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Ocean

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07.03.2013
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Ocean

Ocean

Es waren noch keine fünf Minuten vergangen, seitdem die Sonne in den Wogen des Meeres verschwunden war und nun ihre letzten Strahlen durch das Bullauge der Tür von Pauls Pub warf. Ich hing auf einem Barhocker und trank ein Bier, während ich mich vom Rauch der Zigaretten und dem Duft alten Leders umhüllen ließ. Der Pub war weder gut gefüllt noch menschenleer. Vielmehr eine eine harmonische Mischung aus Hafenarbeitern, die sich an ihrem Feierabendbier gütlich taten und ein paar Männern, an denen bereits der Kuss des Schlafes haften geblieben war. Ich nahm einen letzten Zug von meiner Zigarette und drückte sie halbherzig in einem Aschenbecher aus, sodass sie noch weiter vor sich hin qualmte. Als die Tür des Pubs aufgestoßen wurde, erstarb auch das letzte Leben meiner Kippe und das Aroma von Algen und Diesel mengte sich der stickigen Luft bei. Ein Mann betrat das Lokal. Er warf seine abgewetzte Lederjacke an einen Haken der Holzwand, an dem sie wie ein großer Fetzen Kadaverreste baumelte. Dann wuchtete er sich auf den Hocker neben mir. "Wie immer, Chef?", fragte die Kellnerin ihn freundlich. "Ja, aber bitte einen Doppelten", brummte er in seinen grauen Vollbart. "Ach, und noch ein Bier für meinen Freund hier neben mir." Er deutete mit seinen ölverschmierten Daumen auf mich. Ich hob eine Augenbraue und schaute ihn ein paar Sekunden lang an, um sicherzugehen, dass ich den Mann wirklich nicht kannte. Er bemerkte meine Skepsis und entblößte eine Reihe gelber Zähne als er mich erwartungsvoll anlächelte. "Du magst hoffentlich noch ein Bier, mein Junge?" Ich wusste nicht, was ich von der großzügigen Geste halten sollte, doch ich nickte zaghaft während ich meine Flasche leerte. Die Kellnerin kehrte mit einem Glas Whiskey und einem Bier, das sie unwirsch vor mir servierte, zurück. „Ach,… und Paul?",hob sie an und ignorierte das begonnene Gespräch zwischen mir und ihm. „Tut mir leid wegen Ocean." Sie bedachte den alten Mann mit einem bedauernden Blick und strich ihm kurz über die Hand. Er quittierte dies mit einem müden Lächeln und kratzte sich am Hals. „Ihre Zeit war gekommen, aber danke, Lilly." „Ich bin für dich da, falls du was brauchst." Sie schnappte sich meine alte Flasche und kümmerte sich um ihre anderen Gäste. Als ich der davongehenden Kellnerin hinterherschaute, wanderte mein Blick zu einem Bild über der Theke. Es zeigte einen Fischkutter, der vor Anker lag. Ein Dutzend Männer und ein paar Frauen standen an der Reling und winkten dem Schöpfer der Fotografie zu. Ich erkannte einen der Männer als Paul, der triumphierend eine Faust in die Luft hob. Auf der Außenseite des Schiffes prangte in grazilen Buchstaben der Name „Ocean". „Das war Ihr Schiff, oder?", fragte ich ihn und zündete mir eine Zigarette an. Er folgte meinem Blick und nickte schwach. „Dann gehört Ihnen auch der Pub, nehme ich an." „Richtig. Ist schon paar Jährchen her, dass ich diese Spelunke eröffnet habe", schmunzelte er. Er zupfte eine Zigarre und eine Schachtel Streichhölzer aus seiner Brusttasche. Eine Schwade Rauch stieg langsam zur Decke auf als er die Zigarre anzündete. Es roch nach Vanille. „Das war relativ zeitgleich, als ich den Pub eröffnete und mit Ocean zur See fuhr. War ´ne schöne Zeit." Paul blickte gedankenverloren auf das Bild. Ein großes Stück Asche viel von seiner Zigarre auf den Tresen, allerdings beachtete er es nicht weiter. „Ocean war immer dabei. Egal, wo es hinging." Paul wandte den Blick ab und leerte sein Glas mit einem Zug. „Und Ihr Kahn fährt nicht mehr?" Paul schaute mich verwirrt an, als hätte ich ein Geheimnis offenbart. Dann jedoch strich er sich behutsam über den Bart und hob seine Hand um Lilly zu signalisieren, dass er noch einen Whiskey wünschte. „Ja, richtig, hat Lilly wohl schon jedem erzählt", murmelte er klanglos. "Hat vor kurzem den Geist aufgegeben. Was für 'ne Ironie… " Ich verstand nicht recht, aber ging nicht weiter auf seine Aussage ein. Wir saßen noch etwa eine Stunde im Pub und unterhielten uns über Nichtigkeiten wie Wetter oder Politik, als Paul seinen Zigarrenstummel auf die Kante meines Aschenbechers legte und von seinem Hocker aufstand. "So, es wird Zeit für mich. Morgen geht's früh raus. Und ich hab' noch nicht mal den Anzug gebügelt." Mein mittlerweile drittes Bier und etliche Zigaretten hatten einen angenehmen Nebel in meinem Kopf verbreitet und ich begriff nicht auf Anhieb, was Paul meinte. "Anzug?", fragte ich und schaute ihn mit glasigen Augen an. "Ja, mein Junge. Anzug.",erwiderte er trocken, wobei ein Schleier von Trauer seine Augen zu ermatteten schien. "Wofür den Anzug?", säuselte ich verlegen, mit der Angst, ich hätte ihm nicht richtig zugehört. Er schüttelte lächelnd den Kopf und warf ein paar Scheine auf den Tisch. "Bestell' dir, was du noch magst, und danke für das Gespräch, Jungchen", sagte er und klopfte mir herzlich auf die Schulter. Er schaute nochmals auf das Bild über dem Tresen. Doch dieses Mal schien es so, als fixierte er nicht das Bild als Ganzes sondern etwas Bestimmtes darauf. Eine Träne lief über seine Wange, doch Paul wischte sie hektisch weg und drehte sich um. Er schnappte seine Jacke und ging zu Tür. "...für die Beerdigung. Ich brauch' ihn für die Beerdigung, mein Junge." Paul schenkte mir ein letztes Lächeln und verschwand hinter der massiven Tür seines Pubs. Eine Brise der hereingebrochenen Nacht erfüllte kurzzeitig den Raum mit dem Duft frischen Regens und modrigen Holzes. Der letzte Rest Asche von Pauls Zigarre war bereits heruntergefallen und qualmte nun selig in meinem Aschenbecher vor sich hin. Ich schenkte alledem keine Beachtung. Mein Blick ruhte geistesabwesend auf einer Person. Sie lächelte mich von weit oben über dem Tresen an. Einer ihrer Arme ragte jubelnd in die Höhe, während der andere zärtlich die Hand griff, die Paul ihr um den Bauch gelegt hatte. "Ocean", flüsterte ich und schloss die Augen.

