Nur ein Plan
Nur ein Plan
„Die haben mir´ s Leben doch schon kaputt gemacht. Und jetzt wollen sie´ s noch mal tun!“
In sich zusammengesunken sitzt Bodo an dem Tisch in seiner Zelle und schüttelt immer wieder den Kopf. Verzweifelt bearbeitet er mit seinen rissigen Händen die Stirn, als wolle er sich eine Lösung aus dem Kopf kratzen. Vor ihm liegt sein Entlassungsbescheid. Dann geht ein Ruck durch seinen Körper.
„Hey Stummer! Los, setz dich mal her zu mir. Ich will dir was erzählen.“
Ein hünenhafter Mann mit einer Narbe, die seinen Mund schrecklich entstellt, erhebt sich vom Bett und setzt sich mit an den Tisch. Bodo schaut ihn mit müden Augen an.
„Du hast noch nie was gesprochen und die sagen, es ist hoffnungslos mit dir. Also kann mir nichts passieren mit dem, was ich dir erzähle. Du quatschst ja nicht. Und morgen ist´ s zu spät!
Hör jetzt zu! Ich war damals anders. Heute kann ich auch mal schlimm sein, wenn einer was von mir will. Das weißte ja seit der Sache mit dem Wärter, diesem abartigen Schwein. Dem hab ich´ s gegeben und keiner hat was rausbekommen. Ich weiß, ich bin nicht richtig klug im Kopf, aber ich kann gute Pläne machen. Deshalb haben sie´ s nicht rausbekommen.
Stummer, glaub nur, ich war früher wirklich nicht so. In dem Kaff, wo ich lebte, da wollte ja auch keiner was von einem. Und meine Mutter und ich, wir wollten auch nichts von denen. Nur der Kerl im Haus nebenan, den hab ich gehasst. Der war was Besseres und das hat er Mutter immer gezeigt. Mit Vater hätte er das nicht gemacht. Aber Vater war ja nicht mehr. Egal, und dann seine Alte. In der Kirche, da musste ich immerzu auf ihre Beine gucken. Hab ich aber so gemacht, dass es keiner sah. Aber dieser Kerl sah es immer. Und nach der Kirche gingen sie vor uns her. Ja, jedes Mal gingen die vor uns, und dann streichelte er über ihren Hintern und zog den Rock ein Stück höher. Und dann drehte er sich um und grinste mich an. Dieses Schwein. Stummer, was sagst´ e? Das war doch ´n mieses Schwein oder?“
Bode ist sich nicht sicher, aber es scheint ihm so, als verziehe der Stumme seinen missgestalteten Mund zu einem Lächeln.
„ Naja, egal! Ich erzähl mal weiter. Jedenfalls hätte ich ihn umbringen wollen. Wie er immer mit Mutter umging und so. Er wollte unser Haus haben und Mut-ter wollte es nicht hergeben. Aber er ließ einfach nicht locker. Die selber hatten so ´n Gartenhaus. Direkt an der Grenze zu unserem Grundstück. Vielleicht auch schon ´n bisschen drüber zu uns. So ´n echt nobles Ding, mit viel Glas und so. Du weißt schon. Meist war seine Alte da drin und machte irgendwas. Und wenn keiner da war, bin ich dann immer wieder mal rein. Die haben´ s nie abgeschlossen. Hab aber nichts geklaut oder so. Die Sachen von der Alten und Alles, das roch so gut. Ich musste da immer wieder rein, aber keiner hat´ s gemerkt. Dachte ich. Und dann irgendwann war das Schwein krank geworden. Sah immer schlechter aus. Erst war er ewig weiß wie ´ne Wand und dann wurde er immer dürrer. Was soll ich sagen, es tat mir gar nicht leid. Tät´ s dir doch auch nicht, was Stummer? Ich dachte nur, der hat´ s verdient. Egal! Der Kerl ging mit seiner Krankheit ins Gartenhaus und da pennte er dann auch. Vielleicht hat seine Alte ihn im Haus nicht mehr ertragen können. Er hing an so ´nem Tropf und ´n paar Mal am Tag kamen dann Pfleger. Als er mal nicht da war, bin ich rein in sein Gartenhaus. Es roch da gar nicht mehr gut, das