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Ohn‘ Macht
Er fand sich erschöpft in seinem Bett wieder. Die Trauer hat seine Kehle zugeschnürt.
Das Bild, welches zwei Frauen darstellte, musste mehr einem Kirchner gleichen, fiel ihm auf und seine Augen zu.
Erinnerungen quollen mit starken, klaren Linien auf. Ein früher Besuch bei ihr. Die Eltern antreffend. Durchschauende Blicke. Doch sahen sie ihn zu keinem Zeitpunkt voll an.
In einer von nun an immer mehr zunehmenden Unschärfe zeigte sich wieder eine Version des zuletzt gesehenen, noch zu beendenden Bildes.
Aber zu erkennen war mehr eine Landschaftsmalerei, eine Blumenwiese, über der in der Höhe Vögel umherziehen.
Jetzt doch eher ein Stillleben.
Eine Blume in einer gutaussehenden, gläsernen Vase platziert an einer Fensterbank. Es konnte auch sein, dass die Vase leer und die Blüte sich im Blumenkasten auf dem Fenstersims befand. Auf jeden Fall musste sich der Vogel, ein pechschwarzer Rabe, in jenem Kasten befinden, jene Blume bewachend. Er war augenscheinlich Ursache des geringen Lichts im Gemälde. Man konnte meinen, dass die Flügel, die der Rabe in diesem Moment mitsamt seines ganzen Gefieders ausbreitete und die so noch größere Dunkelheit ins Innere warfen, schon immer in eben genau jener Stellung verharrten. Der Blick richtete sich nun noch einmal auf das Pflänzchen, zeigte sich dieses schon verdorrend, da kein Licht auf sein Köpfchen traf, das schon eine länger zurückliegende Mangelerscheinung aufzeigte.
Die zu Beginn schier jugendliche Straffheit seiner Blättchen und die wahre Schönheit seines Aussehens mussten ihm, vom Betrachter vollkommen unbemerkt, entwichen sein, wobei dies auch auf die Trockenheit des Bodens zurückzuführen war, da das Federtier auch keinen Tropfen erfrischenden, belebenden Regens an die Wurzeln kommen ließ.
Währenddessen wandelte sich, unter der Abwesenheit der Augen des Federviehs, die Vase vielmehr in eine Art Topf. Der Blume Blick galt jenem langen, dünnen, tönernen Gefäß. Stillschweigend konnte man in der Neigung des Kopfes ein Sehnen nach dem seltsamen Topf vernehmen. Doch nun bemerkte dies auch das düstre Schwarze. Eine nicht zuzutrauende Intelligenz konnte man ihm unterstellen und die folgende Tat als regelrechte Reaktion beschreiben, denn es schiss an das selige Geschöpf. Die edle Blume schwach und verdreckt, ohne Sinn zu erkennen, dass das, welches sie mit gerade ausreichender Feuchtigkeit nährte, ein Haufen Unrat war, streckte in grausamer Folge ihr sanftes Köpfchen dem Raben zur Brust hin.
Zum Portrait verschwamm das Gemälde um ein Weiteres.
Ein alter, stattlicher Mann. Sein kräftiger, beinah rundlicher, Leib versprach Geborgenheit und Wärme. Das lichte, weiße Haar, welches den Kopf, einer Tonsur ähnlich, bis zur Stirn hin umsäumte und seine Brille stellten ihn als weise, fast als heilig dar. Sein hohes Alter und die angeschwollenen Gelenke mit der verhornten Haut zeigten sein bis zuletzt andauerndes Schuften in Demut, selbstlos bis zu diesem Moment die Lasten jedes einzelnen abarbeitend. Sein Blick richtete sich auf die Ungerechtigkeit, die sich an eben jenem Fenster zutrug.
Eine Bilderreihe ergab sich aus dem Nebel unseres Verzweifelnden.
Der Alte war stehend zu sehen. Auf seinem Gürtel blitzte ein Wolfskopf auf. Sein Blick trug die vernunftgetragene Entschlossenheit eines Richters. Etwas Neues befand sich von nun an im Bild: Ein stählerner Käfig, der den Blick des Raben mit Hass erfüllte.
Im nächsten Bild ereignete sich ein Kampf. Doch war es zunächst eher grausamste Folter, denn das zarte leidende Geschöpf war den scharfen Klauen und dem spitzen, hackenden Schnabel des Untiers hilflos ausgeliefert. Währenddessen der Mann mit all seiner verbliebenen Kraft am Fenstergriff zerrte, um das kaum zu bewegende Fenster, entgegen seiner scheinbaren Bestimmung, doch noch aufzureißen.
Im dritten Teil der Reihe war das Wunder, das der gute Weise hingegen aller Erwartung geschafft hatte, schon (oder nur noch) als Skizze zu erkennen.
Die Höllenbrut steckte im Käfig. Die Flügel an die Gitter schlagend vor lauter Zorn und Hass, sodass schon das blanke, faulige Fleisch, aus dem es geschaffen war, hervorklaffte. Der Heilige hob die verstümmelte Schönheit aus der verdorbenen Erde und war dabei, sie in den heilenden Topf im schützenden Innern zu setzen.
Das letzte Bild in der Serie war eher ein schlichtes Papier, oder besser, der Abriss eines solchen.
Mit schwachen Strichen schien auf einen bereits radierten Untergrund, bei dem man nur noch schemenhaft irgendein gerüstähnliches Gebilde zu sehen glaubte, ein eher unwirkliches und stark entfremdetes Blümchen in einem Behälter gekritzelt zu sein. Die Kontur versprach keine Realität. Die Blätter der Blüte waren zu rund. Der sonst unbeschadete Stängel war in der Mitte geknickt dargestellt worden, um den Eindruck zu erwecken: Es sei eine, womöglich sogar die geschändete Blume, die sich im Vergangenen zeigte. Man konnte meinen, sie und ihr mehr wunderlicher als wundersamer Fortbestand wären künstlich. Aufgrund des dünnen, zu verblassen drohenden Striches lässt sich dies aber nicht mehr zur Genüge bewahrheiten. Und hier bemerkte unser Ohnmächtiger, dem Trüben entrinnend, ein Fehlen. Ein „Nicht-" oder „Nichtmehrexistieren“. Jedoch ehe er das genauer zu bestimmen wusste, riss ihn ein unirdisches Pochen aus seinen Gedanken.
Sie stand vor ihm.
Als er an ihr herabsah, während sie froh verkündete, sie wüsste jetzt, wem sie gehöre, erblickte er das das ganze Blut an ihr und an dem Messer in ihrer Rechten. Er erkannte in diesem Moment das zuletzt noch unbestimmte Fehlende und brach, mit einem grausamen, spöttischen Krächzen eines Raben in den Ohren, stumm zusammen.