 
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Ich habe keine Erklärung für die Sternchen im Text. Ich hoffe, sie stören nicht allzu sehr :) -hat sich erledigt, wurde bearbeitet.

 
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Ich nahm einen letzten Zug von meiner Zigarette und drückte sie halbherzig in einem Aschenbecher aus, sodass sie noch weiter vor sich hin qualmte. Als die Tür des Pubs aufgestoßen wurde, erstarb auch das letzte Leben meiner Kippe und das Aroma

*Hust* *Röchel*, hallo Karl Daunen, ganz schön blaudunstig, deine kleine Hafenspelunkenstory. Ich denke, sie wird auch abhängig davon ihrer Wirkung tun, ob der Leser raucht oder, welch natürliche spezifische Beschäftigung, nicht-raucht.
Davon ab fand ich es gar nicht Mal von übel, Dein düster-melancholisches, trauriges Kneipenkammerstück. Du baust da schon eine adäquate Stimmung auf, solche Sachen:

Er deutete mit seinen ölverschmierten Daumen auf mich. Ich hob eine Augenbraue und schaute ihn ein paar Sekunden lang an, um sicherzugehen, dass ich den Mann wirklich nicht kannte. Er bemerkte meine Skepsis und entblößte eine Reihe gelber Zähne als er mich erwartungsvoll anlächelte.

Sehr klassisch, aber auch sehr gelungen. Klar, im Grunde geschieht nicht wirklich viel, eine Pubepisode eben, und der Typ, der nun alles, außer einer Beerdigung, irgendwie hinter sich hat; der Prot, off-szenisch, das ist ja probat.
Ich habs also recht gern gelesen, was nicht bedeutet, dass dir eine, wenngl. freundliche, Wortkriegserklärung nicht vorenthalten werden kann:

Es waren noch keine fünf Minuten vergangen, seitdem die Sonne in den Wogen des Meeres verschwunden war und nun ihre letzten Strahlen durch das Bullauge der Tür von Pauls Pub warf.

Nana, seit wann strahlen bereits versunkene Muttergestirne durch Bullaugen? Das nun wird vom Logikdezernat verhaftet. Mir gefällt der Einstiegssatz nur medium, die minütliche Zeitangabe scheint mir störend, da kann man sich hübscheres Ausmalen. ' Seitdem' dito, auch hier nicht der Literatür letzte Klinke.

und ein paar Männern, an denen bereits der Kuss des Schlafes haften geblieben war.

Haftenbleibende Schlafküsse. Ich grinse da verzerrt und neige zum Applaus...

in einem Aschenbecher aus, sodass sie noch weiter vor sich hin qualmte.

