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Notwehr

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12.05.2003
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Notwehr

Also wenn er ihr noch einmal so widerlich übers Bein streicht, mach ich´s!
In dem Moment habe ich mir gedacht, dass ich eigentlich schon längst hätte eingreifen müssen. Ich saß in einem schäbigen Bus, jenem verhassten Ort, an dem ich jeden Abend für die Heimfahrt mein Dasein fristen musste und las in meinem Büchlein, wie immer, und da steigen plötzlich diese drei Vollidioten ein. Ich kann mich an ihre Aufmachung nicht mehr genau erinnern, aber dass es Nazis waren – ja, das war von vornherein klar. Sie setzten sich ein paar Reihen hinter mir in den Bus, nach ganz hinten. Ich saß in einem Vierer und konnte sie frontal anschauen. Sie gröhlten sinnentleertes Gebrabbel, brabbelten gröhlend Sinnentleertes und kippten nebenbei glucksend ihr Oettinger Pils. Gleich beschlich mich dieses leichte Angstzucken in der Magengegend, welches mich immer überkam, wenn irgendwelche Glatzen in der Nähe waren; dabei hatte ich nur lange, dunkle Haare, sonst nichts auffällig Nichtarisches. Außerdem war der Bus voll, neben mir saß ein etwas älterer Herr, vielleicht 60, und im anderen Vierer saß ein junges Pärchen, um die 25.
Aber ich wusste – man kann nie wissen. Ich übte mich zuerst in gekonnter Nichtbeachtung und las seelenruhig weiter, in mein Buch verkrochen. Solche Typen gibt´s ja genug hier in Osnabrück, ich kannte das schon. Nach einigen Minuten aber fingen sie an, ruhiger zu werden. Je ruhiger sie wurden, desto unruhiger wurde ich, denn mir war klar, dass sie was im Schilde führen mussten.
Beim Betreten des Busses war mir gleich dieses superhübsche Mädchen aufgefallen, pechschwarze Haare und beinah ebenso dunkle Augen, und erfrischender Weise nicht im schlampigen Modepüppchenlook, sondern in braver dunkelblauer Strickjacke und Jeans, darüber ein dunkler Mantel, der in verspieltem Faltenwurf über ihre langen Beine hing. Sie sah wirklich aus wie gemalt. Und verdammt, als die drei Kahlköpfe ruhiger wurden, schwante mir so einiges.

„Na, was haben wir denn hier?“
„Mir ist die Kleine vorhin noch gar nicht aufgefallen.“
„Normal achtet man ja auch nicht auf so Türkinnen.“
„Diese hier wär beinah hübsch, wenn sie nicht so ne Türkentuse wär.“

Sie saß mit dem Rücken zu den drei Besoffenen, eine Reihe vor ihnen, mir schräg gegenüber im anderen Vierer. Ich hatte mein Buch gesenkt und sofort gesehen, dass ein Schauer der Überraschung durch ihr Anlitz fegte. Sie wollte sich bewegen, aufstehen, zumindest umdrehen, irgendetwas sagen – aber jede Aktion wurde durch den Schrecken im Keim erstickt.

„Na du? Eische? So heißt du doch, oder?“, sagte der eine lachend und beugte sich vor, über ihre Lehne.
„So heißen die doch alle, Pip.“ Alle drei lachten. Ich hätte schwören können, dass der ältere Kerl neben mir lächelte.
„Stimmt. Also, was machst du so, mh? Bist wirklich mal hübscher als die anderen Türkinnen.“ Pip, oder wie auch immer er genannt wurde, stand auf und setzte sich neben die junge Frau.
„Lasst mich in Ruhe.“, sagte sie mit einer gehörigen Portion verständlichen Trotzes in der Stimme. Sie blickte geradlinig nach vorne.
„Oh, wir sollen sie in Ruhe lassen.“ Pip leerte seine Bierdose. Ich ertappte mich dabei, wie ich mein Buch wieder hob und mir die Sicht auf das Geschehen versperrte.
„Hey!“, rief sie.
Ich riss das Buch wieder runter und erhaschte noch, wie Pip seine behaarte Pranke von ihrem Oberschenkel nahm. Die beiden anderen Faschos hinter dem Mädchen bellten vor Lachen.
Keine Reaktion von den anderen Insassen des Busses. Der Opa neben mir schien zu schlafen. Ich glaube, er hatte die Nichtbeachtungsnummer noch besser drauf als ich. Das Pärchen zu meiner linken gab ein Lehrstück aus dem Fachbereich „Aus-Dem-Fenster-Schauen.“
„Lass mich los!“ Diesmal schrie sie wirklich. Pip nahm die Hand aber nicht von ihrem Oberschenkel. Mit der anderen öffnete er sich ein neues Bier, das ihm von seinen Kumpanen gereicht worden war. Mir wurde plötzlich kalt. Das fängt bei mir immer mit den Händen an. Die Kälte waberte aus meinem Rückenansatz hoch; ich hatte eisige Finger.
Sie wollte aufstehen, aber die fleischigen Arme von der Glatze hinter ihr pressten ihre Schultern auf den Sitz.
„Hilfe!“, schrie sie. „Kann mir jemand helf-“
„Halt den Mund, Eischebitch! Gib´s doch zu, du magst es!“ Pip grinste, die anderen beiden lachten und tranken. Vor lachen spuckte der eine von ihnen prustend sein Bier auf den Nebensitz.
Niemand reagierte. Ich zitterte. Hätte ich nur nicht so eine scheiß Angst gehabt.
Pip hob seine Hand von ihrem schlanken Oberschenkel und sie atmete sichtlich für den Bruchteil einer Sekunde auf. Er kratzte sich am Kopf.
Mittlerweile hielt der Kamerad von Pip ihre Arme fest.
Warum tut den keiner was, dachte ich mir - und wirklich, meine Gedanken klangen beinah so flehentlich wie die Stimme von dem Mädel. Ich schaute noch einmal in ihr Gesicht. Vorhin, als es noch nicht so verzerrt und feucht war, als ihre dezente Schminke noch nicht verlaufen war, da war sie wahrlich wunderschön gewesen.
Wenn er ihr noch einmal so widerlich übers Bein streicht, mach ich´s!, dachte ich mir.
Pip nahm die Hand von seiner fettigen Kopfhaut und führte sie zurück in ihren Schoß. Ich sah rot, und wenn ich es mir recht überlege, hätte ich es mir selbst nicht zugetraut. Ich nahm die leere Mezzomixflasche - es war eine 0,33 Liter Glasflasche - aus meinem Rucksack und zimmerte sie Pip mit aller Kraft über den Kahlschädel.
Er war augenblicklich bewusstlos, ich wie in Trance. Hatte ich das wirklich getan? Die Antwort kam sofort. Pips Freunde reagierten direkt, hoben ihren Anführer hoch und setzten ihn aufrecht hin. Die junge Dame sprang auf und rauschte an der nächsten Haltestelle aus dem Bus. Dann kümmerten sich die beiden Besoffenen um mich.

