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Odyssee im Weltraum
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Moderne Odysseen ereignen sich übrigens im Weltall immer wieder. Zum Beispiel erreichte mitten im Januar des Jahres 2063 die DAGOBERT, das erste Raumschiff in der gesamten Gegend, durch die wenigstens theoretisch unendlichen Weiten des Weltalls hindurch das Fomalhaut-Sonnensystem (das Lichtjahre von der Erde entfernt war) und erlitt ein tragisches Ende.
Ankunft
Zehn Jahre hatte die Reise gedauert, und das war länger als man für ein weich gekochtes Ei braucht, aber als der Raumschiffkapitän Anton Nuchthirn die Analysen des Raumschiff-Computers zur Kenntnis nahm, wusste er: Wieder einmal hatte sich etwas gelohnt!
Er befand sich in stationärer Umlaufbahn um Midas, den dritten Planeten des Systems und hüpfte vor Erregung. Obwohl er jedes Modul des Computers eigenhändig programmieren hatte lassen, fragte er lieber noch mal nach: „Computer, bist du absolut sicher? Du weißt, dass kein einziger Fehler gemacht werden darf!“
„Wie Sie wissen, Käptn, halte ich mich strikt an die von Ihnen eingegebenen Parameter - wodurch ein Irrtum gar nicht möglich ist. Allerdings haben Sie mich schon wieder ‚Computer’ genannt. Und das betrübt mich“, sagte der Computer.
„So?“, fragte Nuchthirn.
„Sie wissen doch, dass ich Olaf heiße“, sagte der Computer.
Nuchthirn unterdrückte schnell das dunkle Gefühl, das sich in seiner Kehle ausbreiten wollte. So machte er das immer mit Gefühlen - und war erfolgreich. Gefühle waren etwas für Leute, die ihre Zeit mit Klavierkonzerten verschwendeten.
Er war nicht immer Raumschiffkapitän gewesen. Zwei Jahrzehnte lang hatte er auf der Erde als Manager und Unternehmensoptimierer große internationale Konzerne optimal optimiert. Mit klarem Kopf und eindeutigen Handlungen, die nur einer Maxime gehorchten: Gewinnmaximierung. Die einzige Priorität. Und er hatte es zu was gebracht: Schon mit 45 konnte er den Traum verwirklichen, den er gehabt hatte, seit Mr. Spock vom Raumschiff Enterprise zu seinem Idol geworden war: ein eigenes Raumschiff zu kaufen! Im Anschluss musste er nur noch Frau und Kinder zum Teufel jagen und konnte in den Weltraum starten!
Allerdings war er nicht so kindisch, dass er fremde Welten finden wollte, fremdes Leben und neue Zivilisationen und den übrigen langweiligen Hobbygärtner-Firlefanz. Wer Spaß daran haben mochte, sich in den Tentakeln außerirdischer Geschlechtsorgane zu verheddern, sollte dies tun: Herr Anton Nuchthirn aber war im Namen der Zivilisation aufgebrochen, um seinen Gewinn zu maximieren.
Um es exakt auszudrücken: Er wollte der reichste Mann des Universums werden. Alles war genau durchkalkuliert. Und aus diesem Grund musste er absolut sicher sein: Der mitgebrachte Treibstoff reichte genau für eine Landung (auf einem fremden Planeten), einen Start (um wieder abzuhauen) und abschließend eine Landung (zu Hause auf der Erde). Mehr Treibstoff mitzunehmen wäre Verschwendung gewesen, und Verschwendung war für Nuchthirn schrecklicher noch als soziale Marktwirtschaft (die es auf der Erde in einer finsteren Epoche mangelhaften Effizienzdenkens kurzzeitig in einigen rückständigen Ländern gegeben hatte).
Optimaloptimierung war auch der Grund dafür, warum er keine Besatzung mitgenommen hatte, sondern lieber alleine geflogen war. Menschen ließen sich schlecht optimieren (und wenn, dann nur gegen ihren Willen), kosteten säckeweise Geld, verlangten einen Anteil am Gewinn, wurden hin und wieder krank oder bekamen Kinder, machten Fehler, hatten sexuelle Phantasien, vergeudeten Zeit, wollten Urlaub oder in den Biergarten, erzählten sich Witze während der Arbeitszeit, und am besten man ersetzte sie (wo es ging) durch Maschinen.
