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Ohne Seife

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23.10.2016
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Ohne Seife

Der Mond schien schwach ins Zimmer. Die Texte lagen verstreut auf Tisch und Boden. Ihre Gedanken waren schwer wie Blei; die Glieder ernst und tot. Augen fahl wie Seide. Ein zermürbtes Gesicht, als hätte es Motten. Jeglicher Glanz verschwand, sodenn der Blick aus dem Fenster die Regentropfen striff. Nichts bedeckte den dürren Körper, als ein Tuch um ihre Schultern. Es war violett und mitternachtsblau gemustert. Die Worte klirrten dumpf in ihrem Kopf; sie konnte sich nicht von ihnen trennen. Sie nahmen keinen Abschied. Das war ein Fehler.

Der traurige Blick senkte sich hinab zum wertlosen Papier. Es hatte nur den Wert, den sie ihm zuschrieb. Doch in Wirklichkeit war alles egal. Die Schrift war egal. Der Inhalt. Sie war egal. So bedeutungslos. Aber sie lebte.

Die Wangen glühten vor Anspannung. Die Hände zitterten vor Ehrfurcht. Die Sinnlosigkeit der Sache versteckte sich vor ihr. Vielleicht war sie aber auch blind dafür. Wahrscheinlich hatte sie gar kein Bewusstsein für die Nichtigkeit und Notwendiglosigkeit der Dinge, die sie zu interessieren schienen. Schon fast lächerlich wichtig nahm sie die ganze Arbeit. Sie konnte nicht anders. Sie erlag dem Zwang der Sprache.

Heute war es nicht schön in der Welt der Literatur.

Die Sätze spielten mit ihrem Kopf. Sie verspotteten sie. Sie erniedrigten sie. Sie trieben sie bis an ihre Grenze. Hemmungslos tanzten sie um sie herum, wie eine Horde frecher Kinder. Dann wuschen sie ihr den Kopf. Ohne Seife.

Mal laut dann leise, flüsterten sie ihr Dinge zu – nicht in die Ohren, denn sie waren nicht zu hören. Sie waren nur zu spüren. Sie gingen ihr durch die Haut. Bis in die innerste Pore ihrer Seele. Und dann verschwanden sie nicht, nein. Sie nisteten sich in ihr Gedächtnis ein, wie Parasiten und richteten dort großen Schaden an.
Sie verstand, dass sie wissen sollte, dass sie nichts weiß. Und sie wusste, dass Fantasie wichtiger ist als Wissen, denn diese sei begrenzt. Doch was war, wenn das Wissen um die Fantasie auch begrenzt wäre und sie daran hindern würde, ihre Fantasie auszuleben und grenzenlos werden zu lassen? Sie wusste, dass sie die Antwort auf diese Frage nicht kannte. Auch sie konnte aus einem Kreis kein Quadrat machen. Sie gab nicht auf. Sie befand sich keineswegs in einem Zustand des Stillstandes. Sie stand still. Aber im Gegenteil: Sie dachte auch nicht nach. Sie überlegte nicht. Sie raste; ohne Pause, ohne Verschnaufen, ohne Atmen. Tot. Tödlich schnell überschlug sie sich beinahe.
Sie schloss die Augen und sah: Einen Knoten. Einen Knoten aus Sätzen. Sie ergaben im Zusammenspiel keinen Sinn, sodass sie sich in die Quere kamen. Sie verschmolzen förmlich und lösten sich nie wieder. So entstand ein neuer Sinn und eine neue Bedeutung der einzelnen Worte.
Sie wollte nicht schlafen; sie wollte nicht essen. Sie wollte nur eines: Den Zusammenhang und schlussendlich den Sinn der Sätze herausfinden. Ob ihr dies noch heute gelang, in dieser Nacht? Das war zu bezweifeln. Denn sie war nicht mehr da.

