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Odyssee in den Urlaub
Jetzt mal ganz ehrlich: Wann waren Sie das letzte Mal bei Ihrer Krankenkasse? Also in dem Gebäude, in dem sich der für Ihren Wohnort zuständige Sachbearbeiter den Kaffee kocht. Wie jeder gute Bundesbürger oder deren weibliches Äquivalent, zahlen Sie doch Monat für Monat Ihre Beiträge, heften Monat für Monat die routinemäßigen Beitragserhöhungsschreiben ab und bekommen Monat für Monat einen Weinkrampf, wenn Sie den tatsächlichen Schaden auf Ihrem Gehaltsabrechnungsbogen sehen. Und wenn Sie dann mal was von denen wollen, dann nimmt das Unheil seinen Lauf. Es fängt damit an, dass Ihr Sachbearbeiter prinzipiell auf der Rückseite des Mondes seinen Tätigkeiten nachzugehen scheint, und wenn Sie an die Zeit denken, die dieser braucht um nur ein Telefongespräch entgegen zu nehmen, so scheint dieser Arbeitsplatz gar nicht mal so abwegig.
So saß ich eines Tages auf dem Sofa. Der lang ersehnte Urlaub war in greifbare Nähe gerückt - ich zählte schon nicht mehr Wochen, nein, es waren Tage, die ich zählen konnte - auf meinem Sofa. Meine Freundin, die so nah bei mir saß, dass wir von einem zufällig anwesenden Ärzteteams als Siamesische Zwillinge getrennt hätten werden müssen, strich sanft über mein Haar.
"Und du rufst da wirklich morgen an?", fragte sie leise, aber bestimmt.
"Natürlich, ich habe es dir doch versprochen", kam meine genauso leise und selbstbewusste Antwort.
Wir hatten den ganzen Tag - es war ein Sonntag - unsere Tasche gepackt. Mit allem, was ein Mann für eine Woche Griechenlandurlaub Anfang August braucht: Badehosen, Handtücher, Sonnencreme Lichtschutzfaktor im dreistelligen Bereich und einen Rollkragenpullover. Meine Freundin war eben sehr vorsichtig, übervorsichtig geradezu, wir hatten sogar Kondome eingepackt, obwohl sie die Pille nahm. Sie kümmerte sich immer sehr rührend um mich - wie sehr ich sie doch dafür liebte! Und so hatte ich ihr eben auch versprochen morgen meine Krankenkasse anzurufen, um mich um den Abschluss einer Auslandskrankenversicherung zu kümmern. Nicht, dass ich nicht dachte, dass eine solche vollkommen sinnlos sei – da schien mir ihre Idee mit dem Pullover schon eher unlogisch – nein, ich ahnte was sich da morgen über mir zusammenbrauen würde.
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Am nächsten Morgen war mein Schatz nach dem Frühstück in ihre Wohnung gefahren, um auch nochmal, wie jeden Tag in den letzten zwei Wochen, ihr Reisegepäck durchzuchecken. Ich hatte ihr versprochen, anzurufen, sobald die Versicherung abgeschlossen war, so dass sie beruhigt sein konnte.
Ich setzte mich also gemütlich auf mein Sofa, stellte das Telefon auf den Wohnzimmertisch und kontrollierte noch einmal die Uhrzeit: halb 10. Natürlich wusste ich, dass die Krankenkasse schon um 8 Uhr öffnete, aber mir schien es ratsamer, das Kaffeekochen, Gummibaumputzen und das Fachgespräch über die Poesie in der aktuellen Apothekenblume abzuwarten.
Ein letzter Blick auf die Uhr und ich wählte die Nummer.
Nach dem siebten Klingeln - der Mond schien heute in einer erdnahen Position zu stehen - vernahm ich eine fröhliche Stimme: "Guten Tag, 'Deutsche Angestellten Arbeiter und Auch Alle Anderen Krankenkasse', mein Name ist Marianne Michelkolokowsisantikz, was kann ich für Sie tun?"
"Guten Tag Frau Mich…. entschuldigen Sie … ich möchte meinen Sachbearbeiter sprechen. Mein Name ist Meyer, Thorsten Meyer."
"Einen Moment, ich verbinde Sie"
Ein kurzes Knacken in der Leitung und ich wurde mit einer flotten Heino-Melodie berieselt. Nachdem ich dem Lied einige Zeit gelauscht hatte, keimte in mir der Verdacht, dass es zur Politik dieser Institution gehörte, sich ihre Patienten selbst heranzuzüchten. Es würde mich auch nicht weiter wundern, wenn der Bruder des Chefs eine HNO-Praxis betrieb.
Geduldig wartete ich auf meinem Sachbearbeiter und übte dabei die meditative Abschaltung meines rechten Gehörganges. Ich musste nur aufpassen, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten, zu dem ich den Telefonhörer ans andere Ohr zu halten hatte. Dieser Zeitpunkt war da als ein weiteres Knacken in der Leitung ertönte - ich freute mich schon am Ziel meiner Wünsche zu sein – gefolgt vom Nerv tötenden Besetztzeichen.
