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Nur Sie

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17.06.2015
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Nur Sie

Ich liebe sie und das seit elf Jahren. Ich erinnere mich noch genau an den Augenblick, als ich sie das erste Mal sah. Es war in den Sommerferien und das Wetter war unerträglich heiß gewesen. Der Sonnenbrand auf meinen Schultern schmerzte und meine Mutter war unterwegs, um Creme zur Linderung zu kaufen. Ich war, nach einem langen Schultag, in der Küche gewesen und goss mir eine Cola mit vielen Eiswürfeln ein, als mir einfiel, dass mein älterer Bruder wohl über seinen Hausaufgaben hing und so wie ich fertig von den Temperaturen sein musste. Ich schnappte mir also zwei Gläser der süßen Flüssigkeit und schleppte mich die Treppe nach oben. Ich klopfte an sein Zimmer und bekam ein „Herein“ als Antwort.
Der Anblick war wie erwartet: mein großer Bruder hatte kleine Schweißtropfen auf seiner Stirn und zupfte immer wieder an seinem Kragen. Vor ihm lagen einige aufgeschlagene Lehrbücher und in der linken Hand hielt er seinen Kuli, mit dem er sich Notizen machte.
„Ich habe dir etwas zu trinken mitgebracht“, sagte ich und stellte das Glas in seine Reichweite.
„Danke, das ist lieb von dir“, antwortete er mit einer rauen Stimme und wuschelte mir durch die braune Haarpracht.
Halb interessiert ließ ich meinen Blick über den Stapel an Wissen gleiten. Es waren all diese Bücher über Kunst und Geschichte, die viel zu kompliziert für einen dreizehnjährigen Jungen wie mich waren und doch blieben meine Augen auf eines der aufgeschlagenen Bücher hängen. Mein ganzer Körper durchfuhr ein Schauer, den ich noch nie zuvor erlebt hatte. Die Zikaden schnackten im Hintergrund, doch alles, was meine Ohren vernahmen, war das Rauschen meines eigenen Blutes, welches rasend schnell durch meine Adern strömte. Ich hatte noch nie so eine Frau erblickt. Es war als hätte ich noch nie in meinen Leben zuvor Aufregung verspürt. Ich war immer noch wie erstarrt, als mich mein Bruder fragte, warum ich plötzlich so still war.
„Wer ist das?“, war alles was ich hervorbringen konnte.
„Das Bild hier meinst du?“, fragte er zur Bestätigung nach. „Das ist Lady Agnew von Lochnow. Ein schönes Bild, nicht wahr? John Singer Sargent hat es vor über hundert Jahren gemalt.“
„Darf ich das Buch haben?“, schrie ich regelrecht und sah meinen Bruder aufgeregt an.
Er blinzelte. „Du kannst es dir für einige Tage ausleihen, aber ich brauche es dann wieder.“
Ich bedankte mich und ergriff, das für mich viel zu schwere, Buch. Ich steckte es mir unter meinen linken Arm, während ich in der rechten mein Glas mit Cola hielt. Kleine Wassertropfen hatten sich auf der Oberfläche gesammelt und es wäre mir beinahe aus der Hand geglitten, doch ich schaffte es gerade noch so das Glas auf meinen eigenen Schreibtisch abzustellen. Ich sah mich um und schloss meine Tür. Ehrerbietend legte ich das Buch auf meinen Tisch und schlug die schicksalhafte Seite auf. Ab diesen Tag hatte sich mein Leben komplett verändert.

