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Notfall im Fußpflegestudio
„Nie und nimmer! Vollkommen ausgeschlossen!“, sagte Penelope Putzig entschieden. Die Ameisin stand mitten in ihrem Fußpflegestudio, hatte vier Hände in die Hüften gestemmt, und wollte sich unter keinen Umständen von Lord William Redblack Sixpoint, einem Marienkäfer, zur Arbeit überreden lassen.
„Verehrte Frau Putzig, sie haben es mir aber am Telefon versprochen“, sagte er mürrisch, und sah sie dabei streng mit einem Auge durch sein goldgerahmtes Monokel an.
„Da wusste ich doch noch nicht ...“
„Entschuldigen sie vielmals wenn ich sie unterbreche Frau Putzig, aber sehen sie nicht in welch entsetzlicher Notlage ich mich befinde? Madame Millepie begleitet mich nur zum Wiesenball, wenn sie die entsprechende Fußpflege erhalten hat.“
„Nein! Tut mir leid! Nein! Nein, und nochmals nein!“
„Silvous plais, Frau Pützisch“, schaltete sich jetzt Madame Millepie mit ihrer glockenhellen Stimme selbst ein, und wedelte sich dabei äußerst galant mit einem Seidenfächer Luft zu, „aber ohne Pedicür kann isch unmöglisch zum Tancen gehen.“
„Freilich, doch sie sind Tausendfüßlerin“, entgegnete die Ameisin, setzte sich auf den Stuhl hinter dem Empfang, nahm Stift und Block zur Hand und begann zu rechnen.
„Wenn ich pro Fuß fünf Minuten veranschlage, dann macht das fünftausend Minuten geteilt durch sechzig ..., einen Moment ..., hm ..., dreiundachtzig Stunden. Selbst wenn ich alle Angestellten herbitten würde, müsste ich mindestens zehn Stunden veranschlagen.“
„Mon Dieu, Cheri“, schluchzte Madame Millepie. „Wir können nischt zum Wiesenball. Was sollen wir dort, wenn isch nischt tancen kann?“
„Schauen sie nur, was sie jetzt angerichtet haben“, sagte der Marienkäfer ungehalten, zog das weise Stecktuch aus der Brusttasche seines Fracks, und reichte es der Tausendfüßlerin.
„Aber ..., ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Ich habe doch nur ...“
„Cheri, was sollen wir nur tün? Isch `ätte so gerne deine Freunde kennen gelernt.“
„Nicht weinen, Madame! Bitte, dass bricht mir das Herz.“
„Mein `erz ist schon gebrochen.“
Penelope Putzig gab sich geschlagen. „Na gut, ich werde mein bestes versuchen.“
„Merci, Frau Pützisch! Sie sind die Beste!“ sagte die Tausendfüßlerin überglücklich.
Frau Putzig griff kopfschüttelnd zum Telefonhörer, und rief alle ihre Angestellten an.
*
Ohne Pause putzten, feilten und polierten sie die Füße von Madame Millepie, die es sich auf einem langen Sofa bequem gemacht hatte und eine Zeitschrift durchblätterte.
„Ohlala, Fürstin Giselberta Fideldei `at sich eine neue rote Kleid zugelegt. Gewagt, gewagt“, sagte die Tausendfüßlerin.
„Madame, die Dame hat nicht nur Grillen im Kopf: sie ist auch eine“, antwortete Frau Putzig.
Alle lachten bis auf Lord Sixpoint, der ungeduldig auf einem Stuhl hin und her rutschte und darauf wartete, dass die Frau seines Herzens endlich fertig wird. Zu seinem Glück hatte Madame Millepie von Haus aus sehr gepflegte Füße, und so war die Pediküre letztlich schneller beendet, als alle zu Beginn befürchtet hatten.
*
„Sie haben sogar noch eine Stunde Zeit bis zur Balleröffnung“, sagte Frau Putzig nach getaner Arbeit.
Lord Sixpoint nickte zufrieden: „Sehr schön!“ Er zog seine Geldbörse heraus, bezahlte die Ameisin an der Kasse, und gab obendrein noch jeder Angestellten ein fürstliches Trinkgeld.
Frau Putzig brachte anschließend noch den Zylinder des Lords, und den mit dunkelblauem Chiffon geschmückten Hut Madame Millepies aus der Garderobe. Doch die Tausendfüßlerin, die sich skeptisch im großen Wandspiegel des Fußpflegestudios betrachtete, schien mit irgendetwas nicht zufrieden zu sein.
„Non, non, das passt über`aupt nischt! Das ist nischt schön!“, murmelte sie vor sich hin.
„Was haben sie Madame?“, fragte Lord Sixpoint.
„Es tüt mir schrecklisch Leid, aber so kann isch nicht zum Grande Wiesenball.“
„Aber Madame!?“
„Mit diese, wie sagt man, Schü`e kann isch nicht zum Tancen. Isch brauche neue!“
„Aber wo bekommen wir um diese Zeit noch 1000 Schü`e, äh, Schuhe her?“, sagte der Marienkäfer mit entsetztem Gesichtsausdruck.
