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Nur für den Fall

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22.07.2012
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Nur für den Fall

Sie geistert seit Jahren in den hintersten Ecken meines Kopfes herum, schnell wie der Tod und vollkommen geräuschlos. Ganz selten überwindet sie die erdachten Gitterstäbe und wird vom Gedanken zur Idee, manifestiert sich für den Bruchteil einer Millisekunde und löst sich wieder auf.
Immer dann wenn die aussichtslosen Ziele der inneren To-Do-List überhand nehmen und die leeren, quadratischen Kästchen für die Kreuze wie Messerstiche ins Gedächtniss jagen, immer dann wittert sie ihre Chance und bricht über mich hinein wie ein Sturm auf hoher See. Die Moral rebelliert, das Mitgefühl nimmt überhand und schließlich zieht sich der Mut weit in das Labyrinth aus Gedankengängen zurück. Die Idee wird zur theoretischen Möglichkeit und die Kreativität übernimmt das Steuerrad des Gedankenschiffs. Die einzelnen Praktiken werden durchgespielt, solange bis der Humor sich traut und die theoretischen Begebenheiten ins absurde treibt. Geschwächt durch den Humor unterwirft sich die Kreativität der Logik, welche sogleich die Hälfte der Pläne entfernt und die andere umstrukturiert. Die Effektivität steigt, der einfachste Plan steht. Aus Theorie könnte Praxis werden doch der Mut hat sich verlaufen und das Mitgefühl lässt niemanden nach ihm suchen. Das Schiff schwankt, die Emotionen haben ein Unwetter ausgelöst. Wogende Wellen weichen wütenden Wasserwällen, wechselndem Wetter und wirbelndem Wind. Der Mast bricht, die Segel gehen in Feuer auf und verbrennen die letzten Überreste der Rationalität. Das Mitgefühl droht über Bord zu gehen und klammert sich mit der letzten Fingerspitze an alten Erinnerungen fest, während der Mut sich langsam seinen Weg aus dem Labyrinth zurück kämpft. Die riesigen Stiefel aus Blei werden mit jedem Schritt schwerer, ebenso wie der Mut mit jedem Schritt schwächer wird. Die Kreativität bindet einen Blumenstrauß aus Erinnerungen und legt ihn langsam auf das Grab des Humors, einige Sekunden später legt sie sich daneben, während das Mitgefühl von den Wellen in den sicheren Tod gerissen wird. Der Mut ist jetzt sehr nah, und die Emotionen drehen noch einmal auf. Erst in letzter Sekunde stellt sich dem Mut ein kleines, verkrüppeltes etwas in den Weg, viel schwächer als er selbst. Doch trotz der augenscheinlichen Ungerechtigkeit dieses Kampfes wird der Mut langsamer, bis er schließlich völlig zum Stillstand kommt, und anfängt rückwärts zu laufen. Zurück in die verwinkelten Gänge der Gedanken, in der die letzten positiven Erinnerungen zuflucht gesucht haben und das Mitgefühl wieder aufbauen. Die Emotionen eskalieren ein letztes mal, doch die Wassermassen sind zuviel für den immer enger werdenden Raum der Praxis. Wie zwei große Stöpsel öffnen sich die Ausgänge und das Wasser beginnt abzufließen. Licht dringt ein und nährt das kleine, verkrüppelte Etwas bis es zur vollen Größe heranwächst und sich deutlich als Lebenswille zu erkennen gibt. Währenddessen hat die Logik einen Plan eingerichtet und der Wille beginnt sogleich daran zu arbeiten. „Bis zum nächsten Mal“, flüstern die Emotionen und ziehen sich langsam in die Tiefen des Labyrinths zurück. Ich öffne die Augen. Eine Träne läuft langsam an meiner Wange herunter doch ich lasse sie laufen, bis sie die Spitze meiner Lippen erreicht und auf meiner Zunge ihren salzigen Geschmack entfaltet. Heute nicht, denke ich mir und nehme die Zyankalie Kapsel vom Tisch. In der obersten Schreibtischschublade ist sie sicher. Nur für den Fall, denke ich mir. Nur für den Fall.

