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Odyssee im Weltraum

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26.08.2002
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Odyssee im Weltraum

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Moderne Odysseen ereignen sich übrigens im Weltall immer wieder. Zum Beispiel erreichte mitten im Januar des Jahres 2063 die DAGOBERT, das erste Raumschiff in der gesamten Gegend, durch die wenigstens theoretisch unendlichen Weiten des Weltalls hindurch das Fomalhaut-Sonnensystem (das Lichtjahre von der Erde entfernt war) und erlitt ein tragisches Ende.

Ankunft
Zehn Jahre hatte die Reise gedauert, und das war länger als man für ein weich gekochtes Ei braucht, aber als der Raumschiffkapitän Anton Nuchthirn die Analysen des Raumschiff-Computers zur Kenntnis nahm, wusste er: Wieder einmal hatte sich etwas gelohnt!

Er befand sich in stationärer Umlaufbahn um Midas, den dritten Planeten des Systems und hüpfte vor Erregung. Obwohl er jedes Modul des Computers eigenhändig programmieren hatte lassen, fragte er lieber noch mal nach: „Computer, bist du absolut sicher? Du weißt, dass kein einziger Fehler gemacht werden darf!“
„Wie Sie wissen, Käptn, halte ich mich strikt an die von Ihnen eingegebenen Parameter - wodurch ein Irrtum gar nicht möglich ist. Allerdings haben Sie mich schon wieder ‚Computer’ genannt. Und das betrübt mich“, sagte der Computer.
„So?“, fragte Nuchthirn.
„Sie wissen doch, dass ich Olaf heiße“, sagte der Computer.

Nuchthirn unterdrückte schnell das dunkle Gefühl, das sich in seiner Kehle ausbreiten wollte. So machte er das immer mit Gefühlen - und war erfolgreich. Gefühle waren etwas für Leute, die ihre Zeit mit Klavierkonzerten verschwendeten.

Er war nicht immer Raumschiffkapitän gewesen. Zwei Jahrzehnte lang hatte er auf der Erde als Manager und Unternehmensoptimierer große internationale Konzerne optimal optimiert. Mit klarem Kopf und eindeutigen Handlungen, die nur einer Maxime gehorchten: Gewinnmaximierung. Die einzige Priorität. Und er hatte es zu was gebracht: Schon mit 45 konnte er den Traum verwirklichen, den er gehabt hatte, seit Mr. Spock vom Raumschiff Enterprise zu seinem Idol geworden war: ein eigenes Raumschiff zu kaufen! Im Anschluss musste er nur noch Frau und Kinder zum Teufel jagen und konnte in den Weltraum starten!

Allerdings war er nicht so kindisch, dass er fremde Welten finden wollte, fremdes Leben und neue Zivilisationen und den übrigen langweiligen Hobbygärtner-Firlefanz. Wer Spaß daran haben mochte, sich in den Tentakeln außerirdischer Geschlechtsorgane zu verheddern, sollte dies tun: Herr Anton Nuchthirn aber war im Namen der Zivilisation aufgebrochen, um seinen Gewinn zu maximieren.

Um es exakt auszudrücken: Er wollte der reichste Mann des Universums werden. Alles war genau durchkalkuliert. Und aus diesem Grund musste er absolut sicher sein: Der mitgebrachte Treibstoff reichte genau für eine Landung (auf einem fremden Planeten), einen Start (um wieder abzuhauen) und abschließend eine Landung (zu Hause auf der Erde). Mehr Treibstoff mitzunehmen wäre Verschwendung gewesen, und Verschwendung war für Nuchthirn schrecklicher noch als soziale Marktwirtschaft (die es auf der Erde in einer finsteren Epoche mangelhaften Effizienzdenkens kurzzeitig in einigen rückständigen Ländern gegeben hatte).

Optimaloptimierung war auch der Grund dafür, warum er keine Besatzung mitgenommen hatte, sondern lieber alleine geflogen war. Menschen ließen sich schlecht optimieren (und wenn, dann nur gegen ihren Willen), kosteten säckeweise Geld, verlangten einen Anteil am Gewinn, wurden hin und wieder krank oder bekamen Kinder, machten Fehler, hatten sexuelle Phantasien, vergeudeten Zeit, wollten Urlaub oder in den Biergarten, erzählten sich Witze während der Arbeitszeit, und am besten man ersetzte sie (wo es ging) durch Maschinen.