Heute studiere ich selber Kunstwissenschaften, so wie mein Bruder damals. Ich hatte im Laufe meines Studiums viel über die Geschichte der Kunst, der Künstler, verschiedenen Techniken und Gemälde gelernt, doch selbst nach all diesen Jahren, war Sargent's Agnew DAS Gemälde für mich. Nichts konnte ein ähnliches Gefühl in mir erwecken. Nichts und niemand.
Keine reale Frau konnte an sie auch nur annähernd herankommen. Ich war mit einigen ausgegangen, die Ähnlichkeit mit ihr hatten, doch es war nicht das Selbe. Sie waren einfach nicht wie sie.
Sobald ich die finanzielle Möglichkeit hatte mir Leinwände und Farben zu kaufen, versuchte ich das Bild zu kopieren. Ich versuchte ihr dadurch nahe zu sein, zu verstehen, was sie wohl fühlte, als sie Sargent mit diesen Augen ansah.
Ich hatte dieses Gemälde schon unzählige Male auf die Leinwand zu bringen. Zu Anfang war es miserabel gewesen, grottenschlecht sogar, doch nach elf Jahren sah es genau so aus wie das Original. Die Farben waren gleich, der Schatten, alles war eins zu eins. Perfekt.

Ich schloss meine Augen und stellte mir vor ich wäre Sargent. Es war das Jahr 1892, draußen war es frisch, wenn nicht sogar kalt, die Sonne stand jedoch hoch und strahlte durch die Fenster. Langsam öffnete ich wieder meine Augen und sah sie vor mir. Gertrude Vernon, Lady Agnew von Lochnaw.
„Sie haben mir ein schönes Kleid ausgesucht“, sagte sie mit einem zarten Lächeln auf den Lippen.
„Es ist egal, welches Kleid Sie tragen, jedes würde Ihnen stehen.“
Elegant setzte sie sich auf den mit Blumen bestickten Stuhl. Ihre blasse Haut, die sich gerade erst von einer Krankheit erholte, wirkte so rein und wunderschön wie etwas, das ich noch nie zuvor erblickt hatte.
„Schauen Sie mich bitte an und entspannen Sie sich. Sie werden wohl einige Stunden sitzen müssen. Da wäre es von Vorteil, wenn Sie eine bequeme Position haben.“
Dunkle Augen ruhten auf mir und beobachteten meine Handbewegungen, wie sie die Leinwand mit einem Stück Kohle einteilte. Ihre Lippen hatten einen kaum merklichen Ausdruck von Verzückung und ihre linke Augenbraue verzog sich ein Stück nach oben, was mich beinahe um den Verstand brachte. Es war etwas instinktives in ihrer Gestik. Sie rückte das Kleid zurecht und schlug daraufhin ihre zierlichen Beine übereinander, die man nur schemenhaft unter dem feinen Stoff erahnen konnte.
„Ich bin mir sicher, dass Ihrem Ehemann das Gemälde gefallen wird.“
„Das ist egal“, sagte sie mit einer leicht rauen Stimme. „Solang es mir gefällt, kann er nichts dagegen sagen.“
Protestierend legte sie ihren Arm über die Lehne, als ob sie nicht wolle, dass es ein weiteres steifes Bild von ihr gab. Der dünne Stoff, der ihre Arme umschmeichelte, schlug Falten. Mein Mund war trocken und ich schluckte hörbar auf. Man konnte beinahe durch den Chiffonstoff blicken. Ihre schwarzen Haare waren locker zusammengebunden und eine einzelne rebellische Strähne hatte sich aus der Frisur gelöst.
„Geht es Ihnen nicht gut, Mister Sargent? Soll ich einen Diener ein Glas Wasser kommen lassen?“
„Das brauchen Sie nicht. Bleiben Sie einfach so sitzen.“
Genau das war es, was ich wollte. Sie mir stundenlang in dieser Pose ansehen und einfangen. Die gediegenen Farben im Hintergrund wirkten beinahe banal im Vergleich zu dem pastellvioletten Kleid und der lilafarbenen Schärpe um ihrer Taille. Gekonnt und beinahe auswendig war die Farben des Hintergrunds und des Stuhls grob auf die Leinwand gebracht.
Doch mit jedem Pinselstrich ihres Kleides und ihres bezaubernden Gesichts, würde mir bewusst, dass es nur noch Tage waren bis dieses Gemälde beendet war. Schmerzlich zog sich meine Brust zusammen, als ich abermals tief in ihre dunklen Augen blickte.
Erst nach vielen Stunden nahm ich eine Pause und betrachtete die Arbeit, die ich vollendet hatte. Sie saß weiterhin auf ihrem Stuhl, der einzigartige Ort, wo sie Macht ausüben konnte. Macht auf mich und die Umgebung. Ein Diener brachte Tee und Gurkensandwiches. Aus dem Augenwinkel sah ich wie sich ihre Lider beim Trinken des Tees senkten und ihre roten Lippen benetzt wurden. Der einzige Gedanke den ich in diesem Moment hatte, wirkte beinahe lachhaft. Ich besaß so viel im Vergleich zu Anderen, doch ich besaß nicht genug.

