sagt schon einiges über die Oma aus.
Dass ein Kuscheltier, dass früher ein Tabu war, jetzt zum Eisbrecher wird und Verbindung schafft, empfinde ich als ein individuelles, liebevolles Detail, das die Geschichte lebendig und lesenswert werden lässt.
Insgesamt ist die Episode etwas kurz, kaum kann man sich die Situaion und Verbindung vorstellen, ist sie aus - ist mir fast etwas wenig.
Aber als Einstieg in eine längere Serie ist Dir hier schon der Anfang einer Charakterisierung und eine lebendige Verbindung gelungen.
Hat mir gefallen, wirkt irgendwie sehr menschlich.

Lieber Grüße
Anne

 

Hach Lakita,

Deinetwegen sitze ich jetzt mit einem Lächeln, das ich kaum loswerde, und feuchten Augen vor dem Monitor ;)

Auch wenn meine eigene Oma vor ihrem Tod nicht so zahm war und sich mit Händen und Füßen gegen die Medikamente und Pflege gewehrt hat, hat mich Dein Text gleich eingenommen. Insgesamt hätte ich auch gerne mehr gelesen, aber es kommen ja noch mehr Teile ;)

Liebe Grüße,
gori

 

Hallo Elvira,

das ist eine schöne, berührende Geschichte, allerdings tatsächlich etwas sehr kurz.

Der Löwe ist ein gutes Symbol für die Verbindung zwischen Oma und Enkelkind, da er in der Erinnerung eine so hervorgehobene Rolle spielt, als einziges Tabu...

Ich wäre wohl nicht ich, wenn ich nichts zu bemängeln hätte:

mit dem brachte ich sie nun zum Kichern. Ich hatte ihr mit der weichen Schwanzquaste des Löwen die Wangen gekitzelt. Oma, die sonst alles zuließ, sich in ihrer nachgiebigen Weichheit alles abfordern ließ von mir, blieb konsequent.
Hier fand ich beim Lesen die Vermengung der zeitlichen Ebenen etwas verwirrend.

Liebe Grüße
Roy

 

Liebe Elvira!

Sicher hast Du schon geglaubt, es kommt keine … :D

Trotz Verspätung noch einmal alles Gute! :)

Nach anfänglichem Zögern hab ich die Geschichte nun doch angeklickt, und sie war wirklich nett zu lesen.
Warum ich vor dem Anklicken gezögert habe, ist schnell erkärt: Den Titel hab ich falsch verstanden. Ich hatte befürchtet, Du würdest hier erzählen, wie verdammt stark die Oma war, ein Löwe eben, und da bekam ich das mulmige Gefühl, daß ich dann wieder ganz traurig an meine Oma denken muß. – Erleichtert war ich, als dann der Plüschlöwe auftauchte…:lol:

Ich hatte als Überschrift ja zuerst gewählt gehabt: Omas Löwe.
Das geht aber nicht, wenn ich noch mehrere Teile von Oma schreiben und in Serie posten will.
Warum nicht? Mit Doppelpunkt oder Gedankenstrich nach dem Namen der Serie, kann doch der Titel der Einzelfolge heißen, wie er will, also zum Beispiel auch: »Oma: Omas Löwe« – wäre jedenfalls meine Empfehlung. :)

Etwas verwirrend durch das Hin- und Herwechseln zwischen Rückblende und Jetztzeit fand ich diese Stelle:

Dieser Plüschlöwe, der, der immer auf der obersten Kante der Couch gesessen hatte und den ich als Kind nie zum Spielen nehmen durfte, weil Oma ihn hütete wie einen Schatz, mit dem brachte ich sie nun zum Kichern. Ich hatte ihr mit der weichen Schwanzquaste des Löwen die Wangen gekitzelt. Oma, die sonst alles zuließ, sich in ihrer nachgiebigen Weichheit alles abfordern ließ, blieb konsequent. Der Löwe war tabu. Ich begehrte diesen Plüschlöwen mit seiner verwegenen krausen Mähne und den ausdrucksvollen dunklen Augen. Zu gerne hätte ich ihn in meine Arme geschlossen und mit mir herumgetragen,
Erst wird die Oma gekitzelt, lacht, und dann sprichst Du von der Konsequenz, daß der Löwe tabu blieb. Das paßt irgendwie nicht so ganz in meinen Augen.

Besonders gefallen hat mir aber die Beschreibung, wie der Löwe gemeinsam mit der Oma alt wird – das find ich einen sehr schönen Gedanken! :)

Ein paar Kleinigkeiten noch:

»Hätte Oma gewusst, dass sie zwischen einem Pastor und einer Bankerfamilie in der vordersten Reihe auf dem Friedhof beerdigt wird, sie hätte protestiert und um ein unscheinbares Plätzchen versteckt hinter einer Hecke gebeten.«
– würde »versteckt« streichen, denn »unscheinbar« und »hinter einer Hecke« sagt sinngemäß dasselbe

»Oma war es unangenehm, im Mittelpunkt zu stehen, denn sie hielt sich für unbedeutend.
Dabei war sie der bedeutendste Mensch in meinem Leben.«
– finde die Wiederholung von »unbedeutend« nicht so glücklich, vielleicht »war sie der wichtigste Mensch«