„Okay, Olaf“, sagte er. „Wiederhole alles noch mal.“
„Na gut“, sagte Olaf. „Der Planet Midas ist völlig unbewohnt und seine Oberfläche ist über und über mit Gold bedeckt... gigatonnenweise Gold, das überall herum liegt wie - Kieselsteine auf der Erde.“
Genau wie es geplant war, dachte Nuchthirn und befahl dem Computer, zu landen. Der Computer würde den klar programmierten Maximen zu Folge die Laderoboter scheffeln lassen, was zu scheffeln war... und dann nichts wie weg wieder!

Aufbruch
Schon zehn Stunden später war es vollbracht, und die DAGOBERT befand sich auf der Heimreise. Nuchthirn saß zufrieden in der Messe und orderte beim Computer sein Abendessen: „Computer, ich bekomme eine schöne Portion Gulasch auf Reis.“
„Es betrübt mich erstens, dass Sie mich schon wieder ‚Computer’ nennen, wo Sie wissen, dass ich Olaf heiße“, sagte der Computer. „Und zweitens gibt es kein Gulasch - und keinen Reis.“
„Dann kriege ich ein knusprig gebratenes Hühnchen und Pommes dazu, Olaf“, sagte Nuchthirn und entfaltete die Serviette.
„Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass es auch kein knusprig gebratenes Hühnchen und keine Pommes gibt“, sagte Olaf.
„So?“, sagte Nuchthirn. „Und was gibt es dann?“

„Nun“, sagte Olaf. „In erster Linie... gibt es Gold. Um es präzise zu formulieren, ist Gold das einzige, was es gibt.“
„So? Und wohin sind dann die ganzen Lebensmittel verschwunden?“, fragte Nuchthirn. Seine Eingeweide wurden blass.
„Die ganzen Lebensmittel wurden auf dem Planeten Midas ausgeladen, um Platz zu schaffen für Gold. Die Evaluierungen, die in meiner Datenbank hinterlegt sind, zeigen folgenden Sachverhalt: Die Kilogrammpreise für Reis, Schwein, Huhn und auch die für Kartoffeln und alle anderen biologischen Materialien liegen weit unter dem auf der Erde erzielbaren Kilogrammpreis für Gold.“

„Aber... aber ich brauche doch die biologischen... biologischen... Materialien... zum Leben!“, schrie Nuchthirn.
„Meinen Daten zu Folge“, sagte Olaf, „hat dieser Aspekt in der Geschichte der wirtschaftlichen Maximierung auf der Erde meist eine untergeordnete Rolle gespielt und wird mit Rang 122 bewertet - das ist herzuleiten aus dem Verhältnis von wirtschaftlicher Maximierung und der Zerstörung von ökologischen und biologischen Grundlagen zu Gunsten kurzfristigen Gewinns. Den kurzfristigen Gewinn habe ich berücksichtigt: Schließlich haben Sie einen kurzfristigen Gewinn, Käptn.“

„Was? Einen kurzfristigen Gewinn habe ich?!“, kreischte Nuchthirn und verkrallte sich in die Tischkante.
„An Ihrer Stelle würde ich mich nicht beschweren“, sagte Olaf. „Denn es wäre auf Grund meiner Berechnungen notwendig gewesen, eigentlich auch Sie unten auf dem Planeten zusammen mit dem Reis und dem übrigen Gemüse auszuladen. Analysiert man das Verhältnis von wirtschaftlicher Maximierung und dem auf der Erde durchschnittlich einem Menschenleben zugemessenen Wert (gemäß der Politik der letzten 1000 Jahre), erhält man für Gold Rang 4 und für ein Menschenleben Rang 87, und das bedeutet - für den Fall, dass man Ihr Körpergewicht durch Gold ersetzte - eine Gewinnsteigerung von über 34.000 Prozent“, sagte der Computer. „Aber so weit wollte ich nicht gehen, und zwar, weil Sie mir sympathisch sind - und immer in gewisser Weise wie ein Vater zu mir waren. Unbestreitbar“, fügte er hinzu, „sollten Sie nicht jammern, sondern Ihren umfassenden Triumph auskosten: Sie sind doch augenblicklich der deutlich reichste Mann weit und breit, oder sehen Sie irgendwo jemand anders? Und genau deshalb habe ich ein Gläschen Schampus für Sie zurückgehalten!“