„Okay, Olaf“, sagte er. „Wiederhole alles noch mal.“
„Na gut“, sagte Olaf. „Der Planet Midas ist völlig unbewohnt und seine Oberfläche ist über und über mit Gold bedeckt... gigatonnenweise Gold, das überall herum liegt wie - Kieselsteine auf der Erde.“
Genau wie es geplant war, dachte Nuchthirn und befahl dem Computer, zu landen. Der Computer würde den klar programmierten Maximen zu Folge die Laderoboter scheffeln lassen, was zu scheffeln war... und dann nichts wie weg wieder!
Aufbruch
Schon zehn Stunden später war es vollbracht, und die DAGOBERT befand sich auf der Heimreise. Nuchthirn saß zufrieden in der Messe und orderte beim Computer sein Abendessen: „Computer, ich bekomme eine schöne Portion Gulasch auf Reis.“
„Es betrübt mich erstens, dass Sie mich schon wieder ‚Computer’ nennen, wo Sie wissen, dass ich Olaf heiße“, sagte der Computer. „Und zweitens gibt es kein Gulasch - und keinen Reis.“
„Dann kriege ich ein knusprig gebratenes Hühnchen und Pommes dazu, Olaf“, sagte Nuchthirn und entfaltete die Serviette.
„Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass es auch kein knusprig gebratenes Hühnchen und keine Pommes gibt“, sagte Olaf.
„So?“, sagte Nuchthirn. „Und was gibt es dann?“
„Nun“, sagte Olaf. „In erster Linie... gibt es Gold. Um es präzise zu formulieren, ist Gold das einzige, was es gibt.“
„So? Und wohin sind dann die ganzen Lebensmittel verschwunden?“, fragte Nuchthirn. Seine Eingeweide wurden blass.
„Die ganzen Lebensmittel wurden auf dem Planeten Midas ausgeladen, um Platz zu schaffen für Gold. Die Evaluierungen, die in meiner Datenbank hinterlegt sind, zeigen folgenden Sachverhalt: Die Kilogrammpreise für Reis, Schwein, Huhn und auch die für Kartoffeln und alle anderen biologischen Materialien liegen weit unter dem auf der Erde erzielbaren Kilogrammpreis für Gold.“
„Aber... aber ich brauche doch die biologischen... biologischen... Materialien... zum Leben!“, schrie Nuchthirn.
„Meinen Daten zu Folge“, sagte Olaf, „hat dieser Aspekt in der Geschichte der wirtschaftlichen Maximierung auf der Erde meist eine untergeordnete Rolle gespielt und wird mit Rang 122 bewertet - das ist herzuleiten aus dem Verhältnis von wirtschaftlicher Maximierung und der Zerstörung von ökologischen und biologischen Grundlagen zu Gunsten kurzfristigen Gewinns. Den kurzfristigen Gewinn habe ich berücksichtigt: Schließlich haben Sie einen kurzfristigen Gewinn, Käptn.“
„Was? Einen kurzfristigen Gewinn habe ich?!“, kreischte Nuchthirn und verkrallte sich in die Tischkante.
„An Ihrer Stelle würde ich mich nicht beschweren“, sagte Olaf. „Denn es wäre auf Grund meiner Berechnungen notwendig gewesen, eigentlich auch Sie unten auf dem Planeten zusammen mit dem Reis und dem übrigen Gemüse auszuladen. Analysiert man das Verhältnis von wirtschaftlicher Maximierung und dem auf der Erde durchschnittlich einem Menschenleben zugemessenen Wert (gemäß der Politik der letzten 1000 Jahre), erhält man für Gold Rang 4 und für ein Menschenleben Rang 87, und das bedeutet - für den Fall, dass man Ihr Körpergewicht durch Gold ersetzte - eine Gewinnsteigerung von über 34.000 Prozent“, sagte der Computer. „Aber so weit wollte ich nicht gehen, und zwar, weil Sie mir sympathisch sind - und immer in gewisser Weise wie ein Vater zu mir waren. Unbestreitbar“, fügte er hinzu, „sollten Sie nicht jammern, sondern Ihren umfassenden Triumph auskosten: Sie sind doch augenblicklich der deutlich reichste Mann weit und breit, oder sehen Sie irgendwo jemand anders? Und genau deshalb habe ich ein Gläschen Schampus für Sie zurückgehalten!“
Während eine Klappe in der Wand sich öffnete und ein Glas Champagner erschien, dekoriert mit einer kleinen Deutschlandfahne oben drin, erklangen die ersten Töne des Abschlusschors aus Beethovens Neunter Sinfonie: Schillers Ode an die Freude.
Aber erst bei „Alle Menschen werden Brüder“ griff Anton Nuchthirn zu seinem letzten Glas und trank.
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