 
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Servus BoneBeats,

dein Text hat genau die richtige Länge, finde ich. Wäre er nur wenige Zeilen länger gewesen, hätte ich mir wahrscheinlich die Haare gerauft und zähneknirschend den Laptop vom Tisch gefegt …
Irgendwie fühlte ich mich beim Lesen, als blickte ich auf einen Ameisenhaufen, wo unzählige der kleinen Krabbler herumwuseln, mit winzigen Schildchen auf ihren Rücken, auf denen ihre Namen stehen. Eine Ameise heißt Gedanke, eine andere Wille, und dann gibt’s noch Moral, Mitgefühl, Mut, Idee, Kreativität, Humor, Logik, Effektivität, Theorie, Praxis, Emotion, Erinnerung, usw. Lustige Namen haben die. Und sie wimmeln durcheinander, dass es einigermaßen schwierig ist, den Überblick zu behalten. Wie beim Betrachten eines wirklichen Ameisenhaufens scheint es mir, als wäre das ein zielloses und sehr unökonomisches, ja, Herumkrabbeln halt, das schiere Chaos. In Wahrheit steckt in diesem Chaos natürlich ein Plan, eine Geschichte gar, nur leider hat sich mir diese Geschichte nicht recht erschließen wollen, dazu ist das Ding einfach viel zu mühsam zu lesen. Beinahe wie eine Bedienungsanleitung („Wie kann ich einem Leser in möglichst kurzer Zeit das Hirn verknoten?“)
Nach gut der Hälfte erst gönnst du mir ein kurzes Atemholen, da wird es plötzlich alliterativ lyrisch, und mit dem nächsten Satz dann richtig poetisch:

Der Mast bricht, die Segel gehen in Feuer auf und verbrennen,
(der rote Hugo hängt tot im Seil, die Leiche stinkt nach Shit.
begann es wie von selbst in meinem Kopf zu singen …)
aber das macht den ohnehin schon strapaziösen Text obendrein noch irgendwie inhomogen.

Na ja, BoneBeats, du bist wirklich kreativ beim Schreiben, es macht dir auch ganz augenscheinlich Spaß, du hast Lust am Fabulieren und das ist ja schon einmal die allerbeste Voraussetzung. Nur solltest du halt auch ein bisschen an die Leser denken, lesen soll ja auch Spaß machen. Versuche, deine Schreibe zu entkomplizieren, versuche mir eine Geschichte zu erzählen.

Neugierig auf weitere Texte von dir hast mich auf jeden Fall gemacht.

offshore

Und als Bonustrack, weil du mich die uralte Spliff-LP wieder einmal rauskramen ließest, bekommst du noch eine Fehlerliste:

Immer dann[Komma] wenn die aussichtslosen Ziele

Gedächtniss
Gedächtnis

und bricht über mich hinein wie …
herein

und die theoretischen Begebenheiten ins absurde …
ins Absurde

Aus Theorie könnte Praxis werden[Komma] doch der Mut …

Die Eisernen Stiefel aus Blei
Sollte das kein Eigenname sein, wie z.B. „der Erzene Erwin“, muss es eisern heißen.

ein kleines, verkrüppeltes etwas
Etwas

… und anfängt Rückwärts zu laufen.
rückwärts

Zurück in die Verwinkelten Gänge der Gedanken, in der die letzten positiven Erinnerungen zuflucht gesucht haben und das Mitgefühl wieder aufbauen. Die Emotionen eskalieren ein letztes mal, ...
verwinkelten, Zuflucht, Mal

und nährt das kleine, verkrüppelte Etwas[Komma] bis es ...