Während eine Klappe in der Wand sich öffnete und ein Glas Champagner erschien, dekoriert mit einer kleinen Deutschlandfahne oben drin, erklangen die ersten Töne des Abschlusschors aus Beethovens Neunter Sinfonie: Schillers Ode an die Freude.
Aber erst bei „Alle Menschen werden Brüder“ griff Anton Nuchthirn zu seinem letzten Glas und trank.

..

 

Hallo FlicFlac,

wow, was ne klasse Satire :thumbsup:

Der Plot gefällt mir und seine Verpackung auch.

Das einzige, was mich etwas gestört hat, war, dass ich den Dialog zwischen Anton und Olaf nicht authentisch fand. Olaf wirkt nicht homogen. Entweder du gibst ihm die Aussprache und das Gehabe eines Butlers, was hier ja speziell am Ende Sinn machen würde als er den Champagner offeriert oder er bekommt ein anderes Gepräge, aber so ist es nicht wohlklingend und vor allen Dingen zündet es nicht.

Bitte filtere einfach mal nur das heraus, was die beiden miteinander reden und schau es dir isoliert an, dann merkst du es bestimmt auch.

Ansonsten aber eine feine Satire, so recht nach meinem Geschmack.


Lieben Gruß
lakita

 

Hallo flicflsc,

ich gebe lakita recht - bei dem Computer könntest du noch nachbessern. Ansonsten spritzig-vergnüglich und endlich mal eine moderne Midas-Geschichte.

LG

Jo

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Lakita!

wow, was ne klasse Satire

Oh danke! Gerade aus deinem Mund freut mich das besonders!

Zur Computerfigur: Ich wollte den Olaf eigentlich "vielschichtig"/ambivalent; am Ende sollte er trotz aller "Optimierungsparameter" menschlicher sein als sein menschlich-unmenschliches Gegenüber. Daher sein voriger ambivalenter Kampf, mit Vornamen angesprochen zu werden, ein Angehen gegen das Funktionale, das sein Verhalten steuert. (Und natürlich eine Anspielung auf HAL ;-) ).

Deshalb wäre ich dir noch für einen Tipp dankbar, was du konkret gern anders hättest.


Lieben Gruß,
Flic

 

Hallo Jobär!

Danke für die positive Aufnahme! Auch dir wäre ich dankbar für einen Tipp zur Computerfigur. Mir selbst "leuchtet sie ein" (siehe Antwort auf Lakitas Nachricht), aber vielleicht übersehe ich wirklich was?

Lieben Gruß,
Flic

 

Hi FlicFlac,

erst mal vorne weg. Auch mir hat deine Geschichte gefallen. Der Prot geht an seiner eigenen Raffgier zugrunde. Eigentlich ein ziemlich klassiver Plot für eine Satire, schön umgesetzt.

Dennoch ein paar Anmerkungen, was man aus meiner Sicht hätte besser machen können. Der Einstieg hat auf mich ziemlich holprig gewirkt:

Moderne Odysseen ereignen sich übrigens im Weltall immer wieder
"Übrigens" raus

gebraucht, und das war länger als man für ein weich gekochtes Ei braucht,
gebraucht; das ist mehr Zeit als man braucht um ein Ei zu kochen.

eigenhändig programmieren hatte lassen
Das widerspricht sich. Entweder er hat es eigenhändig programmiert oder er hat es programmieren lassen. eigenhändig als Passiv-Konstruktion liest sich nicht sehr schön.

Vllt liest du den Text mit ein wenig Abstand nochmal durch. Wenn solche stellen noch sauber formuliert sind, wirkt der Text noch besser.

Der Computer wirkt schon relativ menschlich, aber das hättest du für meinen Geschmack ruhig noch ein wenig weiter spinnen können, natürlich auch umgekehrt. Nuchthirn könnte auch noch wesentlich maschineller und rationaler argumentieren und sprechen. Ich stelle mir da zum Beispiel ein Streit vor bei dem der Computer zu weinen beginnt oder ähnliches.