Wie in Trance versuchte ich die Umgebung zu realisieren in der ich mich wieder befand. Ich war zurück in meinem Loft und vor mir war das nicht mal halb fertige Gemälde. Die nasse Farbe glänzte im Licht, welches durch mein mit Laub bedecktes Deckenfenster schien. Ein verträumtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich mich umsah. Ja, hier war sie, meine Geliebte. Es stand für mich fest, dass ich es war, der sie gemalt hatte. Damals so wie Heute. Ihre Augen verrieten es. Augen, die mich Tag und Nacht ansahen und in mein tiefstes Inneres blickten. Mit einer flatternden Bewegungen meiner Finger strich ich über die unzähligen Gemälde, die an meinen Wänden hingen oder auf dem Fußboden standen. Langsam ging ich zurück zur Staffelei und nahm wieder meinen Platz ein, um meine Arbeit fortzusetzen.

„Da sind Sie ja wieder“, sagte sie lieblich und stellte ihre leere Tasse Tee ab. „Ist es sehr kalt draußen?“
„Ja, aber darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen“, antwortete ich und wies ihr an sich wieder in die selbe Position zu setzen.
„Erzählen Sie mir etwas vom Ausland. Ich habe gehört, dass Sie in Paris waren?“
„Das war ich. Die Kunst und die Stadt sind atemberaubend. Ich kann mir vorstellen, dass es Ihnen dort auch gefallen würde. Vielleicht sollten Sie ihren Mann bitten eine Urlaubsreise dort hin zu unternehmen. Es würde Ihnen sicher Freude bereiten.“
„Das würde er nie zulassen. Paris ist zu frivol und lasterhaft“, sagte sie beinahe enttäuscht.
„Meinen Sie?“, hakte ich mit einem Schmunzeln auf den Lippen nach.
„Das sollten Sie doch am besten wissen.“
Fragend sah ich in ihr Gesicht. Es war eindeutig, dass sie durchschaut hatte, was ich alles mit ihr machen wollte, doch nicht tun konnte. Spätestens als sie Paris erwähnt hatte, war es abermals wie eine Erleuchtung durch meinen Adern geströmt. Die französische Hauptstadt, in der ich in meiner Vergangenheit für kurze Zeit gelebt hatte, war der Beweis. Zurück gebracht habe ich nur Gerüchte meiner Ausschweifungen und meine eigenen Erinnerungen.
Doch hier war nicht Paris. In meinen Träumen könnte ich mit ihr dort sein, nicht nur in Paris, sondern überall. Ja, in meinen Träumen konnte ich mit ihr machen, was ich wollte.

 

Hallo MachiavellismX

Nur Sie also. Ich muss zugeben, es ist nicht unbedingt mein Stil, dafür fand ich es aber ganz gut, obwohl ich mich ein wenig durchkämpfen musste.
Schöne Idee, schönes Bild.

