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Ohne Netz
Es gibt wohl kaum etwas Langweiligeres als einen Samstagmorgen auf dem Spielplatz. Eigentlich sollte ich Leo beaufsichtigen, damit er nicht von einem Hundehaufen kostet, von den größeren Kindern drangsaliert oder von einem Perversen entführt wird. Ab und zu schau ich eh zu ihm rüber, wie er da im Sandkasten seine Löcher schaufelt.
Mein Blick fällt zur Reckstange. Das Kind, das dort herumturnt, ist eigentlich zu groß für den Spielplatz. Doch dann merke ich: Das Mädchen ist nicht hier, um zu spielen. Es trainiert. Sie stützt sich auf die Stange und wirbelt mit völlig geradem Körper um die eigene Achse. Ich zähle mit. Erst beim achten Mal hält sie an, klammert sich fest, scheint gegen den Schwindel anzukämpfen. Schweiß rinnt über ihren Nacken. "Turnverein Leistungsstufe?", denke ich mir und versuche, einen blöden Witz über ihre zukünftige Karriere als Go-Go-Tänzerin aus meinen Gedanken zu verbannen.
Das Mädchen schwingt sich von der Stange, drückt den Rücken durch und streckt die Arme nach oben, als würde sie für eine Jury posieren. Ganz schön eingebildet, die Kleine.
Sie schwingt sich wieder auf das Reck. Und jetzt? Sie bringt ein Bein über die Stange, formt eine Art Schere. Blickt sich kurz um, lächelt. Sie will, dass man sie beobachtet. Gepose gibt es eben nicht nur bei den Jungs.
Mir fällt auf, wie hübsch sie ist. Wenn sie nur ein paar Jahre älter wäre ... Nein. Ich will nicht, dass sie älter ist. Sie ist perfekt in ihrer Jugend. Die schimmernde Haut, das volle Haar, die kleinen Brüste. Die Unschuld in ihrem Blick, gemischt mit diesem Hauch an beginnender Reife.
Ach du Scheiße. Ich zwinge mich, meine Aufmerksamkeit wieder auf den sandschaufelnden Leo zu richten. Die Scham lässt mich rot anlaufen. Und doch komme ich nicht dagegen an, gleich darauf wieder zu ihr rüber zu sehen.
Da bemerke ich etwas, dass ihr entgangen sein muss. Eine Spinne hat ihr Netz zwischen Quer- und Stützstange gewebt. Auch sie sitzt still da und beobachtet das Mädchen, den Eindringling. Ich stelle mir vor, wie schlimm es für einen Käfer sein muss, in diesem Netz gefangen zu sein. Völlig bewegungsunfähig, doch am Leben gelassen, bis sich der Hunger regt und ein achtbeiniger Schatten über ihn fällt.
Das Mädchen dreht sich nun rasend schnell um die Stange, ihr Körper, ihre langen Haare, mein beschissener Verstand, alles wirbelt im Kreis. Es sieht gefährlich aus, was sie da macht. Es wäre schön, sie einzuweben, fest, aber liebevoll, damit ihr nichts passieren kann und sie niemals ihre Jugend verliert.
Plötzlich kreischt das Mädchen auf und lässt sich von der Stange gleiten. Sie hat endlich die Spinne bemerkt. Ich muss laut lachen, die Kleine schaut kurz irritiert zu mir rüber, unsere Augen treffen sich für einen Moment, ein winziges Lächeln spielt um ihren Mund. Dann macht sie sich davon.
Leo kommt zu mir und verlangt nach seiner Mama. Ich setze ihn in den Kinderwagen und werfe einen letzten Blick zurück zu Reck und Netz. Die Spinne hat nun wieder ihre Ruhe.
Wir verlassen den Spielplatz. Nachmittags steht Rasen mähen auf dem Programm. Wieder so ein langweiliger Samstag.
Ich weiß nicht, ob ich die Spinne oder der Käfer bin, aber das Netz in meinem Kopf, das ist immer da.