Sie war nicht sauber. Die Reste des Tages und der ganze Müll, den sie über Wochen, Monate, Jahre angesammelt hatte, flog wild in ihr herum. Es war bereits so weit gekommen, dass ein turbulenter Wirbelsturm alles aufwirbelte, was nicht angewurzelt war. Alles wurde in Frage gestellt. Alles wurde mit allem verknüpft. Querverbindungen waren die Lösung für jedes Problem und gleichzeitig die Frage jedes neuen Problems. Der Sturm wütete noch bis in die späten Morgenstunden, während sie stumm zu keinem wirklichen Ergebnis kam. Man könnte es höchstens „Illusionen von verwirrenden Zwischenergebnissen“ nennen, doch eigentlich hatten sie noch nicht einmal diesen Titel verdient.
Um halb zehn Uhr morgens legte sie sich flach auf den harten Boden in ihrem Zimmer und starrte die Decke an. Es bildeten sich Schatten. Schatten von Texten. Die abgespeicherten Bilder der diagonal gelesenen Texte. Sie las sie. Nein, sie überflog sie. Sie filterte die ihr wichtig erschienen und die sie reizenden Stellen heraus, um sie zu verstehen. In Wirklichkeit aber verzettelte sie sich dabei so sehr, dass in ihrem Kopf ein Gewirr aus philosophischen Fragestellungen, künstlerischen Motiven und sonstigen literarischen Ergüssen stattfand. Sie jedoch sah das alles in der Gesamtbetrachtung wie ein riesiges Mosaik, das aus den verschiedenen Bruchstücken (von ihr) zusammengesetzt werden musste, um den Sinn des Lebens, ja den Sinn der Welt nachvollziehen zu können. Objektiv betrachtet, herrschte in ihrem Kopf ein einziges Chaos – nicht für sie: Sie stapelte (oberflächlich gesehen) ähnliche Inhalte und sortierte sie. Sortierte, sortierte. Sie war ein wahres Organisationstalent. Sehr talentiert war sie im Übrigen auch in dem Verfassen von eigenen Texten. Sie hörte sich selbst ihre imaginären Texte lesen, niederkritzeln. Sie hörte nicht auf. Auch, als die Kirchturmglocke zwölf Uhr Mittag schlug, nicht. Im Gegenteil: Sie sah dies als ein Zeichen des aktiv werden Müssens an. So sprang sie alsbald auf und holte sich Stift und Papier. So nackt wie sie war, nur mit ihrem ornamentalen Tuch bekleidet, schrieb sie willkürlich ihre Gedanken quer und gerade auf das Blatt. Das ergab ja so viel Sinn! Eine Feststellung nach der anderen erschien auf der weißen, leeren Fläche. Es folgten Fragen. Darauf Antworten. Immer so weiter, bis das Blatt voll war. Doch dies störte sie nicht im geringsten. Sie schrieb schlichtweg auf Tisch und später auf dem Boden weiter. Die Wände waren auch noch recht kahl – ihnen blühte das gleiche Schicksal. Alles entwickelte sich weiter; ihre Ideen, ihre Erkenntnisse. Sie wusste nicht mehr, wer sie war.

Ich denke, also bin ich, dachte sie, um sich selbst wieder zu fangen. Doch dies war nur ein kurzer selbstreflektierender Moment in der Fülle ihres philosophischen Rumgeplantsches.
Sie war äußerst intelligent, aber nicht schlau genug, um (genug) über sich selbst nachzudenken. Sie dachte über alle möglichen Existenzen nach, nur nicht über sich selbst. Sie war außen vor. Sie war bloß das Medium der Erkenntnisgewinnung. Ihr Kopf dachte, ihre Hand schrieb und ihre Seele war etwas, dem sie schon lange keine Beachtung mehr schenkte. Sie selbst tangierte sich selbst nur peripher. Das bedeutet, dass sie sich selbst nur bei der Befriedigung bestimmter Grundbedürfnsse spürte und selbst diese vernachlässigte sie enorm. Sie fand keine Ruhe und keine Zeit für sich selbst, denn das Forschen nach Erkenntnissen war ihr weitaus wichtiger.

Irgendwann, als sie keinen Platz mehr in ihrem Zimmer für Notizen fand, beschlich sie das starke Bedürfnis, der eiserne Drang, all das wieder zu zerstören und hinaus in die Welt zu treten, um…

… Um die Wahrheit zu suchen.

Es waren die Scherben der Welt, die sie so sehr reizten. Ein regelrechter Zwang für sie bestand darin, alles Gesagte, Geschriebene, Verbildlichte und andersartig Gedachte zu durchdringen, zu einem Ganzen zusammmen zu fügen und in seinen ursprünglichen Zustand zurück zu versetzen. Sie empfand dabei einen Antrieb der nicht mehr der Norm entsprach. Dies widersetzte sich jeglichen Maßstäben, denn sie war besessen. Absolut.

