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Ocean of tears

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26.09.2003
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Ocean of tears

Beständig peitschte der Regen in sein, durch mattes Straßenlaternenlicht beleuchtetes,
leichenblasses Gesicht. Seine Beine fühlten sich an, als wären sie aus Stein und er begann zu frieren, während der kalte Wind ihn immer erbarmungsloser malträtierte. Jegliches Zeitgefühl war ihm abhanden gekommen, er wusste nicht wie lange er schon auf dieser Straße lief, vorbei an vereinzelten Schaufenstern, in denen er sein eigenes Spiegelbild nicht wiedererkannte und an Graffiti Dekorationen entlang unter einem vernebelten, düsteren Himmel.
Er war geschlagen und zerstört und konnte nicht sagen, was er fühlte. Er war der Schatten seiner selbst und diese zum Wahnsinn treibenden Gedanken krochen beharrlich und gnadenlos unter seine Haut und füllten ihn aus. Das Kreuz des Verlustes drohte ihn unter sich zu begraben. Verschwommen und weit weg hörte er mahnend die Stimme eines Freundes. Hätte er doch nur auf ihn gehört, aber dafür war es jetzt zu spät. Ein gewaltiger Blitz durchfuhr sein blutendes Herz, als er vor seinem geistigen Auge plötzlich ihre sinnlichen Lippen sah, die sich den seinen langsam und einladend näherten. Damals, und es kam ihm vor, als wäre es gestern gewesen, war er zutiefst bereit gewesen sich selber zu verlieren, für nur einen so verhängnisvollen und warmen Kuss.
Geräusche rissen ihn aus seinen Erinnerungen , als er ein verfallenes Fabrikgebäude passierte, vor dem sich ein fetter, fremdländisch wirkender, Obdachloser mit seinem hässlichen, heruntergekommenen Köter an einer brennenden Tonne erwärmte und dabei, wie ein Schwein grunzend, von einem Stück Fleisch abbiss. Angewidert weitereilend fiel sein Blick ein kurzes Stück weiter auf einige Ratten, die aus versifften Mülltonnen herauskrochen und verschimmelte Essensreste in ihren Pfoten hielten. Der Wind heulte seine Jeremiaden immer lauter. Die Atmosphäre war unbehaglich und kalt, so beklemmend wie an dem Tage als er das letzte Mal mit seinen Händen durch ihre schwarzen Locken fuhr und es bereits ahnte, dass ihr warmer, betörender Duft ihm nie wieder einen hinreißenden Schauer über den Rücken jagen würde. Er erinnerte sich an den gestrigen Abend, als er seine Verzweiflung, seinen Zorn, Schmerz und Hass an einem Baum in brutaler Weise entlud, den er sich als den Erzengel Raffael vorzustellen versuchte. Solange bis er vor Erschöpfung am Boden kroch. Doch wenn du fällst, fängt dich niemand auf und so lag er dann nachts in seinem Bett und hörte das Blut in seinen Venen, schwarz und flüsternd wie der Regen auf der Straße. Aber es gab kein Heilmittel gegen den Schmerz, keinen Schutz vor dem Regen und so sehr er auch die Göttin der Gerechtigkeit um Erlösung von den Ketten des Krieges und des Schmerzes dieser Liebe bat, sie lachte ihm nur ins Gesicht und tadelte ihn dafür, das 9.te Gebot missachtet zu haben und den Teufeln der flammenden Begierde verfallen zu sein.
Und während es am Himmel anfing zu blitzen und laut zu donnern, betrat er die hohe Brücke am Rande der Stadt. Auf dieser bot sich seinen müden Augen, als er den Blick senkte, das Bild eines gewaltigen Ozeans der Tränen, bedrohlich und doch eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausstrahlend. Der Sensenmann erschien vor seinem geistigen Auge, streckte seine Hand aus und suggerierte ihm schmeichelnd eine Assoziation an Romeo und Julia und versprach mit beruhigender Stimme ihn zum Märtyrer der Liebe zu krönen, sollte er erst mal tief in sein himmlisches Leiden eingetaucht sein und seine zerbrechliche Seele fallengelassen haben. Entschieden heute Nacht für die Liebe zu sterben kletterte er über die Absperrung und schloss die Augen, als ein gewaltiger Donnerknall erschallte und die Welt für einen Augenblick den Atem anzuhalten schien....
Von dröhnendem Lärm aufgeweckt, schnellte er unter einem Aufschrei blitzartig empor. Er saß aufrecht im Bett und blickte schweißgebadet und mitgenommen auf den Wecker, der unerbittlich seine monotonen, lauten Alarmsignale von sich gab, bis er schließlich zum Schweigen gebracht wurde. Es war 07:07 Uhr, eine zarte Hand legte sich besorgt und beruhigend auf seinen Rücken und blonde lange Haare fuhren federartig über seine Haut als er in einen gefühlvollen Kuss versank und sich erleichtert an die Frau neben ihn kuschelte, um noch ein wenig weiter zu schlafen.

