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Nur fliegen ist schöner
Heute ist es endlich so weit. Die beiden Adlerkinder Karl und Susi sollen ihren ersten Flugversuch starten.
Das Wetter ist optimal. Von Westen her weht eine leichte Brise und die Sonne taucht die Landschaft in ein strahlendes Licht.
Karl und Susi haben schon den ganzen Morgen ihre Flugmuskulatur durch heftiges Flügelschlagen trainiert. Karl ist besonders nervös, je näher der Termin des Abfluges kommt. Aufgeregt hüpft er im Nest herum und gerät dabei immer weiter an den Rand des Adlernestes.
„Karl, pass auf, du fällst noch aus dem Nest“, ruft ihm seine Schwester zu.
Doch es ist bereits zu spät. Schwankend steht Karl auf den äußeren Ästen des Adlerhorstes, schlägt wie wild mit den Flügeln. Aber der Sog in die Tiefe ist stärker, und so sieht Susi nur noch wie ihr Bruder ihrem Blickfeld entschwindet.
„Mama, Papa, Hilfe!“ Verzweifelt klingen Susis Schreie über das Tal. Doch die Eltern sind auf Futtersuche und hören ihr Rufen nicht.
‚Vielleicht konnte sich Karl noch in den Ästen des weiter unten stehenden Baumes retten’, kommt es Susi in den Sinn. Schnell hüpft sie an den Nestrand und blickt hinunter. Nichts zu sehen. Nicht eine einzige Feder von Karl, nur ein Wirrwarr von Gestrüpp türmt sich am Boden auf.
Schon glaubt sie, ihren Bruder nie wieder zusehen, da hört sie seine Stimme: “Was schreist du denn so laut, liebes Schwesterlein“, tönt es in ihrer Nähe. Verdutzt schaut sie noch einmal in die Tiefe.
„He, Susi, was suchst du da unten. Hier bin ich, hier oben.“
Rasch hebt Susi ihren Kopf und blickt über sich in den Himmel. Tatsächlich, da ist Karl, und oh Gott, er fliegt.
„Karl, du fliegst ja. Ganz richtig und echt“, Susis Stimme klingt ganz außer Atem, so aufgeregt ist sie.
„Ja, was meinst denn du, was ich hier oben mache, etwa Hochseilakrobatik?“, entgegnet Karl spitzbübisch und fliegt noch eine elegante Kehrschleife.
ALT:
Als er in die Nähe des Nestes kommt, wird ihm mulmig zu Mute. Fliegen kann er jetzt, aber kann er auch wieder auf dem Horst landen? Unsicher steuert er auf das Adlernest zu.
„Susi duck dich, ich komme“, kann er gerade noch seiner Schwester zurufen, als er tollpatschig auf sie fällt und ihr dabei fast die Luft abdrückt.
„Fliegen schön und gut“, keucht Susi. „Aber das Landen musst du allerdings noch üben!“
NEU:
Doch sehr wohl ist ihm nicht bei seinen Flugkünsten. Erst jetzt wird ihm klar, dass er nach dem Fliegen ja auch noch Landen muss.
‚Aber wie mache ich das?’, denkt das Adlerjunge.
Während es noch überlegt, fliegt ein Mäusebussard nahe an ihm vorbei.
„Hallo, Herr Bussard!“, ruft Karl ihm zu. „Kannst du mir vielleicht zeigen, wie ich wieder in mein Nest komme?“
Der Raubvogel schaut den jungen Adler grimmig an und schüttelt nur den Kopf. „So ein großer Vogel und kann nicht landen? Das gibt es ja nicht!“, knurrt er und fliegt schleunigst weiter, ohne zu helfen.
Karl muss noch eine Runde fliegen, ohne dass ihn jemand beachtet.
Auch eine Krähe lässt sich von ihm nicht überreden, ihm die Landung zu zeigen. Mit einem „Krah Krah“ setzt sie ihren Flug ungerührt fort.
Was soll Karl nun tun? Einfach versuchen, einen Landeanflug zu wagen?
Vom Nest aus beobachtet Susi die unsicheren Flügelschläge ihres Bruders. Noch ist er sich nicht sicher, was er machen soll, als ein kleines Rotkehlchen an ihm vorbei schwirrt.
„Hast du Probleme, großer Adler?“, fragt es zaghaft. „kann ich dir irgendwie helfen?“
„Ha, ha, ha, du kleiner Piepmatz willst mir großem Adler helfen?“, gibt Karl etwas schnippisch zurück.