Das helle Licht brannte in ihren trübklaren Augen, sodass sie sie zusammen kneifen musste und somit nur noch einen schmalen Schlitz ihrer Umgebung wahrnahm. Die Vögel zwitscherten und verursachten eine Störung ihres Gedankenflusses. Sie band sie nämlich mit ein und das lenkte sie vom Eigentlichen ab. Sie dachte, die Vögel sind so frei in ihrer Mobilität wie der Mensch frei in seinem Denken ist. Aber schnell verworf sie die letzte Feststellung wieder, denn, was sie sicher wusste, war, dass der Mensch alles andere als frei ist. Regelrecht unfrei, gar gefangen in seinen eigenen Emotionen und unbewussten Regungen. Doch genug der Theorie. Dachte sie. Sie ging schneller, rannte fast, sprintete. Sie hatte kein Ziel, außer ihr geistiges. Und das verfolgte sie nicht mehr mit „konventionellen“ Mitteln. Sie stellte sich vor, schneller denken zu können und so zu einem Ergebnis zu kommen, wenn ihr Körper sich schnell bewegte. Übrigens hatte sie immer noch nicht mehr an, als ihr Tuch. Mit nackten Füßen flog sie über den Asphalt, über Wald und Wiese. Vor ihr lag ein großer See. Sie steuerte darauf zu, zog an und – explodierte.

Das eiskalte Herbstwasser sog ihr den Verstand aus den Gliedern, sodass sie nicht mehr dachte, sondern sich auf einmal von ihrem angesammelten Dreck entledigte. Sie reinigte ihren Kopf – ohne Seife.

Ihre Lippen wurden blau wie die einer Eiskönigin. Sie bebte. Und erlebte einen kleinen Tod.

Danach fühlte sie sich leichter und doch miserabel zugleich. Sie stieg aus dem Wasser und drückte ihr Mitternachtstuch aus. Es war vollgesogen mit Wasser und Schmutz. Langsam trottete sie wieder nach Hause. Beinahe fand sie es nicht. Zuhause angekommen jedoch sah sie das Chaos in ihrem Zimmer und hatte plötzlich wieder einen ebeneren Sinn für Ordnung. Aber sie fühlte sich wieder schwer, doch diesmal war es anders. Es war eine angenehme Schwere, die von Erschöpfung, nicht Anspannung herrührte. Ihr Körper sprach wieder mit ihr – oder besser gesagt, sie konnte ihn wieder sprechen hören. Sie war nicht mehr taub für die Signale ihrer äußeren Hülle. Deshalb ließ sie alles stehen und liegen und stieg in ihr Bett.
Um Mitternacht stand sie wieder auf und betrachtete sich im Spiegel. Was sie sah, war nicht eindeutig. Sie verzog keine Miene, aber ihr Gesicht war nicht neutral. Sie spürte, dass sie etwas ändern musste. Sie holte kurzerhand einen dünnen Pinsel und schwarze Farbe. Sie war geschickt und klug. Denn sie zeichnete Worte spiegelverkehrt in ihr Gesicht, damit man sie als außenstehender Betrachter lesen konnte.

Es bildeten sich elliptische Sätze, wie:
„Nachts gurgeln im Sumpf der Wahrheit.
Erkenntnis durch kriegsverführerischen Einsatz des Verstandes.
Immerzu der Straße des Nichts entlang und wieder zurück.
Die Rückkehr der Wiedergeburt ohne Grenzen.“

Als Gesicht und Dekoltée keinen Platz mehr boten, tastete sie weiter nach unten und beschrieb jede freie Stelle. Keine Falte wurde verschont.
Nun war ihr kompletter Körper bekritzelt mit weiteren Aussagen, wie:
„Endlich essen im Raum der Zeit.
Lebendig fühlen die Richtung der Wissenden.
Stein und Stock wieder eins und doch geteilt.
Scherben fließen den Strom hinab.
Die Höhe der Gleichgesinnten nimmt keinen Schaden an der Existenz der Zerflossenen. Rücklings reitende Gelehrte im See der Klarheit.
Lächerlich schwache Geister im Alter der Jugend.
Lachend schweifen dumme Weise ab.“
Die letzte Äußerung lautete:
„Und das Mondlicht scheint so schön.“