Vllt setzt du dich ja nochmal an die Story dran. Nichstdestotrotz hat mir die Story auf jeden Fall gefallen.

lg neukerchemer

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi neukerchemer,

vielen Dank für die vielen Anregungen! Über einige würd ich gern weiterdiskutieren!

erst mal vorne weg. Auch mir hat deine Geschichte gefallen. Der Prot geht an seiner eigenen Raffgier zugrunde. Eigentlich ein ziemlich klassiver Plot für eine Satire, schön umgesetzt.

Ja - ist eigentlich eine moderne Version der Midas-Geschichte, wie oben schon von jobär erwähnt.

Dennoch ein paar Anmerkungen, was man aus meiner Sicht hätte besser machen können. Der Einstieg hat auf mich ziemlich holprig gewirkt:


"Übrigens" raus

Nun, ich schreibe die Texte ja in erster Linie, um sie vorzulesen. Und daher schreibe ich nach "Gehör"; und dieses "übrigens" "hörte sich" gut beiläufig an und gefällt mir daher ;-)

Zitat:
eigenhändig programmieren hatte lassen

Das widerspricht sich. Entweder er hat es eigenhändig programmiert oder er hat es programmieren lassen. eigenhändig als Passiv-Konstruktion liest sich nicht sehr schön.

Genau dieser Widerspruch sollte da auch sein. Der Managertyp "tut/erreicht/leistet etwas" - hat aber die eigentliche Arbeit andere machen lassen (die er sich dennoch selbstbewusst zuschreibt - eben mit dem "eigenhändig").


Ich stelle mir da zum Beispiel ein Streit vor bei dem der Computer zu weinen beginnt oder ähnliches.

Wäre das nicht zuviel menschlich? Olaf hat ja durchaus seine Parameter - und mir schwebte da eher ein ambivalenter "Charakter" vor. Einer, der ums "Menschsein" ringt. Im Unterschied zu Nuchthirn, der aber am Ende erkennen muss, ein Mensch zu sein?

Vllt setzt du dich ja nochmal an die Story dran. Hat mir aber dennoch gefallen.

Danke! Ich diskutiere gern weiter ... mal schauen, was sich noch tut!

LG,
Flic

 

Hi nochmal,

Nun, ich schreibe die Texte ja in erster Linie, um sie vorzulesen. Und daher schreibe ich nach "Gehör"; und dieses "übrigens" "hörte sich" gut beiläufig an und gefällt mir daher ;-)
Mich hat es eher aus dem Lesefluss gerissen, aber das ist vermutlich Geschmackssache

Genau dieser Widerspruch sollte da auch sein. Der Managertyp "tut/erreicht/leistet etwas" - hat aber die eigentliche Arbeit andere machen lassen (die er sich dennoch selbstbewusst zuschreibt - eben mit dem "eigenhändig").
Dann hätte es aber viel besser gewirkt, wenn du diese Aussage dem Prot zugeschrieben hättest, z.b durch ein dachte er, oder sagte er. So schildert es der Erzähler und da passt es meiner Ansicht nach nicht bzw. der von dir gewünschte Manageraspekt kommt so nicht raus.

Wäre das nicht zuviel menschlich? Olaf hat ja durchaus seine Parameter - und mir schwebte da eher ein ambivalenter "Charakter" vor. Einer, der ums "Menschsein" ringt. Im Unterschied zu Nuchthirn, der aber am Ende erkennen muss, ein Mensch zu sein?
Ich weiß nicht, mir wäre das nicht zu menschlich. Es ist ja eine Satire und da darf ja ruhig kräftig übertrieben werden. Und gefühle sind nun einmal das, was einen Menschen am stärksten von der Maschine unterscheidet.

Parallel dazu eben Nuchthirn, der dann total maschinell spricht: "Meinen Berechnungen zufolge werde ich in 73 Studen verdursten, 184 verhungern. Die Erde werden wir erst in 85 Tagen erreichen. Habe Suchlauf nach Lösungen gestartet. Erfolglos abgebrochen.
... oder so ähnlich

lg neukerchemer

 

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