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O unseliges Sterben

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14.06.2003
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O unseliges Sterben

Mein Tod war qualvoll, lang und blutig. Zudem war das letzte, was ich zu sehen und vor allem zu schmecken bekam, eine Frau jenseits der Sechziger, in Kombination mit intensivsten Ausdünstungen eines Döners. Sie war, für ihr Alter und ihre enorme Körpermasse, erstaunlich behende auf ihren säulenartigen, kurzen Beinen.
Ich lag kaum ausgestreckt, blutend wie ein Schwein, auf der Straße, da war sie auch schon bei mir – hatte ich sie doch gerade noch mehr unbewusst als bewusst auf der anderen Straßenseite mit ihrem hässlichen, haarigen Köter vor irgendeinem Ramschladen stehen sehen. Ansonsten war die Straße wie leergefegt, also perfekt für meinen Mord.
Wie ich da so sterbend und auf dem Boden liegend vor mich hin zuckte, riss sie auf einmal meinen Kopf nach hinten und presste ihren Mund auf meinen.

- Lass mich sterben, o bitte...

Doch die betagte Dame ließ nicht die Absicht erkennen, mich sterben zu lassen. Im Gegenteil. Wie von Sinnen pumpte sie mir Luft in die Lungen und schien meine Brust in rhythmischen Stößen zerquetschen zu wollen.

- Döner, Döner! Mit Knoblauch! Bestimmt hängen ihr noch Reste im Gebiss..

Tatsächlich hatte die alte Dame zuvor einen Döner gegessen, und trotz ihrer auch so schon unnatürlich hohen und geruchsintensiven Schweißbildung drang ihr der Knoblauchgestank aus allen Poren und schien die Luft um sie herum flimmern zu lassen.
Durch ihre (sinnlose) Beatmung verlängerte, und nicht zu vergessen, verstärkte, sie mein sehr leidvolles und schmerzhaftes Verrecken ungemein.
Man muss ihr schon zugute halten, dass sie sich redlich abmühte, mich zu retten. Doch angesichts des verhängnisvollen Zustandes meines als solches schon aus der Entfernung erkennbaren Innenlebens hätte sie sich und mir die Umstände auch sparen können.
Während ihrer Syssiphus-Arbeit fing ihr Hund, ein haariges Wesen, das fast ebenso sehr stank wie seine Besitzerin, auch noch an, an meinen Gedärmen zu nagen. Aus offensichtlichen Gründen gelang es mir jedoch nicht, das Viech zu verscheuchen, weshalb es sich weiter an der aus meinem Magen hervorquellenden Pizza gütlich tat.
Irgendwann tat das Schicksal mir dann doch den Gefallen, mich sterben zu lassen. Langsam merkte ich, wie meine Wahrnehmungen sich veränderten. Es ist nicht leicht, den Vorgang zu beschreiben. Es war, als würden meine Sinne irgendwie betäubt, doch trotzdem konnte ich alles um mich herum klar und deutlich wahrnehmen.
Mental bereitete ich mich darauf vor, einfach zu verschwinden, denn ich war zeit meines Lebens überzeugter Atheist. Doch nichts da. Ich wurde gewahr, wie mein seelisches Ich sich langsam in die Lüfte erhob und irgendwo über der Frau und dem Gestank nach Döner, Pizza und Blut hängen blieb.
Irgendwas war da verdammt noch mal verkehrt. Wie konnte ich tot sein und gleichzeitig doch noch existieren? Panik begann, mich zu greifen. Sie schloss sich wie eine riesige Faust um mich die drohte, mich zu zermalmen. Mir schien jedes Quäntchen Luft aus der Lunge gepresst zu werden und panisch blickte ich mich um. Langsam fing ich an, in der Luft zu schaukeln. Ich fragte mich, wie das möglich war- schließlich war ich soeben gestorben. Ja, Sterben ist kein leichter Job.
Doch mit einem Mal war die Panik wie weggeblasen, der Druck verschwand und machte tiefster Entspannung Platz. Ich räkelte mich ein wenig und streckte all meine toten Glieder, die schimmernd, fast schon durchsichtig um meinen Körper herum schwebten als seien sie aus dehnbarem Gummi. In einem Geschäft hätte ich damit locker ein paar Dinge unbemerkt in meine Taschen schmuggeln können, während alle dabei zusehen.
Da bemerkte ich das helle Licht, das auf mich zukam. Anfangs war es nur ein winziger Leuchtpunkt, der aber rasch zu einem großen, leuchtenden... Scheinwerfer wuchs und in einer Kurve verschwand.

