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Nur wer die Sehnsucht kennt

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13.09.2007
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Nur wer die Sehnsucht kennt

Sie begegneten einander und es traf sie wie der Blitz, mitten ins Herz.
Doch verzeiht, das Glück herbeisehnend, eilte ich voraus.
Begeben wir uns an den Anfang unserer Romanze von der trauernden Dagmar und dem einsamen Leonhard.
Es war an einem verregneten Novemberabend um die achte Stunde. Dagmar machte sich auf den Weg zur 'Alten Heide'. Ohne Geleit, denn das Schicksal hatte gar grausam zugeschlagen, ihr ihren Gemahl entrissen. Ach, weilte doch Heino noch bei ihr. Dagmar tupft sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Das zerknüllte Taschentuch behält sie fest in ihrer Rechten, gleich einer Waffe gegen jedwedes Übel.
Lassen wir sie ein Weilchen allein und schauen ein paar Meilen weiter. Leonhard ist auf dem Weg zur 'Alten Heide'. Kühn schreitet er aus, groß ist er von Gestalt, mit Locken so dunkel wie Bitterschokolade. Ein schöner Mann in den besten Jahren, doch zeichnet Gram seine edlen Züge. Auch ihm widerfuhr das Schicksal der Trennung, von seinem einst so geliebten Weibe Heidrun.
„Der Mensch ist nicht dafür gemacht, allein zu sein“, murmelt Leonhard, öffnet mit entschlossenem Ruck das Tor zu dem alten Gemäuer, steigt die Wendeltreppe empor, sucht sich einen Platz im linken Eck mit Blick zu den beiden Fenstern der rechten Wand des Saales. Gedankenschwer mustert er die anderen traurigen Gestalten.
Diesen gilt nicht unser Interesse. Wir warten auf Dagmar.
Endlich steht sie vor selbiger Tür, hinter welcher Amor mit spitzen Pfeilen lauert. Nichts davon ahnend schluchzt sie: „Ich sperre mein Herz in einen Käfig aus gefrorenen Tränen, dann kann es nichts und niemand mehr verletzen.“
Dagmar ist hier, um die Liebe für immer aus ihrem Leben zu verbannen.
Aber das Leben ist ein Spiel und wir...
Gesenkten Blickes sucht sie sich einen Platz zwischen den beiden Fenstern an der rechten Wand des Saales. Leonhard kann seinen Blick nicht von ihrer anmutig schlanken Gestalt, ihrem langen blonden Haar und den vom Weinen geröteten Antlitz abwenden. Sie bemerkt ihn nicht.
Eine Glocke erklingt. Der Referent erhebt sich. Das Trennungsseminar beginnt mit dem üblichen Geschwätz, dem folgt die Vorstellungsrunde. Ein roter Stein der Kraft wandert von Hand zu Hand.
Sicherlich interessiert es Sie, verehrter Leser, so wenig wie mich, wie diese 33 Personen heißen, welche Kleidung sie tragen, wo sie sitzen, weswegen sie hier sind. Sei es, weil sie sich auseinander lebten, einer den anderen betrog oder auch nur wegen der ewig falsch ausgedrückten Zahnpastatube.
Doch, wirklich? Nun gut:
Am rechten Nebentisch sitzen zwei Senioren. Beide tragen rote Strickpullover, blaue Leinenhosen und graue Kurzhaarfrisuren. Die Frau heißt Walburga Koch, ist Hausfrau und Mutter. Ihr Ehemann Fritz Koch war Koch in einer Großküche für Speisenzubereitung. Nun kocht Fritz nicht mehr, nur noch Walburga. Der linke Nebentisch ist frei. Am Tisch gegenüber -
dies zu ersinnen, sehr geehrter Leser, überlasse ich Ihrer Fantasie.
Wenden wir uns jetzt lieber unseren beiden Hauptfiguren zu.
Dagmar hebt ihren Kopf und sie sieht nur ihn. Leonhards samtbraune Augen halten ihrem stahlblauen Blick stand, mehr noch, er steht auf. Sie tut es ihm gleich. Wie von Zauberhänden bewegte Marionetten scheinen sie aufeinander zu zu schweben. Das Universum hält den Atem an. Endlich stehen sie einander gegenüber. Wie wird sie ihn prüfen? Dagmar wirft ihm den Satz zu: „Durch diese hohle Gasse muss er kommen.“
Er pariert behände: „Es führt kein andrer Weg nach Küssnacht.“
Sie sinken einander in die Arme, vergessen alles um sich herum und...