»Als sie, begraben unter all den bunten Sommerblumen,«
– statt »unter all den« würde ich »unter einer Menge/einem Berg bunter Sommerblumen« schreiben

»Da fühlte ich nur den Schmerz, dass sie nun nicht mehr unter uns weilte und zugleich Trost, dass sie von ihrem Gebrechen erlöst worden war.«
– weilte, und
– die beiden »dass« könntest Du vielleicht vermeiden (im ersten Satz der Geschichte ist auch schon eins): Im ersten Teil würde ich auf »den Schmerz, verlassen worden zu sein« umformulieren (ist ja so ziemlich dasselbe ;)), im zweiten Teil würde ich »weil« statt »dass« einsetzen

»Die letzten Monate hatte Oma nur noch gelegen, war in den Zustand eines Kleinkindes zurückgefallen, das niemanden mehr erkannte. Sie wurde gefüttert und gewindelt.«
– Vorschlag: Punkt nach »gelegen«, dann »In den Zustand eines Kleinkindes zurückgefallen, das niemanden mehr erkannte, wurde sie gefüttert und gewindelt.«

»Dieser Plüschlöwe, der, der immer auf der obersten Kante der Couch gesessen hatte«
– »der,« kannst Du streichen

»In dieser ungestillten Sehnsucht nach diesem Löwen? Wer weiß schon, welche Begebenheiten ein Kind prägen.«
– würde das erste »dieser« durch »der« ersetzen, nach »prägen« gehört meiner Meinung nach ein Fragezeichen

»Er wurde mit der Zeit mit dem Rauch aus Opas Pfeife und Zigarren verschmaucht«
– das zweite »mit« würde ich vermeiden, stattdessen »durch den Rauch« schreiben

»Die Nähte wurden mürbe«
– »mürbe« sagt man meines Wissens nach eher bei Teig usw., bei Textilien: »brüchig«

»Das war die letzte Erinnerung an Oma und ich fühle mich dankbar dafür.«
– dankbar fühlt man sich eigentlich nicht, das ist man (oder auch nicht), würde schreiben »und dafür bin ich (ihr) sehr dankbar.«

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Liebe Susi,

ich wusste gar nicht, dass du immer noch "Geburtstagsgeschenke" machst und von den Usern Geschichten liest und sie kritisierst. Toll!
Daher erstmal vorweg: lieben herzlichen Dank, dass du dich um diese Geschichte gekümmert hast und sie mit Verbesserungsvorschlägen gespickt hast.
Ich habe beim ersten Lesen deiner Anmerkungen den Eindruck gehabt, dass ich vermutlich alles wie vorgeschlagen ändern werde. Mit anderen Worten: es ist sehr hilfreich. Werde, so hoffe ich, Text noch bis Jahresende verbessert haben.

Lieben Gruß
elvira

 

So, jetzt aber auch ein herzliches Dankeschön an die andren Kritiker, ist ja eh sehr peinlich, dass ich jetzt erst drauf antworte und ich bitte euch um Entschuldigung für meine Nachlässigkeiten, ich hätt das wirklich schon mal eher machen können. :shy:

@ Mausige Maus Maus Maus
ich freue mich, dass du die Stimmung, die ich in dieser kleinen Episode erzeugen wollte auch so erkennen konntest. Es ist nur ein kleines Stück aus dem Leben meiner Oma und letztendlich mir, welches ich aufgeschrieben habe und es ist fast ein wenig zu privat, jedenfalls laufe ich Gefahr, dass mir das jemand vorhalten könnte.
Ich habe nur immer wieder, wenn ich hier auf KG Geschichten über Omas gelesen habe, z.B. erinnere ich mich an eine wunderbare Geschichte, die Streicher verfasst hat, das drängende Gefühl gehabt, ich müsste über meine geliebte Oma auch eine Art kleines Erinnerungsstück schreiben und am besten so, dass für den Leser nachvollziehbar wird, was für mich an meiner Oma so Besonderes gewesen ist.

Ich hoffe, mir gelingt es, noch weitere Teile anzufügenl, damit dann am Ende aus all den kleinen Episoden ein Gesamtbild entstehen kann.

@ gori

Und jetzt sitze ich hier mit einem Lächeln, weil du mir von deinem berichtest. :)
Wenn das ein Text hervorzurufen vermag, dann freu ich mich sehr. Sieht so aus als gäbe es noch viel viel mehr Omas auf dieser Welt, die ihre Enkel lieb haben. Ja, ich werde versuchen noch weiter zu schreiben. Gerade diese Texte entstehen aber nur bei der richtigen Stimmung.


@ Roy Spitzke

danke fürs Lesen und Kritisieren. Deine Kritik ist vollkommen berechtigt und wenn du Häferls Kritik lesen solltest, wird dir auffallen, dass sie diesen Punkt auch herausgegriffen hat. Werds ändern. Ich bin ehrlich immer wieder begeistert, wie viele Dinge entdeckt werden, die absolut zur Verbesserung eines Textes beitragen und manchmal frage ich mich, wann ich wohl soweit sein werde, dass man mir nichts mehr dazuschreiben muss. Also deswegen nichts mehr dazu schreiben muss, weil alles ok ist.
Aber dann hätte ich auf KG wahrscheinlich nichts mehr zu suchen und ich könnte dir jetzt nicht dies hier schicken :) und Danke sagen.


Lieben Gruß an euch
lakita

 

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