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Notwehr
Also wenn er ihr noch einmal so widerlich übers Bein streicht, mach ich´s!
In dem Moment habe ich mir gedacht, dass ich eigentlich schon längst hätte eingreifen müssen. Ich saß in einem schäbigen Bus, jenem verhassten Ort, an dem ich jeden Abend für die Heimfahrt mein Dasein fristen musste und las in meinem Büchlein, wie immer, und da steigen plötzlich diese drei Vollidioten ein. Ich kann mich an ihre Aufmachung nicht mehr genau erinnern, aber dass es Nazis waren – ja, das war von vornherein klar. Sie setzten sich ein paar Reihen hinter mir in den Bus, nach ganz hinten. Ich saß in einem Vierer und konnte sie frontal anschauen. Sie gröhlten sinnentleertes Gebrabbel, brabbelten gröhlend Sinnentleertes und kippten nebenbei glucksend ihr Oettinger Pils. Gleich beschlich mich dieses leichte Angstzucken in der Magengegend, welches mich immer überkam, wenn irgendwelche Glatzen in der Nähe waren; dabei hatte ich nur lange, dunkle Haare, sonst nichts auffällig Nichtarisches. Außerdem war der Bus voll, neben mir saß ein etwas älterer Herr, vielleicht 60, und im anderen Vierer saß ein junges Pärchen, um die 25.
Aber ich wusste – man kann nie wissen. Ich übte mich zuerst in gekonnter Nichtbeachtung und las seelenruhig weiter, in mein Buch verkrochen. Solche Typen gibt´s ja genug hier in Osnabrück, ich kannte das schon. Nach einigen Minuten aber fingen sie an, ruhiger zu werden. Je ruhiger sie wurden, desto unruhiger wurde ich, denn mir war klar, dass sie was im Schilde führen mussten.
Beim Betreten des Busses war mir gleich dieses superhübsche Mädchen aufgefallen, pechschwarze Haare und beinah ebenso dunkle Augen, und erfrischender Weise nicht im schlampigen Modepüppchenlook, sondern in braver dunkelblauer Strickjacke und Jeans, darüber ein dunkler Mantel, der in verspieltem Faltenwurf über ihre langen Beine hing. Sie sah wirklich aus wie gemalt. Und verdammt, als die drei Kahlköpfe ruhiger wurden, schwante mir so einiges.
„Na, was haben wir denn hier?“
„Mir ist die Kleine vorhin noch gar nicht aufgefallen.“
„Normal achtet man ja auch nicht auf so Türkinnen.“
„Diese hier wär beinah hübsch, wenn sie nicht so ne Türkentuse wär.“
Sie saß mit dem Rücken zu den drei Besoffenen, eine Reihe vor ihnen, mir schräg gegenüber im anderen Vierer. Ich hatte mein Buch gesenkt und sofort gesehen, dass ein Schauer der Überraschung durch ihr Anlitz fegte. Sie wollte sich bewegen, aufstehen, zumindest umdrehen, irgendetwas sagen – aber jede Aktion wurde durch den Schrecken im Keim erstickt.
„Na du? Eische? So heißt du doch, oder?“, sagte der eine lachend und beugte sich vor, über ihre Lehne.
„So heißen die doch alle, Pip.“ Alle drei lachten. Ich hätte schwören können, dass der ältere Kerl neben mir lächelte.
„Stimmt. Also, was machst du so, mh? Bist wirklich mal hübscher als die anderen Türkinnen.“ Pip, oder wie auch immer er genannt wurde, stand auf und setzte sich neben die junge Frau.
„Lasst mich in Ruhe.“, sagte sie mit einer gehörigen Portion verständlichen Trotzes in der Stimme. Sie blickte geradlinig nach vorne.
„Oh, wir sollen sie in Ruhe lassen.“ Pip leerte seine Bierdose. Ich ertappte mich dabei, wie ich mein Buch wieder hob und mir die Sicht auf das Geschehen versperrte.
„Hey!“, rief sie.
Ich riss das Buch wieder runter und erhaschte noch, wie Pip seine behaarte Pranke von ihrem Oberschenkel nahm. Die beiden anderen Faschos hinter dem Mädchen bellten vor Lachen.
Keine Reaktion von den anderen Insassen des Busses. Der Opa neben mir schien zu schlafen. Ich glaube, er hatte die Nichtbeachtungsnummer noch besser drauf als ich. Das Pärchen zu meiner linken gab ein Lehrstück aus dem Fachbereich „Aus-Dem-Fenster-Schauen.“
„Lass mich los!“ Diesmal schrie sie wirklich. Pip nahm die Hand aber nicht von ihrem Oberschenkel. Mit der anderen öffnete er sich ein neues Bier, das ihm von seinen Kumpanen gereicht worden war. Mir wurde plötzlich kalt. Das fängt bei mir immer mit den Händen an. Die Kälte waberte aus meinem Rückenansatz hoch; ich hatte eisige Finger.
Sie wollte aufstehen, aber die fleischigen Arme von der Glatze hinter ihr pressten ihre Schultern auf den Sitz.
„Hilfe!“, schrie sie. „Kann mir jemand helf-“
„Halt den Mund, Eischebitch! Gib´s doch zu, du magst es!“ Pip grinste, die anderen beiden lachten und tranken. Vor lachen spuckte der eine von ihnen prustend sein Bier auf den Nebensitz.
Niemand reagierte. Ich zitterte. Hätte ich nur nicht so eine scheiß Angst gehabt.
Pip hob seine Hand von ihrem schlanken Oberschenkel und sie atmete sichtlich für den Bruchteil einer Sekunde auf. Er kratzte sich am Kopf.
Mittlerweile hielt der Kamerad von Pip ihre Arme fest.
Warum tut den keiner was, dachte ich mir - und wirklich, meine Gedanken klangen beinah so flehentlich wie die Stimme von dem Mädel. Ich schaute noch einmal in ihr Gesicht. Vorhin, als es noch nicht so verzerrt und feucht war, als ihre dezente Schminke noch nicht verlaufen war, da war sie wahrlich wunderschön gewesen.
Wenn er ihr noch einmal so widerlich übers Bein streicht, mach ich´s!, dachte ich mir.
Pip nahm die Hand von seiner fettigen Kopfhaut und führte sie zurück in ihren Schoß. Ich sah rot, und wenn ich es mir recht überlege, hätte ich es mir selbst nicht zugetraut. Ich nahm die leere Mezzomixflasche - es war eine 0,33 Liter Glasflasche - aus meinem Rucksack und zimmerte sie Pip mit aller Kraft über den Kahlschädel.
Er war augenblicklich bewusstlos, ich wie in Trance. Hatte ich das wirklich getan? Die Antwort kam sofort. Pips Freunde reagierten direkt, hoben ihren Anführer hoch und setzten ihn aufrecht hin. Die junge Dame sprang auf und rauschte an der nächsten Haltestelle aus dem Bus. Dann kümmerten sich die beiden Besoffenen um mich.
Hier im Krankenhaus liege ich jetzt tatsächlich auf dem gleichen Zimmer wie Pip. Ein Glück, dass er immer noch bewusstlos ist. Ich kann es mir einfach nicht verkneifen - irgendwie hoffe ich, dass er es noch eine lange Zeit bleiben wird.