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Oh du fröhliche ... oder Ein nicht alltäglicher Chor
Es schneite. Nicht besonders stark, aber doch stetig. Im Laufe der letzten Tage hatten dicke weiße Flocken die Innenstadt von S. in eine wie mit Puderzucker überzogene Modellbahnlandschaft verwandelt. Als Sabine, wie so oft allein, an einem Mittwochnachmittag die Tür der kleinen Postfiliale aufschloss, stand eine größere Anzahl wartender Menschen vor der Tür. Das freute sie sehr, denn die meiste Zeit des Jahres war der Publikumsverkehr eher mäßig. Endlich war mal was los, denn lediglich zu Ostern oder ganz besonders zur Weihnachtszeit, war eine deutliche größere Menge an Leuten bereit, ihren Laden aufzusuchen und Briefe, Päckchen und Pakete für die liebe Verwandtschaft oder Freund aufzugeben.
Sobald die Tür entsperrt war, drängten die Leute in den kleinen Schalterraum. Sabine musterte die Leute unauffällig. Ernste, abweisende Minen waren auf allen Gesichtern zu sehen. ‚Du meine Güte’, dachte Sabine, ‚man könnte ja glatt meinen es wäre jemand gestorben.’ Eine angespannte Stimmung lag in der Luft, die sich noch spürbar verstärkte, als gleich die erste Kundin sehr viel Post auf den Tresen legte. Als freundlicher und eigentlich fröhlicher Mensch der sie war, fragte Sabine, ob denn alle der Anwesenden heute ihre Weihnachtspost aufgeben wollten. Ein muffeliges, aber immerhin einstimmiges „Ja“ war die Antwort. Da ihr die ungemütliche Stimmung nicht gefiel und die Leute ihr irgendwie leid taten, dachte sie sich: ‚Ok, das gefällt mir so mal gar nicht’ und warf spontan in den Raum: „ Na dann können wir ja zusammen ein Weihnachtslied singen.“ Sprachlose und verblüffte Gesichter starrten sie an. Man hätte meinen können, Sabine hätte gerade angefangen einen Strip vorzuführen. Aber… dann passierte es. Die Kundin deren Post sie gerade bearbeitete griff den Vorschlag auf und fing leise an zu summen. Sofort fiel Sabine ein. Die übrigen Leute, gerade noch mit sich selbst und trüben Gedanken beschäftigt, schlossen sich zuerst zögernd aber dann doch immer schneller nach und nach an und bald sangen alle im Chor ein Weihnachtslied. Alle? Nein, ein Herr stand da wie ein düsterer Monolith und sah ungeduldig auf seine Uhr. Offenbar war ihm das alles unverständlich und er konnte mit der Situation nichts anfangen. Gut gelaunt wie Sabine war dachte sie sich: ‚Na warte, dich knacke ich auch noch’ und sie fragte: „Wollen sie vielleicht einen Kaffee trinken, dann vergeht auch für sie die Zeit des Wartens schneller.“ Ein Staunen, das sich in ein Strahlen verwandelte, überzog das Gesicht des Herrn und er nahm freudig die Einladung an. Fröhlich arbeitete Sabine weiter, so dass die Zeit wie im Flug verging. Sie war zufrieden mit sich, denn schließlich war es ihr gelungen für einen kurzen Moment einigen Menschen eine kleine einfache Freude zu bereiten und dafür zu sorgen, dass niemand schlechtgelaunt ihren Laden verließ.