Mitglied
- Beitritt
- 07.08.2017
- Beiträge
- 1
Nur eine Kurzgeschichte
Wolken. Mehr konnte er nicht sehen. Nichts als reine, weiße, plüschige Wolken, die, obwohl so einfach und trivial, in den Köpfen der Menschen zu gewaltigen Fantasiegebilden wurden.
Es war sein erster Flug alleine über den Atlantik, normalerweise reisten er und seine Freunde gemeinsam in die Vereinigten Staaten. Doch diesmal hatte alle anderen keine Zeit, kein Geld, waren erkältet, im Krankenhaus oder fuhren mit der neuen Freundin in Urlaub.
Aus reinem Frust hatte er sich trotzdem ein Ticket gekauft und war in das Flugzeug gestiegen.
Vielleicht ist das der Punkt, an dem sich Menschen auseinander leben, schoss es ihm durch die Gedanken. Eigentlich Schade. Sie hatten gute Zeiten miteinander erlebt und nun sollte es mit dem Unvermögen den gemeinsamen Urlaub zu unternehmen enden.
Gedankenverloren starrte er weiter aus dem Fenster und versuchte das Schnarchen seines Sitznachbarn zu ignorieren. Auf der einen Seite wollte er ihm am liebsten eine seiner Wechselsocken in den Rachen stopfen, auf der anderen beneidete er ihn fast. Er schaffte es nie im Flugzeug zu schlafen, irgendetwas hielt ihn immer wach.
Draußen zogen die Wolken vorbei und sein Verstand versuchte Formen in dem Wasserdampf zu erkennen. Ein Schädel, ein Elefant dessen Rüssel nach einem Seil greift, ein Rennwagen der Spuren über den Himmel zeichnete.
Schon faszinierend wie das Gehirn in allem ein Muster fand.
Die Gedanken kehrten zurück zu seinen Freunden, zurück in die Heimat. Aber war die kleine Wohnung 20 Minuten von der Arbeit entfernt wirklich seine Heimat?
Sicher, dort wohnten seine Freunde, doch wie so oft kamen und gingen die Menschen. Man hielt flüchtig Kontakt, dann weniger und schließlich verging die gemeinsame Zeit in der Erinnerung. Nur wenige begleiteten einen über die Jahre hinweg.
Normalerweise dachte er nicht darüber nach, aber hier oben, allein über den Wolken konnte er sich seiner innersten Stimme nicht verschließen. Was sollte er nur mit seinem Leben anfangen?
Seine Arbeit war mit der Zeit öde und erschöpfend geworden, obwohl er damals seine alten Freunde und Bekannten, ja, sein ganzes altes Leben aufgegeben hatte um kilometerweit weg zu ziehen, für einen Job den er einmal bis zu seinem Lebensende machen wollte.
Es fügt sich schon alles irgendwie ein, hatte er damals gedacht. Aber jetzt?
Seinen Chef würde er am liebsten in dem Augenblick aus dem Fenster werfen, in dem er mit seiner Workaholic-Art das Büro betrat. Seine Arbeitskollegen gingen ihm immer öfter und schneller auf die Nerven, obwohl er sie eigentlich gut leiden konnte.
Das einzige was ihm noch half waren seine Bücher. Seine geliebten Romane und Buchreihen, welche ihn immer wieder in neue Städte,Welten und Gesellschaften entführten und ihn die Realität um ihn herum vergessen lies. Was war nur schief gelaufen?
Wenn er zurückkehrte, würde er einiges ändern müssen. Frischen Wind in sein Leben bringen. Ein anderer Job, neue Freunde, ein anderes Leben. Aber würde es dann nicht genauso ablaufen?
„Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir beginnen nun mit dem Landeanflug.“
Dort war Sie, die fremde Stadt, winzig klein konnte er Sie am Boden erkennen. Auch das ist wohl eine neue, unbekannte Welt. Ein letztes Mal blickte er in die Wolken und sah gerade den ersten Mondschein zwischen den dunstigen Fäden hindurch scheinen. War das vielleicht der sprichwörtliche Hoffnungsschimmer?
Er richtete den Blick wieder nach unten auf die Stadt und fragte sich wie vielen es dort wohl genauso ging wie ihm…