- Mist, man auch noch mein Auto geklaut! Wer war das? Und wer hat mich ermordet?!

Langsam fand ich mich damit ab, tot zu sein und doch noch zu existieren und vielleicht bald vor dem letzten Gericht zu stehen, doch jemand musste mich doch abholen und durch einen Lichttunnel in den Himmel geleiten, oder von mir aus konnte auch die Erde unter meinen Füßen aufreißen und mich verschlingen, damit ich auf ewig in der Hölle schmore, aber ich konnte hier doch nicht stundenlang einfach so rumschweben?!
Doch dann kam mir ein Gedanke: Wenn ich schon in dieser Situation war, musste ich sie auch ausnutzen. Irgendeinen Sinn musste das doch haben.
Ich beschloss, einmal all die Dinge zu tun, die ich schon immer einmal hatte tun wollen, aber nie die Gelegenheit oder die Courage dazu hatte.
Erst einmal zog ich meine Hose aus und mein Hemd. Es war wirklich ein gutes Gefühl, mit blankem Arsch über der Straße zu fliegen. Dann versuchte ich vorsichtig einige Flugmanöver. Ich drehte mich links herum, rechts herum, schwebte ein wenig in die Höhe, dann wieder nach unten bis fast auf den Boden. Bezüglich des Fliegens schien es keine Probleme zu geben, und ich wagte schnell, die Geschwindigkeit zu steigern. Bald schon zischte ich in halsbrecherischen Manövern über die Köpfe der Polizisten und Sanitäter hinweg, die in einer Absperrung meine weltlichen Reste von der Straße pulen mussten. Schließlich flog ich höher und höher, bis ich die Wolken durchbrach und sich mir über ihnen eine beeindruckende Sicht eröffnete.
Es war genauso, wie ich mir das immer vorgestellt hatte, nur noch viel schöner. Eine Wolke fiel mir sogleich ins Auge. Sie war, aufgetürmt wie ein riesiger Scheißhaufen, gigantisch. Schnell flog ich zu ihr hin und stoppte kurz vor ihr in einem waghalsigen Manöver. Vorsichtig streckte ich meine Hand aus und befürchtete schon, sie würde einfach darin verschwinden wie in Nebel, doch sie stieß auf weichen Widerstand und ich wollte sie gar nicht mehr wegnehmen, so gut fühlte sich das an. Es dauerte nicht lange bis ich mich mit meinem ganzen Körper daran rieb und begann, sie abzuschlecken. Sie schmeckte fantastisch, nach all meinen Lieblingsgeschmackrichtungen gleichzeitig. Dann konnte ich mich endlich von ihr losreißen und flog ein Stück zurück, um die Wolke ganz betrachten zu können. Mein Plan war es, sie auszuhöhlen und als Wohnhaus zu benutzen, gleichzeitig als Stützpunkt zum Planen meiner Missionen. Es gab ja noch so viel, was ich machen wollte! Ich wollte die tiefsten Tiefen des Meeres erkunden, den Mittelpunkt der Erde, wie eine asiatische oder arabische Schreibmaschine aussieht, das Innenleben eines Vulkans und das von Laura, der Frau meines Freundes...
Ich entschied, eine kleine, unauffällige Zugangsöffnung über einem schaumigen Überhang zu fressen, sodass ich eine Art Balkon vor meiner Haustür hatte. Es war fantastisch, wie anschmiegsam die Wolke war. Das Material schien genau zu wissen, wie ich es formen wollte. Langsam aber sicher höhlte ich einen Teil der Wolke aus, bis ein großer Raum samt Möbeln entstand. Ich fraß mich förmlich durch das Innere der Wolke, aber ich formte auch mit den Händen, modellierte die fantastischsten Formen in die Möbel und als Bett schleckte ich ein überdimensionales Kissen aus der Wolke, das dann wie eine kleine Wolke in der großen Wolke schwebte. Der Raum war riesig, ich hatte jedoch erst einen winzigen Teil der Wolke ausgehöhlt. Ich hatte vor, die ganze Wolke auszuhöhlen und mir so einen riesigen Palast in sie hineinzufressen. Ein Wolkenpalast war schon immer mein größter Traum gewesen, das würde sicher süße Schnecken beeindrucken und ich konnte auf jeden pissen, der mir irgendwie blöd daherkam.
Erstmal wollte ich aber ein wenig ausruhen, die Wolke hatte mir ein wenig auf den Magen geschlagen und die Arbeit mich ermüdet.
So legte ich mich in mein Bett und schlief einen ganzen Tag am Stück. Als ich wieder erwachte, fühlte ich mich so frisch wie nie zuvor, wenn auch irgendwie gleichzeitig ein wenig träge. Doch die Arbeit ging weiter und nach einem weiteren erschöpfenden Tag des Aushöhlens fiel ich sogleich wieder in mein Wolkenbett. Mir war aufgefallen, dass sich mein Gesicht weniger faltig anfühlte und mein Bauch sich noch etwas ausgeweitet hatte. Es kam mir glatt so vor, als sei ich ein wenig jünger geworden.
Das Arbeiten setzte sich lange fort, ich kann gar nicht mehr sagen, wie lange genau. Auch hatte ich immer wieder aufs Neue das Gefühl, ein wenig jünger zu sein als am Vortag.
Irgendwann machte ich mir ernsthaft Gedanken über die Kalorien der Wolke - sie musste wohl ziemlich viele davon haben, denn mein Leib verbreiterte sich unaufhörlich und ich wurde immer träger. Mir fiel auch auf, dass die Wolke immer zäher wurde und sich mit meinen Händen schon gar nicht mehr bearbeiten ließ. Ich musste die Arbeit schleckend und kauend fortsetzen.
Dann war ich irgendwann zu fett, um wieder aufstehen zu können. Ich hätte mich auch nicht mehr aus dem Eingang herausquetschen können, so fett war ich geworden.
Ich blieb also in meinem Bett liegen, das schon lange nicht mehr schwebte, wenn ich darin lag. Es klebte am Boden wie zäher Kaugummi.
Nach einigen Tagen fühlte ich mich wieder ein wenig fitter, und weil ich nichts mehr gegessen hatte, hatte ich auch wieder abgenommen. Ich sah nun eine Chance, aus der Wolke wieder herauszukommen. Mühsam quälte ich mich auf den Eingang zu und musste mit Entsetzen feststellen, dass ich nie und nimmer da durchpassen würde.
Fluchend ließ ich mich auf den Boden platschen und versuchte, den Eingang wieder größer zu nagen, doch sobald ich die Wolke zwischen den Zähnen hatte, überkam mich eine schreckliche Übelkeit. Zudem war es jetzt unmöglich, auch nur ein winziges Stück aus der Wolke zu beißen – sie war hart wie Granit geworden.
Irgendwie schleppte ich mich wieder in mein Bett und blieb dort liegen. Mit jeder Minute wurde ich merklich jünger, das ließ sich nicht mehr bestreiten.

