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Nur fliegen ist schöner
Des einen Freud
Die Party gestern war ok. Alles lief wie erwartet. Vorher ruhiges stehpartymäßiges Rumgestehe auf dem Balkon und belanglose Gespräche über belanglose Themen. Die Luft geschwängert von der Erwartung, dass die Wirkung des Alkohols zur Erhöhung des Spaßfaktors ihr übriges tun würde... zum Glück gab es eine nette, fast schon wildwachsende Wiese vor dem Haus, in der eine sandfarbene Perserkatze ihren abendlichen Mäusefang imitierte. Ich beschloss also meine Aufmerksamkeit dieser Sache zuzuwenden - war sehr befreiend - fühlte ich mich dort ähnlich eingeengt wie sonst in der Arbeit (weil unter "Kollegen" *blahfasel*). Auf dem Nachhauseweg der erste richtige Herbstregen. Ich blieb direkt kurz stehen. Und hab mich an dem kleinen Chaos erfreut... stehen bleiben wo andere rennen. Das ist manchmal das Beste.
Vor meiner Haustür steht mein Freund Mike und versucht vergeblich den Regentropfen auszuweichen. Ich liebe meine Freunde. Ich würde zwar nie mein Leben in ihre Hände geben, aber das Maß an Verständigung ist unermeßlich. Und das Beste: Es gibt nie Probleme. Männerfreundschaft. Einziges Manko: Man hat keinen Orgasmus. Allerdings muß man sich auch nicht für Orgasmen rechtfertigen, die man mit Anderen hat. „Hallo Erdbeerfruchtschlumpf“ sagte er zu mir. Mike hat früher viele wildwachsende Pilze und kleine Papierblättchen mit Asterixaufdruck gegessen. Irgendwie wollte er sich so von seinem Stiefvater emanzipieren. Vielleicht hatte er dafür aber auch keinen besonderen Grund. Mike war bisher der einzige Mensch, der anrief und mich fragte „Wo bin ich?“. Als ich ihn das letzte Mal sah, beschwerte er sich ausgiebig über gepflasterte Gehsteige. Grass würde duften und wäre viel weicher. Dann meinte er noch, er würde jetzt erstmal eine Woche zum Skifahren nach Österreich fahren. Wie ich über einen seiner Nachbarn herausfand, hatte er einer Politesse erzählt, er und das kleine Mädchen würden in seiner Wohnung von zwei Männern festgehalten. Damit hatte er einen mittelgroßen Polizeieinsatz ausgelöst. Unnötig zu erwähnen, das weder ein kleines Mädchen noch zwei Männern gefunden wurden. Mike war nie ein Freund von Therapien gewesen: „Was soll ich denn da? Meinen Namen tanzen? Oder mir mit meinem Therapeuten Bälle zuwerfen und meine Grundstimmung sagen? Außerdem werden doch sowieso alle von Helmut Kohl ferngesteuert.“ Ursprünglich wollten die Psychologen ihn nur eine Woche durchchecken, wurde eine längere Woche. Ich habe ihn nur einmal besucht, wegen den Psychopharmaka hatte er kaum noch Haare auf dem Kopf. Irgendwie wirkte er so verzweifelt, daß ich die Lust auf weiteren Kontakt verlor.
Er war älter geworden und an diesem verregneten Herbsttag war bei ihm keine Spur mehr von der Arroganz der Jugend auszumachen. Vielleicht hatten sie es doch geschafft, ihn zu brechen und dem Standard anzunähern. Dafür sprach auch die Trauer in seinen Augen. „Hast du Lust auf Milchbar?“ fragte er mich. Wir waren früher oft dort. In der Milchbar müssen sich die kleinen Grüppchen von Mädels wie eine Wagenburg im Kreis aufstellen. Außen herum eine Horde gieriger männlicher Indianer -was sag ich natürlich nur Indianerhäuptlinge. Bevorzugt tragen sie rosa oder blaukarierte Hemden; einige haben sich auch lässig dunkle Pullover um die Schultern gebunden. Neuerdings tauchen immer mehr Intelligenzallergiker mit gestrickten weißen Wollmützen auf, um wenigstens eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Popstar aufzuweisen. „Sicher, ich hab schon lang mal wieder Lust auf ein paar Luxusschnecken“ antwortete ich. Ich würde mich gern wieder einmal verlieben. Dann wird der Himmel weiter, das Gras grüner und das Leben beginnt von neuem. Aber leider fällt die Liebe vom Himmel. Für den Anfang würde es ein bißchen poppen auch schon tun...
In der Milchbar ist es so voll wie immer. Neben mir wippt Mike nervös zur Musik und qualmt eine Kippe nach der Anderen. Er ist wohl schon zu lange nicht mehr unter Leute gekommen. Auf einmal sehe ich sie. Ein Traum von einer Frau. Schon von ihrem Anblick werde ich fast ohnmächtig. Leider schaffe ich es nicht, vor meinem zweiten Bier eine Frau anzusprechen. Ich hab mal irgendwo gelesen, das zwei Bier am Tag die Potenz steigern. Ob dir das hilft, wenn du dafür riechst wie eine Brauerei? Aber ich hatte schon genug Alkohol in mich reingelittert, um mir darüber keine Gedanken mehr zu machen und richtig locker einen Aufriß zu starten. „Hallo mein Weg zum Frieden und zur Freiheit“ grinse ich sie an. „Wenn du mir deinen Namen verrätst, ernenne ich dich sofort zu meiner Lieblingsmilchbarbesucherin.“ Sie grinst zurück: „Ich bin Katja und du?“ Ihren Namen habe ich binnen Sekunden wieder vergessen. Momentan schwebe ich einen halben Meter über mir und morgen werde ich einen halben Meter neben mir stehen. An der Einheit von Körper und Geist muß ich noch arbeiten. „Ich heiße Etienne. Ich habe gleich dieses unsichtbare Band zwischen uns gespürt...“ Sie muß lachen. Ich beschließe gleich aufs ganze zu gehen. „Willst du mich heiraten?“ Sie fängt doch tatsächlich an zu überlegen. „Eigentlich hab ich nur gefragt weil ich aus dem Fernsehen weiß, das man sich danach küssen darf“ flunkere ich mit meinem unschuldigsten Blick. Nach zwei weiteren Drinks lege ich vertraulich meinen Arm um ihre Schulter und lade sie mit einer leichten Alkoholfahne in die Penthousewohnung meines Daddies ein. Schnell verabschiede ich mich von Mike: „Wir sehen uns später, Meister.“ Ejakulation tut gut. So um meinen dritten Orgasmus herum begann Mike zu fliegen. Wahrscheinlich wollte er nur zu sehr nach den Sternen greifen, als er ohne Hilfsmittel von einem Neubaudach segelte.