Verdammte Türklingel, schrillt mitten hinein in mein Happy End.
Ich lege den Stift weg, stemme mich vom Stuhl hoch, schlurfe zur Tür, bediene die Sprechanlage, den Türöffner. Gehe ins Bad, tusche die Wimpern, lege etwas Puder auf. Er wird eine Weile brauchen, der Aufzug ist seit heute Morgen defekt und ich wohne im sechsten Stock. Kämme mein Haar, noch ein wenig Parfüm und Lipgloss.
'Ding Dong'
Ich öffne. Leo lässt sich aufs rechte Knie sinken:
„Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide! Allein und abgetrennt
von aller Freude. Es schwindelt mir, es brennt mein Eingeweide. Geliebte Dagmar, weißt Du, was ich leide!
Dagmar, verzeih mir, es war nur ihr unwichtiger Körper. Ich wollte nicht, aber sie, Heidrun, so gerissen. Ich liebe Dich ganz allein!“
Er holt seine Linke hinterm Rücken hervor, klemmt sich die dornenlose Rose zwischen die Zähne, nuschelt mit schmachtendem Blick:
„Schau mir in die Augen, Kleines.“
Ich hole tief Luft.
„Sehr schön, Moment, bleib so!“ gehe ich in meine Wohnung,
werfe seine Klamotten in den Wäschekorb, Zahnbürste oben drauf, Turnschuhe und die Blumen von gestern.
„Weißt Du, es liegt nicht an Dir“, tröste ich ihn. „Es liegt an mir. Ich habe etwas Besseres verdient.“
„Aber Daggy, weißt Du nicht mehr: Marmor Stein und Eisen bricht,“
ich drücke den Korb vor seine Brust
„und der Lift geht nicht“, jammert Leonhard.
„Du brauchst Hilfe?“ lächele ich und leere den Wäschekorb in die Treppenflucht.
„Nun brauchst Du nur noch der Spur nachzugehen“, schließe ich die Tür von innen, lehne mich dagegen und höre Leo fluchen:
„Nur die Harten kommen in den Garten.“
Er klingelt, ruft: „Dagmar, bitte!“
„Verschwinde!“, schreie ich.
„Verschwinde, verschwinde“, ruft Heino, mein Wellensittich.
Leo poltert die Treppe runter.
Ich gehe zum Schreibtisch, verarbeite auch diese Version der Geschichte zu Konfetti. Seit gestern Abend mache ich nichts anderes als schreiben und zerreißen. Trennungsseminar, doofes Thema, gibt es so was überhaupt? Warum will, nein, muss ich diese Story schreiben? In meinem Hirn existiert nur noch ein überdimensionales Fragezeichen. Anscheinend hat sich die restliche graue Substanz in Form der unzähligen Papierschnipsel auf dem Boden zerstreut. Ich hole den Besen, dabei fällt mein Blick in den Garderobenspiegel. Lasse den Besen, wo er war, zurück zum Schreibtisch.
Ich beginne die Geschichte von neuem unter dem Titel:
'Augenringe statt Eheringe'.

 

Hallo Damaris,

"Scheiden tut weh", auch im Mai. Die Erzählerin schraubt sich haushoch über den Trennungsschmerz und fällt doch wieder zu Boden und schreibt sich Augenringe ins Gesicht. Sehnsucht scheint ihre Feder zu führen, die Sehnsucht, die nur auf dem Papier/Bildschirm erfüllet wird. Die Sprache des Lore-Romans, die Du gewählt hast, ergänzt durch Deutschlyrik, die zitatverwüstet ist, und mit eigenen Kalauern versetzt, legt sich wie ein riesiger Wattebausch über die Sehnsucht, es möge doch dies geschehen:

Sie trafen sich und es traf sie der Blitz, mitten ins trauernde Herz.

Die Realität ist nicht so, auch wenn dornenlose Rosen daherkommen.
Statt Eheringe Augenringe. Satt Partner Buchstaben. Statt Liebe Sehnsucht.
So finde ich den Kern der Geschichte passend und leider auch "wahr". Das hast Du gut getroffen.
Wie viele Leser durch die mehrfach ironisch gebrochene Ausdrucksweise hindurchsteigen, mag ein Problem sein.
Hier nur ein Beispiel:

Ich öffne. Leo lässt sich aufs rechte Knie sinken:
„Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide! Allein und abgetrennt von aller Freude. Es schwindelt mir, es brennt mein Eingeweide. Geliebte Dagmar, weißt Du, was ich leide!
Dagmar, verzeih mir, es war nur ihr unwichtiger Körper. Ich wollte nicht, aber sie, Heidrun, hat mich, so gerissen. Ich liebe Dich ganz allein!“
Er holt seine Linke hinterm Rücken hervor, klemmt sich die dornenlose Rose zwischen die Zähne, nuschelt mit schmachtendem Blick: „Schau mir in die Augen, Kleines.“
Ich hole tief Luft: „Sehr schön, Moment, bleib so!“ gehe ich in meine Wohnung,
werfe seine Klamotten in den Wäschekorb, Zahnbürste oben drauf, Turnschuhe und die Blumen von gestern.
„Weißt Du, es liegt nicht an Dir“, tröste ich ihn. „Es liegt an mir. Ich habe etwas Besseres verdient.“
„Aber Daggy, weißt Du nicht mehr: Marmor Stein und Eisen bricht,“
ich drücke den Korb vor seine Brust
„und der Lift geht nicht“, jammert Leonhard.
Die Übertreibung und Vermischung ist so stark, dass ich meine, dass es mehr Klamauk als Humor ist. Hier schwingst du – lustvoll – die Wörterkeule und schlägst auf die Kitschwelt der Sehnsüchtigen ein. Ein Wirbel von Phrasen und Wortspielen über die beiden armen Würstchen lässt mich den Kontakt zu der Wirklichkeitsebene verlieren und damit die Spannung zwischen Sprache und Handlung. Es bleibt dann nur noch das Kalauern, das aber auch oft Zeichen einer verletzten Seele ist.
Insofern war es interessant für mich, Deine Geschichte zu lesen.
Herzliche Grüße
Wilhelm