Ich versuchte ihr dadurch nahe zu sein, zu verstehen, was sie wohl fühlte, als sie Sargent mit diesen Augen ansah.
So romantisch. Schöne Stelle. Hat mich unweigerlich an eine Szene aus dem Buch Demian von Hermann Hesse erinnert, keine Ahnung ob du das vielleicht kennst. Das kam mir jedenfalls in den Sinn, obwohl ich mich nicht mehr im Detail an die Szene erinnern kann.
Ich hatte im Laufe meines Studiums viel über die Geschichte der Kunst, der Künstler, verschiedenen Techniken und Gemälde gelernt, doch selbst nach all diesen Jahren, war Sargent's Agnew DAS Gemälde für mich.
Der Satz ist komisch. Er verwirrt mich.

Deine kleine Geschichte wirkt auf mich auch ein bisschen unheimlich. Klar denkt man erst: Ach, der arme kleine Romantiker, hat sich in ein Bild von einer Frau verliebt. Doch dieser naive Junge wird erwachsen und entwickelt dann fast schon eine Besessenheit, eine Schizophrenie, derer er sich dann am Ende hin auch bewusst wird.

Ja, in meinen Träumen konnte ich mit ihr machen, was ich wollte.
Ohje, arme Lady Agnew.
Ich finde auch im Laufe der Geschichte steigert sie sich vom Niveau her. Der Anfang hat mir überhaupt nicht gefallen, war mir zu kitschig. Die Mutter ist unterwegs um Creme für den Sonnenbrand geplagten Sohn zu kaufen, dieser entschließt sich, nett und wohl erzogen wie er ist, gleich zwei Gläser mitsamt Cola und Eiswürfel zu tränken, da der größere Bruder ja sicher auch großen Durst hat. Der alte Streber sitzt nämlich unter glühender Hitze in seinem Kabuff und macht Hausaufgaben - wohlgemerkt in den Sommerferien. Der alte Streber. Entschuldige, doch da musste ich schon kurz schmunzeln.

Naja, ein kurzer Eindruck meinerseits.

Lieben Gruß
Simba

 

Hallo Simba,

genau aus diesem Grund will ich anfangen meine Geschichten hier hochzuladen. Damit mir jemand sagt, was falsch ist bzw. falsch klingt.

Ich habe leider nicht "Demian" gelesen, nur davon gehört.

Ich muss ehrlich zugeben, dass diese Szenerie am Anfang eigentlich auch nicht mein Stil ist. Wie du bereits gesagt hast: es wirkt leicht kitschig. Das empfinde ich auch so. Fand aber, dass es ein guter Kontrast zum Ende ist.

Der Satz ist komisch. Er verwirrt mich.

Das ist mir gar nicht so aufgefallen. Habe ab und an Schwierigkeiten meine eigene fehlerhafte bzw. zu verzettelte Satzstellung oder Grammatik zu erkennen. Aber jetzt wo du es sagst. Es klingt wirklich recht merkwürdig.

Ohje, arme Lady Agnew.
Ich finde auch im Laufe der Geschichte steigert sie sich vom Niveau her. Der Anfang hat mir überhaupt nicht gefallen, war mir zu kitschig. Die Mutter ist unterwegs um Creme für den Sonnenbrand geplagten Sohn zu kaufen, dieser entschließt sich, nett und wohl erzogen wie er ist, gleich zwei Gläser mitsamt Cola und Eiswürfel zu tränken, da der größere Bruder ja sicher auch großen Durst hat. Der alte Streber sitzt nämlich unter glühender Hitze in seinem Kabuff und macht Hausaufgaben - wohlgemerkt in den Sommerferien. Der alte Streber. Entschuldige, doch da musste ich schon kurz schmunzeln.

Das war schon kitschig, oder? :Pfeif:
Aber für mich hat das gut gepasst. Ich finde es schwierig gleich "in die Vollen" zu gehen.


Danke, dass du die kleine Geschichte gelesen bzw. dich "durchgekämpft" hast. Man kann schließlich nur etwas lernen, wenn andere einen verbessern.

 

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