"Das kann doch mal passieren", dachte ich mir und drückte auf die Wahlwiederholung meines Apparates.
Frau Michelkolokowsisantikz war wieder am Apparat, ich sagte ihr erneut meinen Namen und abermals traktierte mich ein gut gelaunter deutscher Schlagersänger.
Dieses Mal bekam ich den für mich zuständigen Mitarbeiter an den Apparat. Ich nannte ihm mein Anliegen: eine zusätzliche Krankenversicherung für eine Woche, für Griechenland und ab diesen Donnerstag.
Ich ahnte ein Seufzen am anderen Ende der Leitung, als der Mann mir sagte, dass ich denn doch bitte morgen bei ihm persönlich vorbeikommen möge, er habe die entsprechenden Formulare nicht im Haus und müsse diese erst beim Hauptsitz anfordern.
Wie versprochen war meine Freundin die erste, der ich davon berichtete. Ich würde am nächsten Tag bei der Krankenkasse sein und das Formular zusammen mit meinem Sachbearbeiter ausfüllen. Mein Hase würde diese Nacht in ihrer Wohnung bleiben, sie wollte nochmal ihr Gepäck kontrollieren.
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Wie versprochen war ich am nächsten Tag dort wo ich erst einmal hingehörte: in einer langen Warteschlange vorm Empfang. Ich brachte der freundlichen Frau Michelkolokowsisantikz mein Anliegen vor, worauf diese mich in die heiligen Hallen entließ, ohne jedoch fortwährend zu betonen, bloss nichts anzufassen. Es fehlten nur "Füttern verboten"-Schilder und es wäre perfekt gewesen.
Nachdem ich, unterstützt durch einen genauen Lageplan, am Empfang erhaltenen Kompass und die Aufstockung meines Wegproviants in der Kantine das Zimmer meines zuständigen Sachbearbeiters gefunden hatte, durfte ich sein Reich betreten.
Dieser machte mir klar, dass durch die Verkettung unglücklicher Umstände, die Vergesslichkeit eines gewissen Sachbearbeiters soll da wohl keine unbedeutende Rolle spielen, das Formular nicht da sei. Doch wenn ich bereit sei dieses in der Zentrale abzuholen so stünde einer schnellen Bearbeitung nichts mehr im Wege.
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So sah ich mich also eine Stunde später einem Pförtner gegenüber, der einen wildfremden Menschen trotz Vorlage der Mitgliedskarte, nicht auf das Gelände der Krankenkasse lassen wollte. Mit einem Augenzwinkern gab er mir zu verstehen, dass er durch einen Vertrauensbeweis meinerseits durchaus mal eine Ausnahme machen könnte.
Nachdem ich eine Stunde mit des Pförtners Hektor – einer deutschen Dogge – Gassi geschleift worden war, die Tochter der Empfangsdame, die mir unterwegs durch die fortwährende Abgabe von Geräuschen aus sämtlichen Körperöffnungen zeigte, was sie vom Kindergarten hielt, vom selbigen abgeholt hatte und dem Formularverwalter durch eindeutige Fotos beweisen konnte, dass seine Frau ihn nicht mit seinem
Kfz-Mechaniker betrog, hatte ich endlich das Formular.
Wie den Gral brachte ich es nach Hause, meine zuständige Dienststelle hatte natürlich längst Feierabend, und wenn Papier Geweihe hätte, so hätte ich es bei mir im Wohnzimmer an die Wand gehängt.
Meine Freundin wollte meinen Triumph mit mir feiern kommen, sie musste nur noch eben die Wasserhähne, Elektrogeräte und Fenster kontrollieren bevor sie ihre Wohnung verließ. Ich schlief diese Nacht wieder alleine ein.
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Am nächsten Tag, der Mittwoch vor unserem Abflug, zog ich also ein letztes Mal in die Schlacht.
Mich auf meinen ausgeprägten Orientierungssinn verlassend irrte ich zwei Stunden durch das Krankenkassengenbäude, bis mir ein Mann, der fortwährend 'Krankenhaustagegeldanspruchsbescheinigungsformularantrag' brummelte, mir den Weg zeigen konnte.
Dort angekommen war mein Sachbearbeiter natürlich gerne bei der Ausfüllung des Formulars behilflich, er gab mir einen Kugelschreiber. Ordnungsgemäß trug ich Namen, Adresse, Urlaubsort-und land ein. Mit einem freundlichen 'Gute Erholung' und dem Versprechen, dass der Antrag schnell bearbeitet werde, wurde die Audienz beendet.
Bis heute weiß ich nicht, ob ich während des Urlaubs versichert war oder nicht. Dieser ist vier Wochen her. Ich habe aber beschlossen, den nächsten auf dem Mond zu verbringen, um mich persönlich über den Fortgang der Bearbeitung zu informieren.