„Ach, wenn das so ist und du keine Hilfe brauchst, dann fliege ich weiter“, sagt das Rotkehlchen ruhig und beschleunigt seinen Flug.
„Halt, halt!“, ruft Karl schnell. „Vielleicht kannst du mir zeigen, wie ich wieder auf dem Nest landen kann? Es ist mein erster Ausflug heute. Eigentlich bin ich mehr oder weniger aus dem Nest gefallen. Das Flügelschlagen ist mir gleich gelungen. Aber wie ich jetzt wieder dorthin kommen soll, das weiß ich beim besten Willen nicht.“
Das kleine Rotkehlchen schmunzelt heimlich, macht aber sofort wieder ein ernstes Gesicht.
„Ich kann es ja mal versuchen. Du musst aber streng meinen Anweisungen folgen“, ordnet das Vögelchen an.
Karl ist schon alles egal. Er will sogar einem noch so kleinem Piepmatz gehorchen, deshalb sagt er: „In Ordnung. Hauptsache ich komme endlich ins Nest. Ich werde langsam müde vom vielen Herumfliegen.“
„Also los. Ich bin ja schon öfters auf meinem Nest gelandet.“
„Ja, du bist auch klein. Ich aber bin doch ein großer Adler“, gibt Karl etwas an.
„Meinst du, du bist etwas Besonderes. Für mich ist ein Vogel ein Vogel, egal wie groß er ist. Aber wenn du nicht willst, dann kann ich auch weiterfliegen. Meine Kinder warten sowieso schon auf ihr Mittagessen.“
„Nein, nein“, gibt Karl klein bei. „Ich höre schon auf das, was du sagst.“
Daraufhin gibt das kleine Rotkehlchen dem großen Adler Karl Nachhilfeunterricht im Landen. Zunächst ist Karl noch etwas skeptisch. Aber bald vertraut er voll und ganz auf die Anweisungen seiner kleinen Lehrmeisterin.
Susi schaut den beiden erstaunt zu. Sie kann gar nicht glauben, dass sich ihr Bruder etwas von einem so kleinen Vogel sagen lässt. Aber sie wird eines Besseren belehrt.
Als Karl in die Nähe des Nestes kommt, wird ihm mulmig zu Mute. Gelingt es ihm, auf dem Horst zu landen? Unsicher steuert er auf das Adlernest zu.
„Nicht so schnell!“, ruft das Rotkehlchen entsetzt. „Denk daran, was ich dir gesagt habe. Du darfst die Flügel nicht anlegen. Sie müssen weit ausgebreitet sein.“
Doch Karl scheint die Rufe nicht zu hören. In einem irren Tempo rast er auf das Nest zu. Gerade noch rechtzeitig erkennt er, dass seine Geschwindigkeit zu hoch ist und dreht ab, schraubt sich noch einmal in die Höhe.
„Das ging ja noch einmal gut“, stellt der kleine Vogel fest, nachdem er etwas außer Atem mit Karl auf gleicher Höhe fliegt.
„Das schaffe ich nie“, entgegnet Karl resigniert.
„Doch. Bisher hat das schon jeder Vogel geschafft. Dann erreichst du auch dein Nest und zwar beim nächsten Versuch. Los geht es!“
Skeptisch schaut Karl dem Rotkehlchen nach, das langsam nach unten schwebt.
„Komm endlich!“
Da gibt sich das Adlerjunge einen Ruck, nimmt all seinen Mut zusammen und sinkt langsam in die Tiefe. Jetzt läuft alles wie geplant.
Aber halt, was geschieht nun? Ist Karl nicht etwas zu weit vom Adlerhorst entfernt? Karl streckt seine Krallen weit nach vorne und kann gerade noch die äußeren Äste des Nestes erwischen und sich festhalten. Dabei gerät er immer mehr aus dem Gleichgewicht.
„Susi, duck dich, ich komme“, kann er gerade noch seiner Schwester zurufen, als er mit einem „Schwupp“ auf sie fällt und ihr dabei fast die Luft abdrückt.
Noch etwas wackelig auf den Beinen, schaut Karl sich nach seiner Lehrerin um. Doch das kleine Rotkehlchen ist bereits mit einem „Tschilp Tschilp“ hinter der großen Tanne verschwunden.
„Schade“, murmelt Karl. „Jetzt konnte ich mich noch nicht einmal bei meiner Lebensretterin bedanken. Ohne sie würde ich immer noch da oben kreisen. Ich hätte nie gedacht, dass ein kleiner Vogel mir eine so große Hilfe sein kann."