„Isch weiß nicht Cheri“, antwortete Madame Millepie traurig. „Jetzt denken sie sischerlich, isch sei eine eingebildete, dümme Schmetterling. Isch würde es ihnen nischt verübeln, wenn sie misch nischt mehr leiden könnten. Aber isch brauche neue Schü`e.“
„Aber, aber Madame, wie könnte ich ihnen böse sein?“
„Sie sind zu gütisch.“
„Wo finde ich das nächste Schuhgeschäft“, fragte Lord Sixpoint Frau Putzig.
„Versuchen sie es am Hexenpilzkreisel 7“, antwortete sie. „Dass ist das beste Haus am Platz.“
„Vielen Dank“, sagte der Marienkäfer, lüpfte den Zylinder, während Madame Millepie lächelnd der Ameisin zunickte. Dann verließen die beiden das Fußpflegestudio in Richtung Hexenpilzkreisel.
Auch Frau Putzig wollte mit ihrem Mann zum Wiesenball, und eilte daher so schnell wie möglich nach hause.
*
„Und wenn ihr nicht artig seid, dann holt euch der Ameisenbär“, sagte Frau Putzig zu ihren Kindern die schon im Bett lagen. „Wollt ihr das?“
„Neeeiiin!“, riefen sie lachend.
„Ihr seid also brav?“
„Jaaaaaa!“
Die Ameisin schloss schmunzelnd die Tür des Kinderzimmers, und gab dem Kindermädchen Isabella Flügli, einer frisch geschlüpften Libellin letzte Anweisungen:
„Geben sie ihnen kein Cola zu Trinken wenn sie durstig sind. Und selbstverständlich auch keine Schokolade. Sie wissen ja wie Kinder sind.“
„Natürlich! Ich war ja heute morgen selbst noch eins“, sagte Fräulein Flügli mit ruhiger Stimme.
„Und wenn sie Fernsehen wollen, dann ...“
„Penelope, wir kommen zu spät“, rief ihr Mann, der schon seid geraumer Zeit an der Haustür stand.
Frau Putzig nahm ihre Handtasche vom Tisch.
„Meine Nummer haben sie ja“, sagte sie zur Libellin.
„Hab ich!“
„Penelope!“, rief ihr Mann wieder.
„Ich komm ja schon! - Und keine Computerspiele“, rief die Ameisin noch einmal im Flur.
„Geht in Ordnung Frau Putzig.“
Arm in Arm spazierte sie mit ihrem Mann zur Festwiese, und erzählte ihm von ihrer Begegnung mit der Tausendfüßlerin.
*
Kurz vor Mitternacht bat Maestro Zirpinko, Heuschrecke und Dirigent der Tanzkapelle um Aufmerksamkeit:
„Sehr verehrte Damen, meine Herren. Nach dem nächsten Stück, um punkt Mitternacht, geben wir bekannt, welches Tanzpaar unsere Jury zum diesjährigen Wiesenball-Traumpaar gewählt hat.“
Alle applaudierten, und als die Musik einsetzte, betraten auch Madame Millepie und Lord Sixpoint das Parkett.
„Haben sie es also doch noch geschafft“, sagte Frau Putzig zu ihrem Mann.
Die Tausendfüßlerin bewegte sich so formvollendet, dass ihre Darbietung die allgemeine Bewunderung der Anwesenden hervorrief. Mit ihren neuen roten Lackschuhen schien sie förmlich über das Tanzparkett zu schweben.
„Ah“ und „Oh“, entfuhr es den Zuschauern, und auch Lord Sixpoint bewegte sich mit einer Anmut und Grazie, die ihm so schnell keiner nachmachte.
Als das Stück zuende war, starrten alle gebannt zur Bühne, die die Vorsitzende der Jury, Frau Sumdidum, eine stattliche Hummelin, mit einem gefalteten Zettel betrat und dem Dirigenten überreichte.
„Meine Damen, meine Herren“, begann Maestro Zirpinko mit gewichtiger Stimme, nachdem er den Zettel überflogen hatte. „Ich habe die Ehre ihnen die Sieger des heutigen Abends vorzustellen. Das diesjährige Wiesenball-Traumpaar ist ...“
Ein Trommelwirbel setzte ein.
„…Madame Millepie und Lord Redblack Sixpoint.”
Allgemeiner Applaus brandete auf, begleitet von Hochrufen auf das Wiesenball-Traumpaar.
„Wer `ätte das gedacht. Isch bin ja so glücklisch, Cheri“, sagte die Tausendfüßlerin zu Lord Sixpoint und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Der Marienkäfer lief rot an und sagte: „Und ich erst Madame.“
Die Musik spielte erneut auf, und Madame Millepie und Lord Sixpoint bewiesen, dass sie den Preis ganz zurecht verdient hatten.
Und auch Frau Putzig und ihr Gatte wagten noch ein weiteres Tänzchen.