 

Das Ende versöhnt ein wenig mit dem mächtig Bilder- und klischeeüberladenen Vorlauf...
Weniger ist oft mehr.
Lord

 

@ Lord Arion

Weniger ist oft mehr, da hast du Recht. Allerdings habe ich die Story bewußt sehr bilderreich gestaltet, u.a. um die "Wahnsinnsstimmung" der Hauptperson und das was in ihm vorging zu betonen...

 

Ich sehe das anders als Lord Arion...
Finde gerade den "Vorlauf" besonders gut, das Ende allerdings enttäuschend. Wäre das vorher alles wahr gewesen, hätte mich die Stimmung und Stil der Kurzgeschichte im positiven Sinne erschlagen, und ich wäre zutiefst beeindruckt gewesen.
So erscheint der gute Anfang nur ein Präludium zu etwas zu sein, vor dem der Autor mit einer allzu bekannten Methode flüchtet. ;)

 

Hi Questionmark,

Danke für deinen Kommentar. Aber war alles „nur“ ein Traum? Oder ist der Traum nur eine Erinnerungsform an etwas, was die Hauptperson wirklich erlebt hat? So ist die Frau am Ende der Story blond, im „Vorlauf“ dunkelhaarig. So kann man doch das Ende als auflösendes Happy End werten. Er ist eben damals nicht gesprungen, sondern lebt inzwischen glücklich in einer neuen Beziehung. Denn wäre alles „nur“ ein Traum, dann würde es keinen Sinn machen hier 2 verschiedene Frauen anzudeuten. Denn dann fürchtet man sich am meisten davor das zu verlieren, was man augenblicklich am meisten liebt. ;)

 

Hm, dass er letztlich neben seiner blonden Freundin aufwacht, finde ich irgend etwas zwischen nett und humorvoll, und eigentlich kann ich den "Vorlauf" als Traum auch besser ertragen, weil Träume gerne mal so überfüllt an Bildern und verwirrenden Gefühlen sind wie dieser. Was mich stört, ist auch letztlich weniger die Bilderflut als die klischeehafte Wortwahl, die Lord Arion schon erwähnte.
Beispiele:
"sein, durch mattes Straßenlaternenlicht beleuchtetes,
leichenblasses Gesicht"
"das Bild eines gewaltigen Ozeans der Tränen"
"als ein gewaltiger Donnerknall erschallte und die Welt für einen Augenblick den Atem anzuhalten schien"

Außerdem finde ich einige Bilder sehr schräg, wie zum Beispiel das von der Göttin der Gerechtigkeit, die die Missachtung des 9. Gebotes tadelt. Ich bin nicht so religionsfest, aber davon ausgehend, dass das 9. Bibel-Gebot angesprochen ist, frage ich mich, wo im Christentum diese Göttin herkommt.

Auf mich wirkt es, als hättest Du viele Bilder in Dir, die Du noch nicht sortiert bekommst. Ich persönlich finde es gut, wenn man diese Bilder hat, denn sie sind oft die Quelle einer authentischen Motivation, aber wie Lord Arion denke ich auch, dass weniger oft mehr ist, Sprache kann so stark sein.

Grüße von Echoloch

 

Hi Echoloch,

dass ich hier eindeutig einige Klischees aufgreife ist unbestritten und, dass es dich stört ist völlig ok. Mich stört es innerhalb dieser Geschichte nicht. Beim Bild mit der Göttin der Gerechtigkeit muss ich Dir Recht geben. Die gibt es nicht im Christentum. Wohl aber in diversen Mythologien (Justitia, Astraea). Und ich beschreibe hier eine verzweifelte Person in Selbstmordstimmung. Denken solche Leute da immer logisch? Ich denke nicht.
„Auf mich wirkt es, als hättest Du viele Bilder in Dir, die Du noch nicht sortiert bekommst.“
Also Deine Meinung in Ehren. Diese Story ist sicher so einigen zu Bild- und Klischeeüberladen, aber die Bilder in mir bekomm´ich schon recht gut sortiert. Soll heißen: Ich habe diese Story absichtlich so geschrieben und weiß genau wann ich und warum ich welches Bild involviert habe. Ich stimme auch der Aussage „Oft ist weniger mehr“ prinzipiell vollkommen zu. Aber nicht für mich innerhalb dieser Story. Es wäre auch kein Problem gewesen mehrere Bilder oder Klischees wegzulassen und dafür ein Bild stark auszuarbeiten, aber ich beschreibe hier wie gesagt die Hauptfigur in größter Verzweiflung und verziere ihre Gedanken mit , teilweise sehr phantastischen und religiös angehauchten, Bildern wie sie eine Person in einer solchen Lage aus meiner subjektiven Sicht haben könnte...Der Wahnsinn kennt schließlich keine Grenzen. Der fragt auch nicht danach, ob die Göttin der Gerechtigkeit aus dem Christentum stammt oder sonst woher....

LG

 

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