Jetzt liege ich also in dieser Wolke und bin unfähig, jemals wieder aus ihr zu entkommen. Zudem bin ich jetzt, das habe ich einfach im Gefühl, noch knapp 17 Jahre alt – als ich starb, war ich über 35. War der Prozess des Verjüngens anfangs noch kaum merklich, ist er jetzt so schnell dass ich ihn schon mitverfolgen kann. Ich schätze, heute Abend bin ich ein Säugling und höre dann auf zu existieren. Dann bin ich wirklich tot, und ich weiß nicht mal wer mein Mörder ist.

 

Hi icon,

irgendwie habe ich meine Probleme mit Deiner Geschichte, was daran liegt, dass sie mir aus zwei Teilen zu bestehen scheint.

Zum einen die letzten Minuten Deines Prot., wunderbar und sehr anschaulich erzählt, und dazu noch seine allererste Zeit jenseits seines stofflichen Körpers. Seine Flugübungen, das liest sich noch amüsant und brachte mich zum Grinsen.

Als er aber anfängt, seine Wolke auszuhöhlen, zu fomen und sich an ihr zum Platzen zu überfressen, ändert sich Dein Stil, und mir behagte er gar nicht mehr.

Schade eigentlich, denn während der ersten Hälfte hatte ich noch auf eine dazu passende Pointe gehofft, die dann leider nicht kam.

Ich glaube, es würde sich lohnen, wenn Du sie nochmal überarbeitest, zumindest die zweite Hälfte.

LG,
Aragorn

 

Hi Aragorn!

Das ist mir gar nicht aufgefallen, aber jetzt wo du es sagst, sehe ich, dass du Recht hast was die zwei Teile betrifft. Vielleicht sollte ich sie doch noch mal überarbeiten.

Dass in der Geschichte keine Pointe zu finden ist, ist Absicht- sie ist Nonsens und darauf kam es mir beim Schreiben an.

Gruß icon

 

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