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Ocean of tears
Beständig peitschte der Regen in sein, durch mattes Straßenlaternenlicht beleuchtetes,
leichenblasses Gesicht. Seine Beine fühlten sich an, als wären sie aus Stein und er begann zu frieren, während der kalte Wind ihn immer erbarmungsloser malträtierte. Jegliches Zeitgefühl war ihm abhanden gekommen, er wusste nicht wie lange er schon auf dieser Straße lief, vorbei an vereinzelten Schaufenstern, in denen er sein eigenes Spiegelbild nicht wiedererkannte und an Graffiti Dekorationen entlang unter einem vernebelten, düsteren Himmel.
Er war geschlagen und zerstört und konnte nicht sagen, was er fühlte. Er war der Schatten seiner selbst und diese zum Wahnsinn treibenden Gedanken krochen beharrlich und gnadenlos unter seine Haut und füllten ihn aus. Das Kreuz des Verlustes drohte ihn unter sich zu begraben. Verschwommen und weit weg hörte er mahnend die Stimme eines Freundes. Hätte er doch nur auf ihn gehört, aber dafür war es jetzt zu spät. Ein gewaltiger Blitz durchfuhr sein blutendes Herz, als er vor seinem geistigen Auge plötzlich ihre sinnlichen Lippen sah, die sich den seinen langsam und einladend näherten. Damals, und es kam ihm vor, als wäre es gestern gewesen, war er zutiefst bereit gewesen sich selber zu verlieren, für nur einen so verhängnisvollen und warmen Kuss.
Geräusche rissen ihn aus seinen Erinnerungen , als er ein verfallenes Fabrikgebäude passierte, vor dem sich ein fetter, fremdländisch wirkender, Obdachloser mit seinem hässlichen, heruntergekommenen Köter an einer brennenden Tonne erwärmte und dabei, wie ein Schwein grunzend, von einem Stück Fleisch abbiss. Angewidert weitereilend fiel sein Blick ein kurzes Stück weiter auf einige Ratten, die aus versifften Mülltonnen herauskrochen und verschimmelte Essensreste in ihren Pfoten hielten. Der Wind heulte seine Jeremiaden immer lauter. Die Atmosphäre war unbehaglich und kalt, so beklemmend wie an dem Tage als er das letzte Mal mit seinen Händen durch ihre schwarzen Locken fuhr und es bereits ahnte, dass ihr warmer, betörender Duft ihm nie wieder einen hinreißenden Schauer über den Rücken jagen würde. Er erinnerte sich an den gestrigen Abend, als er seine Verzweiflung, seinen Zorn, Schmerz und Hass an einem Baum in brutaler Weise entlud, den er sich als den Erzengel Raffael vorzustellen versuchte. Solange bis er vor Erschöpfung am Boden kroch. Doch wenn du fällst, fängt dich niemand auf und so lag er dann nachts in seinem Bett und hörte das Blut in seinen Venen, schwarz und flüsternd wie der Regen auf der Straße. Aber es gab kein Heilmittel gegen den Schmerz, keinen Schutz vor dem Regen und so sehr er auch die Göttin der Gerechtigkeit um Erlösung von den Ketten des Krieges und des Schmerzes dieser Liebe bat, sie lachte ihm nur ins Gesicht und tadelte ihn dafür, das 9.te Gebot missachtet zu haben und den Teufeln der flammenden Begierde verfallen zu sein.
Und während es am Himmel anfing zu blitzen und laut zu donnern, betrat er die hohe Brücke am Rande der Stadt. Auf dieser bot sich seinen müden Augen, als er den Blick senkte, das Bild eines gewaltigen Ozeans der Tränen, bedrohlich und doch eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausstrahlend. Der Sensenmann erschien vor seinem geistigen Auge, streckte seine Hand aus und suggerierte ihm schmeichelnd eine Assoziation an Romeo und Julia und versprach mit beruhigender Stimme ihn zum Märtyrer der Liebe zu krönen, sollte er erst mal tief in sein himmlisches Leiden eingetaucht sein und seine zerbrechliche Seele fallengelassen haben. Entschieden heute Nacht für die Liebe zu sterben kletterte er über die Absperrung und schloss die Augen, als ein gewaltiger Donnerknall erschallte und die Welt für einen Augenblick den Atem anzuhalten schien....
Von dröhnendem Lärm aufgeweckt, schnellte er unter einem Aufschrei blitzartig empor. Er saß aufrecht im Bett und blickte schweißgebadet und mitgenommen auf den Wecker, der unerbittlich seine monotonen, lauten Alarmsignale von sich gab, bis er schließlich zum Schweigen gebracht wurde. Es war 07:07 Uhr, eine zarte Hand legte sich besorgt und beruhigend auf seinen Rücken und blonde lange Haare fuhren federartig über seine Haut als er in einen gefühlvollen Kuss versank und sich erleichtert an die Frau neben ihn kuschelte, um noch ein wenig weiter zu schlafen.