Hier im Krankenhaus liege ich jetzt tatsächlich auf dem gleichen Zimmer wie Pip. Ein Glück, dass er immer noch bewusstlos ist. Ich kann es mir einfach nicht verkneifen - irgendwie hoffe ich, dass er es noch eine lange Zeit bleiben wird.

 
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Ich habe vorhin deine Geschichte "Werthers Tiraden" gelesen und kommentiert...

Nach dem Durchlesen dieser "Räubersg`schicht" hier muss ich nun echt erwähnen, dass du anscheinend ein Talent dafür hast, selbst aus den plumpesten Themengebieten noch gute Geschichten hervorzuzaubern.

Die links-rechts-Feindschaft ist nun mal eben ein Paradebeispiel der Jugendkultur über das sich schon fast jeder Hippie, Punk, etc. in einer ähnlichen Form wie du nun ausgelassen hat.

Will man eine wirklich gute Geschichte über Rechtsradikalismus schreiben, sollte man oberflächliche Darstellungen vermeiden und dieses Schwarz-Weiss, Gut-Böse-Denken aus dem Gedächtnis löschen. Jeder Mensch hat Gründe für sein Tun, auch wenn es manchmal unlogisch erscheint. Durchleuchte die Gründe und Ursachen, verfasse deine Geschichte aus mehreren Perspektiven. Hier hast du beispielsweise nur aus der Sicht des langhaarigen Jugendlichen geschrieben. Geschichten über Rechtsradikalismus sind ein heikles Thema und brauchen Seriosität, aber die vermisse ich in deiner Geschichte. Dies ist meine subjektive Meinung dazu.

Dennoch gefällt mir die Geschichte. Warum?

- Du schreibst aus der Sicht eines jugendlichen Protagonisten weswegen der pubertäre Erzählstil wahrscheinlich auch in Ordnung geht. Abgesehen davon ist mir dein Schreibstil symphatisch. Ich weiß nicht, aber irgendwie schwingt sporadisch ein gewisser Zauber in deinen Sätzen mit. Das kannst du sicherlich noch ausbauen.

- Obwohl, wie ich schon des öfteren erwähnte, mir persönlich das gewählte Thema in dieser oberflächlichen Ausführung missfällt, imponiert mir das Ende. Das Ende dieser Geschichte (nicht falsch verstehen!!! :)) ist zweifelsohne das Highlight dieses Textes und letztendlich auch der Grund dafür, warum man mit einem Lächeln an diese Geschichte zurückdenkt. Wie gesagt, ein Hauch von Zauber... Ein Hauch.

Versuche doch vielleicht einmal, komplexere Themen in Angriff zu nehmen. Mich hast du auf jeden Fall von deinem Talent zum Schreiben überzeugt...

P.S.: Damals in meiner "Punk-Zeit" habe ich auch ähnliche Geschichten geschrieben... :)

 

Erstmal muss ich Jingles zustimmen, das schwarz weiss denken ist wirklich sehr auffällig und es fehlt eben deutliche charakteristische züge der einzelnen Figruen die z.b. über die des bösen besoffenen nazis hinausgehen.

Aber dennoch liest sich die Geschichte sehr gut, besonders die Einleitung find ich gut gemacht.
Allerdings empfinde ich das Ende im gegensatz zu Jingles als sehr langweilig und träge. Erinnert mich irgendwie an die alten Kinder serien auf Nikeloedon :D
Wäre es nicht besser gewesen sich die "heldentat" zusparren und die Nazis mit dem Mädel von dannen ziehen zulassen und die Wut des Protagonisten über sein eigenes Versagen an den anderen Bus-Insassen auszulassen (welch schrecklicher satz)?

 

Danke für das Lesen der Story!

Die übermäßige Schwarzweißmalerei ist gewollt und beabsichtigt, da es sich ja um einen Erzähler aus der Ich-Perspektive handelt und jener es so wahrgenommen hat.
Die Idee mit dem alternativen Ende gefällt mir! Möglicherweise schreibe ich die Story noch einmal um und paste dann eine andere Version. Hat sicherlich beides seinen Reiz.

Danke für eure Gedanken :)

lg,
tobbi

 

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