in die tiefen des Labyrinths zurück
Tiefen

Zyankalie
Zyankali

 
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Was das "eiserne" angeht, so hatte ich das in der Original Version. Aber "Eiserne Bleistiefel" machen wenig Sinn, deswegen habe ich ein anderes Adjektiv gesucht, und mich für das einfachste entschieden :D Mit Spliff-LP meinst du hoffentlich wirklich ein Album von Splifftastic?? ansonsten: Ich weiß sehr gut warum ich diesen Text in "Seltsam" eingeordnet habe. Er ist wohl ein wenig verwirrend. Aber das Thema allgemein schwirrt mir in letzter Zeit so häufig im Kopf herum das ich einfach darüber schreiben musste :D Deine sämtlichen Korrektur Vorschläge werde ich natürlich verwenden, sobald ich wieder Nüchtern bin. Danke für deine Kritik, auch wenn es schwierig zu lesen war freue ich mich, das du auf weiter Geschichten von mir gespannt bist. In den nächsten Tagen wird etwas in der Rubrik "Humor" erscheinen. Eigentlich wollte ich sovieles mit dieser Geschichte ausdrücken. Wieviel hinter einer kleinen Träne stecken kann, wie verzweifelt die Situation eines Selbstmord gefähredeten ist. Schade das ich das wohl nicht so ganz rüberbringen konnte!

 

Bonebeats schrieb:
Mit Spliff-LP meinst du hoffentlich wirklich ein Album von Splifftastic?

Nein, lieber Bonebeats, ich entstamme einem anderen Zeitalter. Ich zitierte aus Deja vu von Spliff (1982), der Song hat einen wirklich coolen Text.
Findest du sicher auf youtube.

offshore

 

Nein, lieber Bonebeats, ich entstamme einem anderen Zeitalter. Ich zitierte aus Deja vu von Spliff (1982), der Song hat einen wirklich coolen Text.
Findest du sicher auf youtube.

offshore


Ich vergesse immer wieder das sich nicht viele Leute meiner Altersgruppe hier rumtreiben :D

 

Bonebeats schrieb:
Ich vergesse immer wieder das sich nicht viele Leute meiner Altersgruppe hier rumtreiben

Ach was, Bonebeats, ich vermute mal, dass du hier mehr Leute deiner Altersgruppe findest als z.B. ich aus meiner.
Was ich persönlich allerdings als sehr erfreulich empfinde, heißt das ja nichts anderes, als dass die Literaturbegeisterten nach wie vor nicht zu einer bedrohten Spezies gehören, weil es offenbar nicht an Nachwuchs mangelt.
Ich wünsch dir noch viel Spaß hier und viele eindrückliche Lese- und Schreiberlebnisse.

offshore

 

Hallo Bonebeats!


Es ist nicht leicht, in die „Geschichte“ reinzukommen. Interessante Stichwörter (Gedanke/Idee, rebellierende Moral usw.) im Text waren es, die mich beim ersten Lesen bei der Stange hielten.

Zum Text im Einzelnen:

Sie geistert seit Jahren in den hintersten Ecken meines Kopfes herum,
Da frage ich mich immer noch, was ist mit „sie“ gemeint. Sie, die Todespille? Fänd ich unlogisch. Sie, die Idee, kann es, im Zusammenhang mit den folgenden Aussagen, nicht sein. Eher schon „er“, der Gedanke (an die Pille).

Ganz selten überwindet sie die erdachten Gitterstäbe und wird vom Gedanken zur Idee,
Wieder dieses „sie“.
Ganz selten ist seltener als selten. Aber was bedeutet „selten“ konkret? Das ist schon schwierig genug, nachzuvollziehen. Auf „ganz“ kann man daher ganz verzichten. Ich vermute, „ganz“ ist hier sowieso nur ein Hilfsmittel des Erzählers, um den holprigen Satzbeginn etwas zu glätten.

Immer dann wenn die aussichtslosen Ziele der inneren To-Do-List überhand nehmen
„immer dann“ ist auch überflüssig. Und auch sinngemäß nicht gut an die vorherige Aussage angebunden. Betrachten wir mal den gesamten Block:
Ganz selten überwindet sie die erdachten Gitterstäbe und wird vom Gedanken zur Idee, manifestiert sich für den Bruchteil einer Millisekunde und löst sich wieder auf.
Immer dann wenn die aussichtslosen Ziele der inneren To-Do-List überhand nehmen und die leeren, quadratischen Kästchen für die Kreuze wie Messerstiche ins Gedächtniss jagen, immer dann wittert sie ihre Chance und bricht über mich hinein wie ein Sturm auf hoher See.