Husch, husch, die Leertaste

Als die Tür des Pubs aufgestoßen wurde, erstarb auch das letzte Leben meiner Kippe und das Aroma von Algen und Diesel mengte sich der stickigen Luft bei. Ein Mann betrat das Lokal. Er warf seine abgewetzte Lederjacke an einen Haken der Holzwand, an dem sie wie ein großer Fetzen Kadaverreste baumelte.

Ich habe kurz überlegt; ja kann man so schreiben.

halten sollte, doch ich nickte zaghaft während ich meine Flasche leerte

Und beim Nicken fiel mir ein Komma übers zaghaft.

Als ich der davongehenden Kellnerin hinterherschaute,

Das Fette kann weg, oder?

etliche Zigaretten hatten einen angenehmen Nebel in meinem Kopf verbreitet

Also eigentlich müssten doch schon alle im Pub erstickt sein?

"Wofür den Anzug?", säuselte ich verlegen, mit der Angst, ich hätte ihm nicht richtig zugehört.

Säuseln passt hier nicht recht. Des Satzes Fortgang ist sehr holprig, da ginge ich noch mal bei.

Eine Brise der hereingebrochenen Nacht erfüllte kurzzeitig den Raum mit dem Duft frischen Regens und modrigen Holzes.

Immerhin:Sauerstoff! Über das fette Bild dächte ich auch noch mal nach ...
Ebenso über den vorletzten Satz:

Einer ihrer Arme ragte jubelnd in die Höhe, während der andere zärtlich die Hand griff, die Paul ihr um den Bauch gelegt hatte.

Ich hab ihn ehrlich gesagt nicht ganz kapiert. Kapiert habe ich, dass Arme nicht greifen können. Das können außer Füßen und Zangen nur Hände. Wie ist der Satz gemeint?
Gruß
7

 

Hallo 7,

Danke für deine Hilfestellung und deine Kritik.
Die Fehlerchen, die sich da mal ganz frech eingenistet haben, werde ich ausmerzen bzw. überarbeiten.
Zum letzten Satz:
Der Kerl aus dem Pub (Ich) schaut am Schluss noch mal auf das Bild über dem Tresen und erkennt, in Verbindung mit dem Gedanken an die Beerdigung, die Frau auf dem Bild. Sie steht vor Paul und hält zärtlich die Hand, die Paul ihr um den Bauch gelegt hat. Sie ist "Ocean".
Also, noch mal danke fürs Lesen.
Ich rauch erstmal eine ;)

 

Hi ho

das ist eine ganz lesbare Geschichte, wie ich finde, rein stilistisch schmerzt es nicht allzusehr.
Inhaltlich bin ich mir nicht sicher, ob die kleine Pointe am Ende hier den ganzen Text tragen kann. Die Idee an sich ist okay (wenngleich sie einem nicht grade neu vorkommt), nur würde ich empfehlen, ihr einen richtigen Hauptteil anzufügen (wie auch immer der geartet sein mag).

Konkret: Der erzählzeitlich mit Abstand längste Teil deiner Geschichte findet in einem Halbsatz statt.

Wir saßen noch etwa eine Stunde im Pub und unterhielten uns über Nichtigkeiten wie Wetter oder Politik
Da ist normalerweise der Hauptteil, aber du überspringst ihn einfach und kommst zur Pointe. Nun ist natürlich ein "Gespräch über Nichtigkeiten" tatsächlich langweilig und nicht als Hauptteil geeignet, also ist das schon okay, das wir als Leser das nicht ausführlich aufgetischt kriegen. Noch besser wäre es aber, du strichest diesen Halbsatz (weil dieser Paul eigentlich wie ein ziemlich cooler Typ wirkt, der auch niemals einfach über Nichtigkeiten reden würde) und ließest uns, nachdem du uns Paul als wettergegerbten Käpt'n, dem grade seine große Liebe gestorben ist, so schön ausgemalt hast, noch mehr Zeit mit ihm verbringen.
So kommt es mir letztlich vor: Dein Text ist eine gut ausgestaltete Charakterisierung einer Person. Sie hat sogar eine Pointe, das macht sie interessant. Schlechte Autoren schreiben Charakterisierungen immer als drei Sätze voller Adjektive, etwa so: "Paul war ein alter, knorriger aber noch frisch intelligenter und sehr charismatischer Seeman, dem endlich seine Frau gestorben war. Morgen sollte die Beerdigung sein. Er hatte sie sehr geliebt, ebenso wie seinen Kutter, den er nach ihr benannt hatte." Du hast es wie gesagt geschafft, eine unterhaltsame Variante davon zu schreiben. Fehlt noch eine richtige Geschichte :)

ps:

Der Pub war weder gut gefüllt noch menschenleer.
Sowas schreib ich auch immer, wenn ich geistig eigentlich kein Bild von der Szenerie habe. "Es war soundso und darin eigentlich ziemlich durchschnittlich". ;)

 

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