kann ich dir aber sagen. Ich hab dann dort all sein Zeug gelesen, was er alles auf-geschrieben hat, dass er seine Alte sehr liebt und er versteht, dass sie seine Krankheit nicht mehr ertragen kann. Und das er große Angst vor Schmerzen und vor´m Verrecken hat. Ich hab nur gedacht, der ist am Ende nichts Besseres. Der ist nur ein Feigling und mehr nicht. Und ich hab gedacht, es wäre jetzt ganz einfach, ihm was in seinen Tropf reinzutun. Rattengift, dachte ich. Einfach mit ´ner Spritze da rein. Und ich weiß nicht, was da mit mir war. Ich hab so ´ne Spritze mitgenommen und später das Gift da reingemacht. Und dann hab ich in den nächsten Wochen aufgeschrieben, wann seine Pfleger da waren, und wann er immer ins Krankenhaus musste, und dass seine Alte jede Woche zwei Tage nicht da war. Ich hab das genau aufgeschrieben und angekreuzt in meinem Plan. Den hatte ich mir an die Wand gehängt und wusste ganz klar, wann alle weg waren. Da hätte man ihm die Spritze locker in so ´ne Tropfflasche machen können. Die hatte er alle in einem Kühlschrank in seinem Glashaus. Ich hab das alles von oben mit ´nem Fernglas gesehen. Aber Stummer, glaub mir, ich hätte das nie gemacht. Obwohl er auch doch so ´n Schwein war und immer noch von Mutter das Haus wollte. Aber es war doch nur ein Plan.“
Bodo atmet tief ein und schaut auf seinen Entlassungsbescheid.
„Und dann verreckte er ganz plötzlich von ganz alleine. Und am gleichen Tag holten mich die Bullen. Die fanden dann meine Pläne und die Spritze und das alles, und ich bekam Lebenslänglich. Die fragten nicht mehr viel. Es hieß, ich wäre hinter seiner Alten hergewesen und dem Geld, dass sie für Mutter hatten. Aber ich wusste ja überhaupt nichts von, dass Mutter verkaufen wollte. Und es war ja alles auch nur ein Plan in meinem Kopf gewesen. Weil er doch so ein Schwein war, so ein feiges. Ich weiß nicht wie die´s gemacht haben, aber die haben mich gelinkt.“
Bodo vergräbt das Gesicht in seine Hände und weint. Dann nach einiger Zeit schaut er auf.
„Stummer, ich war´ s nicht. Die hatten mich bestimmt beobachtet und wussten Bescheid. Als Mutter dann mit denen durch unser Haus gegangen ist, haben sie mein Zeug gesehen, die Spritze und so. Das lag ja alles in meinem Zimmer ´rum. Und der Plan an der Wand. Und als seine Schmerzen und seine Angst so groß waren, da wollte er sterben. Doch wenn man das selber macht, das hat mir einer hinterher gesteckt, zahlt keine Versicherung. Deshalb brauchte er ´nen Mörder. Das feige Schwein hat sich selber umgebracht und brauchte mich als Mörder. Ist das zu fassen? Und Mutters Haus hat seine Alte dann auch bekommen. Für fast umsonst, als Mutter ein Jahr später starb.
Und jetzt wollen sie mich vorzeitig entlassen. Lebenslänglich hab ich gekriegt und nun nach 12 Jahren soll ich raus! Was soll ich denn da? Wenn sie das tun, ist das wie noch ´ne Strafe. Aber Stummer, ich hab wieder ´nen Plan. Für mich wird’s lebenslänglich bleiben. Und dieses Schwein von Wärter, das reiße ich morgen mit rein. Alle werden glauben, der hätte mich erledigt. So, jetzt weißt´e was los ist. Ist aber nicht schlimm für mich, du quatschst ja nichts aus.“
Zwei Stunden später liegen die beiden Männer in ihren Betten und Bodo schläft tief und zufrieden. Aber der Stumme schläft nicht. Ein schiefes Grinsen liegt auf seinem Gesicht und er murmelt mit kehliger Stimme:
„Ich glaube dein Plan klappt nicht. Du hast da nicht an alles gedacht!“