Da wäre, so meine ich, (statt immer dann) ein „jedoch/aber/dennoch“ geeigneter.

und die leeren, quadratischen Kästchen für die Kreuze wie Messerstiche ins Gedächtniss jagen,
Tja, ich ahne, was gemeint ist, finde den Vergleich aber nicht gelungen. Quadratische Kästchen, die wie Messer stechen, bringe ich nur auf gedanklichen Umwegen zusammen. Und das Gedächtnis(s) ist gemeinhin gefühllos.

Die Moral rebelliert, das Mitgefühl nimmt überhand
„Die Moral rebelliert“, find ich gut. Darunter kann ich mir etwas vorstellen. Es liegt etwas unmoralisches an. Bei „Mitgefühl“ bin ich im Zweifel. Da ist wohl eher Selbstmitleid gemeint.

Die Idee wird zur theoretischen Möglichkeit und die Kreativität übernimmt das Steuerrad des Gedankenschiffs.
Das würd ich umdrehen.
Die Kreativität übernimmt das Steuerrad des Gedankenschiffs, und die Idee wird zur theoretischen Möglichkeit.
Wäre sinngemäß richtiger.

solange bis der Humor sich traut und die theoretischen Begebenheiten ins absurde treibt.
Interessant. Begebenheiten sind nie theoretischer, sondern praktischer Natur. Innerhalb der Gedankenwelt hat demnach eine erdachte Möglichkeit den Stellenwert einer Tatsache.
Also, da muss man erst mal ankommen.

der Mut hat sich verlaufen und das Mitgefühl lässt niemanden nach ihm suchen.
Find ich gut, obwohl ich immer noch mit dem Begriff „Mitgefühl“ hadere. Wer fühlt hier mit wem mit? Anders als beispielsweise die Kreativität, hat Mitgefühl immer einen Sender und einen Empfänger. Es kann nicht eigenständig sein.
Erst beim zweiten Lesen kann ich mir vorstellen, dass vielleicht die Vernunft Mitgefühl für den geschrumpelten Lebenswillen hat, ja, sogar um ihn trauert.
Also, stellenweise tue ich mich etwas schwer mit dem Text.

Wogende Wellen weichen wütenden Wasserwällen, wechselndem Wetter und wirbelndem Wind.
Okay, wogende Wellen weichen wütenden Wasserwällen, das kann ich noch nachvollziehen. Den Rest nicht. Da es eine Aufzählung ist, müsste man auch Teile weglassen können, ohne das der Sinn verloren geht. Wogende Wellen weichen wechselndem Wetter und wirbelndem Wind?

Die Kreativität bindet einen Blumenstrauß aus Erinnerungen und legt ihn langsam auf das Grab des Humors,
Gefällt mir! Humor steht der Kreativität sehr nahe. :)

in den sicheren Tod gerissen wird
Der Tod ist ja für gewöhnlich eine sehr unsichere Angelegenheit. Überhaupt, ein äußerst schwammiger Begriff, Tod. :D

Wie zwei große Stöpsel öffnen sich die Ausgänge und das Wasser beginnt abzufließen.
Aber nur
Eine Träne läuft langsam an meiner Wange herunter

nehme die Zyankalie Kapsel
Ein klassisches Selbstmord-Utensil. Das ist okay.
Nebenbei: Aber das zu nehmen erfordert Mut oder ersatzweise Unwissenheit. Der (sichere!) Tod durch inneres Ersticken, begleitet von heftigsten Krämpfen, ist kein schönes letztes Erlebnis. :D


Die Geschichte um einen Selbstmordkandidaten ist nicht „seltsam“, nur das Setting ist außergewöhnlich.
So ganz verstehe ich nicht den Sinn hinter der anfänglichen Geheimniskrämerei. Legte der Erzähler gleich die Zyankalie Kapsel auf den Tisch, wäre die Geschichte verständlich(er) und sogar spannender.
Was ich in diesem Massengemetzel nicht gefunden habe, ist ein Protagonist. Der Lebenswille wäre ein Kandidat, kommt aber im Text zu spät und zu kurz.

Lieben Gruß

Asterix

 

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