 

Hallo Wilhelm,
vielen Dank für Deine Kritik.
Die Geschichte habe ich schon in X-Versionen verschrieben, dies ist der neuste Versuch in noch nicht erprobten Schreibstil.
Du hast in allem Recht und ich bin mir unsicher, ob ich die Geschichte genau so will oder weiter verändere.
Ich danke Dir,
lG Damaris :)

 

Hallo Damaris

Zuerst ein oder zwei Hinweise:

"Ohne Geleit, den das Schicksal hatte gar grausam zugeschlagen"

denn wahrscheinlich mit Doppel-N in diesem Fall, sonst ergibt es für mich keinen Sinn.

"Doch, wirklich? Nun gut:"

Passender fände ich so etwas wie: "Doch? Wirklich? Naja, auf eigene Gefahr:"

Und, ähm.... vom Phenotyp des Textes her sehr ansprechend, vielleicht ein paar Reime hier und da zuviel, ansonsten recht schön und leicht zu lesen.

Inhaltlich gesehen hat sie mich nicht so angesprochen, ich heiße ja auch nicht Leonhard. Ist wahrscheinlich einfach nicht meine Art von Humor.
Das einzig Witzige für mich war die Vorstellung dieses heulenden, schnulzereiernden Gelockten, wie er (die Gedanken sind frei) seine Micky Maus-Unterwäsche einsammelt.
Wenn ich mutmaßen dürfte, würde ich deine Geschichte als Abrechnung in der Abrechnung sehen.

 

Hallo Weil7,
vielen Dank für die Kritik und fürs gründliche Lesen.
Es freut mich, dass Dich als Mann(?) der Umgang mit Leo unterhält. Explizit witzige Zusammenfassung des Zwischen-den-Zeilen-stehenden von Dir.
Nun, eigentlich ist die Geschichte mehr eine Tragödie als eine Komödie, beides liegt eng beeinander.
Vielen Dank auch für den Verbesserungsvorschlag, bin noch am Überlegen, Feilen, Schmalzen und Peitschen ;)
LG Damaris

 

Hallo Damaris!

Dagmar machte sich auf den Weg zur Alten Heide
Was ist die „Alte Heide“? An der Stelle eine berechtigte Frage.

Ohne Geleit, den das Schicksal
denn

Auch ihm widerfuhr das Schicksal der Trennung von seinem einst so geliebten Weibe Heidrun.
Zum besseren Verständnis kann man ein Komma nach „Trennung“ setzen, wegen dem „auch“ am Anfang. Die Gemeinsamkeit (vermittelt durch das „auch“) bezieht sich nur auf die Trennung, nicht auf das geliebte Weib Heidrun. Denn das ergäbe ja eine ganz andere, und durchaus auch interessante Geschichte. :D


Begrüßungspallaver.
Begrüßungspalaver.

Doch, wirklich? Nun gut:
Das find ich gelungen. Da weiß ich nicht, ob ich lachen oder genervt aufstöhnen soll. :lol:

Jetzt kommt auch Schwung in die Geschichte. Der Erzähler hat sich warmgeschrieben.
Ihr Ehemann Fritz Koch war Koch in einer Großküche für Essenszubereitung. Nun kocht Fritz nicht mehr, nur noch Walburga.
Find ich schon recht lustig!
Aber dann, der Zweite Teil gefällt mir total! Besonders nach:
Ich hole tief Luft: „Sehr schön, Moment, bleib so!“
Was dann folgt ist frech und witzig. Ich mag das! :)

„Weißt Du, es liegt nicht an Dir“, tröste ich ihn. „Es liegt an mir. Ich habe etwas Besseres verdient.“
So was kann sich nur eine Frau ausdenken! :sealed:

Auch eine schöne Idee, wie die Erzählerin Namen aus ihrem Leben, bis hin zum Wellensittich, in ihre Geschichte einarbeitet.

Hat mir gefallen!

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Asterix,
danke für die hilfreiche und aufbauende Kritik!
Freu mich wie Bolle :)
LG Damaris

 

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