Nachdem sie ihren letzten Satz niedergepinselt hatte, sah sie wieder in den Spiegel. Sie fühlte sich bestätigt durch sich selbst. Sie war zufrieden. Daraufhin besann sie sich auf ihr unordentliches Zimmer, das sie nun aufzuräumen begann.
Mittlerweile schien die Morgensonne schwach ins Zimmer. Die Farbe auf ihrer Haut verflüchtigte sich so langsam, also beschloss sie kurzerhand, duschen zu gehen. Eiskaltes Wasser floss in Strömen die knochigen Schultern hinab und säuberte ihre Hülle oberflächlich. Sie entfernte die Farbe ohne Seife.

Wiederum nackt schlich sie durch ihr Zimmer und suchte nach ihrem ornamental gemusterten Tuch. Es war noch feucht. Also nahm sie es und rieb damit die beschriebenen Stellen an Wand und Boden ab. Nachdem dies fertig war, wusch sie ihr sonderbares Tuch aus; natürlich, ohne Seife.

 

Hallo Mikeschi,

nur eine kurze Rückmeldung zu dem Anfang deines Textes, bin drüber gestolpert beim Lesen.

Augen fahl wie Seide.
Seide glänzt. Sie ist nicht fahl. Würde mir hier einen anderen Vergleich auswählen.

Jeglicher Glanz verschwand, sodenn der Blick aus dem Fenster die Regentropfen striff.
  • sodenn - diese Konjunktion gibt es nicht. Hab extra noch einmal im Duden nachgeschaut, falls ich mich täusche. Also entweder auseinander, was für mich aber inhaltlich keinen Sinn ergibt. Wahrscheinlich meinst du sobald oder sofern? Oder wenn?
  • streifte

 

Hallo Mikeschi,

also eins hat der Text schon mal geschafft: ich fühle mich dazu aufgestachelt, etwas dazu zu sagen, obwohl Montagabend ist. :)

Das ist ja durchaus ein Erfolg, der tröstet vielleicht ein bisschen darüber hinweg, dass das, was ich zum Text loswerden möchte, nicht sehr positiv ausfällt.

Ich finde den Text ... irritierend, ist das passendste Wort, das mir einfällt.

Am Anfang dachte ich, du machst das mit Absicht. Die Dinge, die Novak zitiert hat, waren für mich auch Stolpersteine. Aber das sind bei weitem nicht die einzigen solchen Stellen. Es gibt ziemlich viele davon.

Augen fahl wie Seide

Die Worte klirrten dumpf in ihrem Kopf

Bis in die innerste Pore ihrer Seele.

Seide ist nicht fahl, Klirren ist nicht dumpf, Seelen habe keine Poren.

Aber wie gesagt, anfangs dachte ich noch, das ist Absicht, der Leser soll da drüber stolpern, du willst damit irgend etwas schwer Fassbares ausdrücken. Also habe ich weiter gelesen, weil ich dachte, ich komme noch dahinter, was mir der Künstler damit sagen will. Ich halte mich doch so gerne für schlau.

Ich bin nicht dahinter gekommen, was das soll. Und jetzt bin in eher ungnädiger Stimmung. Nun ist mein Eindruck eher: Das ist gar keine Absicht, da steckt kein großer poetischer Wurf dahinter. Sondern das ist schlicht und einfach nicht gut formuliert und zu wenig durchdacht.

Denn es gibt auch noch Stolpersteine von einem anderen Kaliber:

Sie selbst tangierte sich selbst nur peripher.

Das bedeutet, dass sie sich selbst nur bei der Befriedigung bestimmter Grundbedürfnsse spürte

Ich mag die nicht alle heraussuchen. Schau den Text noch mal ganz genau an, um solche Unsauberkeiten auszuräumen. Wenn du schon dabei bist, würde ich dir empfehlen, die Aufräumaktion auch auf überflüssige Adjektive auszudehnen, die gibt es nämlich auch reichlich.

