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Odyssee der Menschlichkeit
Odyssee der Menschlichkeit
Der alte Mann schlurfte in Lumpen gehüllt langsam und müde durch die langgezogenen Häuserschluchten der Stadt. Sein Blick wanderte durch die Gegend und beäugte misstrauisch die gehetzt herumlaufenden Menschen, die trotz so später Stunde noch auf den Strassen waren. Leichte Mädchen rekelten sich obszön an den Häuserwänden an denen sie lehnten, während er langsam und mit gesenktem Blick an ihnen vorbei ging.
„Dich würde ich nicht mal für eine Million ficken, du mieser alter Penner!“ ertönte die Stimme einer Hure weit hinter ihm und gehässiges Gelächter erhob sich wie zur Untermalung ihrer Worte.
Doch würdest du, dachte der alte Mann bei sich. Du würdest es jedem besorgen wenn du dadurch nur genügend Kohle für deinen nächsten Schuss zusammen bekommen würdest.
Er ging die Straße entlang bis er zur nächsten Kreuzung kam. Die Ampel zeigte rot und er blieb stehen. Ein Cabrio fuhr mit quietschenden Reifen kreischend um die Ecke, eine Gruppe Jugendliche saß im Inneren und grölte lautstark herum. Die Musik war laut und der Bass tönte dumpf und dreckig aus den Boxen der Lautsprecher.
„Hey Alter! Hier hast du was zum Trinken“ rief einer und warf ihm eine halbvolle Bierdose an den Kopf. Der alte Mann zucke schmerzhaft zusammen als er von dem Geschoss getroffen wurde und wischte sich Bier aus den Augen. Mit einem traurigen Kopfschütteln ging er weiter, als die Ampel von Rot auf Grün sprang.
Seine Schritte führten in weiter und er hatte keinen Einfluss auf den Weg den sie nahmen. Es war, als führe ihn eine seltsame Macht und wenig später kam er in einem kleinen Park an. Die Blätter der Bäume wiegten sich sanft im Wind der Großstadt und erzählten leise flüsternd ihre Geschichten.
Der alte Mann ließ sich müde auf einer Parkbank nieder und schaute sich um. Das helle Neonlicht der Straßenlaternen verlieh den Blättern der Bäume und Sträucher ein unnatürliches Grün, dass giftig und unwirklich aussah. Eine Schaukel, die an einer schweren Kette von einem hölzernen Gerüst hing, warf lange dunkle Schatten und ein kleines Mädchen saß darauf und schaukelt ruhig hin und her.
Sie hatte ein rosa Kleidchen an und auf ihrem Kopf trug sie eine kleine Krone. Als sie den Blick des Alten bemerkte, sprang die von der Schaukel und kam auf ihn zu.
„Hallo“ sagte sie.
„Hallo“ sagte der alte Mann.
„Wie geht es dir?“
„Ich bin müde“.
„Warum gehst du dann nicht nach Hause?“ fragte sie.
„Ich habe kein zuhause.“
„Wieso hast du kein zuhause?“ wollte die Kleine wissen.
„Ich hatte einmal einen Platz wo ich mich daheim fühlte, aber das ist schon sehr lange her. Früher mochte mich jeder und ich war ein gern gesehener Gast. Die Menschen waren freundlich und grüßten mich immer nett, doch mit der Zeit änderte sich das.“
„Wieso hat sich das geändert?“. Die Kleine blickte ihn aus großen, fragenden Augen an.
„Das ist der Lauf der Dinge. Alles ändert sich mit der Zeit.“
„Und wo willst du heute schlafen?“.
„Ich werde wohl oder übel hier schlafen müssen,“ sagte er traurig und deutete auf die Parkbank.
„Du kannst doch nicht hier schlafen. Du kannst doch bei mir schlafen.“
Das kleine Mädchen drehte sich um und rief ihrer Mutter, die beim Ausgang des Parks nicht weit weg von hier stand, und sich mit jemanden unterhielt zu.
„Mami! Mami! Darf der alte Mann bei uns schlafen?“
Die Mutter der Kleinen drehte sich um, und als sie sah, mit wem ihre Tochter da sprach schrie sie aufgeregt und ließ erschrocken ihre Einkaufstasche fallen.
„Komm sofort hier her, Liz! Auf der Stelle! Wie oft hab ich dir schon gesagt, du darfst nicht mit fremden Leuten reden!“, rief sie ihr zu, und ein wenig leiser sagte sie zu ihrem Gesprächspartner „und schon gar nicht mit alten Pennern“.
Die Kleine drehte sich wieder zu dem Alten um
„Ich muss gehen. Hat mich gefreut dich kennen zu lernen.“ Sie lächelte ihn an, ging in die Knie und pflückte ein Gänseblümchen.
„Hier, das ist für dich“ sagte sie ihm und hielt ihm das Gänseblümchen hin.
„Danke mein Kleine“ erwiderte der Alte und nahm das Gänseblümchen und steckte es sich an das Revers seines alten, zerschlissenen Jacketts. „Nun lauf aber zu deiner Mutter, bevor du noch Ärger bekommst.“ Eine Träne lief ihm langsam über die zerfurchte Wange und verfing sich in seinem Bart.
Sie war erst wenige Meter entfernt, als sie sich umdrehte und ihm ein kleines Lächeln schenkte.
„Wie ist dein Name?“ wollte sie wissen.
„Mein Name ist Menschlichkeit“ sagte er und sah dem Mädchen nach, wie es zu ihrer Mutter lief.