Zur Handlung habe ich jetzt noch gar nichts gesagt, aber das liegt einfach daran, dass der Text mit "handlungsarm" noch wohlwollend umschrieben ist. Er erfüllt formal die Anforderungen an eine Geschichte - es gibt eine zentrale Figur, der passieren Dinge. Aber das ist nur die Form.
Der Inhalt ist letzten Endes ein philosophischer Erguss. Schreiben über das Schreiben, Sprechen über Sprache, nachdenkliche Texte über das Nachdenken ... einige Autoren machen das sehr gerne. Zumindest habe ich hier schon recht oft Texte in der Art gelesen. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass ich schon mal einen dieser Texte gut gefunden hätte. Das hat immer so was von Nabelschau. Und die Sprache ist dann oft so gespreizt, so gewollt literarisch, wie bei diesem Text auch - und wie so oft kommen hier auch ziemlich viele Stilblüten dabei heraus. Das ist überhaupt nicht mein Ding.

Die Figur im Text macht ja eigentlich einiges durch. Die ist völlig verwahrlost und steigert sich da in eine ... hmm ... manische Phase? Einen künstlerischen Rausch? Ich bin nicht sicher - und das wäre in Ordnung, so etwas kann der Interpretation überlassen werden. Was aus meiner Sicht nicht so in Ordnung ist: Mir ist das egal.

Nichts in der Geschichte berührt mich. Die besteht aus sprachlichen Spielereien. Die haben mich am Anfang zwar dazu verleitet zu glauben, es würde vielleicht mehr darin stecken, aber auf den zweiten Blick glaube ich, da ist nicht mehr als Spielerei.

Natürlich kann es auch sein, dass der Text zu hoch für mich ist. Bei manchen Texten habe ich den Eindruck, die sind extra dafür geschrieben, um für andere zu hoch zu sein. Ist das vielleicht so ein Fall? :)

Grüße von Perdita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola Mikeschi,

ich will nicht die gleiche Zurückhaltung üben beim Kommentieren wie Du, denn sonst kommt unser Betrieb allmählich zum Stillstand.
Zuerst ein paar Punkte, die sich verbessern ließen:

... die Glieder ernst und tot.
Ein ernstes Glied?
... Notwendiglosigkeit der Dinge, ...
Für mich ein ziemlich anstrengendes Wort. Unter ‚Synonyme’ gäbe es Alternativen, doch vielleicht besteht der Autor darauf.
... die sie zu interessieren schienen.
Eine schlichte Unterscheidung zwischen Dingen, die sie interessieren und Dingen, die sie nicht interessieren, wäre mir lieber.
Und sie wusste, dass Fantasie wichtiger ist als Wissen, denn diese sei begrenzt.
Diesen Satz verstehe ich nicht: ‚diese’ = Fantasie, und die soll begrenzt sein?
Doch was war, wenn das Wissen um die Fantasie auch begrenzt wäre ...
Im Satz zuvor werden Wissen und Fantasie strikt getrennt, plötzlich aber ...?
Von hier ab scheint mir der Text abzudriften in merkwürdige Schlussfolgerungen und Widersprüche:
Sie stand still.
Okay.
Aber im Gegenteil: Sie dachte auch nicht nach. Sie überlegte nicht.
Wieso Gegenteil? Im Stillstand nicht zu denken passt doch, oder nicht?
Bereits im nächsten Satz wird aus Stillstand Rasen:
Sie raste; ohne Pause, ohne Verschnaufen, ohne Atmen.
Das wird mir zu wild. Meine Sympathie für den Text geht dahin.

Du schriebst an Peeperkorn:

... mein Ziel ist es ja gerade absurde und groteske Szenen zu kreieren.
Das gelingt Dir im Übermaß.
Gern lese ich etwas Ausgefallenes, und auch einige Kapriolen fliege ich mit, nur ist es mir persönlich zu viel. Alles ist verwirrt, verändert sich rasend schnell und bleibt doch ohne Aussage.
Mikeschi: schrieb:
Aber vielleicht sollte ich mich doch mal mehr in die Rolle des Lesers hinein versetzen.
Gute Idee, doch vermutlich schon vergessen.
Alles entwickelte sich weiter; ihre Ideen, ihre Erkenntnisse. Sie wusste nicht mehr, wer sie war.
Peng. Das Resultat ihrer Erkenntnisse! Meine Oma hätte gesagt ‚da bin ich so schlau wie vorher’. Je weiter ich lese, desto weniger ernst kann ich den Text nehmen, denn um eine Kurzgeschichte handelt es sich mMn nicht.
Eher habe ich den Eindruck, der Autor schreibt zeitgleich mit der Uhr vom Kirchturm locker darauf los. Zu vieles wiederholt sich sinn- oder unsinnsgemäß. Übrigens:
Übrigens hatte sie immer noch nicht mehr an, als ihr Tuch.
Ein verräterisches Wort. Dieses ‚übrigens’ sagt mir, dass der Autor genau in diesem Moment diesen Einfall hatte - so richtig spontan und kreativ. Deshalb musste es auch so kommen:
Mit nackten Füßen flog sie über den Asphalt, über Wald und Wiese. Vor ihr lag ein großer See. Sie steuerte darauf zu, zog an und – explodierte.
Ich kopiere noch mal:
... Aber vielleicht sollte ich mich doch mal mehr in die Rolle des Lesers hinein versetzen.
Das würde ich begrüßen.
Denn weiter unten im Text geht’s dann richtig zur Sache:

Als Gesicht und Dekoltée keinen Platz mehr boten, tastete sie weiter nach unten und beschrieb jede freie Stelle. Keine Falte wurde verschont.
Nun war ihr kompletter Körper bekritzelt mit weiteren Aussagen, wie:
„Endlich essen im Raum der Zeit.
Lebendig fühlen die Richtung der Wissenden.
Stein und Stock wieder eins und doch geteilt.
Scherben fließen den Strom hinab.
Die Höhe der Gleichgesinnten nimmt keinen Schaden an der Existenz der Zerflossenen. Rücklings reitende Gelehrte im See der Klarheit.
Lächerlich schwache Geister im Alter der Jugend.

Und der Leser ist erschöpft und pellt sich ein Ei.
Schade, dass statt Handlung eine eitle Textparade abgehalten wurde.
Schade, denn ich las ja auch:
Der traurige Blick senkte sich hinab zum wertlosen Papier. Es hatte nur den Wert, den sie ihm zuschrieb. Doch in Wirklichkeit war alles egal. Die Schrift war egal. Der Inhalt. Sie war egal. So bedeutungslos. Aber sie lebte.
Das finde ich großartig! Wäre Inhalt genug für einen Roman.
Mikeschi, schreiben kannst Du, aber offensichtlich ist der Text zu schnell entstanden.
Das ist immer das Problem: Erhitzt, wovon auch immer, einen lodernden Text zu schreiben – und den dann tage- und wochenlang zu schleifen.
Dieses Schicksal teilen wir (fast) alle.

José

PS.: Dekolleté
Bei den sieben zitierten "Aussagen" habe ich das Gefühl, dass Du die liebend gern so ganz charmant und nebenbei Deinen Lesern als besondere Glanzstücke unterjubeln willst.

 

Es ist ihr Blick. Sie ist nicht tot. Das ist nur eine Metapher.
"Das ergab ja so viel Sinn!" - ist ironisch gemeint.
"Philosophisches RUMGEPLANTSCHE". Das heißt, dass es weder philosophisch noch erwachsen ist, sondern kindisch, was das zweite Wort andeutet. Und zugleich ist es noch ironisch. Genau lesen.
Man kann durchaus intelligent sein, auch wenn man wahnsinnig ist. Das ist kein Widerspruch. Wenn ihre Intelligenz nicht zum Ausdruck kommt, gut.
Man muss nicht mit ihr sympatisieren; hat ja niemand gesagt, dass das meine Intention war. Man muss sowieso nicht allen (Haupt-)Figuren in Texten positiv gestimmt sein. Wer sagt das denn?
Sie ist wahnsinnig und dreht sich im Kreis. Die "Erkenntnisse", die sie hat, sind nur Illusionen. Ich mache auch kein Geheimnis daraus, was der Sinn des Lebens für sie ist, denn sie weiß es ja selbst nicht.

LG

 

"DIES sei begegrenzt", muss es heißen.
Ich versuchte, den Leser mitzureißen in den Strudel des Wahnsinns, deshalb diese sich überschlagenden Szenen. Egal ob Abneigung oder sonstig negative Einstellungen gegenüber der Figur.

Übrigens habe ich den Text geschrieben, bevor ich die Kommentare zu meinem letzten hier veröffentlichten Text gepostet habe.

 

Hola Mikeschi,

besten Dank für die Aufklärung. Ich hatte dahingehend schon eine Vermutung, aber da Du es selbst noch einmal definierst, ist ja alles klar. Gott sei Dank.

LG

 

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